KADEK
Kongreya Azadi ù Demokrasiya Kurdista
Kurdistan Freedom and Democracy Congress
Congresso per la Libertà e la Democrazia del Kurdistan

 

Presseerklärung zum geplanten Reuegesetz der türkischen Regierung

 

Die Regierung hat angekündigt, dass das zuvor als ‘Reuegesetz’ bezeichnete Gesetz unter dem Namen ‘Gesetz zur Integration in die Gesellschaft’ verabschiedet werden wird. Als Ziel des Gesetzes wird eine Entwaffnung und damit die Beendigung des ‘Terrors’ genannt. Der genaue Inhalt des Gesetzesentwurfs ist zwar noch nicht vollständig veröffentlicht, aber an die Medien wurde lanciert, dass außer der Führungsebene Organisationsmitglieder von einem Strafnachlass profitieren können.
Der Regierungssprecher hat in seiner Erklärung auch das ‘Bedürfnis nach einem Leben in Ruhe und Frieden’ zur Sprache gebracht. Wenn dieses Gesetz aus einem Bedürfnis heraus entstanden ist, so wird deutlich, dass das Problem nicht richtig analysiert wurde und dem Bedürfnis nicht entspricht.
Das Problem und die Organisation, auf die das Gesetz ausgerichtet sind, betrifft das grundlegende politische und Sicherheitsproblem der Türkei seit dreißig Jahren. Die Hauptursache dieses Problems ist die schwere Repression gegen das kurdische Volk auf jedem Gebiet unter Verleugnung kurdischer Identität. Der Gedanke, das Resultat könne beseitigt werden, ohne die Ursache zu beseitigen, ist nichts weiter als Selbstbetrug.
Die Aussage des türkischen Staates, das Problem lösen zu wollen, ohne mit den Vertretern derjenigen ein einziges Mal gesprochen zu haben, die dieses Gesetz ansprechen soll, hat keinerlei politischen und praktischen Wert. Bis heute hat weder mit unserem Vorsitzenden Abdullah Öcalan, noch mit dem KADEK noch mit dem Kurdistan-Nationalkongress (KNK) ein Gespräch stattgefunden. Für eine Lösung des Problems ist keine einzige Übereinstimmung erreicht worden. Es entbehrt jeder Logik, zu behaupten, das Problem zu lösen, ohne mit denen gesprochen zu haben, die den Kampf des kurdischen Volkes für Freiheit und Demokratie führen. Nirgendwo auf der Welt sind politische Probleme und bewaffnete Auseinandersetzungen auf diese Weise gelöst worden. Ohnehin zeigt die Ausgrenzung des Vertretungsorgans der Organisation, dass das Ziel nicht die Lösung des Problems ist. Gewollt ist eine Fortsetzung der seit Jahrzehnten angewandten Politik der Unterdrückung und Vernichtung unter neuen Bedingungen. Die Aufgabe einer Politik, die Jahrzehnte zu keinem Ergebnis geführt hat und auch in Zukunft zu keinem Ergebnis führen wird, erfordert zu aller erst ein Gespräch mit den Ansprechpartner in dieser Frage. Über ein solches Gespräch kann eine bleibende Lösung in realistischer Form gefunden werden.
Die Freilassung der Gefangenen und die Rückkehr einiger, die gezwungenermaßen im Ausland leben, reichen nicht aus für einen gesellschaftlichen Frieden. Gesellschaftlicher Frieden kann entstehen, wenn ein solches Gesetz gleichzeitig mit einer umfassenden demokratischen Reform und einem Gesetz zur demokratischen Partizipation am politischen Leben erlassen wird.
Unser Vorsitzender und unser Kongress haben immer mit gesundem Menschenverstand rationale Lösungsvorschläge hervorgebracht. Der Krieg wurde gestoppt und damit die Gelegenheit für eine Lösung innerhalb einer demokratischen Einheit gegeben. Vier Jahre lang haben wir in Selbstverteidigungsposition verharrt und somit unsere Aufrichtigkeit bewiesen. Unsere Haltung müsste als große Gelegenheit betrachtet werden, aber diese vier Jahre wurden von der Gegenseite vertan, weil keine Schritte für eine Lösung unternommen wurden. Das jüngste Gesetz, das erlassen werden soll, verstärkt unsere Sorge um verschwendete Zeit.
Aufrichtig wollen wir Einigung und Frieden zwischen dem kurdischen Volk, dem türkischen Staat und der Gesellschaft in einer Atmosphäre, in der die Verleugnung kurdischer Identität überwunden ist. Unzählige Male haben wir wiederholt, dass wir innerhalb der Einheit der Türkei leben wollen, nicht als separatistischer Einfluss, sondern als vervollständigendes und stärkendes Element. Wir sind davon überzeugt, dass das mit demokratischen Reformen zu verwirklichen ist.

Diese demokratischen Reformen, die wir auch Gesetze für gesellschaftlichen Frieden nennen können, müssen folgendes beinhalten:

1- Die Verleugnung kurdischer Identität muss aus der Verfassung und Gesetzgebung verschwinden. Die kurdische Identität muss gesetzlich anerkannt und respektiert werden.
2- Alle Verbote des Gebrauchs und der Entwicklung von kurdischer Sprache und Kultur müssen aufgehoben werden. In der Grundschule muss das Recht auf kurdischen Unterreicht gewährleistet werden. Die Tatsache, dass türkisch die offizielle Sprache der Türkei ist, sollte dabei nicht als Hindernis betrachtet werden.
3- Kurdische Veröffentlichungen in Radio, TV und Presse sollten keiner weiteren Beschränkung unterliegen als andere Veröffentlichungen auch.
4- Die Befugnisse regionaler Regierungsstrukturen müssen erweitert werden. Insbesondere Dienste wie Gesundheit und Kultur müssen der Region überlassen werden, um demokratische Strukturen zu vertiefen.
5- Politische Betätigung, die keine Gewalt anwendet und die politische Gesamtheit der Türkei nicht gefährdet, darf keiner Beschränkung unterliegen.
6- Für einen gesamtgesellschaftlichen Frieden müssen die Gefangenen einschließlich unseres Vorsitzenden, die bewaffneten Guerillakräfte und die im Exil lebende Bevölkerung alle politischen und sozialen Rechte zugesprochen bekommen.
7- Es muss eine Ausbildungs- und Bewusstseinskampagne durchgeführt werden, mit der die Gesamtbevölkerung und insbesondere das türkische und kurdische Volk nationalistische Vorurteile abzubauen lernt und sich auf jedem Gebiet eine Einheit verfestigt. Für einen wirtschaftlichen Aufschwung müssen die sozialen Probleme mit einem Sonderprogramm gelöst werden. Die materiellen und ideellen Schäden auf allen Gebieten müssen wieder gut gemacht werden und mit juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen die Wunden geschlossen werden.

Wenn diese rationalen und bescheidenen Forderungen unseres Volkes, dem alle Rechte genommen worden sind, erfüllt werden, wird in der Türkei ein bleibender Frieden und Ruhe einkehren. Als strategische Partner werden zwei untrennbare Völker die Türkei zu einem der stärksten Länder im Mittleren Osten und der Welt machen.
Eine Abspaltung ist nicht im Interesse der Kurden. Wir glauben daran, dass dieses Bewusstsein bei beiden Völkern besteht.
Eine Politik, die die kurdische Identität leugnet sowie eine Entwicklung kurdischer Sprache und Kultur zu verhindern sucht, führt zu nichts anderem, als zu neuen bewaffneten Auseinandersetzungen. Die Türkei ist an einer Weggabelung angelangt. Es ist endlich die Zeit gekommen, die kurdische Frage zu lösen. Die Bedingungen für eine Lösung sind herangereift. Wenn im Denken und in der Politik unter diesen Bedingungen, in denen sich eine Lösung der kurdischen Frage förmlich aufdrängt, keine Veränderung stattfindet, dann bedeutet das ein Beharren auf der Ausweglosigkeit. Ein solches Beharren wird zu einer neuen Kriegsphase führen.
Wenn Bedarf nach Frieden und Ruhe besteht, dann ist es Aufgabe aller sich in verantwortlicher Position Befindender, diesen endlich auch zu verwirklichen. Aufgrund der Verantwortung, die wir gegenüber dem türkischen und kurdischen Volk empfinden, sind wir dazu bereit, diese Aufgabe zu erfüllen. Wir rufen die Entscheidungsträger in der Türkei dazu auf, dieser Verantwortung gerecht zu werden, indem anstatt Gesetzen, die zu keinen oder negativen Ergebnissen führen, mit demokratischen Reformen für eine demokratische Partizipation ein Gesetz für gesellschaftlichen Frieden erlassen wird.


26. Juni 2003
KADEK Präsidialrat