„Roadmap“ für eine friedliche und demokratische
Lösung der kurdischen Frage in der Türkei
Die Türkei und Kurdistan haben sehr unter dem Krieg gelitten.
Während der letzten dreißig Jahre verloren Zehntausende
ihr Leben. Die Türkei braucht dringend politische und soziale
Stabilität. Alle Teile der Gesellschaft, die Rechte, die Linke,
die Islamisten, die Säkularisten, die Alewiten, die Kurden,
waren in diesen dreißig Jahren an dem Konflikt beteiligt.
Die Türkei hat ihr kurdisches Problem nicht durch Demokratisierung
gelöst und deshalb halten Krise und konfliktgeladene Atmosphäre
an. Der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und dem kurdischen
Volk, der nun seit achtzig Jahren anhält, hat von beiden Seiten
hohen Tribut verlangt. Weder Kurden noch Staat haben irgendein konkretes
Ergebnis erreicht. Als klar wurde, dass Verleugnung, Unterdrückung
und Rebellion die kurdische Frage nicht lösen konnten, entschlossen
sich Abdullah Öcalan und unsere Bewegung dafür, einen
neuen Prozess zu beginnen, um den Weg für eine friedliche und
demokratische Lösung zu öffnen. Mit dem 1. September 1999
begannen wir, unsere Kräfte aus der Türkei abzuziehen
und haben versucht, mit Hilfe der demokratischen Kräfte in
der Türkei eine demokratische und freie Vereinigung zu schaffen.
Wir haben eine Reihe von Berichten veröffentlicht, in denen
unsere Zielsetzungen erklärt und Vorschläge für eine
friedliche und demokratische Lösung des Problems gemacht werden.
In chronologischer Reihenfolge waren dies: das Friedensprojekt (20.
Januar 2000); der „Urgent Action Plan“ für Frieden
und Demokratie (4. Dezember 2000); unsere „Dringenden Forderungen“
zur Verhinderung des Krieges und zur Förderung des Friedensprozesses
(19. Juni 2001); die „Urgent Peace Proclamation“ (22.
Dezember 2002) ; „Proklamation zur Beendigung des Pattzustandes“
(15. April 2003). Zweimal, zu Beginn des Jahres 2000 und am Ende
des Jahres 2002. haben wir den Präsidenten, den Ministerpräsidenten,
den Parlamentspräsidenten, den Generalstabschef und die Vorsitzenden
aller politischen Parteien in der Türkei angeschrieben und
ihnen unsere Überlegungen zu einer Lösung des kurdischen
Problems erläutert. Gleichzeitig haben wir über die Medien
ständig deutlich gemacht, dass wir eine brüderliche Lösung
des Problems innerhalb der türkischen Grenzen befürworten.
Wir haben gezeigt, dass wir unsere Probleme auf dem Wege der Zusammenarbeit
mit Staat und Gesellschaft in der Türkei lösen wollen
und dass wir eine einigende und keine teilende Kraft sind.
Wir sind unserer Entscheidung seit dem 2. August 1999 treu geblieben
und haben nicht nur unsere bewaffneten Aktionen gestoppt, sondern
haben auch vernünftige Vorschläge und Denkansätze
verlauten lassen, um einen echten Frieden herbeizuführen. Wir
haben alles, was wir konnten, getan, um eine Atmosphäre zu
schaffen, die dem Frieden förderlich ist. Wenn dies auch noch
nicht ausgereicht hat, so hat sich doch das Klima in der Türkei
(ein wenig) in Richtung auf eine Lösung verändert. Das
Niveau der Diskussion über die Notwendigkeit, die kurdische
Frage zu lösen, ist besser geworden und es hat sich hierzu
eine Meinung in der Öffentlichkeit gebildet. Es wurde deutlich,
dass jetzt die Regierung am Zug war. Obwohl 2002 einige begrenzte
Maßnahmen ergriffen wurden, blieben diese ohne praktische
Folgen. Entscheidungen wurden nicht umgesetzt. Die Repressionen
nahmen im Gegenteil zu und es kam zu fortgesetzten Militäraktionen.
Zu einer Zeit, in der die kurdische Gesellschaft mit einigen bescheidenen
Vorschlägen ihre Bereitschaft für eine Lösung deutlich
macht, in der es in der Türkei Bedingungen gibt, die es erlauben,
geeignete Schritte zur Lösung des Problems zu unternehmen,
in der die regionale Entwicklung eine Lösung des Problems von
der Türkei verlangt, in der die Beziehungen zur EU und zu den
USA gestärkt werden müssten, bedeutet das Festhalten an
einer Politik der Nicht-Lösung, dass der Waffenstillstand,
der nun vier Jahre gehalten hat, zu Ende gehen wird. Das Jüngste
Reuegesetz, mit dem KADEK eliminiert werden soll, bezeichnet das
Ende dieses Friedensprozesses. Dieses Gesetz ist im Wesentlichen
kein Beitrag zur Problemlösung, sondern spricht für die
Absicht, unsere Kräfte einzukreisen und zu eliminieren. Auch
den jüngsten Beziehungen der Türkei zu Syrien und dem
Iran liegt die klassische Verleugnung der Kurden zugrunde, auch
sie haben die Unterdrückung der Freiheitsbewegung zum Ziel.
Der Wunsch, die Stationierung türkischer Truppen im Irak dazu
zu verwenden, die USA dazu zu bringen, KADEK und die Guerilla militärisch
anzugreifen, ist ebenfalls ein Zeichen dafür, dass die Türkei
einen Konflikt der Lösung der kurdischen Frage vorzieht. Zusammen
mit den neuerlich vermehrten Repressionen gegen die Zivilbevölkerung
wird deutlich, dass hier einer Politik des Drohens und Erpressens
gegen unsere Bewegung verfolgt wird. Offensichtlich möchte
die Türkei uns wissen lassen, dass es für uns nur die
bedingungslose Kapitulation geben kann.
Die Öffentlichkeit weiß, dass wir vor diesem Vorgehen
gewarnt haben. Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan hat in seinen
Botschaften aus Imrali und in seinem BrBrief an die Regierung daran
erinnert, dass etwas unternommen werden muss, um die kurdische Frage
zu lösen, wenn nicht die Friedensmission, die er bisher auf
sich genommen hat, als Misserfolg betrachtet werden soll.
Um sicherzustellen, dass die Bemühungen unseres Vorsitzenden
friedliche Früchte tragen, haben wir im April diesen Jahres
die „Proklamation zur Beendigung des Pattzustandes“
veröffentlicht. Ebenfalls im April haben wir unsere Vorschläge
für eine umfassende Lösung präsentiert. Wir haben
in einer öffentlichen Stellungnahme deutlich gemacht, dass
das Reuegesetz letztlich eine Provokation darstellt, und haben verlangt,
dass stattdessen ein „Gesetz für sozialen Frieden und
demokratische Partizipation“ verabschiedet wird. Während
der Monate Juni und Juli haben wir uns bemüht mittels unserer
Kampagne „Für sozialen Frieden und demokratische Partizipation“
negative Entwicklungen zu stoppen und um Versöhnung zu werben.
Unsere Bemühungen werden geleitet von unserer Verantwortung
gegenüber allen Menschen in der Türkei, Türken oder
Kurden. Leider haben sie seitens der Regierung kein positives Echo
gefunden.
Die Regierung hält an ihrer überlebten Denkart und Praxis
fest und hat unsere sämtlichen Anstrengungen für den Frieden
zunichte gemacht. Es gibt nicht das kleinste Signal, das uns ermutigen
könnte, den Waffenstillstand fortzusetzen. Wir haben einseitig
für den Frieden und eine Lösung des Problems gekämpft,
haben uns bemüht, die Bedingungen für eine wechselseitig
anerkannte Feuerpause herzustellen, obwohl wir nie eine offizielle
Antwort auf unser Waffenstillstandsangebot bekommen haben. Obwohl
die Standpunkte etwas aufgeweicht wurden und sich das Klima gebessert
hat, ist es uns dennoch nicht gelungen, Spannungen und Zusammenstöße
vollständig zu vermeiden. Offensichtlich müssen wir unsere
Haltung der letzten vier Jahre überdenken, in einem Klima,
in dem unser einseitiger Waffenstillstand bedeutungslos geworden
ist. Es ist notwendig geworden, einen neuen Ansatz für den
Frieden und die Lösung des Problems zu entwickeln. Unsere historische
Rolle verlangt dies. Es steht außer Frage, dass wir die türkische
Politik der Verleugnung und Repression nicht hinnehmen oder zu bloßen
Zuschauern einer solchen Politik werden und die Menschen in der
Türkei hilflos einer solchen Politik aussetzen können.
Der einseitige Waffenstillstand, den wir seit 1999 eingehalten haben,
hat zum Teil seine Rolle erfüllt. Wenn die Umstände seine
Fortsetzung zuließen, hätten wir dies getan. Leider hat
der türkische Staat diesen Waffenstillstand als Gelegenheit
betrachtet, die demokratischen Kräfte zu zerschlagen, anstatt
ihn als eine Möglichkeit zur Demokratisierung zu nutzen. Auf
diese Weise hat er uns die Fortsetzung des einseitigen Waffenstillstandes
unmöglich gemacht.
In den letzten Monaten konnte man sehen, dass gegen uns politische
und militärische Offensiven gefahren wurden, die in tödlichen
Kampfhandlungen endeten, gleichgültig, wie intensiv wir versucht
haben, solche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Um weitere Angriffe
gegen uns zu verhindern, in denen Kämpfer von uns das Leben
lassen könnten, mussten wir im Rahmen legitimer Selbstverteidigung
reagieren. Einzig wegen unserer Entschlossenheit im Kampf für
den Frieden und eine demokratische Lösung und unserer fortdauernden
Erwartung, dass etwas in dieser Richtung geschehen würde, ist
es zu verdanken, dass diese Zusammenstösse nicht aufgeflammt
sind. Hätten wir uns nicht derart geduldig und verantwortungsbewusst
gezeigt, wären die Kämpfe inzwischen längst viel
intensiver.
Die alles führt dazu, dass der einseitige Waffenstillstand
für uns nun beendet ist. Der türkische Staat hat den Waffenstillstand
bedeutungslos gemacht und ihn durch die Politik der Auslöschung,
die er gegenüber uns verfolgt hat, beendet. Es steht wohl außer
Frage, dass ein Waffenstillstand nur dann eingehalten werden kann,
wenn er von beiden Seiten beachtet wird.
Die Erfahrung der letzten vier Jahr hat gezeigt, dass ein Waffenstillstand,
der von beiden Seiten respektiert wird, nur in Kraft treten und
eingehalten werden kann, wenn es gleichzeitig einen Stufenplan (Roadmap)
für eine ausgehandelte Einigung gibt, die schrittweise umgesetzt
und von beiden Seiten akzeptiert wird. Es wurde klar, dass es ohne
eine solche Perspektive keinen praktischen oder politischen Wert
hat, den Waffenstillstand beizubehalten. Er hat vier Jahre gedauert
wegen der großen Opfer, die wir gebracht haben. Selbst wenn
er offiziell nicht anerkannt wurde, war er für die Türkei
von Nutzen angesichts des Waffenstillstands nach fünfzehn Jahren
Krieg.
Dies zeigt, dass man für einen beiderseits respektierten Waffenstillstand
einen Stufenplan (Roadmap) braucht, der von einer merklichen Veränderung
in der Geisteshaltung und im politischen Denkansatz begleitet wird.
Vor diesem Hintergrund und im Bewusstsein historischer Verantwortung
zeichnen wir hier eine sinnvolle und machbare Roadmap und präsentieren
sie, zuallererst dem türkischen Staat und allen interessierten
Parteien. Angesichts der ernsten Probleme der Türkei und der
Entwicklungen in der Region scheint es uns unumgänglich, einen
Plan zu implementieren, der das Problem in drei Stufen vom 1. September
2003 bis zum 1. September 2004 löst. Wir halten ein Jahr in
diesem Zusammenhang für realistisch. Da die Türkei möglicherweise
noch Ende 2004 Beitrittsgespräche mit der Europäischen
Union beginnen könnte, wird die Entscheidung für eine
Roadmap den Beitrittsprozess sicherlich erleichtern.
Die Bedingungen für eine solche Roadmap zur Lösung des
Problems sind günstiger denn je. Da der Ansatz, das Problem
bewusst nicht anzugehen, die Wahrscheinlichkeit für neuerliche
Zusammenstöße mit jedem Tag erhöht, wenn man nichts
dagegen tut, wird am Ende eins zum anderen führen und eine
Lösung auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Wenn wir an dieser
Stelle nicht dazwischengehen und eine solche Roadmap implementieren,
werden die Kämpfe unvermeidlich eskalieren. Unser Vorschlag
einer Roadmap mag als Mittel betrachtet werden, negative Entwicklungen
zu verhindern.
Wir sind zuversichtlich, dass die Roadmap die Spannungen verhindern
und einen Rahmen zur Lösung des Problems darstellen kann.
Erste Stufe
Hier sollte ein beiderseitiger Waffenstillstand erreicht werden.
Dieser Prozess sollte ab dem
1. September 2003 beginnen und am 1. Dezember abgeschlossen sein.
Zuallererst jedoch sollte es einen Dialog zwischen den beiden Parteien
über die Roadmap geben und man sollte ein Komitee für
Frieden und Dialog einrichten, um die Modalitäten der Umsetzung
zu diskutieren. Dieses Komitee sollte aus Vertretern ziviler Organisationen
und politischer Parteien bestehen, aus Intellektuellen, Künstlern
und demokratischen Persönlichkeiten. Es ist wichtig, dass dieses
Komitee von der Regierung in seiner Tätigkeit ermutigt und
unterstützt wird.
Das Komitee wird Sitzungen mit den beiden Parteien abhalten und,
mit Blick auf den Aufbau gegenseitigen Verständnisses und die
Spezifikation der einzelnen Stufen der Roadmap, einen fortgesetzten
Dialog etablieren. Außerdem wird das Komitee die Umsetzung
der Einzelpunkte überwachen, auf die man sich geeinigt hat
und bei Mängel oder Zuwiderhandlungen einschreiten oder sie
ansprechen. Zudem sollte das Komitee Beziehungen zu den Einrichtungen
pflegen die die öffentliche Meinung machen, und diese auffordern
zum Friedensprozess beizutragen. Es sollte die Presse unablässig
an ihre soziale Verantwortung erinnern und Informationen mit dem
Ziel zur Verfügung zu stellen, die Öffentlichkeit so gut
wie möglich auf Versöhnung vorzubereiten. Auf diese Weise
soll das Komitee als permanente Einrichtung arbeiten, bis die Roadmap
vollständig umgesetzt und Frieden und eine Lösung der
Frage erreicht sind. Seine dringendste Aufgabe wird darin bestehen,
den gegenwärtigen, einseitigen, De-facto-Waffenstillstand in
einen bilateralen Waffenstillstand zu verwandeln. Hierzu sollte
jede der Parteien folgende Schritte unternehmen:
Maßnahmen seitens der Regierung
1. Militäraktionen sollten gestoppt werden, da sie unvermeidlich
zu Zusammenstößen und Vergeltungsschlägen führen,
die politischen Friedensbemühungen gefährden, es der Guerilla
unmöglich machen, ihre Waffenstillstandspositionen beizubehalten
und in der Bevölkerung und unseren Kräften zu Vertrauensverlust
führen. Große Teile der Bevölkerung verlieren ihren
Glauben an eine friedliche und demokratische Lösung und beschäftigen
sich mit Propaganda gegen solche Versuche.
2. Das System der Dorfschützer, ein Produkt des Krieges, sollte
aufgelöst werden. Es ist klar, dass selbst in Zeiten eines
Waffenstillstandes die Dorfschützer als ein Mittel der Repression
gegen die Bevölkerung verwendet werden, das den Waffenstillstand
aushöhlt. Deshalb sind wir der Meinung, dass der fehlende Wille,
das Dorfschützersystem abzuschaffen, Ausdruck fehlenden Willens
ist, den Krieg, der gegen uns geführt wird, zu beenden. Die
Unterdrückung durch die Dorfschützer schwächt das
Vertrauen der Bevölkerung in den Waffenstillstand und die Perspektive
einer friedlichen Lösung und gibt populären Forderungen
Auftrieb, die danach verlangen, dass unsere Verbände dem repressiven
Verhalten der Dorfschützer ein Ende machen. Wir denken, dass
man wirtschaftliche und soziale Maßnahmen ergreifen sollte,
die die Auflösung dieses Systems ermöglichen, das eine
Klasse von Gangstern in Kurdistan hervorgebracht hat.
3. Eines der schwerwiegendsten Ergebnisse des bewaffneten Konfliktes
ist die gewaltsame Vertreibung von Millionen von Zivilisten. Ein
echter Waffenstillstand schließt Maßnahmen ein, die
die fortdauernden Spannungen verringern und die Kriegskultur zurücklassen.
In diesem Zusammenhang sollte die Regierung umfassende Anstrengungen
unternehmen, um die angekündigte Rehabilitierung der Vertriebenen
wahr zu machen und alle administrativen, gesetzlichen, wirtschaftlichen
und sozialen Maßnahmen ergreifen, die es ihnen ermöglichen,
in ihre Dörfer zurückzukehren. Hierbei wird die Regierung
verpflichtet sein, dies aktiv zu erleichtern und zu fördern.
4. Operative Kräfte wie Spezialpolizeikräfte und spezielle
Kommandoeinheiten sollen aus Kurdistan zurückgezogen werden,
so dass dort außer den regulären Truppen, der Gendarmerie
und Polizei keine weiteren Sicherheitskräfte bleiben. Bei den
Ereignissen nach dem Erdbeben in Bingöl konnte man erkennen,
dass solche Spezialkräfte die Bevölkerung mit Misstrauen
beobachten und dazu neigen, Zivilisten beim kleinsten Anlass tätlich
anzugreifen. Ihre Anwesenheit ist für den vorgesehenen Prozess
nicht hilfreich, weil sie Ängste und fehlendes Vertrauen in
der Bevölkerung aufrecht erhält. Sie stellt eine Verletzung
des Geistes eines Waffenstillstands dar, da es sich hier um die
Sturmtruppen aus Kriegszeiten handelt. Es fördert die Befürchtung,
dass der Krieg jederzeit wieder aufflammen kann und hinterlässt
den Eindruck, dass Anti-Guerilla-Operationen zum dauerhaften Bestandteil
der Nachkriegszeit werden sollen. Es dürfte sich daher für
beide Seiten als ausgesprochen schwierig erweisen, einen Waffenstillstand
aufrechtzuerhalten, wenn diese Kräfte nicht zurückgezogen
werden.
5. Die irregulären und extralegalen Banden, die zur Bekämpfung
des Aufstands und zur psychologischen Kriegsführung eingesetzt
wurden, müssen aufgelöst werden. Sie sind zudem verwickelt
in undokumentierte wirtschaftliche Aktivitäten im Zusammenhang
mit der Führung des Krieges, so dass es ein hohes Risiko gibt,
dass sie sich an Provokationen beteiligen, die das Ziel verfolgen,
eine Veränderung der Situation zu verhindern. Es ist nur natürlich,
dass sowohl die Guerilla als auch die Zivilbevölkerung nicht
an einen ernsthaften Friedenswillen glauben werden, solange diese
Banden weiterexistieren, die während des Waffenstillstandes
gezeigt haben, dass sie die treibende Kraft hinter alternativen,
schmutzigen Methoden der Fortsetzung des Krieges sind. Ihre unverminderte
Präsenz hat nicht unwesentlich zur Aushöhlung des gegenwärtigen
Waffenstillstandes beigetragen. Obwohl es immer einmal wieder Unterbrechungen
der Militäraktionen gab, kam es nie vor, dass diese Banden
ihre Tätigkeit eingestellt hätten. Im Rahmen eines bilateralen
Waffenstillstandes sollten sie zerstört und ihre Mitglieder
aus Kurdistan verbannt werden. Letztlich untergraben sie auch die
Autorität des Staates auf vielerlei Weise
6. Ein entscheidender Punkt in diesem Prozess ist es, die Öffentlichkeit
auf eine Lösung vorzubereiten und eine Kultur des Friedens
ins Leben zu rufen. Wir haben keinen Zweifel, dass das türkische
Volk für eine Lösung der kurdischen Frage in Einheit unter
den beiden Völkern ist, solange man nicht mit Propagandamitteln
versucht, das Gegenteil zu erreichen. Auch die Kurden sind zu einer
brüderlichen Einigung bereit. Wenn man auch den Menschen türkischer
Volkszugehörigkeit klar macht, dass der Krieg für beide
Völker ein großer Schaden war, dann kann ein Waffenstillstand
ein Schritt zu einer echten Lösung sein. Die Regierung sollte
daher sicherstellen, dass alle offiziellen Einrichtungen eine solche
Verständigung fördern und Äußerungen unterlassen,
die Feindseligkeit und Unruhe schüren.
7. Die Regierung sollte nicht länger legale Massenproteste
behindern und demokratische Aktivitäten als Grundrecht der
Bürger anerkennen.
Maßnahmen seitens des KADEK und der Guerilla
1. Die Guerilla sollte ihre militärischen Aktivitäten
vollständig beenden. Ihre Einheiten sollten in ihren gegenwärtigen
Positionen verbleiben. Es sollten keine neuen Gruppen der Guerilla
in die Türkei einsickern. Sie sollten Waffen nur dann einsetzen,
wenn sie angegriffen werden . Sie sollten in Positionen verbleiben,
wo ihre Anwesenheit nicht auffällig ist, und ohne dabei Dörfer
oder Städte zu betreten.
2. Der KADEK soll in seiner Propaganda und seinen Veröffentlichungen
keine Haltung einnehmen, die sich gegen den Staat richten, oder
zum Krieg aufhetzen. Er sollte sich in Buchstaben und Geist zu einem
Zusammenleben der Menschen in der Türkei bekennen. Er sollte
die politische Einheit der Türkei verteidigen und keinerlei
gegen die Türkei gerichtete Aktivitäten unternehmen. Fernsehsendungen
und Veröffentlichungen sollten nur dem Ziel der Demokratisierung
der Türkei dienen und dem Engagement für die natürlichen
Rechte der Kurden. Er sollte eine Politik verfolgen, die der Vertrauensbildung
im Verhältnis zur türkischen Bevölkerung förderlich
ist.
3. Die kurdische Bevölkerung sollte ihre Protestaktivitäten
auf vollständig demokratische Weise organisieren, ohne dabei
Unordnung zu schaffen.
Die zweite Stufe
Hier geht es um vertrauensbildende Maßnahmen als praktische
Schritte auf dem Weg zu einer Lösung
Maßnahmen seitens der Regierung
1. Die kurdische Frage sollte als Schlüsselfrage der Demokratisierung
behandelt werden.
2. Alle Beschränkungen der Redefreiheit und der Freiheit der
Organisation sollten fallengelassen und Bedingungen geschaffen werden,
die es ermöglichen, sich frei politisch zu betätigen.
Diese Freiheiten sollten auch für Probleme im Zusammenhang
mit der kurdischen Frage uneingeschränkt gewährleistet
sein. Die uneingeschränkte Meinungsäußerung, Organisationsfreiheit
und Freiheit der politischen Betätigung sind entscheidend für
die Entwicklung einer Lage, in der auf bewaffnete Kräfte verzichtet
werden kann.
3. Nach Erfüllung der Forderungen aus Artikel (2) soll ein
Gesetz für sozialen Frieden und demokratische Partizipation
verabschiedet werden. Dieses Gesetz soll die uneingeschränkte
Teilnahme aller Mitglieder der Guerilla und aller politischen Gefangenen
und Exilanten am demokratischen politischen Leben sichern. Hierzu
sollen ihre sämtlichen politischen, sozialen und bürgerlichen
Rechte wiederhergestellt und politisch motivierte Einträge
aus ihren Akten gelöscht werden.
4. Als wesentlicher Bestandteil des Gesetzes für sozialen Frieden
und demokratische Partizipation sollen auf dieser Stufe die Beziehungen
unseres Vorsitzenden Abdullah Öcalan mit der Außenwelt,
seine Lebensbedingungen und Gesundheitsfürsorge neu geregelt
werden.
Besuche von Rechtsvertretern und Familienmitgliedern sollen nicht
länger eingeschränkt werden. Seine Versuche der Veröffentlichung
von Gedanken zur Demokratisierung der Türkei und zur Lösung
der kurdischen Frage sollten erleichtert werden.
5. Es sollten gemeinsame Anstrengungen zur wirtschaftlichen Entwicklung
von Kurdistan gemacht und Investitionen getätigt werden, wo
die Infrastruktur dies erlaubt. Steuererleichterungen für die
Privatwirtschaft und billige Kredite sollten helfen, die wirtschaftliche
Entwicklung anzukurbeln.
6. Um die tiefen Wunden aus den Jahren des Krieges zu heilen, müssen
auch Verbrechen untersucht werden, die über reguläre Angriffe
auf militärische, politische, administrative und wirtschaftliche
Ziele hinausgegangen sind. Die Täter müssen vor Gericht
gestellt werden. Es gibt keinen anderen Weg, Depressionen und Traumata
des Krieges zu bewältigen. Diesem Problem nachzugehen ist wichtig
im Zusammenhang mit echter Vertrauensbildung zwischen der türkischen
und der kurdischen Bevölkerung, zwischen dem Staat und den
Kurden. Das Auftreten von extralegalen Hinrichtungen, Entführungen
und Verschwundenen, Tod im Polizeigewahrsam und Vergewaltigung müssen
untersucht und die Täter bloßgestellt werden. Überall,
wo auf Krieg Frieden gefolgt ist, wurden solche Vorfälle zum
Gegenstand von Untersuchungen gemacht. Damit können sie zu
Ecksteinen eines wirklichen Friedens werden. Es soll daher unverzüglich
eine Kommission zur Untersuchung von Wahrheit, Gerechtigkeit und
Vergebung eingesetzt werden. Die Kommission sollte von Vertretern
von Menschenrechtsorganisationen und Rechtsverbänden gebildet
werden, d.h. hauptsächlich aus Vertretern von NGO. Sie sollte
nicht nur Verbrechen untersuchen, die im Auftrag des Staates begangen
wurden, sondern ebenfalls solche, die der Guerilla zur Last gelegt
werden. Regierung wie auch KADEK wären verpflichtet, die Arbeit
der Kommission zu unterstützen und ihr wichtige Dokumente zugänglich
zu machen. Auf diese Weise wäre es der Kommission möglich,
die Ursachen dieser Vorfälle zu beleuchten, wie auch ihre Auswirkungen
und Täter. Diese sollen dann vor unparteiische und faire Tribunale
gestellt werden, die nach einem speziellen Gesetz ausschließlich
für diese Verfahren eingerichtet werden. Mitglieder der Kommission
zur Untersuchung von Wahrheit, Gerechtigkeit und Vergebung sollen
die Mitglieder dieses Gerichts bilden.
7. Die Politik der Verleugnung und Repression hat bei der kurdischen
Bevölkerung großes Leid verursacht. Zahllose Personen
haben tiefe emotionale Narben davongetragen. Um ihnen dabei zu helfen,
über diese Wunden und Narben hinwegzukommen, ist es bedeutsam,
dass die Behörden sich entschuldigen und um Verzeihung für
die Behandlung bitten, die sie den Kurden früher haben angedeihen
lassen. Solche Entschuldigungen werden eine wichtige Rolle beim
Aufbau von Frieden und Brüderlichkeit bilden.
8. Alle oben aufgeführten Maßnahmen sollen von der Regierung
bis April 2004 eingeleitet sein und zügig umgesetzt werden.
Maßnahmen seitens des KADK und der Guerilla
1. Nachdem die Regierung die notwendigen Gesetze so verabschiedet
hat, wie dies auf den jeweiligen Stufen des Prozesses vorgesehen
ist, sollen Guerillakämpfer und Exilaktivisten in Gruppen von
je 500 in die Türkei einreisen und am demokratischen politischen
Leben teilnehmen können. Die Kämpfer werden sich mit den
Waffen und ihrer Kampfausrüstung stellen.
2. Alle, die in Türkei zurückkehren, werden sich mit ihren
Aktivitäten für die Stärkung des sozialen Friedens
einsetzen. Sie werden ihre legalen demokratischen Rechte ausüben.
Sie dürfen sich an nichts beteiligen, was die Unversehrtheit
des Staates beschädigen könnte.
3. Auch der KADEK soll eine gesonderte Kommission einrichten, die
die Verbrechen untersucht, die von seinen Mitgliedern gegen das
Volk verübt wurden. Diese soll die Täter entsprechend
internationaler Rechtsmaßstäbe vor Gericht stellen, sie
unter Verzicht auf die Todesstrafe verurteilen und öffentlich
machen.
Die dritte Stufe
Hier wird die volle Demokratisierung angestrebt, so dass die kurdische
Frage mit demokratischen Mitteln gelöst und Frieden erreicht
werden kann.
Maßnahmen, die von der Regierung zu ergreifen sind:
1. Die kurdische Identität soll unter den Schutz der Verfassung
gestellt werden und die Kurden als verfassungsmäßige
Bürger der demokratischen Republik anerkannt werden. Auf diese
Weise, durch die Beteiligung der Kurden an einem säkularen,
demokratischen Rechtsstaat, wird die Türkei zur gemeinsamen
Heimat von Türken und Kurden. Die kurdische Bevölkerung
wird dann die Pflicht haben, ihrer Verantwortung für dieses
demokratische Land gerecht zu werden.
2. Sprach- und Kulturrechte sollten in gesetzlichen Bestimmungen
verankert werden. Radio- und Fernsehsendungen und Printmedien sollten
frei von allen Beschränkungen sein. Für Medien in kurdischer
Sprache und jeder anderen Sprache sollte der gleiche Rechts- und
Verfahrensrahmen gelten, der auch für türkischsprachige
Medien gilt. Das Gleiche sollte für kulturelle Aktivitäten
gelten.
3. Grundschulausbildung auf Kurdisch sollte für alle verfügbar
sein, die ihre Kinder auf Kurdisch erziehen möchten. In der
Sekundärstufe sollte Unterricht in kurdischer Kultur, Sprache
und Literatur als Wahlfach in die Curricula aufgenommen werden.
An Universitäten sollten Abteilungen für kurdische Sprache,
Kultur, Literatur und Geschichte eingerichtet werden.
4. Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan sollte freigelassen werden.
Er sollte die vollständige Freiheit und Bedingungen erhalten,
unter denen er seinen Beitrag zur Einheit der beiden Völker
in Freiheit leisten und politische Funktionen ausüben kann.
5. Für die kommunale Ebene sollte demokratisches Recht gesetzlich
so eingerichtet werden, dass eine Dezentralisierung der Macht erreicht
wird, und die Demokratie in Reichweite und Qualität wachsen
kann.
6. Die Gesetzgebung in Bezug auf demokratische Parteien und Wahlabläufe
muss nach demokratischen Kriterien erneuert werden. Innerhalb von
sechs Monaten nach der Verabschiedung dieser Gesetze sollten Neuwahlen
abgehalten werden.
7. Diese Schritte sollten bis zum 1. September 2004 eingeleitet
sein und unverzüglich umgesetzt werden.
Maßnahmen, die seitens des KADEK auf dieser Stufe zu ergreifen
sind:
1. Die Gesamtheit der organisatorischen Strukturen einschließlich
der Führung und der Kommandeure sollten in die Türkei
zurückkehren mit ihren Waffen, die dabei von internationalen
Institutionen und Vermittlern gesichert werden.
2. Alle Publikationen der Organisation außerhalb der Türkei
sollten sich in ihrer Arbeit für den laufenden Friedensprozess
einsetzen und der demokratischen Einheit der beiden Völker
dienen. Diejenigen Publikationen, die nicht länger gezwungen
sind, aus dem Exil heraus zu arbeiten, sollten in die Türkei
zurückkehren und ihre Aktivitäten dort innerhalb des gesetzlichen
Rahmens fortsetzen.
3. Alle Verbände und kurdischen Organisationen im Exil sollten
sich unter einem gemeinsamen Dach mit Organisationen der türkischen
Diaspora vereinigen. Es soll im Ausland keine Organisation eingerichtet
werden, die sich nicht in Richtung Türkei orientiert. Kurdische
Identität, Sprache und Kultur sollen in autonomen Gremien unter
dem gemeinsamen Dach geschützt und gefördert werden. Keine
mit unserer Bewegung verbundene Einrichtung sollte an diplomatischen
oder politischen Aktivitäten zum Nachteil der Türkei teilnehmen.
4. In ihren Beziehungen zu Kurden in der Diaspora und in anderen
Teilen von Kurdistan soll unsere Organisation in Übereinstimmung
mit den Interessen einer demokratischen Türkei handeln.
Die Türkei steht an einem Scheideweg. Sie kann ihre Politik
des „weder Krieg noch Frieden“ nicht länger fortsetzen
und wird zeigen müssen, für was sie sich entscheidet bei
ihrer Reaktion auf diese Roadmap, die der KADEK hier präsentiert.
Wir haben die Erwartung, dass die Regierung sich für den Weg
zum Frieden entscheidet, indem sie auf unseren Plan antwortet. Wir
sind zuversichtlich, dass die Türkei, indem sie diesen Weg
wählt, einen demokratischen Wandel erleben und zu einem Model
für die gesamte Region werden wird. Die kurdische Frage wird
dann keine Quelle des Leides für die Türkei mehr sein,
sondern vielmehr ein Faktor der Stärke, mit dem die Türkei
in ein attraktives Land verwandelt wird, nicht nur für die
Kurden innerhalb ihrer Grenzen, sondern auch in den angrenzenden
Ländern und letztlich für alle Völker der Region.
In dieser Position wird die Türkei im politischen Diskurs der
Region von großem Gewicht sein und zu einem wirtschaftlichen
Schwerpunkt werden, der aufblüht und das ökonomische Potential
der Region aktiviert. All dies könnte wahr werden, wenn die
Türkei dieser Roadmap folgt, die wir hier präsentieren.
Sollte sie sich aber gegenteilig entscheiden und an ihrer überkommenen
Politik festhalten, dann wird sie dazu verurteilt sein, sich weiter
im Teufelskreis ständiger Krisen zu drehen.
Die Umsetzung dieses Plans und der Antrieb zum Frieden werden für
die Türkei und die Kurden von großem Nutzen sein. Aus
diesem Grunde erwarten wir, dass dieses Projekt positiv gewürdigt
und umgesetzt wird, so dass für die Türkei und den gesamten
Mittleren Osten eine neue Ära anbricht, in der die Kurden sich
als echte strategische Verbündete der Türkei erweisen
können.
Beiträge zur Umsetzung dieser Roadmap durch andere Länder
und Einrichtungen:
Die Europäische Union
Die Türkei ist seit fünfzig Jahren Mitglied des Europarates.
Sie ist derzeit Beitrittskandidat der Europäischen Union. Sollte
die Europäische Union die Türkei aufnehmen, dann hat sie
gleichzeitig auch die Kurden in die EU integriert. Die Beitrittspartnerschaft
und der Entwurf eines Zeitplans erwähnen die kurdische Identität
nicht, sondern enthalten lediglich einige wenige allgemeine Hinweise
auf Sprach- und Kulturrechte. Dies bedeutet letztlich eine implizite
Hinnahme der türkischen Verleugnung der Kurden. Auf diese Weise
wurde die Türkei ihrerseits ermutigt, Reformgesetze zu verabschieden,
die die kurdische Identität nicht erwähnen. Die Umsetzung
dieser Gesetze wird praktisch durch wichtige Vorschriften verhindert
und ist damit wenig mehr als das, was man in der EU als Potemkinsche
Dörfer bezeichnet. Alle Beschwerden bezüglich der Ausübung
von Rechten nach diesen neuen Gesetzen sind bisher zurückgewiesen
worden.
Es ist daher irrig seitens der EU anzunehmen, die kurdische Frage
könne auf dem Wege einer Gesetzgebung gelöst werden, die
die Entwicklung kurdischer Sprache und Kultur nicht erlaubt. Die
kurdische Bevölkerung ist sicher nicht gegen einen Beitritt
zur Europäischen Union auf der Grundlage einer demokratischen
Einheit in Freiheit; es wäre allerdings inakzeptabel, die kurdische
Frage als gelöst zu betrachten und eine Türkei aufzunehmen,
die es den Kurden nicht erlaubt, ihre Sprach- und Kulturrechte auszuüben.
Wenn der Freiheitskampf der Kurden seine Rechtmäßigkeit
behält, solange es keine Lösung der Probleme gibt, die
ihm zugrunde liegen, dann könnte die Parteinahme Europas mit
der Türkei angesichts dieses Kampfes zu einem Gegensatz zwischen
Europäischer Union und den Kurden führen. Die Haltung
der europäischen Politiker zu dieser Roadmap, die vom Zeitplan
her in etwa mit dem Beitrittsplan übereinstimmt, ist daher
ein wichtiger Indikator. Diese von uns vorgestellte Roadmap ist
gleichzeitig ein Plan zur Vorbereitung der Türkei für
den EU-Beitritt. Wir erwarten daher, dass die EU seine Umsetzung
auf der Grundlage ihrer Prinzipien unterstützt.
Die kurdische Frage ist nicht nur ein Problem der Türkei, sondern
auch eines der europäischen Union. Die EU ist daher prädestiniert,
eine Vermittlerrolle im Prozess der Konfliktlösung zu spielen.
Leider hatten europäische Akteure einen größeren
Anteil daran, dass es dazu kam, dass die kurdische Frage durch das
20. Jahrhundert hindurch ungelöst geblieben ist. Wir sind der
Meinung, dass die EU zwar der Türkei die Vollmitgliedschaft
gewähren sollte, allerdings unter Einbeziehung der Kurden in
diesen Prozess, indem sie auf eine demokratische Lösung der
vorhandenen Probleme hinarbeitet. Unser Vorsitzender war nach Europa
gekommen, um Wege für eine solche Lösung zu erkunden.
Wegen der mangelnden Verantwortlichkeit europäischer Behörden
wurde er Opfer einer internationalen Verschwörung, die mit
seiner Entführung endete. Wir glauben, dass Europa sich nun
von allen weiteren Versuchen der Verschwörung gegen die Kurden
distanzieren sollte.
Wir fordern die Europäische Union auf – parallel zu ihrer
Rolle auf Zypern – eine Vermittlerroller bei der Umsetzung
dieser Roadmap zu spielen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika
Die USA haben sich nach ihrer Intervention im Irak im Mittleren
Osten positioniert. Mit dem Sturz des Baath-Regimes hat sich ein
Fenster für einen demokratischen, föderalen Irak geöffnet.
Wir glauben, dass solch ein System für die nationale und kulturelle
Vielfalt des Irak hervorragend geeignet wäre. Es könnte
als Modell dafür dienen, wie sich die kulturellen Belange von
Arabern, Kurden, Assyrern und Turkmenen miteinander vereinbaren
lassen.
Die Entwicklung der Demokratie im Mittleren Osten wird außerordentlich
profitieren von der Anerkennung der Kurden als Gegenstand des politischen
und sozialen Lebens in der Türkei, im Iran und in Syrien ohne
eine Änderung der Grenzen der jeweiligen Staaten.
Die USA können in dieser Hinsicht eine positive Rolle spielen.
Gerade aufgrund ihrer engen Beziehungen mit der Türkei können
die USA konstruktiv für die Verwirklichung politischer Freiheiten
arbeiten, wie sie von der Roadmap in Nordkurdistan skizziert werden.
Wenn die Türkei die kurdische Frage angeht wird sie zur treibenden
Kraft der Demokratisierung im Mittleren Osten werden, einer der
Motivationen hinter der Intervention der USA in der Region.
Eine Konfrontation zwischen USA und KADEK wäre nur dazu dienlich,
die Demokratisierung des Mittleren Ostens zu gefährden und
den Status Quo zu bewahren. Während der letzten Jahrzehnte
wurde deutlich, dass eine solche Politik für die Türkei
nicht von Nutzen ist, sondern sogar wie im Falle der Intervention
zu Gegensätzen zwischen den USA und der Türkei führen
kann.
Eine Lösung der kurdischen Frage in der Türkei lässt
sich nicht dadurch erreichen, dass man eine Konfrontation zwischen
den USA und dem KADEK herbeiführt, sondern nur durch die Kooperation
der USA und der Türkei bei der Behandlung dieser Frage und
der ihr zugrunde liegenden Probleme mit demodemokratischen Mitteln.
Wir möchten die USA auffordern, sich sowohl mit dem KADEK,
als auch mit der Türkei in Verbindung zu setzen und sich für
die Umsetzung dieser Roadmap zum Frieden einzusetzen. Wir glauben,
dass ein solcher zweiseitiger Dialog bei der Umsetzung helfen kann.
Iran, Syrien und andere Staaten der Region
Die ungelöste kurdische Frage hängt wie ein Fluch über
dem Mittleren Osten. Die Kurden haben in ihrer Geschichte wertvolle
Beiträge zum Leben in dieser Region geleistet; die repressive
Politik der Gegenwart hat den Völkern der Region nicht nur
diese genommen, sondern raubt ihnen auch viel von ihrer Energie.
Eine Beilegung der kurdischen Frage in Iran und Syrien wird nicht
nur keine Teilung dieser Länder bedeuten, sondern ihnen neue
Kraft geben. Auch sie sollten deshalb von ganzem Herzen die Umsetzung
der Roadmap für die Türkei unterstützen. Darüber
hinaus könnte eine ähnliche Roadmap, angepasst an die
besonderen Bedingungen der jeweiligen Länder, auch für
deren Probleme eine Lösung sein. Auch die übrigen arabischen
Länder und Israel sollten die Roadmap unterstützen und
beitragen zur Demokratisierung des Mittleren Ostens im Geiste der
Brüderlichkeit.
Die kurdischen politischen Kräfte in Südkurdistan (Nordirak)
Der Sturz des Baath-Regimes hat den Prozess der Demokratisierung
des Irak mit einem freien föderalen Kurdistan als Bestandteil
beschleunigt. Die beste Garantie für die Freiheit des kurdischen
Volkes ist jedoch die Demokratisierung des gesamten Mittleren Ostens.
Länder, die sich der Demokratisierung widersetzen und die kurdische
Frage nicht aufnehmen wollen, stellen sich ihrer Lösung hinderlich
in den Weg. Die Demokratisierung ist deshalb ein wichtiger Bestandteil
der Lösung der kurdischen Frage.
Aus diesem Grunde ist unsere Roadmap für die Parteien und Organisationen
in Südkurdistan von unmittelbarer Bedeutung. In dem Maße,
in dem sie Beziehungen mit KADEK aufrecht erhalten und es unterlassen,
eine negative Rolle bei der Lösung des Problems in der Türkei
zu spielen, steigen auch die Chancen für die Umsetzung der
Roadmap. In dem Wissen, dass die Anwesenheit des KADEK in Südkurdistan
die anderen kurdischen Organisationen nur stärkt, sollten sie
allen türkischen Versuchen gegenüber, sich ihrer beim
Angriff auf KADEK-Kräfte zu bedienen, wachsam sein.
Die kurdischen Kräfte in Südkurdistan sind in der Lage,
die Umsetzung der Roadmap auf jeder Stufe zu unterstützen,
wenn sie nur erkennen, dass damit Bedingungen geschaffen werden,
die ihre eigene Freiheit sichern. Die Roadmap sollte daher als Sammlung
von Leitlinien betrachtet werden für gesunde langfristige Beziehungen
dieser Organisationen mit der türkischen Regierung.
Die demokratischen Kräfte in der Türkei
Die wichtigste Rolle bei der Umsetzung dieser Roadmap spielen all
diejenigen, die ein Interesse an der politischen und wirtschaftlichen
Stabilität der Türkei haben. Sie sollten verstehen, dass
man diese Frage nicht den politischen Eliten überlassen darf.
Politische Kräfte werden dann handeln, wenn sie glauben, es
gebe ein positives Klima in der Öffentlichkeit, dass es ihnen
erlaubt, Stellung zu beziehen. Gewerkschaften, zivile Initiativen,
NGO, Intellektuelle und Künstler sollten deshalb ihre Unterstützung
für dieses Projekt erklären und offen zu seinem Erfolg
beitragen.
Leider gibt es ein großes Maß an Vorurteilen und Desinformation
in der türkischen Öffentlichkeit, das sich für eine
Lösung des Problems nachteilig auswirken kann. Es ist Sache
der demokratischen Kräfte und der Medien, dabei zu helfen,
dass diese überwunden werden.
In der gegenwärtigen Welt spielen die Medien eine entscheidende
Rolle, wenn es darum geht, ein Gemeinwesen auf Veränderung
vorzubereiten. Sie könnten alle Teile der Gesellschaft ermutigen
weiterzumachen, indem sie die positiven Schritte widerspiegeln,
die von Regierung und KADEK bei der Umsetzung gemacht werden und
ihrem Publikum erklären, weshalb eine demokratische Lösung
für die Türkei von Nutzen ist. Solange die Medien in dieser
Frage keine positive Haltung einnehmen, scheinen uns die Wünsche
der Kurden nach einem Leben in Einheit und Demokratie einseitig
bleiben zu müssen. Die Medien spielen also eine Schlüsselrolle
bei der Frage, wohin die gegenwärtige Situation führt:
Frieden oder eine Neuauflage des Konflikts?
2. August 2003, KADEK Exekutivrat
Übersetzung aus dem Englischen: Internationale Initiative