08
April 2003
INTERNATIONAL INITIATIVE BRIEFINGS:
Ziel
bleibt ein demokratischer Mittlerer Osten!
Mehrfach wurde der Türkei von der internationalen Gemeinschaft
deutlich gemacht, dass ein militärisches Engagement ihrerseits
in Süd-Kurdistan (Nord-Irak)nicht gewünscht sei. Insbesondere
die U.S.A. befürchten nachhaltige Komplikationen für die
gesamte Region. Erst vor wenigen Tagen hat der türkische Armeechef
Hilmi Özkök nochmals vor einem Zugeständnis von weitreichenden
Rechten an die irakischen Kurden gewarnt. Ähnliche Warnungen
wurden auch auf dem türkisch-iranisch-syrischen Gipfeltreffen
letzter Woche laut. Offensichtlich will die Türkei nicht von
ihren Interventionsplänen in Süd-Kurdistan ablassen, auch
wenn sie vorgibt die amerikanischen Wünsche zu respektieren.
Als Vorwand hierfür dient der Türkei u.a. die Anwesenheit
der Guerillakräfte des KADEK im Nord-Irak, in den sich diese
seit dem Waffenstillstand von 1999 zurückgezogen haben. Aus
aktuellem Anlass gegeben wir ein Interview mit dem Präsidialratsmitglied
des KADEK, Duran Kalkan, in deutscher Sprache wieder, das in der
neuesten Ausgabe der kurdischen Monatszeitung Serxwebun (http://www.serxwebun.com)
erschien:
Mit der Landung von amerikanischen Truppen im Nord-Irak bezwecken
die Koalitionstruppen im Irak den Aufbau einer Nordfront. Kurdische
Peschmergas marschieren mit amerikanischer Unterstützung auf
Mosul und Kirkuk. Erste Gefechte mit irakischen Truppen bestätigen
dies. Wie bewertet der KADEK die letzten Entwicklungen im Nord-Irak?
Diese Meldungen werden auch uns von verschiedenen Quellen bestätigt.
Demnach fand die Landung von amerikanischen Truppen aus der Luft
in Gebieten statt, die unter der Kontrolle der KDP und PUK stehen.
Hierfür wurde auch der Luftraum der Türkei genutzt. In
den vom KADEK kontrollierten Gebieten hingegen befinden sich keine
anderen militärischen Kräfte als die eigenen. Es ist richtig,
dass die Kräfte der KDP und PUK sich anschicken gegen Kirkuk
und Mosul vorzurücken. Jedoch glauben wir nicht, dass dies
ohne Komplikationen vonstatten gehen wird. Als KADEK lehnen wir
eine kurdische Beteiligung an dem Krieg ab und verwahren uns gegen
die Nutzung von kurdischem Boden für derartige Zwecke.
Mit welcher Kraft ist der KADEK heute im Nord-Irak vertreten? Man
spricht von etwa 5.000 Kämpfern. Wie will der KADEK diese Kraft
einsetzen?
Die bewaffneten Kräfte des KADEK befinden sich sowohl im Irak
als auch in den kurdischen Gebieten der Türkei. Ihre Zahl liegt
über 5000. Die Hauptkraft ist in den strategischen Gebirgsregionen
des Nord-Irak stationiert. Des weiteren organisiert sich in der
Zivilbevölkerung der Dörfer und Städte die PCDK,
die mit dem KADEK sympathisiert. Die PCDK ist beiderseits des 36.
Breitengrades aktiv. Die zivilen und militärischen Kräfte
des KADEK sind von keiner Seite abhängig und demnach frei in
ihren Entscheidungen. Die Kraft des KADEK gründet ausschließlich
auf das eigene Volk. Der KADEK verfolgt eine friedliche Lösung
der kurdischen Frage mit demokratischen Mitteln, wobei er sich das
Recht auf Selbstverteidigung vorbehält. Dabei fühlt sich
der KADEK keinen anderen Werten als der Demokratie, der Freiheit
und dem Geist der Völkerfreundschaft verpflichtet. Somit vertritt
der KADEK im demokratischen Rahmen den freien Willen des kurdischen
Volkes. Dementsprechend setzt er seine Kraft ausschließlich
für oben genannte Werte ein. Dies wird er auch in Zukunft tun.
Demzufolge wird sich der KADEK nicht von äußeren Interventionen
oder von Kräften des Status Quo funktionalisieren lassen.
Einige kurdische Gruppierungen behaupten, dass die Türkei sich
mit Expansionsgelüsten trägt. Dem hält die Türkei
entgegen, dass die Landkarte Kurdistans einen Teil des türkischen
Staatsgebietes beinhaltet. Was ist ihre Haltung dazu?
Der Begriff Kurdistan ist geographischer Natur und beschreibt ein
Gebiet, auf dem mehrheitlich Kurden leben. Der Begriff Kurdistan
wurde zum ersten Male in der Geschichte vom Seltschuken-Sultan Sandschar
gebraucht. Er wurde also zuallererst von den Türken benutzt.
Das als Kurdistan bezeichnete Gebiet wird von den Staatsgrenzen
Syriens, der Türkei, des Irans und Iraks geteilt. Die kurdischen
Gebiete Syriens, der Türkei und des Irak waren ehemals Teile
des osmanischen Reiches, welche die Türkei nach dem I. Weltkrieg
auf Betreiben der Franzosen und Groß-Briten an Syrien und
den Irak abtreten musste. Vor diesem Hintergrund lässt sich
nicht unbedingt von Expansionsgelüsten der Türkei sprechen.
Jedoch verstehen wir nicht, warum sich die Türkei vor einem
Begriff fürchtet und diesen repressiv verfolgt, der früher
von Seltschuken und Osmanen in gleicher Weise benutzt wurde. Diese
Angst hat sich zu einer "Teilungsphobie" entwickelt, welche
die Türkei behindert und ihr die Kraft raubt. Das Reich der
Seltschuken und Osmanen löste sich auch nicht auf, nur weil
sie den Begriff Kurdistan verwendeten. Im Gegenteil sie einten den
Mittleren Osten und entwickelten sich so zu einer ernstzunehmenden
Kraft. Der Gebrauch des Begriffs Kurdistan ist eine Sache, die Gründung
eines eigenen Staates eine andere. Nur weil man diesen Begriff gebraucht,
bedeutet das noch nicht die Gründung eines solchen Staates.
Wir denken, dass sich die kurdische Frage auch ohne die Gründung
eines eigenen Staates lösen lässt, wenn im Rahmen der
jeweiligen Staatsgrenzen die Demokratisierung vorangetrieben wird.
Wie steht der KADEK zu einem unabhängigen kurdischen Staat?
Dieses Thema habe ich schon kurz behandelt. Der KADEK vertritt die
Haltung, dass das kurdische Volk aber auch die anderen Völker
der Region unabhängig und selbstbestimmt über ihre Geschicke
entscheiden müssen. Dies wird sich jedoch nicht mit weiteren
politisch motivierten Staatengründungen bewerkstelligen lassen.
Vielmehr glauben wir, dass dies nur mit der Schaffung demokratischer
Strukturen möglich wird, in denen die Freiheit des Gewissens
und der Meinung respektiert bzw. die allgemeinen politischen und
sozialen Rechte der Menschen gewährleistet sind. Dies betrifft
nicht nur die kurdische Gesellschaft und die Türkei sondern
den gesamten Mittleren Osten. Der KADEK hält die Einheit und
Demokratisierung der Region auf der Basis der Freiheit der Völker
für wichtiger als die Gründung eines eigenen Staates.
Ein solches Vorgehen scheint hinsichtlich der Realitäten in
der Region praktikabler zu sein und wird den Völkern der Region
weitaus mehr nutzen.
Wie sehen die Beziehungen des KADEK zu den Einheiten von Barzani
und Talabani aus? Ist hier ein Zusammenkommen möglich?
Die Beziehungen des KADEK zur KDP und PUK haben ihre eigene Besonderheit.
Auf der einen Seite gründet sich diese Beziehung auf die Angehörigkeit
zur selben Gesellschaft. Anderseits besteht ein Konflikt aufgrund
verschiedener politischer und ideologischer Linien. Diese Beziehung
bzw. dieser Konflikt drückt somit auch die Eigenheit der Verhältnisse
aus, denen sich die kurdische Gesellschaft allgemein ausgesetzt
sieht. In der jetzigen Situation gibt es keine weitreichende Zusammenarbeit,
aber auch keinen weitreichenden Konflikt. Wenn es die gemeinsamen
politischen Interessen erfordern, ist ein Zusammenkommen dieser
Kräfte möglich. Dies werden die Bedingungen der nächsten
Zeit zeigen.
Wenn auch die Vereinigten Staaten die Meldungen dementieren, amerikanische
Emissäre seien mit Verantwortlichen des KADEK zusammengetroffen,
wie ist das vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zu bewerten?
So soll das Präsidialratsmitglied des KADEK, Mustafa Karasu,
Verhandlungen über die Schaffung föderaler Strukturen
geführt haben. Wie wirken sich diese Gespräche auf den
aktuellen Krieg aus?
Wir glauben nicht, dass es bisher ernsthafte Gespräche bzw.
Verhandlungen zwischen KADEK und den Vereinigten Staaten von Amerika
gegeben hat. Ob es zu derartigen Gesprächen kommt, wird sich
zeigen. Jetzt dazu konkrete Aussagen zu machen wäre verfrüht.
Jedoch bleibt festzustellen, dass es die U.S.A. waren, die nach
dem Golfkrieg von 1991 einen der umfangreichsten Angriffe auf unser
Volk und unsere Bewegung unternahmen und unseren Vorsitzenden im
Rahmen eines internationalen Geheimdienstkomplotts entführt
und an die Türkei ausgeliefert haben. Wenn man also von Gesprächen
und Verhandlungen uns betreffend sprechen möchte, dann haben
diese eher zwischen der Türkei und den U.S.A. stattgefunden.
Dieses Verhältnis steht zur Zeit zur Disposition. Das wiederum
bewerten wir positiv. Es gibt aber keine Kontakte und Verhandlungen
zwischen KADEK und den U.S.A., die sich auf den Verlauf des aktuellen
Krieges auswirken würden. Anderseits kann aber auch nicht von
einem Konflikt gesprochen werden.
Welche Rolle kommt ihrer Meinung nach dem KADEK im jetzigen Krieg
bzw. in der Zeit danach zu? Was will der KADEK?
Dies ist eine wichtige Frage. Der KADEK hat seit vier Jahren daraufhin
gewirkt, einen Krieg mit Hilfe von als Serhildan bezeichneten Massenaktionen
zu verhindern. Diese demokratische Massenbewegung hat sich nicht
nur für die Demokratisierung der kurdischen Gesellschaft und
der Türkei sondern auch für die Demokratisierung des gesamten
Mittleren Ostens eingesetzt. Auf diese Weise sollte ein die Region
übergreifender Krieg verhindert und der Aufbau eines Friedens
für die gesamte Region erreicht werden. Leider müssen
wir feststellen, dass hierfür die Kräfte nicht ausgereicht
haben. Der Beginn des Irakkrieges ist auch in diesem Zusammenhang
zu sehen. In dieser Hinsicht hat sich die Haltung des KADEK nicht
verändert. Immer noch kämpft der KADEK für den Frieden
und gegen den Krieg. wir glauben, dass sich das im Rahmen des demokratischen
Kampfes erreichen lässt. Deshalb halten wir an den demokratischen
Serhildan als Mittel gegen den Krieg fest. Den Schwerpunkt hierfür
sehen wir in der Türkei. Die Lösung der kurdischen Frage
und die Bildung einer strategischen Einheit zwischen Türken
und Kurden hat damit in unseren Augen eine Schlüsselfunktion
für Frieden und Demokratisierung im Mittleren Osten. Dabei
kann der Kampf der kurdischen Gesellschaft um Frieden und Demokratie
eine führende Rolle spielen. Die Wahrscheinlichkeit für
einen Erfolg würde sich mit der Bildung eines strategischen
Bündnisses zwischen Türken und Kurden erhöhen. Deshalb
ist der KADEK für ein strategisches Bündnis der Türkei
mit allen demokratischen Kräften und ruft alle politischen
Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen der Türkei
dazu auf, sich ohne ideologische Vorbehalte in einem demokratischen
gesellschaftlichen Bündnis zusammen zu finden, um gemeinsam
eine demokratische Türkei aufzubauen, die für alle lebenswert
ist.
Übersetzung aus dem türkischen Orginal: Koordinationsbüro
der Internationalen Initiative „Freiheit für Abdullah
Öcalan – Frieden in Kurdistan“