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Urgent Action

UA-Nr: UA-195/2004
AI-Index: EUR 44/027/2004
Datum: 08.06.2004

SORGE UM SICHERHEIT / FOLTER / MUTMASSLICHER STAATLICHER MORD


Türkei:

gefährdet:
Nurettin Basçi, 30 Jahre alt
Gazi Aydin, 25 Jahre
Mehmet Kahvecioglu
Veli Karadeniz

getötet:
Siyar Perinçek

amnesty international sieht Anlass zu großer Sorge um die Sicherheit der oben genannten vier Männer, nachdem ein fünfter Mann, Siyar Perinçek, staatlichem Mord zum Opfer gefallen sein soll. Die vier Männer werden Berichten zufolge seit dem 1. Juni 2004 in „Adana Kürkçüler“, einem Gefängnis des Typs F, im Süden der Türkei festgehalten. Seit ihrer Festnahme sind zwei der Männer Berichten zufolge gefoltert worden, ein dritter Gefangener soll sich in Einzelhaft befinden.

Am 28. Mai 2004 waren Siyar Perinçek und Nurettin Basçi auf einem Motorrad in der Stadt Adana unterwegs, als Berichten zufolge ein Fahrzeug der Marke Volkswagen, in dem Sicherheitsbeamte in Zivil saßen, zu ihnen aufschloss. Die Insassen des Fahrzeugs sollen die Wagentür geöffnet und so das Motorrad zum Sturz gebracht haben. Nurettin Basçi konnte weglaufen, während Siyar Perinçek nicht in der Lage war, aufzustehen. Augenzeugenberichten zufolge stieg daraufhin ein Mann, der ein graues T-Shirt und eine Sonnenbrille trug, aus dem Fahrzeug aus, kniete sich auf Siyar Perinçek, der mit dem Kopf nach unten auf dem Boden lag, und schoss ihm in die rechte Rückenseite. Danach sammelte er die Patronenhülsen auf. Nurettin Basçi wurde unweit das Tatorts von Polizisten in Zivil festgenommen, die dem Volkswagen in einem Polizeifahrzeug ohne Kennzeichen gefolgt waren. Kurz darauf trafen uniformierte Polizisten ein, die das Gebiet absperrten.

Der verletzte Siyar Perinçek wurde festgenommen, und die Polizisten riefen einen Krankenwagen, der ihn ins Krankenhaus von Adana bringen sollte. Der Krankenwagen traf nach über 20 Minuten ein. Trotz seiner schweren Verletzung wurde Siyar Perinçek nach vorliegenden Informationen von Polizisten aus dem Krankenhaus geholt, und zu mindestens zwei Orten gebracht, um sie zu den Häusern mutmaßlicher Komplizen zu führen. Danach brachte man ihn wieder ins Krankenhaus. Mehmet Kahvecioðlu und Veli Karadeniz, die zu den als vermeintliche Komplizen identifizierten Personen gehörten, wurden ebenfalls festgenommen. Gazi Aydin, der auch Verbindungen zu der Gruppe haben soll, wurde am selben Tag festgenommen. Menschenrechtsverteidigern, die ªiyar Perinçek besuchen wollten, wurde sowohl der Zugang zu dem Verletzten als auch zu Schwestern oder Ärzten verwehrt. Siyar Perinçek erlag am Nachmittag des 30. Mai 2004 seinen Verletzungen. Berichten zufolge hatte er nicht die erforderliche fachärztliche Betreuung erhalten.

Nach ihrer Festnahme wurden Nurettin Basçi, Gazi Aydin, Mehmet Kahvecioglu und Veli Karadeniz zur Anti-Terrorabteilung der Polizeizentrale von Adana gebracht. Berichten zufolge hat man Nurettin Basçi and Gazi Aydin dort gefoltert. Bei Nurettin Basçi wurde die unter der Bezeichnung „palästinensisches Aufhängen“ bezeichnete Foltermethode angewandt, wobei das Opfer mit auf dem Rücken gefesselten Händen aufgehängt wird. Zudem wurde er mit einem Hochdruckwasserstrahl abgespritzt und mit Elektroschocks an Fingern, Zehen und Geschlechtsteilen gequält, und man drohte ihm mit Vergewaltigung. Nach vorliegenden Informationen brachte man ihn von der Polizeiwache an einen verlassenen Ort, wo man ihm drohte, ihn zu töten, und ihn Scheinhinrichtungen aussetzte, indem man mehrere Schüsse in der Nähe seines Kopfes abfeuerte. Aufgrund der Folterungen soll Nurettin Basçi schwere Prellungen und Blutergüssen an Schultern, Armen und Rücken erlitten haben.

In jüngster Zeit sind in der Türkei mehrere Gesetzesreformen eingeleitet worden, welche wichtige Maßnahmen gegen Folter und Straffreiheit beinhalten. Zu den Gesetzesänderungen gehören Reformen bei den Bestimmungen bezüglich der Inhaftierung von Personen. Unter anderem beinhalten sie eine Verkürzung der Untersuchungshaft, und alle Gefangenen sollen sofort nach der Festnahme das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten. Dennoch wurde den Rechtsanwälten von Nurettin Basçi nur ein kurzer Besuch bei ihrem Mandanten in der Haft gewährt. Zudem sollen bei der medizinischen Untersuchung von Nurettin Basçi Polizisten anwesend gewesen sein, obwohl das türkische Recht vorschreibt, dass sie während der Untersuchung eines Gefangenen vor der Tür bleiben müssen.

Am 1. Juni 2004 wurden Nurettin Basçi, Gazi Aydin, Mehmet Kahvecioglu und Veli Karadeniz sowie mehrere weitere Gefangene in die Untersuchungshaft im F-Ty-Gefängnis „Adana Kürkçüler“ überstellt. Die gegen sie erhobenen Anklagen lauten auf „Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung“ und „Unterstützung einer verbotenen Vereinigung“. Die Organisation, auf die sich die Anklage bezieht, ist die bewaffnete Organisation „Volkskongress Kurdistans“ (Kongra-Gel), die vormals den Namen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) trug. Laut Angaben von Rechtsanwälten wird Gazi Aydin in Einzelhaft gehalten. Berichten zufolge hat man ihn während der Haft zwei Mal aus dem Hauptgefängnis abgeholt, um mit Angehörigen der Gendarmerie zu sprechen, was einen Verstoß gegen türkische Rechtsvorschriften darstellt. Die Angehörigen der Gendarmerie sollen Gazi Aydin unter Druck gesetzt haben, für sie als Informant tätig zu werden.

HINTERGRUNDIINFORMATIONEN

Der Konflikt zwischen den türkischen Behörden und der PKK führte in den 80er und 90er Jahren zu schweren Menschenrechtsverletzungen, darunter die systematische Misshandlungen und Folterung von Gefangenen, Fälle von „Verschwindenlassen“ und staatlichem Mord. Nach der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan durch die türkischen Sicherheitskräfte im Jahr 1999 hat die PKK einen Waffenstillstand erklärt. Seitdem ist auch die Zahl der Verstöße immer weiter gesunken.

EMPFOHLENE AKTIONEN: Schreiben Sie bitte Telefaxe oder Luftpostbriefe, in denen Sie

  • Ihre Sorge um die Sicherheit von Nurettin Basçi, Gazi Aydin, Mehmet Kahvecioglu und Veli Karadeniz zum Ausdruck bringen und die Behörden auffordern, die Sicherheit der Gefangenen zu gewährleisten;
  • sich angesichts der Berichte besorgt zeigen, denen zufolge Gazi Aydin aus dem Gefängnis „Adana Kürkçüler“ abgeholt, von Angehörigen der Gendarmerie verhört und dann wieder zurückgebracht worden ist, und die Behörden daran erinnern, dass die rechtlichen Vorschriften verbieten, Gefangene nach der Überstellung in Untersuchungshaft aus dem Gefängnis zurück in Polizei- oder Gendarmeriegewahrsam zu bringen;
  • sich angesichts der Berichte besorgt zeigen, denen zufolge Nurettin Basçi und Gazi Aydin in Polizeigewahrsam gefoltert worden sind;
  • fordern, dass die Foltervorwürfe sofort unabhängig und unparteiisch untersucht werden, einschließlich einer unabhängigen medizinischen Untersuchung, und die Ergebnisse der Ermittlungen veröffentlicht werden;
  • sich angesichts der Berichte bestürzt zeigen, denen zufolge Siyar Perinçek extralegal hingerichtet wurde und vor seinem Tod nicht die erforderliche fachärztliche Betreuung erhalten hat;
  • fordern, dass sein Tod unabhängig und unparteiisch untersucht wird und die Ergebnisse der Ermittlungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

APPELLE AN:

Mr Cemil Çiçek, Ministry of Justice, Adalet Bakanligi, 06659 Ankara, TÜRKEI
(Justizminister – korrekte englische Anrede: Dear Minister)
E-Mail: cemilcicek@adalet.gov.tr – Telefax: (00 90) 312 417 7113

Herrn Abdulkadir Aksu, Ministry of Interior, Içisleri Bakanligi, 06644 Ankara, TÜRKEI
(Innenminister – korrekte englische Anrede: Dear Minister)
Telefax: (00 90) 312 418 1795

Mr Abdullah Gül, Foreign Minister and State Minister for Human Rights, Office of the Prime Minister, Basbakanlik, 06573 Ankara, TÜRKEI (Außenminister – korrekte englische Anrede: Dear Minister)
E-Mail: abdullah.gul@basbakanlik.gov.tr

KOPIEN AN:

Botschaft der Republik Türkei, Rungestraße 9, 10179 Berlin (S. E. Herrn Mehmet Ali Irtemcelik)
Telefax: 030-2759 0915
E-Mail: turk.em.berlin@t-online.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 20. Juli 2004 keine Appelle mehr zu verschicken.

RECOMMENDED ACTION: Please send appeals to arrive as quickly as possible, in English or your own language:
- expressing concern for the safety of Nurettin Basçi, Gazi Aydin, Mehmet Kahvecioglu and Veli Karadeniz;
- calling on the authorities to guarantee their safety;
- expressing concerns at reports that Gazi Aydin has been removed from Adana Kürkçüler F-Type prison and interrogated by members of the gendarmerie before being returned, and reminding the authorities that it is illegal to take prisoners back to police and gendarmerie custody after having been remanded to prison;
- expressing your concern at reports that Nurettin Basçi and Gazi Aydin have been tortured while in police detention;
- calling for the torture to be fully, independently and impartially investigated, with provision made for an independent and impartial medical examination and the results of both to be made public;
- expressing concern at allegations that Siyar Perinçek was extrajudicially executed and had not received specialist medical treatment;
- calling for his killing to be fully, independently and impartially investigated, and the results made public.

amnesty international, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/983 73-0 - Telefax: 0228/63 00 36 - E-mail: info@amnesty.de
Spendenkonto: 80 90 100 - BfS Köln - BLZ 370 205 00