Wahlen in der Türkei Bericht der Münchner Delegation Im Vorfeld und während den vorgezogenen Wahlen in der Türkei, die am 3. November stattfanden, kam es zu massiven Unregelmäßigkeiten. Besonders in den östlichen Regionen des Landes, den kurdischen Provinzen, wurden die WählerInnen um die Möglichkeit einer freien und demokratischen Wahl betrogen. Davon betroffen war hauptsächlich die DEHAP (Demokratische Volkspartei), ein Bündnis aus HADEP (Demokratische Partei des Volkes), SDP Sozialistische Demokratische Partei), EMEP (Partei der Werktätigen), kleineren sozialistischen Gruppierungen und Zeitungsprojekten. Die DEHAP hat eine demokratisch- sozialistische Programmatik und orientiert auf die notwendige Demokratisierung des Landes, Frieden und ein solidarisches Zusammenleben der Menschen, unabhängig ihrer Herkunft, sowie die Überwindung der Unterdrückung der Menschen im allgemeinen. Die Partei versteht sich auch als eine Repräsentantin der Arbeiterbewegung. Sie fordert die Beendigung der Repressionen gegen KurdInnen und andere Minderheiten durch den türkischen Staat. Dazu gehören neben der Aufhebung des Ausnahmezustands in einigen kurdischen Regionen, sowie der Abschaffung des Verbotes- des Gebrauchs und des Lehrens der kurdischen Sprache, auch eine Generalamnestie aller politischen Gefangenen. Die meisten Inhaftierten wurden aufgrund eines juristisch unhaltbaren Seperatismusvorwurfs, verurteilt. In den Polizeistationen des "EU Beitrittskandidaten" sind Folter und Mißhandlungen an der Tagesordnung. Gewinner der vorgezogenen Wahl sind die AKP, eine moderne islamistische Partei die 34,1 % der Stimmen erhielt und die CHP, eine rechtssozialdemokratische Partei mit kemalistischen Wurzeln, die 19,3% Zuspruch bekam. Von den bisherigen Regierungsparteien überschritt keine die für den Einzug ins Parlament nötigen 10%. Die DEHAP steigerte das Ergebnis der in ihr organisierten HADEP zwar mit 6.1% der Stimmen um knapp 2%, erreichte jedoch nicht das nötige Quorum. Im Vorfeld der Wahlen gab es seitens des reaktionären Staates Versuche HADEP zu verbieten. Die in den 80er Jahren aufgrund einer zu hohen Diversifikation im Parlament eingeführte 10 % Hürde, wurde in den letzten Jahren hauptsächlich aufrechterhalten und nicht auf 5 % reduziert, um kurdische , fortschrittliche Parteien die politische Partizipation zu verwähren. Die 1999 in vorgezogenen Wahlen gewählten Regierungsparteien, u.a. die faschistische MHP die sich sozialdemokratisch bezeichnende Partei des ehemaligen Premiers Ecevit, und die eher konservative ANAP von Yilmaz bekamen für ihre korrupte, undemokratische Politik, die das Land in eine tiefgreifende Wirtschaftskrise führte, mit ihrer Abwahl und enorm hohen Stimmenverlusten ein Mißtrauensvotum der WählerInnen. Die verantwortlichen PolitikerInnen traten als Konsequenz davon zurück. Ob, und wenn in wieweit die nun gewählten Verantwortlichen die Hoffnungen ihrer WählerInnen nach sozialen Verbesserungen erfüllen ist eher fraglich. Keine der beiden Parteien steht für die notwendigen Demokratisierungen und eine konsequente Friedenspolitik. Auch deren Konzepte zur Überwindung der Wirtschaftskrise sind eher dürftig. Das Votum der WählerInnen ist eher eine rein emotionale Protestentscheidung ohne analytischen Hintergrund und Kenntnis der Programmatik. Politische Hintergründe Seit Gründung der Türkei hat das Militär im Vergleich zu anderen Staaten einen dominierenden Einfluß auf Verwaltung, Struktur, Infrastruktur- sowie sehr große Anteile an Kapitalbesitz und Produktionsmitteln- des Landes. Darüber hinaus unterwirft sich der Staat am Bosporus seit Jahren den jeweils spezifischen geostrategischen Interessen der Amerikaner und Europäer als Aufmarschgebiet für den Mittleren Osten- momentan Irak und später Iran mit deren Rohstoffen (hauptsächlich ÖL)- sowie als wirtschaftlicher Absatzmarkt. Die Unterordnung unter die Partikularinteressen der Großmächte, wie z.B. die Umsetzung von Strukturanpassungsprogrammen des IWF sind Konsequenz davon. Die selbstgewählte, aber illusionäre Positionierung als regionale Stabilitätsmacht sind ebenfalls nur dadurch möglich (z.B. durch die enormen Waffenlieferungen der Bundesrepublik). Auch das Interesse der EU an der Türkei als Mitgliedsstaat hat eher derart instrumentelle Hintergründe. Ein eigenes expansionistisches Interesse in einem von der AKP nur halbherzig abgelehnten Krieg gegen den Irak wäre u.a. die Intervention der türkischen Streitkräfte im Nordirak (Südkurdistan). Andererseits bestehen Befürchtungen, daß sich im Falle eines Krieges im Nordirak ein eigener Kurdischer Staat bildet. Demzufolge schafft das Militär schon jetzt Voraussetzungen dafür, daß zu verhindern. Um wiederum den kriegerischen Interessen der USA Vorschub zu leisten, wurde nach dem 5.11. der Flughafen von Adana für den zivilen Flugverkehr gesperrt. Seit Mitte der achtziger Jahre wird von den Verantwortlichen versucht fortschrittliche, kurdische InteressensvertreterInnen von parlamentarischer Teilhabe auszuschließen. Im Laufe dessen kam es 1992 zum Verbot der DEP. Leyla Zana, die Prominenteste Vertreterin der Partei sitzt seit dieser Zeit im Gefängnis. Der Einzige Vorwurf ihr gegenüber ist, daß sie im Parlament kurdisch gesprochen- und dadurch Separatismus befördert habe. Eine ähnliche Logik liegt auch den Verhaftungen und Repressionen gegen SchülerInnen, StudentInnen und Eltern im Rahmen der Muttersprachlichen Kampagne zugrunde. Die östliche Region der Türkei wird bewußt wirtschaftlich und infrastrukturell schwach gehalten, um die oben benannten Interessen besser umsetzen zu können. Wahlen ohne Demokratie Vor den Wahlen erhofften viele DEHAP Mitglieder und Sympathisantinnen ein überspringen der 10% Hürde. Dies geschah aus mehreren Gründen nicht. Einerseits ist die Partei in den westliche Teilen des Landes noch nicht genügend verankert, obwohl es auch dort Verbesserungen der Ergebnisse gab. Maßgeblich verantwortlich für das nicht erreichen des Quorums sind aber vor allem Behinderungen und staatliche Repressionen im Vorfeld der Wahl und am Wahltag. Mehrere hunderttausend WählerInnen in den Großstädten der kurdischen Provinzen erhielten trotz Protesten bei den zuständigen Behörden keine- oder keine gültigen Wahlunterlagen. In den ländlichen Regionen wurden die WählerInnen nach übereinstimmender Auskunft von Wahlbeobachterinnen die Menschenrechtsorganisationen, fortschrittliche Parteien , Gewerkschaften und Kirche entsandten, davor gewarnt die DEHAP zu wählen. Die Militärs drohten bei Nichteinhaltung, die Zerstörung der Dörfer, physische Gewalt oder der Entzug der materiellen Lebensgrundlage an. Die Aghas (Großgrundbesitzer) und paramilitärische Dorfschützer sprachen, nach Auskunft der DorfbewohnerInnen ähnliche Drohungen bis hin zum Mord, bei Nichtwahl der sogenannten unabhängigen Kandidaten (den Dorfschützern oder Aghas selbst) aus. Behinderte wurden entgegen dem Wahlrecht von den Urnenbeisitzern und nicht von den Verwandten zur offenen Stimmabgabe "begleitet". Einige Tage vor den Wahlen fanden in vielen Orten Versammlungen statt auf denen dieser Druck entfaltet wurde. Die Menschen in den ländlichen Regionen der kurdischen Provinzen leben hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft. Die gesellschaftliche Struktur der Dörfer ist aufgrund des Dorfschützersystems eher militärisch- oder paramilitärisch feudal. Die WählerInnen gaben, wenn sie sich sicher wähnten darüber hinaus an, unter Drohungen zur offenen Wahl gezwungen worden zu sein. In einigen Orten füllten Dorfschützer oder Militärs die Wahlscheine vor oder nach den Wahlen selbst aus. In vielen Ortschaften wurde den VertreterInnen der DEHAP, an dem allen Parteien gesetzlich garantierten Recht auf Beobachtung der Wahlen gehindert. Obwohl die internationalen Beobachterdelgationen dieses Recht teilweise durchsetzen konnten, erhielten auch sie nicht immer- oder erst nach Verzögerungen Zugang zu den Wahllokalen. Nach Auskunft von delegierten Beobachtern mehrerer türkischer Parteien, installierten die Verantwortlichen erst während dieser Verzögerungen Wahlkabinen oder vertuschten andere Formen von Wahlbetrug und Wahlbeeinflussung. Die Delegation Ich reiste selbst mit einer Beobachterdelegation gemeinsam mit VertreterInnen von PDS, GEW und Kirche in die kurdischen Provinzen Diyabakir und Sirnak. Wir beobachteten die Wahlen in der Region um Sirnak, die vorher kaum von Europäern- und von dort nicht ansässigen TürkInnen nur im Ausnahmefall- bereist wurde. In dieser Region herrscht der Ausnahmezustand. Wir wurden ständig von Zivilpolizisten verfolgt und von Militärkontrollen, die ca. alle 20 km die Straßen Blockieren unnötig aufgehalten. Wie dabei deutlich sichtbar wurde sind die Militärs größtenteils mit Deutschen Panzern und Waffen ausgestattet. In Cizre versuchten Polizisten bei einer Passkontrolle ein Visum einzubehalten, um unsere Weiterreise zu verhindern. Unsere DolmetscherInnen wurden mehrfach von Beamten in Zivil aggressiv befragt und unter Druck gesetzt. In der Ortschaft Ayvalli, zwischen Sirnak und Beytussebap, kam es nach unserem Besuch des Wahllokals zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen und einer Schlägerei. Hier hatte ein Dorfbewohner gewagt namentlich auszusagen, daß er von den Wahlverantwortlichen zu einer offenen Wahl gezwungen wurde und der Wahlleiter ihm Verbot die DEHAP zu wählen. Er sollte den Dorfschützer und unabhängigen Kandidaten ...........wählen. ................ist als besonders brutal bekannt und befehligt 5000 Paramilitärs. Die Bevölkerung in den Dörfern dieser Gegend war derart eingeschüchtert, daß kaum jemand sich traute offen mit uns zu sprechen. Gespräche waren meist nur dort möglich, wo wir unbeobachtet waren. Hierbei erfuhren wir, daß den Familien bei nicht opportunen Verhalten einzelner Mitglieder Kollektivstrafen bis hin zum Mord angedroht wurden und das die Dorfschützer, auch im täglichen Leben, sehr brutal vorgehen. Konfrontationen gab es auch in Beytussebap, als ein Wähler namentlich kundtat, daß Blinde und Behinderte nicht von ihren Verwandten, wie es im Wahlrecht reglementiert ist, sondern vom Urnenleiter zur Stimmabgabe begleitet wurden. Vor fast allen Wahllokalen waren Militär oder Paramilitärs postiert , um die WählerInnen einzuschüchtern. Ich kann die vorher beschriebenen Erfahrungen der anderen Delegationen in jedem Detail bestätigen. Es handelte sich bei diesen Wahlen auf keinen Fall um demokratische, auch wenn die Verletzungen demokratischer und rechtlicher Standards, sowie die Repressionen gegen die Bevölkerung nicht mehr ganz mit denen bei den Wahlen 1999 vergleichbar sind. Wahlbeobachtungsdelegationen sind auf jeden Fall ein gutes Mittel um der unterdrückten Bevölkerung Hoffnung zu machen, die fortschrittlichen Parteien in ihrem Kampf um Demokratisierung zu unterstützen und das willkürliche menschenverachtende Verhalten von Militär, Dorfschützern und den Machthabern der Provinzen, wie auch des Landes, langfristig zu überwinden. Die GenossInnen von DEHAP, IHD (dem türkischen Menschenrechtsverein), der Gewerkschaft Egitem Sen, sowie weite Teile der Bevölkerung in den kurdischen Provinzen agieren solidarisch, internationalistisch, kraftvoll und entschlossen. An einer Wahlkundgebung der DEHAP, die wir in Amed (türkisch: Diyarbarkir), der heimlichen "Hauptstadt" der Region, besuchten, nahmen z.B. ca. 700000 Menschen teil, um sich für ihre demokratischen Anliegen und ihre politischen Ziele kraftvoll einzusetzen. |