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EU und die Türkei aus Sicht der Kurden
Der Bericht des Europäischen Parlamentes unter Federführung von Herrn Oostlander vom 5. November 2003 macht deutlich, dass die Türkei die notwendigen Veränderungen nicht in angemessener Weise durchführt. Leider finden diese Mängel im überwiegenden Teil der Medien keinen Widerhall. Die Kurdische Frage wird von der türkischen Regierung als Sicherheitsproblem behandelt, während sie in Wirklichkeit eine Frage politischer, sozialer und kultureller Rechte ist. Tatsächlich braucht die Türkei dringend echte Veränderungen. Dabei ist es wichtig sicherzustellen, dass es sich um echte Veränderungen und nicht lediglich um Veränderungen verbaler Natur handelt. Die größten Hindernisse auf dem Weg der Türkei zu Reformen und damit in die EU, sind die kurdische Frage und die Notwendigkeit der Demokratisierung. Diese beiden Elemente sind voneinander untrennbar. Ein Vergleich wäre angebracht um die Dimension und Wichtigkeit des Problems zu verdeutlichen. Im Endeffekt werden nicht nur die Türken der EU beitreten, sondern mit ihr zusammen etwa 20 Mio. Kurden. Die Bevölkerungszahl von 19 EU-Mitgliedsstaaten der EU liegt unter 20 Mio. Wie will die Türkei den Weg zur EU voranschreiten, wenn sie die Identitäts-, politischen-, kulturellen- und sozialen Probleme einer so großen Bevölkerungsgruppe ungelöst lässt? Kann die EU die Türkei auf diese Weise akzeptieren? Bedeutet die Aufnahme der Türkei mit der ungelösten kurdischen Frage nicht auch die Aufnahme einer historischen Frage in die Union? Die Notwendigkeit einer Lösung der Kurdischen Frage ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Angefangen im Jahre 1992, als das Europäische Parlament anerkannte, dass den Kurden Rechte zustehen, bis zum EU-Bericht von 1998, in dem die Notwendigkeit einer friedlichen Lösung formell anerkannt wurde. Trotzdem wird weiterhin an der Politik der Lösungslosigkeit festgehalten.
Die Freilassung der vier DEP-Abgeordneten ist eine positive Entwicklung, die dennoch nicht ausreicht. Denn noch immer befinden sich Tausende von kurdischen Politikern im Gefängnis. Zerstörte und gewaltsam geräumte Dörfer in der Region wurden nicht wiederaufgebaut, ihre Bewohner durften nicht in ihre Häuser zurückkehren. Das System der „Dorfschützer“ mit seinen offiziell 58.551 Mitgliedern wurde nicht abgeschafft. Der Weg für einen friedlichen Dialog mit kurdischen Vertretern ist weiterhin blockiert. Zudem bleibt die kurdische Identität immer noch nicht-existent in grundlegenden Bereichen staatlichen Rechts. Bestimmungen der Europäischen Konvention hinsichtlich Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Respektierung der Menschenrechte sollten in der Türkei ebenso gelten und von ihr eingefordert werden wie in jedem anderen Staat der Union. Wir erwarten keine Lösung der kurdischen Frage von Zauberhand. Allerdings erwarten wir gegenseitigen Respekt, guten Willen, Kooperation und eine Garantie unserer kurdischen Identität durch die Verfassung. Trotz aller Hindernisse beharren die Kurden auf einer friedlichen Lösung und haben dies in vielfältiger Weise verdeutlicht, insbesondere auch während der vergangenen fünf Jahre, als sie einseitig Waffenstillstände ausriefen und Strategien dafür entwickelten, wie die kurdische Frage auf demokratisch-friedlichem Wege lösbar wäre. Die Kurden wollen ihre offizielle Anerkennung und eine Garantie all ihrer Rechte. Sie wollen einfach nur ihre Rechte ausüben in Bezug auf Sprache, Kultur und Politik. Viele Mitgliedsstaaten der EU haben ähnliche Probleme wie die Türkei. In Spanien, Belgien und Britannien konnten jedoch auf dem Wege des friedlichen Dialogs echte Fortschritte erzielt werden. Warum sollte das mit den Kurden anders sein? Kann nicht auch hier eine Lösung auf dem Wege des friedlichen Dialogs gefunden werden? Bei genauerer Betrachtung
des Problems wird deutlich, dass es im Kern um Folgendes geht: Wir hegen ernsthafte Zweifel, was die Absichten der türkischen Regierung angeht, die europäischen Standards im Hinblick auf die Rechte der Kurden zu akzeptieren. Klar ist, dass die Türkei versucht, ihre eigene Interpretation der Kopenhagener Kriterien durchzusetzen. Die kurzfristigen und langfristigen Ziele des Partenaria-Dokuments, das vom Europäischen Rat am 8.November 2000 veröffentlicht wurde, sind ebenfalls Gegenstand dieser revidierten Interpretation.
Wir möchten die EU auf die Risiken aufmerksam machen, die mit einer Schwächung der Bedeutung der Kurdischen Frage und der Demokratie in der Türkei verbunden sind:
2. Kulturelle Pluralität wird immer noch völlig abgelehnt; die Freiheit kulturellen Ausdrucks sowie Rechte für nicht-türkische Sprach- und Volksgruppen sind immer noch nicht gegeben. 3. Immer noch werden repressive rechtliche Maßnahmen eingesetzt in allen Fällen, in denen es um die Freiheit des Ausdrucks und der Organisierung geht. 4. Die Fortsetzung der Beschränkungen für die kurdische Sprache in allen Medien und im Bildungssystem hat es der Türkei erlaubt, ihre Assimilationspolitik für die Kurden weiter zu beschleunigen. Dieser Umstand macht es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, sich die Unterstützung aus Hilfsprogrammen der EU, wie z.B. MEDA, zunutze zu machen. 5. Die Weigerung, das Land zu dezentralisieren. 6. Fortsetzung der wirtschaftlichen Entwicklungspolitik in den westlichen Landesteilen, in denen überwiegend Türken leben, im Gegensatz zu den Regionen im Osten in denen Kurden leben. Es ist außerdem wichtig anzumerken, dass die westlichen Regionen Entscheidungen treffen, die für den Osten ebenfalls gültig sind, ohne aber diesen an den Entscheidungen teilhaben zu lassen. 7. Es gibt eine Verweigerungshaltung, wenn es darum geht, die Notwendigkeit einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage zu akzeptieren und eine solche zu suchen. Ebenso weigert man sich, einen offenen Dialog mit kurdischen Vertretern zu beginnen (die bereits zahllose Versuche in dieser Richtung unternommen haben). 8. Die dominierende Position des türkischen Militärs in den politischen Angelegenheiten des Landes bleibt unverändert. 9. Druck und Repressionen gegen Journalisten und Intellektuelle setzen sich fort. 10. Physische und psychologische Folter sind immer noch gängige Praxis und werden weiterhin in vollem Umfang gegen jede Art von Opposition gegen die türkische nationalistische Ideologie eingesetzt.
Um dauerhaft zu Stabilität,
Freiheit und Demokratie zu kommen, müssen folgende Forderungen erfüllt
werden.
Dazu müssen: 1. Militärische Operationen in den kurdischen Gebieten beendet werden. 2. Der übermäßige militärische Aufbau in den kurdischen Gebieten müssen verändert werden. 3. Der Ausnahmezustand mitsamt seinen Gesetzen und Institutionen sowie das „Dorfschützer“ System vollständig aufgehoben werden. 4. Das „Reuegesetz“, das die Betroffenen erniedrigen und ihres Charakters und ihrer Menschlichkeit entkleiden soll, ersetzt werden durch eine allgemeine politische Amnestie, die alle politischen Gefangenen einschließt, auch Abdullah Öcalan. 5. Resolutionen des EP und des EC bezüglich der Lösung der kurdischen Frage respektiert und umgesetzt werden. 6.Städte und Dörfer, die von der türkischen Regierung zerstört wurden, wieder aufgebaut werden; sowie Entschädigungszahlung an die Zwangsvertriebenen vollzogen werden. 7. Alle Rechte, die für das türkische Volk gelten, auch für das kurdische Volk gelten. 8. Kurdische Identität, Kultur und Sprache vollständig offiziell anerkannt werden. 9. Zentren für die Entwicklung von kurdischer Sprache, Kultur, Geschichte und Musik eingerichtet werden. 10. Die ursprünglichen Namen aller kurdischen geografischen Regionen, die im Zuge der staatlichen Assimilationspolitik ins Türkische geändert wurden, wiederhergestellt werden. 11. Das Rechtssystem dahingehend reformiert werden, dass es echten Pluralismus erlaubt, so dass Kurden und andere nationale Minderheiten ihre Rechte frei in Anspruch nehmen können. 12. Ein Wirtschafts-
und Sozialplan für die Entwicklung der kurdischen Regionen aufgestellt
werden. 14. Alle Verbote und Behinderungen für kurdische politische Organisationen sofort aufgehoben werden und ihre freie politische Betätigung zugelassen werden.
Um dieses Problem wirksam zu lösen, müssen Türken und Kurden willens sein, konkrete Schritte auf der Suche nach einer politischen Lösung zu unternehmen auf dem Wege des offenen Dialoges. Beide Seiten müssen zum Kompromiss bereit sein. Um die türkische Regierung hinsichtlich der territorialen Integrität des Landes zu beruhigen, verpflichten sich die Kurden auf der Grundlage der Konventionen und Prinzipien der EU, sowie des Europäischen Rates, die folgenden Prinzipien zu respektieren: 1. Die Kurden werden die territoriale Integrität der Türkei respektieren. 2. Die Kurden werden, wie sie es bereits früher angekündigt haben, allen bewaffneten Widerstand beenden, wenn der Weg des Dialoges eröffnet wird und somit der politische Prozess ausschliesslich zur Methode der Lösung politischer Probleme wird. 3. Die Kurden werden sich an die demokratischen Standards und Prinzipien der EU in rechtlicher, wirtschaftlicher und menschenrechtlicher Hinsicht halten. Kommission
für Außenbeziehungen des Kurdistan Volkskongresses (Kongra
Gel)
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