FrauenRechtsBüro
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Berlin, den 27.11.2002
Wie
bereits in unserem letzten Prozessbericht erwähnt, wurde vom Disziplinarausschuß
der Nationalen Anwält/innenkammer der Türkei in Ankara (vergleichbar
der Bundesanwält/innenkammer) am 12.7.2002 ein einjähriges Berufsverbot
gegen die bekannte Rechtsanwältin, Menschenrechtsaktivistin und Mitbegründerin
unseres Frauenprojektes in der Türkei, Eren Keskin, die erst vor
zwei Wochen zur stellvertretenden Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins
der Türkei IHD (zuvor war sie Vorsitzende der Sektion Istanbul des
IHD) gewählt worden war, verhängt. Nachdem diese Entscheidung
am 24.9.2002 durch die zuständige Stelle beim Justizministerium bestätigt
worden war, ist sie nun zugestellt worden. Da die Entscheidung trotz möglicher
Rechtsmittel sofort vollziehbar ist, kann Eren Keskin ihren Beruf ab sofort
nicht mehr ausüben, wodurch sie existenziell bedroht ist. Türkiye
Barolar Birligi Baskani (Anwaltskammer der Republik Türkei): Özdemir
Özok HINTERGRUND: Mit Schreiben vom 25.3.1999 hatte das Staatssicherheitsgericht die Istanbuler Anwält/innenkammer über die Verurteilung informiert und die Kammer aufgefordert, ein Disziplinarverfahren gegen Eren Keskin einzuleiten. Dies lehnte der Vorstandsausschuß der Istanbuler Kammer am 23.9.1999 mit der Begründung ab, die Verurteilung sei in mehrerer Hinsicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Gegen diese Entscheidung erhob die Generalstaatsanwaltschaft Einspruch zur Nationalen Kammer in Ankara, deren Vorstandsausschuß die Kammer in Istanbul mit Entscheidung vom 5.2.2000 anwies, gegen Eren Keskin ein Disziplinarverfahren durchzuführen. Dieser Entscheidung schloß sich der Vorstand der Istanbuler Kammer am 17.8.2000 an und gab die Sache an den Disziplinarausschuß der Istanbuler Kammer ab. Der Disziplinarausschuß der Istanbuler Kammer entschied jedoch, daß für die Verhängung einer Disziplinarstrafe gegen Rechtsanwältin Keskin kein Raum sie, da ihre Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden sei (die möglichen Disziplinarstrafen sind: Verwarnung, Tadel, Geldstrafe, zeitiger und endgültiger Entzug der Zulassung, hier Berufsverbot genannt). Wieder
erhob die Generalstaatsanwaltschaft Einspruch, so daß das Verfahren
erneut der Nationalen Kammer in Ankara vorgelegt wurde. Der Disziplinarausschuß
der Nationalen Kammer verhängte sodann am 12.7.2002 gegen Frau Rechtsanwältin
Eren Keskin ein einjähriges Berufsverbot (Entzug der Zulassung).
Zur Begründung wurde angeführt: Weder die Nationale Kammer noch das Justizministerium setzten sich bei der Entscheidung mit den Gründen und dem Zustandekommen der Verurteilung auseinander. Um nur einige zu nennen: -
dem offensichtlichen Verstoß gegen das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung
und der rechtsstaatlich nicht akzeptablen Praxis der uferlosen Einschränkung
desselben in der Türkei, weswegen diese durch den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte schon etliche Male verurteilt und
aufgefordert wurde, die Meinungs- und Gedankenfreiheit in vollem Umfang
zu gewähren; Diese Entscheidung war keineswegs ein absolutes Muß und die Nationale Kammer kann sich bei ihrer Gedankenfaulheit sicherlich nicht auf das Argument zurückziehen, das Gesetz hätte ihnen keine andere Möglichkeit gelassen. Als Kammer haben sie die Aufgabe und Verantwortung, dem Stand und Auftrag einer unabhängigen Anwaltschaft gemäß zu handeln, was auch heißt, sich gegen Einschränkungen des Rechtsstaats und der Menschenrechte auszusprechen sowie sich der berufsethischen Verpflichtung zu stellen, sich für eine effektive Umsetzung der Menschenrechtsgarantien einzusetzen. Abgesehen davon gibt es etliche Beispiele dafür, daß eine derartige Disziplinarstrafe gegen AnwältInnen trotz des Vorliegens von Verurteilungen in der genannten Höhe nicht verhängt wurden. Wir fordern die Kammer daher auf, ihrem tatsächlichen Auftrag gerecht zu werden und die gegen Eren Keskin verhängte Entscheidung zurückzunehmen statt sich zum Vollstrecker eines Staates zu machen, dem nach wie vor daran gelegen ist, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.
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