Lokalredaktion
der Süddeutschen Zeitung München, 17.11. 2002
Leserbrief
zum Artikel „Großrazzia gegen PKK“ (SZ vom 15.11.02)
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Bestürzung und Wut habe ich von der erneuten Großrazzia
gegen in München und Umgebung lebende Kurden erfahren.
Wenige Tage vor der Polizeiaktion bin ich von einer Delegationsreise als
Wahlbeobachter in den kurdischen Gebieten der Türkei zurückgekehrt.
Unsere Delegation, der auch eine Münchner Stadträtin und ein
sächsischer Landtagsabgeordneter angehörten, konnte dort eine
Vielzahl von Einschüchterungen und Übergriffen der Sicherheitskräfte
gegen die Bevölkerung feststellen. Trotz aller Drohungen und Unregelmäßigkeiten
beim Wahlgang gelang es der prokurdischen Demokratischen Volkspartei DEHAP
am 3. November türkeiweit über 2 Millionen Stimmen zu gewinnen
und in den kurdischen Landesteilen die stärkste Kraft zu werden.
Auch die Mitglieder des von der Münchner Polizei durchsuchten MED-Kulturhauses
unterstützen die DEHAP und treten aktiv für Demokratie in der
Türkei und Frieden im Nahen Osten ein. Glaubt die bayerische Polizei
mit ihrem Vorgehen nun erreichen zu können, was den türkischen
Behörden nicht gelang, und diese Menschen in eine terroristische
Ecke zu drängen?
Als ich letzten Samstag von einem Vortrag über die Menschenrechtslage
in der Türkei nach Hause fuhr, sah ich am Stachus eine Kundgebung
von mehreren Dutzend Neonazis, die schwarz-weiß-rote Reichsfahnen
schwenkten und die faschistische Wehrmacht hochleben ließen. Die
selben Staatsschützer, die in den Tagen zuvor die Wohnungen Dutzender
kurdischstämmiger Mitbürger durchsucht haben, standen diesmal
untätig am Rande der Nazikundgebung.
Gilt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zwar für nazistische Volksverhetzer,
nicht aber für Kurdinnen und Kurden, die Demokratie und Menschenrechte
in ihrer Heimat fordern? Es ist höchste Zeit, die Kriminalisierung
politisch aktiver Kurdinnen und Kurden in Deutschland zu beenden und das
Verbot der Kurdischen Arbeiterpartei PKK aufzuheben. Oder brauchen wir
bald auch für Bayern Beobachter aus anderen europäischen Ländern
zur Überwachung der Menschenrechtslage?
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Nikolaus Brauns
Vorstandsmitglied der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft e.V.
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