Berichte
aus Istanbul |
20.07.2003
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Ferhat
Tunç aus Haft entlassen
Während
Ferhat Tunç frei kam, wurde die kurdische Sängerin Rojin mit
dem Vorwurf des Seperatismus angeklagt
Der
kurdische Liedermacher Ferhat Tunç, der vor zwei Wochen festgenommen
wurde, ist wieder auf freiem Fuß. Das Verfahren gegen ihn wird trotz
fehlender Beweismittel am 12. August vor dem Staatssicherheitsgerichtshof
in Erzurum aufgenommen. Tunç soll auf einem Konzert im Juni die
Besucher mit `Merhaba PKKlilar` (Guten Tag PKKler) begrüßt
haben. Die Videokassette, die als Beweismittel dienen sollte, ist jedoch
verschwunden. Auf der gestrigen Pressekonferenz von Tunç und seinem
Anwalt, zu der zahlreiche Fernsehteams, Künstler und Intellektuelle
anreisten, stellte sich heraus, dass die beim damaligen Konzert anwesenden
Sicherheitsdienste sich schlicht verhört hatten. Tunç hatte
die Konzertbesucher auf türkisch mit `Merhaba tekrardan` (Guten Tag
mal wieder) begrüßt, nicht mit `Merhaba PKKlilar`. Um sich
diese Schlappe nicht eingestehen zu müssen, musste das vermeintlich
belastende Video verschwinden. Trotz dieser Erkenntnisse wird das Verfahren
am 12. August begonnen. Der Anwalt Ercan Demir sagte:“ Wir sind
bereit für das Verfahren und werden uns bemühen dieses so zügig
wie möglich hinter uns zu bringen. Wir werden alle nationalen und
internationalen Rechtsmittel anwenden.“.
Ferhat Tunç bedankte sich bei allen Freunden, Fans und Unterstützern
für die geleistete Hilfe, ohne die er mit Sicherheit noch in Haft
sitzen würde. „Das ich jetzt hier bin, habe ich lediglich meiner
Popularität zu verdanken. Wie es anderen Verhafteten ergeht, weiß
ich jedoch genau“ so Tunç. Er zog Vergleiche zu dem legendären
Sänger Ahmet Kaya, der nach ähnlichen Vorfällen ins französische
Exil emigrierte und dort starb, ohne seine Heimat noch einmal besucht
zu haben. „Solch eine Entwicklung werden weder ich, noch die Intellektuellen,
noch das Volk zulassen. Diese Vorfälle sind ein Angriff auf die Friedenssehnsucht
im Land.“ schätzte er ein. Es sei kein Zufall, dass die Repression
in der Türkei nach 15jährigem Krieg und den folgenden vier Jahren
Waffenstillstand wieder zunimmt. In dieser Zeit in der Intellektuelle
und zivilgesellschaftliche Gruppen versuchten den Kampf um gesellschaftlichen
Frieden und Demokratisierung zu verstärken, seien die Antworten der
rückschrittlichen Kräfte deutlich. Das Volk solle durch das
Vorgehen gegen Künstler abgeschreckt werden zu den Konzerten der
erfolgreich laufenden Tournee „Ein Lied für den Frieden“
zu gehen.Das er trotz der widrigen Umstände seinen Witz und seine
Bissigkeit nicht verloren hat, zeigte Tunç mit seiner Begrüßung
auf der Pressekonferenz „Merhaba tekrar“ und der Aufforderung
„lasst uns anfangen Türkischkurse zu geben“, gedacht
für ständig anwesenden gewissen Herren in Zivil.
Die Popmusikerin Rojin und der Comedy-Künstler Murat Batgi, die ebenfalls
nach dem Konzert im Juni angeklagt wurden, ließen über die
Entwicklungen in ihren Fällen berichten. Die Lieder von Murat Batgi
seien als `sauber´ befunden wurden; von einer Anklageerhebung wurde
Abstand genommen. Aufhänger war ein Lied gewesen, das als Marsch
der PKK gelten solle. Es stellte sich jedoch als Volkslied der Kurden
aus Ostkurdistan/Iran heraus.
Rojin wurde hingegen -wie Tunç- nach dem Paragraphen 169. des Staatssicherheitsgesetzes
(Unterstützung einer verboten Organisation) angeklagt und gegen sie
Haftbefehl erlassen. Die Anklage gründet sich auf den Gebrauch des
Wortes Kurdistan in einem ihrer Lieder. Im inkriminierten Lied ginge es
aber einfach um eine Liebesgeschichte so ihr Anwalt Hasip Kaplan. Unter
Kurden in Syrien, von denen das Liebeslied handelt, sei der Name Kurdistan
insbesondere für Frauen sehr gebräuchlich und werde auch im
Fernsehen offiziell benutzt. „Sollen die Nachrichtensprecher nun
auch alle verhaftet werden?“ fragte er. Kaplan hat gegen den Haftbefehl
Einspruch erhoben und den Fall vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
gebracht.
Die Vorfälle gerade zum 17. Geburtstag des IHD-Meschenrechtsvereins
der Türkei, wo die Pressekonferenz stattfand und zum 20. Bühnenjubileum
von Ferhat Tunç gäben Anlaß zur Sorge um die Entwicklung
in der Republik Türkei.
Steffen
Riecke, Istanbul
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