Hamburger Delegation darf nicht nach Hakkari Neunköpfige deutsche PDS-Delegation im Südosten der Türkei von türkischem Militär an der Weiterreise gehindert Die Provinzgouverneure von Van und Hakkari bestreiten, dass der Ausnahmezustand wiedereingeführt oder gar das Kriegsrecht verhängt worden sei, bestätigen jedoch, dass eine besondere Situation bestehe und das Gebiet faktisch ein Kriegsgebiet sei, in dem sich Ausländer nur mit schriftlicher Erlaubnis des Innenministeriums bewegen dürften. Die um Hilfe beim Erwirken einer solchen Erlaubnis gebetene Deutsche Botschaft erklärt, dass sie die Rechtsauffassung der türkischen Behörden über nicht bestehendes Ausnahmerecht mit Ausnahme-Sonderregelung nicht teilen, aber dennoch dringend davon abrate, diese Gebiete zu bereisen, zumal das Auswärtige Amt möglicherweise noch eine Reisewarnung ausgeben würde, obwohl es sich bei diesem Gebiet um kein militärisches Aufmarschgebiet handeln würde, während zur gleichen Zeit im türkischen Fernsehen die Kolonnen amerikanischer Panzer gezeigt werden, die ohne Genehmigung des türkischen Parlamentes sich in Richtung Irak bewegen. Da eine Bedrohung des Südostens der Türkei durch den Irak als völlig abwegig erscheint, drängt sich der Delegation der Eindruck auf, dass die Türkei ihren eigenen Truppenaufmarsch für eine "stille" Kriegsbeteiligung, die sich in ihrem Fall nur gegen die Kurden richten kann, vor der westlichen Öffentlichkeit möglichst geheim halten will und dafür Unterstützung beim Auswärtigen Amt zu finden scheint, das unter vorgeblicher Fürsorglichkeit für seine Staatsbürger offensichtlich eine Reisewarnung vorbereitet, statt sich für eine Freizügigkeitsverfügung einer deutschen Beobachter-Delegation bei den türkischen Behörden einzusetzen. Erste Beobachtungen der als Berichterstatter für den PDS-Bundesvorstand die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei bereisenden neunköpfigen Hamburger Delegation aus den Gesprächen, die sie mit verschiedenen politischen und humanitären Organisationen in Istanbul und Van führen konnte. So der DEHAP, die im Südosten der Türkei 36 Bürgermeister in allen wichtigen Städten wie Diyarbakir, Batman oder Van stellt und bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst in den kurdischen Gebieten nahezu überall stärkste Kraft wurde, z.T. mit Stimmanteilen von über 60%, und nur an der landesweit geltenden 10%-Hürde des Nationalparlaments scheiterte. Ferner mit dem annähernd 4 Millionen Flüchtlinge aus 4000 zerstörten Dörfern betreuenden Flüchtlingsverein GÖC-DER, dem Menschenrechtsverein IHD, Mitgliedern der Stadtverwaltung von Van, der Organisation der Angehörigen der politischen Gefangenen TUSAD sowie dem Mesopotamischen Kulturverein MKM. Die Menschen in Nord-Kurdistan (Südosten der Türkei) werden im Schatten der Kriegsvorbereitungen gegen den Irak weiter isoliert. Ohne internationale Aufmerksamkeit verbunden mit entsprechend politischem Druck werden die schlimmsten Auswirkungen für die Kurdinnen und Kurden nicht "nur" im Nord-Irak, sondern auch im Südosten der Türkei befürchtet. Nachdem sich, in der Folge des einseitigen Waffenstillstandes der PKK (1999), die Repressionen gegen die kurdische Bevölkerung nach und nach etwas entspannten, haben sie sich zuletzt, insbesondere seit dem türkischen Regierungswechsel (November 2002), ständig verschärft. Dies war einhellige Meinung. Ebenso einhellig wurde die Befürchtung geäußert, dass der von der kurdischen Seite mit dem Waffenstillstand deutlich zum Ausdruck gebrachte Friedenswille durch seine Missachtung durch die türkischen Behörden und seine Ignorierung durch die Weltöffentlichkeit - wobei die Enttäuschung in Bezug auf Deutschland besonders groß ist - unmöglich gemacht wird. Die Kurden befürchten, wieder in einen neuen Krieg mit unsäglichem Leid gezwungen zu werden. Die Unterdrückung der Kurden und Kurdinnen wurde an folgenden Beispielen besonders deutlich gemacht: - Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen sind "normales" Mittel des türkischen Unterdrückungsapparates. - Kranke Frauen in Haft haben nur die Möglichkeit, sich im Beisein von Soldaten ärztlich untersuchen zu lassen. - Vier kurdische Frauen aus Van befinden sich derzeit in Untersuchungshaft, weil sie demonstrativ Rosen gegen den Krieg in ein Gewässer warfen bzw. sich vor einem Militärdenkmal anketteten. Die Kurdisch-Übersetzerin einer inhaltlich nicht inkriminierten, auf türkisch gehaltenen Wahlkampfrede der DEHAP wurde unter Anklage gestellt. - Kurdische Flüchtlinge aus den zerstörten Dörfern, die insbesondere bei den Frauen überwiegend nur Kurdisch und kein Türkisch sprechen, werden in Krankenhäusern nur dann behandelt, wenn sie Türkisch sprechen. - Die Bearbeitung der Anträge Zehntausender Flüchtlingsfamilien, auch um Entschädigung für ihre zerstörten Häuser zu beantragen, werden nicht abgelehnt, sondern weder bearbeitet noch entschieden. - Kurdinnen und Kurden, die in ihre zerstörten Häuser zurückkehren wollen, werden von Dorfschützern, die mit dem türkischen Militär zusammenarbeiten und sich die Felder illegal angeeignet haben, einfach erschossen. - Die offizielle Bevölkerungszahl in Van beträgt 285.000 Einwohner, wonach der Zuteilungs-Etat der Kommune berechnet wird. Tatsächlich leben in der Stadt nach Berechnung des Stadtrats jedoch mehr als doppelt so viele Einwohner, die als Flüchtlinge weder registriert noch versorgt werden können. - Der kurdische Bürgermeister von Van (DEHAP) war von September 2002 bis Januar 2003 wegen einer Wahlkampfrede von seinem Amt suspendiert. Gerade jetzt ist es besonders wichtig, internationale Beobachter-Delegationen im kurdischen Gebiet zu haben. Es wird von der Bevölkerung als Signal der Anteilnahme und Solidarität verstanden und mit der Hoffnung verbunden, nicht allein gelassen zu werden. Die unbedingt berechtigt erscheinende Sorge der kurdischen Bevölkerung, dass ihr Friedenswille und ihr Wunsch, mit allen benachbarten Völkern friedliche zusammen leben zu wollen, von der türkischen Seite nur mit militärischen und anderen repressiven Maßnahmen beantwortet wird, bestärkt unsere Delegation in ihrem Vorhaben. Wir werden versuchen, in den nächsten Tagen weitere Orte in der Region aufzusuchen und Gespräche mit den dort lebenden Menschen zu führen.
|