Redebeitrag der Kurdistan-Solidarität Allgäu-Oberschwaben zur Newroz-Veranstaltung in Ulm März 2003 Im Zusammenhang mit der Berichterstattung bezüglich eines Irak-Krieges ist immer wieder die Rede von der sogenannten Irakischen Opposition, der auch zwei kurdische Parteien angehören. Es handelt sich dabei um die KDP unter Massoud Barzani und die PUK unter Djalal Talabani, die an der Seite der USA gegen den Irak in den Krieg ziehen wollen. Näher eingehen will ich jedoch auf die Situation der Menschen im türkischen Teil Kurdistans. Das hat zwei Gründe: •Erstens beruht unsere Solidarität auf der Unterstützung des Kurdischen Befreiungskampfes in den türkischen Gebieten, der gegen das türkische Regime und für die Anerkennung einer kurdischen Identität geführt wird. •Zum Zweiten geht es mir darum, die Situation im türkischen Teil Kurdistans überhaupt erst einmal bekannt zu machen und dem bewussten Totschweigen der kurdischen Frage in der hiesigen Medienlandschaft etwas entgegen zu setzen. Die Aufmerksamkeit der gesamten Welt fokussiert sich auf den Irak, eine günstige Gelegenheit für die türkische Regierung sich ihres hausgemachten sogenannten "Kurdenproblems" zu entledigen. Im Windschatten des Irak-Krieges soll der kurdischen Befreiungsbewegung (ehemals PKK, heute KADEK) der vernichtende Schlag beigebracht werden. Seit Monaten ist ein großer Teil der türkischen Armee nach Kurdistan verlegt worden. Nordkurdistan, das ohnehin unter der Herrschaft der Türkei steht, wird einer verstärkten Besatzung unterzogen, ob offiziell bereits verkündet oder nicht, es herrscht dort der Ausnahmezustand. Für die Besetzung Südkurdistans (Nordirak) wartet eine Armee von etwa 100 000 Kräften und jeder Art von militärischem Zubehör auf den Besetzungsbefehl. Welche Ziele Ankara mit dem Einmarsch verfolgt beschreibt die Schweizer Sonntagszeitung vom 16. März folgendermaßen: Erstens soll der Versuch der irakischen Kurden, nach dem Sturz von Saddam ein weit gehend autonomes Kurdistan zu errichten, verhindert werden. Zweitens will die Türkei die Erdölgebiete von Kirkuk und Mosul besetzen. (Dazu instrumentalisiert sie die turkmenische Minderheit von Kirkuk gegen die kurdische Mehrheit.) Drittens sollen die PKK-Restbestände im Nordirak definitiv liquidiert werden. Dem möchte ich noch hinzufügen, dass das erste Ziel der türkischen Armee das Flüchtlingscamp Mahmur sein könnte. 1994 flüchteten über 10.000 Kurdinnen und Kurden aus der Türkei und leben seitdem in diesem Camp, dass bisher unter dem Schutz des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) stand. Bei einem Ausbruch des Krieges wird sich das UNHCR jedoch aus der gesamten Region zurückziehen, sprich während des Krieges gibt es keine Garantie, dass das Camp nicht angegriffen wird. Die mediale Aufbereitung im Vorfeld des Irak-Krieges verdrängt die Berichterstattung über andere "Brandherde" in der Region, wie in Kurdistan und Palästina. Wer weiß denn schon, dass der ehemalige PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan, der auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali seit 4 Jahren in Isolationshaft sitzt, seit über 14 Wochen (!) keinerlei Besuch mehr erhalten durfte, weder von seinen Anwälten noch von seinen Angehörigen. Eine gezielte Provokation des türkischen Staates gegenüber der kurdischen Seite. Öcalan ist nach wie vor die wichtigste Führungs- und Integrationsperson der kurdischen Bewegung und mit seinem Wohlergehen ist die Entscheidung über Krieg und Frieden in der Türkei unabdingbar verknüpft. Das hat sowohl die kurdische Parteiführung als auch die Bevölkerung immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht. Um die Isolation ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan aufzuheben, praktische Schritte zur Lösung der kurdischen Frage einzuleiten, die Repression zu beenden, eine für politische Arbeit notwendige Atmosphäre zu schaffen, eine politische Generalamnestie zu erlassen und somit dem von kurdischer Seite initiierten Friedensprozess ein positives Signal zu senden, hatte der "Freiheit und Demokratie Kongress Kurdistan" (KADEK) der Türkei ein Ultimatum bis zum 15. Februar 2003 gestellt. "Die von der Türkei angewandten Isolationsmaßnahmen und die Betrachtung der bevorstehenden Irak-Intervention als einer günstigen Gelegenheit für einen Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung führen zu einer kompletten Aufhebung des vierjährigen Friedensprozesses. Es ist nicht mehr möglich, weiterhin einseitig einen Friedensprozess zu führen. Das kurdische Volk muss auf den Vernichtungskrieg der Türkei mit einem Verteidigungskrieg reagieren. Der Verteidigungskrieg entspricht nicht der Wahl des KADEK und des kurdischen Volkes, sondern wird uns aufgedrängt, obwohl die kurdische Seite den Frieden bevorzugt", so der KADEK-Präsidialrat am 12. Februar 2003 als Reaktion auf das Nichtverhalten der türkischen Seite. In der letzten Woche überschlugen sich dann die Nachrichten betreffend der Situation der kurdischen Bewegung in der Türkei und fanden selbst Erwähnung in den hiesigen Medien: •Nach dreijähriger Verhandlungsdauer hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Öcalan sein Urteil gefällt. Abdullah Öcalan habe kein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht erfahren, sein Recht auf Verteidigung sei eingeschränkt gewesen und er habe inhumane Behandlung durch die Verhängung der Todesstrafe erlitten •Die pro-kurdische Demokratische Partei des Volkes (HADEP) wurde verboten, gleichzeitig wurde der Verbotsantrag gegen die Nachfolgeorganisation Demokratische Volkspartei (DEHAP) erlassen. Bereits drei Vorgängerparteien der Hadep wurden verboten. Dem Hadep-Vorsitzenden Murat Bozlak und 45 weiteren Vorstandsmitgliedern wurde für fünf Jahre jede politische Betätigung untersagt. •Nach 14-wöchigem Besuchsverbot konnten Anwälte und Familie erstmalig wieder mit dem KADEK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan zusammentreffen. In dieser Woche jedoch wurde der Besuch bei Öcalan mit fadenscheinigen Begründungen wieder verweigert. Die Türkei glaubt im Windschatten einer amerikanischen Intervention im Irak, in klassischer Manier mit der kurdischen Frage verfahren zu können: Kriminalisieren, isolieren und liquidieren. Die Verschärfung der Isolationshaftbedingungen von Abdullah Öcalan ist nur ein Kristallisationspunkt, an dem diese systematische Zermürbungspolitik deutlich wird. Dies lässt zwangsläufig nur den Schluss zu, dass die Türkei an keiner friedlichen Lösung der kurdischen Frage interessiert ist. Die ach so arme türkische Regierung, die vorgibt ihr Territorium sei derart schutzbedürftig, dass es eines Einsatzes der NATO bedarf, schickt sich nun an einen "Nebenkriegsschauplatz" zu eröffnen - Kurdistan! Militäroperationen der türkischen Streitkräfte haben in den letzten Wochen bereits einer großen Anzahl von kurdischen Selbstverteidigungskräften das Leben gekostet. Auch die sogenannten "Morde unbekannter Täter" hat es wieder gegeben, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie früher. Tausende Menschen, die politische Arbeit leisten, wurden festgenommen und verhaftet. Genauso wurden systematisch Folter und Misshandlungen angewendet. Was ist von einem politischen System zu halten, das seine eigene Bevölkerung massakriert, in dessen Kerkern hunderte Politische Gefangene ihr Leben verloren und dessen politische Richtlinien nach wie vor vom Militär vorgegeben werden? Unter dem demokratischen Deckmäntelchen kommen halt immer wieder die faschistischen Fratzen der Generäle zum Vorschein. Kurdinnen und Kurden haben jahrzehntelange Erfahrung mit Demokratie türkischer Prägung. Die Vernichtungspolitik des türkischen Staatsapparates gegen seine kurdische Bevölkerung wäre jedoch nicht durchführbar ohne die massive Unterstützung durch westliche Länder. Seit jeher sind es deutsche Regierungen, welche das türkische Regime auf wirtschaftlicher und politischer Ebene maßgeblich unterstützen. Deutsche Rüstungsgüter wurden und werden gegen die kurdische Befreiungsbewegung eingesetzt. Nicht genug damit findet die Verfolgung kurdischer Menschen in der BRD ihre Fortsetzung und führte, beginnend in den 80er-Jahren, zu zahlreichen Schauprozessen und jahrelangen Haftstrafen. Parallel dazu kommt es immer wieder zu massiven Abschiebungen in die Türkei, die zumeist Folter und oft auch den Tod für die Betroffenen bedeuten. Auch jetzt spielt die deutsche Regierung wieder eine unrühmliche Rolle. So wurden deutsche PATRIOT-Abwehrraketen in der Türkei stationiert und zwei Drittel der AWACS-Besatzungen sind Bundeswehr-Soldaten. Ob es dabei bleibt und welche Rolle die NATO beim geplanten Vernichtungskrieg der türkischen Armee gegen die kurdische Befreiungsbewegung spielt, wird sich zeigen. Dem Allem entgegen zu wirken ist auch die Aufgabe der Antikriegsbewegung. Auf jeden Fall müssen wir die kurdischen Menschen in unsere Aktivitäten gegen den Irak-Krieg einbeziehen und ihnen eine Plattform bieten, um sich öffentlich gegen die Vorkommnisse in ihrer Heimat äußern zu können. Denn selbst ein öffentliches Auftreten hier in der BRD ist für die kurdischen Menschen mit repressiven Maßnahmen verbunden, z.B. bedingt durch das sogenannte PKK-Verbot. Hoch
die Internationale Solidarität!
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