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Urgent Action

UA-Nr: UA-121/2003
AI-Index: EUR 44/014/2003
Datum: 06.05.2003

SORGE UM SICHERHEIT

Türkei:
Mitglieder des Türkischen Menschenrechtsvereins (IHD)
und Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die vom IHD untersucht werden

Polizeibeamte haben in Ankara die Zentrale und das lokale Büro des Türkischen Menschenrechtsvereins (IHD), der größten Menschenrechtsorganisation der Türkei, durchsucht. Sie konfiszierten Computer und eine Reihe vertraulicher Akten, von denen einige Informationen über von Angehörigen der Sicherheitskräfte begangene Menschenrechtsverletzungen enthielten. Mitarbeiter des IHD und Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die vom IHD untersucht werden, sind nun möglicherweise in Gefahr, Schikanen, Festnahmen und Folterungen ausgesetzt zu werden.

Die Polizeibeamten drangen am 6. Mai 2003 um 9:10 Uhr in die Zentrale des IHD in Ankara ein und durchsuchten anderthalb Stunden die Büroräume. Berichten zufolge nahmen sie Bücher, Berichte über Menschenrechtsverletzungen, Akten, Kassetten, Presseberichte und handgeschriebene Unterlagen sowie Disketten und sieben Computer mit. Sie verlangten zudem den Zugang zu Bankkonten des IHD. Nach der Durchsuchung drang die gleiche Gruppe von Polizeibeamten in die Büroräume der örtlichen Abteilung des IHD in Ankara ein, und nahm einen Computer und weitere Unterlagen mit.

Der Durchsuchungsbefehl war am 29. April 2003 ausgestellt worden, und ein Staatsanwalt des Staatssicherheitsgerichts von Ankara war Berichten zufolge während der Durchsuchungen anwesend. Die Polizeibeamten gaben zunächst keinen Grund für die Durchsuchungen an. Nach wiederholten Nachfragen, erklärten sie jedoch, es bestehe der Verdacht auf "Unterstützung einer illegalen Organisation" (§ 169 des türkischen Strafgesetzbuches).

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der Türkische Menschenrechtsverein IHD ist die größte Menschenrechtsorganisation der Türkei. Seit 1991 sind mindestens zehn seiner Mitarbeiter getötet worden. Die Täter sind in der Mehrzahl der Fälle nicht ermittelt worden. Im Mai 1998 wurde der damalige IHD-Vorsitzende Akin Birdal an helllichten Tag in der IHD-Zentrale in Ankara durch mehrere Schüsse lebensgefährlich verletzt. Die türkischen Behörden haben wiederholt versucht, den IHD mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Verbindung und so in Misskredit zu bringen. Mehrer lokale IHD-Büros sind unter verschiedenen Vorwänden geschlossen worden.

In den vergangenen Jahren sind in der Türkei mehrere Gesetze verabschiedet worden, deren vorgebliches Ziel die Eindämmung der von Sicherheitskräften begangenen Menschenrechtsverletzungen ist. Gleichzeitig ist jedoch ein erheblicher Anstieg der Gerichtsverfahren gegen den IHD und weitere Menschenrechtsorganisationen und Menschenrechtsverteidiger zu verzeichnen. Gewöhnlich werden die Verfahren auf der Grundlage des Gesetzes 2908 (Vereinigungsrecht), § 8 des Anti-Terrorgesetzes oder des Gesetzes 2911 (Versammlungen und Demonstrationen) eingeleitet. Allein in den vergangenen zwei Jahren sind nach vorliegenden Informationen 437 Verfahren gegen den IHD eingeleitet worden. In den vergangenen 14 Jahren waren es insgesamt 300 Gerichtsverfahren. Die Verfahren führen zwar meist zu einem Freispruch oder einer Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt bzw. in eine Geldstrafe umgewandelt wurde, aber amnesty international betrachtet diese Gerichtsverfahren als eine Form der Drangsalierung, deren Ziel es ist, Menschenrechtler einzuschüchtern und ihre Aktivitäten einzuschränken.

EMPFOHLENE AKTIONEN: Schreiben Sie bitte Telefaxe oder Luftpostbriefe, in denen Sie

sich besorgt darüber zeigen, dass die Polizei in der Zentrale und dem örtlichen Büro des Türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) in Ankara eine Razzia durchgeführt und Computer und Akten konfisziert hat;
die Behörden auffordern, sicherzustellen, dass die Mitarbeiter des IHD und die in den Akten genannten Opfer von Menschenrechtsverletzungen vor Vergeltungsmaßnahmen, Drangsalierungen, Misshandlungen und Folter geschützt werden;
die Behörden um die Zusicherung bitten, dass Menschenrechtler ihren rechtmäßigen Aufgaben bei der Beobachtung und Dokumentation von Menschenrechtsthemen weiterhin nachgehen können, wie es in der UN-Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern festgeschrieben ist;
die Behörden auffordern, wirksame Maßnahmen einzuleiten, um sicherzustellen, dass die Sicherheitskräfte und andere Behördenvertreter das Engagement von Menschenrechtsverteidigern als legitime Aufgabe ansehen.
APPELLE AN:

Herrn Cemil Cicek, Ministry of Justice, Adalet Bakanligi, 06659 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI
(Justizminister – korrekte Anrede: Dear Minister)
Telefax: (00 90) 312-418 5667

Herrn Abdulkadir Aksu, Ministry of Interior, Icisleri Bakanligi, 06644 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI
(Innenminister – korrekte Anrede: Dear Minister)
Telefax: (00 90) 312 418 1795

KOPIEN AN:

Herrn Abdullah Gül, Office of the Prime Minister, Basbakanlik, 06573 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI
(Minister und Beauftragter für Menschenrechtsfragen – korrekte Anrede: Dear Minister)
Telefax: (00 90) 312 417 0476

Kanzlei der Botschaft der Republik Türkei
(S. E. Herrn Osman Taney Korutürk)
Rungestr. 9, 10179 Berlin
Telefax: 030-2759 0915
E-Mail: turk.em.berlin@t-online.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 17. Juni 2003 keine Appelle mehr zu verschicken.

RECOMMENDED ACTION: Please send appeals to arrive as quickly as possible, in English or your own language:

- expressing grave concern that police raided and took away files and computers from the national headquarters and the local branch of the Human Rights Association (IHD) in Ankara;

- urging the authorities to ensure that IHD staff and victims of human rights violations identified in these documents are protected from any reprisals, harassment, arrests or torture;

- asking them to ensure that human rights defenders are allowed to pursue their lawful role of monitoring and reporting on human rights matters as set out in the UN Human Rights Defenders Resolution;

- calling on the authorities to take effective action to ensure that the security forces and other public servants are aware that the work of human rights defenders is legitimate.