INTERNATIONAL INITIATIVE BRIEFINGS:
Krieg oder Frieden - Die Türkei hat es in der Hand!
° Entführung Abdullah Öcalans jährt sich zum
vierten Male!
° Kurdenführer nun schon 12 Wochen vollständig von
der Außenwelt isoliert!
° KADEK erklärt den Verteidigungskrieg!
Am
15. Februar 1999 wurde der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan
aus Kenia in die Türkei verschleppt. Vorausgegangen war eine
wochenlange Odyssee zwischen Damaskus, Moskau, Athen, Rom und Amsterdam
- krimineller Schlusspunkt unter einem völkerrechtswidrigen
Piratenakt, unter der maßgeblichen Beteiligung des CIA, MIT
und des Mossad. Gleichzeitig war dies auch eine Bankrotterklärung
europäischer Rechtskultur.
Keine Regierung wollte die Botschaft Öcalans hören, die
Lösung der kurdischen Frage müsse auf demokratischem Wege
gelöst werden, so als ob dies Europa nicht beträfe. Nicht
einmal die Verteidigung seiner Sache vor einem internationalen Tribunal
wurde ihm zugestanden. Aus Angst, dann könne die eigene jahrzehntelange
Komplizenschaft mit ihrem NATO-Verbündeten und seiner Vernichtungsmaschinerie
gegen die Kurden der Weltöffentlichkeit präsentiert werden,
lieferten sie Abdullah Öcalan an die Türkei aus.
Der 15. Februar 1999 war aber auch der Auftakt zu einem politischen
Prozess, den alle Beteiligten bis dahin nicht für möglich
gehalten hätten. Befürchtungen, dieser Akt internationaler
Piraterie werde den türkisch-kurdischen Konflikt eskalieren,
erwiesen sich als unbegründet. Das war in erster Linie dem
erneuten Friedensangebot von Abdullah Öcalan geschuldet. Die
Einstellung des bewaffneten Kampfes, der Rückzug der bewaffneten
Kräfte auf Territorien außerhalb der Türkei und
das Bekenntnis, eine Lösung der kurdischen Frage ausschließlich
auf politischen Wege erreichen zu wollen, schufen ein Klima von
relativer politischer Entspannung.
Von dieser Entspannung ist nicht mehr viel zu spüren. Kaum
wahrgenommen von der internationalen Öffentlichkeit steuert
der türkisch-kurdische Konflikt auf eine erneute Eskalation
zu. Dies drückt sich derzeit am ersichtlichsten am Streit über
die Haftbedingungen von Abdullah Öcalan aus. Schon knapp drei
Monate haben seine Rechtsanwälte keine unabhängige Nachricht
von ihrem Mandanten. Immer wieder wird Ihnen der Zugang mit fadenscheinigen
Begründungen verwehrt. Leib und Leben des Kurdenführers
scheint in Gefahr. Die Kurden sind mehr als beunruhigt. Eine weitere
Verschärfung der angespannten Lage zeichnet sich ab. Gleichzeitig
kommt es verstärkt zu Gefechten zwischen der türkischen
Armee und kurdischen Verteidigungskräften, bei denen mehrere
Menschen ihr Leben verlieren.
Die Zeit ist für die Türkei günstig. Im Windschatten
eines immer wahrscheinlicher werdenden Irakkrieges würde eine
gleichzeitige Eskalation des türkisch-kurdischen Konfliktes
wenig Reaktionen hervorrufen. Die Teilnahme der Türkei an einem
Irakfeldzug ist ausgemacht, selbst das türkische Parlament
hat seine Zustimmung gegeben. Der Aufmarsch von türkischen
Militärverbänden an der Grenze zum Irak und eine verstärkte
Präsenz der schon in Süd-Kurdistan (Nord-Irak) stationierten
türkischen Soldaten sprechen eine klare Sprache. Eine langfristige
Besetzung des Gebietes ist nicht ausgeschlossen. Dies steht dem
Konzept der USA für eine Neuordnung der Region nicht unbedingt
entgegen. Als Ordnungsmacht von Amerikas Gnaden könnten so
eventuelle Autonomiebestrebungen der Kurden im Zaum gehalten werden,
um das erdölreiche Gebiet um Mossul und Kirkuk zu sichern.
Indes hat KADEK deutlich gemacht, dass den verstärkten Angriffen
der Türkei nicht mehr tatenlos zugesehen werde, sondern sie
vielmehr als Kriegserklärung betrachten werden müssten,
die entsprechend zu beantworten sei. Dabei beruft sich die Organisation
auf ihr legitimes Selbstverteidigungsrecht. Die Konsequenzen eines
erneuten Krieges sind nicht absehbar.
Besonders in Deutschland herrscht der Trugschluss vor, dass sich
mit der Beendigung des Krieges die größten Probleme erledigt
hätten. Allzu oft wird die Bereitschaft zu Verhandlungen als
Schwäche ausgelegt, weswegen man ein Handeln nicht für
notwendig befindet. Somit wird eine große Chance für
eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes
vertan. Die Konsequenzen daraus können auch in Europa auf vielfältige
Weise sichtbar werden. Noch besteht die Möglichkeit zum Handeln.
Eine Politik der Ignoranz und Selbstvergessenheit ist jedoch kein
Weg, eigene Interessen nachhaltig zu wahren.
Die USA halten entschlossen an ihrem Ziel einer Neuordnung des Mittleren
Ostens fest. Der sich immer klarer abzeichnende Irakkrieg wird deshalb
nur ein Auftakt sein, in dessen Verlauf zwangsläufig auch die
kurdische Frage auf die eine oder andere Weise thematisiert wird.
Noch herrscht die Meinung vor, das kurdische Problem könne
ausschließlich auf die kurdischen Autonomiegebiete in Süd-Kurdistan
(Nord-Irak) begrenzt werden. Die Lösung der kurdische Frage
wird aber nur im Gesamtzusammenhang einer Demokratisierung der erzreaktionären
Regimes im Mittleren Osten realistisch. Ein erneutes Aufflammen
des Krieges in der Türkei jedoch würde dies auf Jahre
hinweg unmöglich machen und zu einer weiteren Destabilisierung
der Region führen.
Wieder einmal soll die kurdische Karte für übergeordnete
Interessen äußerer Mächte ausgespielt werden. Doch
gerade dieses Spiel verhindert eine wirkliche Demokratisierung.
Teilen und Herrschen sind hier zum System geworden, um den Zugriff
des Weltmarktes auf die über- und unterirdischen Ressourcen
der Region zu sichern. Mit jedem weiteren Aufrechterhalten dieses
Systems erhöht sich die Rückstoßgefahr, wie dies
am 11. September 2001 schmerzlich deutlich wurde. Ein Umdenken ist
mehr als nötig. Nur so würden sich Stabilität und
Sicherheit nachhaltig gewährleisten lassen.
Die europäische Staatengemeinschaft hätte es in der Hand,
mit einer konstruktiven Haltung in der kurdischen Frage ihre momentane
Schwäche einer fehlenden gemeinsamen Außenpolitik zu
überwinden. Perspektive und Ziel bleibt hier weiterhin eine
internationale Kurdistankonferenz. Das bloße Vertrauen der
Europäer auf die Wirksamkeit der Kopenhagener Beitrittskriterien
für einen möglichen Demokratisierungsprozess in der Türkei
hat sich bisher als nicht ausreichend erwiesen angesichts der außerordentlichen
Anforderungen in Zeiten großer Umbrüche. Nur eine deutlich
aktivere Rolle könnte langfristig einen Umschwung herbeiführen.
Demgegenüber könnte man in dem sich zuspitzenden Streit
um die Isolationshaftbedingungen des Kurdenführers Öcalan
durchaus kurzfristig intervenieren. Als Anwärter auf die EU-Mitgliedschaft
ist die Türkei zur Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention
verpflichtet. Eine Verbesserung der Haftbedingungen und eine unabhängige
Kontrolle durch internationale Institutionen, würde den Konflikt
merklich entspannen. Die Türkei muss endlich gemachte Zusagen
hinsichtlich der Verbesserung der Menschenrechtslage umsetzen.
Klar ist jedoch auch, dass Abdullah Öcalan auch nach seiner
Inhaftierung für den Großteil der kurdischen Bevölkerung
eine unumstrittene Führungspersönlichkeit bleibt. So ist
er im kurdischen Denken omnipräsent. Die letzten vier Jahre
haben gezeigt, dass er eine wichtige Initialfunktion in der Suche
nach einer friedlichen Lösung des Konfliktes inne hat. Damit
erscheint die Annahme realistisch, dass die Lösung der kurdischen
Frage in der Türkei eng mit dem weiteren Schicksal des Kurdenführers
verbunden ist.
Krieg oder Frieden - die Türkei hat es in der Hand. Deshalb
muss die europäische Staatengemeinschaft auf die Türkei
einwirken, den Weg des Ausgleichs und der Verständigung mit
ihren Staatsbürgern zu suchen. Die Forderung nach Freilassung
von Abdullah Öcalan hingegen mag zur Zeit wenig realistisch
erscheinen und allenfalls im Zuge einer Lösung der kurdischen
Frage in der Türkei denkbar sein. Gesunder politischer Realitätssinn
jedoch mahnt die Aufrechterhaltung dieser Forderung an.
Freiheit für Abdullah Öcalan! - Frieden in Kurdistan!
- Schluss mit der Totalisolation!