Zur Information (Stand 12.06.2004): Auslieferungsverfahren in Polen gegen den in Deutschland gem. Art 16 GG anerkannten Asylberechtigten Behsat S. an die Türkei Am 21.05.2004 wurde Behsat S., Kurde aus der Türkei und gem. Art. 16 GG in Deutschland anerkannter politischer Flüchtling, in Polen aufgrund einer Ausschreibung Interpols, welche auf einen Haftbefehl der Türkei aus dem Jahre 1982 zurückgeht, in vorläufige Auslieferungshaft genommen. Behsat S. befindet sich seit seiner Festnahme im Hungerstreik. Aus dem Beschluss über die vorläufige Auslieferungshaft des zuständigen Gerichts in Lublin vom 22.05.2004 wird deutlich, dass in der Türkei im August 1982 (ohne Angabe eines konkreten Datums) ein Haftbefehl gegen Behsat S. erlassen wurde, da er aufgrund angeblicher Straftaten in den Jahren vor dem Militärputsch 1980 zur Strafverfolgung gem. Art 146 Abs. 1 Türkisches Strafgesetzbuch gesucht werde. Art. 146 Abs. 1 Türkisches Strafgesetzbuch lautet: „Wer mit Gewalt versucht, die Verfassung der Türkischen Republik ganz oder teilweise zu ändern oder außer Kraft zu setzen….wird mit dem Tode bestraft“ Da die Todesstrafe in der Türkei aufgehoben und durch lebenslange Freiheitsstrafe unter erschwerten Bedingungen ersetzt wurde, führt dies allein jedoch noch nicht zu einem Verbot der Auslieferung. Die nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13.12.1957 (EuAlÜbk), welches sowohl von Polen als auch von der Türkei ratifiziert wurde und nach dessen Bestimmungen über die Auslieferung zu entscheiden ist, zwingend innerhalb von 40 Tagen vorzulegenden Auslieferungsunterlagen aus der Türkei liegen noch nicht vor, so dass über den konkreten Hintergrund der Vorwürfe zur Zeit noch keine Aussagen getroffen werden können. Allerdings führen folgende Tatsachen schon jetzt zu dem Ergebnis, dass eine Auslieferung zur Strafverfolgung in die Türkei unzulässig ist:
„Aufgrund dieses Sachverhalts ist die Kammer davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen drohen. Der Kläger hat wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit seiner Festnahme und sowohl mit einer Polizeihaft als auch mit einer anschließenden Untersuchungshaft zu rechnen. Dabei würde der Kläger zumindest während der Zeit des Polizeigewahrsams mit hoher Wahrscheinlichkeit der Folter unterzogen…“ 2.
„…das
Verfassungssystem der so genannten Übergangszeit (12. September
1980 bis 6. Dezember 1983) durch folgende wesentliche Merkmale bestimmt
war: Das
bedeutet, dass der Haftbefehl aus dem Jahre 1982 durch eine in keiner
Weise den europäischen und internationalen Abkommen entsprechende,
d.h. illegitime Gerichtsbarkeit erlassen wurde und schon deswegen keine
Grundlage für eine Auslieferung darstellen kann. 3.
4.
Dies betrifft alle Fälle rechtsstaatswidriger Verfolgung, insbesondere, wenn eine menschenrechtswidrige Behandlung, welche unter das Folterverbot des Art. 3 EMRK fällt, wahrscheinlich ist. Daher werden in Deutschland anerkannte Asylberechtigte durch Deutschland üblicherweise nicht an den Verfolgerstaat ausgeliefert, da der zum Grundrecht erhobene individuelle Asylanspruch des Verfolgten nach Art. 16 GG durch eine Auslieferung unterlaufen würde (verfassungskonforme Auslegung). Die
Republik Polen hat für in Polen anerkannte Asylberechtigte sogar
über die in Deutschland geltende Rechtslage hinaus einen ausdrücklichen
Auslieferungsschutz installiert. „Die
Republik Polen erklärt im Zusammenhang mit Art. 6 I a, dass sie
ihre eigenen Staatsangehörigen unter keinen Umständen ausliefern
wird. Die Anerkennung als politischer Flüchtling durch einen Drittstaat, welcher Vertragsstaat des EuAlÜbk ist, bindet im Auslieferungsverfahren jedoch nicht. Hier handelt es sich um eine verhängnisvolle Lücke im Schutz politischer Flüchtlinge, welche durch ausdrückliche und verbindliche Regelungen in den entsprechenden Abkommen erst geschlossen werden muss. Aber auch ohne eine ausdrückliche diesbezügliche Regelung ist zu berücksichtigen: Das
Verbot der zwangsweisen Rückführung in den Verfolgerstatt
gem. Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention ist zu beachten. Auch
wenn die Asylanerkennung in einem der Staaten der EG nicht automatisch
zum Verbot einer Auslieferung führt und der um Auslieferung ersuchte
Staat durch die nach seiner Rechtsordnung dafür vorgesehenen Gerichte
selbstständig das Vorliegen der Voraussetzungen prüfen kann,
muss die Anerkennung als Asylberechtigter in einem der Vertragsstaaten
doch zu erheblichen Zweifeln bezüglich der Rechtmäßigkeit
einer Auslieferung führen, wenn Auslieferungsbegehren und Asylanerkennung
derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt. Die Gefahr drohender Folter und menschenrechtswidriger Behandlung in der Türkei besteht auch heute noch. Nach wie vor finden die Gesetzesänderungen und Versprechungen der Türkei im Rahmen des Beitrittsprozesses, Menschenrechtsverletzungen wie u.a. Folter und unmenschliche Behandlung einzudämmen und zu reglementieren in der Praxis wenig Niederschlag. Das ergibt sich aus etlichen Menschenrechtsberichten der letzten Zeit. Im Hinblick auf die Vielzahl dokumentierter Menschenrechtsverletzungen und Analysen renommierter Menschenrechtsorganisationen fügen wir lediglich im Anhang den Artikel „Folter weiter routinemäßig“ von Gerd Höhler aus der Frankfurter Rundschau vom 30.4.2004 bei. Regelmäßige Berichte amnesty internationals gab es darüber, dass Festgenommene geschlagen, nackt ausgezogen, sexuell drangsaliert und wiederholt verbal eingeschüchtert wurden – auch mit Morddrohungen, mitunter begleitet von Scheinhinrichtungen, und ihnen Schlaf, Essen, Trinken und Benutzung der Toilette verweigert wurden (vgl. Memorandum to the Turkish Prime Minister, AI Index: EUR 44/001/2004, S.4). 5. Allein wegen Folter wurde die Türkei laut Informationsdienst Menschenrechte Nr. 210-211 des IMK bisher in 392 Verfahren bis heute zu Wiedergutmachungsstrafen in Höhe von 4,3 Millionen Euro verurteilt. Allein 2003 wurden 2616 Verfahren gegen die Türkei aufgrund verschiedener Menschenrechtsverletzungen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig gemacht. 2003 wurden 77 Verfahren entschieden, wobei in 76 Verfahren Urteile wegen Menschenrechtsverletzungen gegen die Türkei ergingen (Informationen des Europäischen Rats zur Türkei/ Homepage). Wenn man dann noch berücksichtigt, dass nur ein Bruchteil der von schweren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei Betroffenen Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegt, kann man sich das tatsächliche Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen vielleicht vorstellen.
1.
Unseres Erachtens steht schon jetzt auch ohne detaillierte Prüfung
der durch die Türkei noch einzureichenden Auslieferungsunterlagen
aus folgenden Gründen fest, dass eine Auslieferung an die Türkei
unzulässig ist: 2. Dadurch, dass die Anerkennung als politischer Flüchtling durch einen der Vertragsstaaten der europäischen Abkommen betreffend Flüchtlingsstatus, Asylverfahren und Auslieferung keine wechselseitige Bindungswirkung entfaltet, besteht eine verhängnisvolle Lücke im Schutz politischer Flüchtlinge, welche durch ausdrückliche und verbindliche Regelungen in den entsprechenden Abkommen geschlossen werden muss. Die momentanen weitreichenden Aktivitäten auf europäischer Ebene zur weiteren Vereinheitlichung sowohl der Bestimmungen zum Asylverfahren als auch der Bestimmungen zum Auslieferungsverkehr sollten daher auch genutzt werden, um die gegenseitige Verbindlichkeit der Asylanerkennung durch einen der Mitgliedsstaaten in Form eines ausdrücklichen Auslieferungsverbots zu implementieren. Wir möchten Sie bitten, im Rahmen Ihrer Aktivitäten und Möglichkeiten in Ihrem jeweiligen Land über das vorliegende Verfahren sowie die oben angerissenen Unzulänglichkeiten europäischer Regelungen zu informieren und die Öffentlichkeit zu unterrichten. Selbstverständlich ist das zuständige Gericht in Polen unabhängig. Aber ab dem 18. Tag der vorläufigen Auslieferungshaft kann die vorläufige Haft jederzeit aufgehoben werden, wenn die Auslieferungsunterlagen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegen (Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk). Dies gilt erst recht, wenn ernsthafte Zweifel an der Zulässigkeit der Auslieferung bestehen. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich im Rahmen Ihrer Öffentlichkeitsarbeit -
für die sofortige Freilassung Behsat S.` sowie einsetzen würden. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Justizministerium
der Republik Polen/ Fax
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