INTERNATIONAL
INITIATIVE BRIEFINGS:
Schwarzer
Oktober – Geheimdienste, Türkei, EU und der Fall Öcalan
Die Geschichte ist bekannt: Am 15. Februar 1999 wurde der Kurdenführer
Abdullah Öcalan in einer Nacht und Nebelaktion von Kenia in
die Türkei verschleppt, unter maßgeblicher Beteiligung
des CIA, MIT und Mossad. Vorausgegangen war eine Odyssee zwischen
Damaskus, Moskau, Athen, Rom und Amsterdam, die am 9. Oktober 1998
ihren Anfang nahm; weshalb dieses Datum dem Großteil der Kurden
als schwarzer Tag gilt.
Die vorausgegangen deutlichen Kriegsdrohungen der Türkei gegen
Syrien, die mit militärischen Seemanövern der U.S. Navy
im östlichen Mittelmeerraum vor Syrien unterstrichen wurden,
veranlassten Abdullah Öcalan, Syrien zu verlassen. So wollte
er auch einen Krieg zwischen den beiden Ländern vermeiden,
der verheerende Folgen für die gesamte Region nach sich gezogen
hätte.
Sein Weg führte ihn nach Europa, wo er für eine politische
Lösung der kurdischen Frage werben wollte. Die ausgestreckte
Friedenshand wurde nicht ergriffen. Kein europäisches Land
wollte es riskieren, sich aufgrund einer undankbaren Problematik
wirtschaftlichen Nachteilen nachhaltig auszusetzen. Menschenrechte
und Rechtsprinzipien traten dabei in den Hintergrund. Letztendlich
ermöglichte die ambivalente Haltung Europas erst die erfolgreiche
Verschleppung - krimineller Schlusspunkt unter einem völkerrechtswidrigen
Akt; klägliches Scheitern einer ominösen europäischen
Rechtskultur.
Seitdem wird Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali
im türkischen Marmarameer gefangen gehalten. Er ist der einzige
Gefangene in der Festung. Oftmals werden Anwalts- und Familienbesuche
willkürlich verhindert. Informationsmöglichkeiten bestehen
kaum. Die Haftbedingungen auf Imrali finden in der Türkei kein
vergleichbares Beispiel. Durch die langjährige Isolationshaft
ist der Gesundheitszustand Abdullah Öcalans stark beeinträchtigt.
Deswegen empfiehlt auch das Antifolterkomitee des Europarates (CPT)
die Aufhebung der Isolationshaft und eine spürbare Verbesserung
der Haftbedingungen. Weder die Türkei noch der Europarat sind
bisher den Empfehlungen des CPT gefolgt. Im Gegenteil wurden die
Haftbedingungen Abdullah Öcalans noch weiter verschärft.
Seine Rechte als politischer Gefangener werden ihm systematisch
vorenthalten. Die universellen Menschenrechte scheinen im Fall Öcalan
keine Gültigkeit zu besitzen.
Im Rahmen des Annäherungsprozesses an die Europäische
Union hat die Türkei vielerlei Anstrengungen für einen
demokratischen Umbau unternommen. Dies ist durchaus als positiv
zu bewerten. Die auf den Weg gebrachten Reformen gestehen indirekt
auch den Kurden begrenzte sprachliche und kulturelle Rechte zu.
In der Praxis hat sich dies leider vorwiegend als Makulatur erwiesen.
Immer noch hält die katastrophale Menschenrechtslage an. Weiterhin
werden Oppositionelle repressiv verfolgt.
Die Haftbedingungen auf Imrali, aber auch in anderen türkischen
Gefängnissen, spiegeln somit auch die Gesamtsituation des Landes
wieder. Sie zeigen, wie weit die Türkei noch von wirklicher
Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Europa entfernt ist. Darüber
kann auch der aktuelle Bericht der EU-Kommission zur Türkei
nicht hinweg täuschen, der sich für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen
unter Vorbehalt ausspricht. Die kurdische Frage ist wieder einmal
nicht benannt worden, obwohl diese eines der schwerwiegendsten Probleme
der Türkei darstellt. Die Lösung der kurdischen Frage
ist eine der Grundvoraussetzungen für die Demokratisierung
der Türkei. Die Probleme müssen beim Namen genannt werden,
wenn sie gelöst werden sollen. Eine Lösung kann nur auf
dem Wege des Dialoges erreicht werden. Diesen mit den Kurden aufzunehmen
wurde bisher versäumt. Die wieder aufflammenden Kämpfe
zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla zeigen,
wie überfällig ein solcher Schritt ist. Ansprechpartner
sind ausreichend vorhanden.
Einer davon ist Abdullah Öcalan. Er gilt in weiten Kreisen
der kurdischen Gesellschaft als nationale Führungspersönlichkeit.
Seine konstruktiven friedenspolitischen Bemühungen der letzten
Jahre haben gezeigt, dass er eine wichtige Funktion bei der Suche
nach einer friedlichen Lösung des Konfliktes innehat. Deshalb
ist eine Lösung der kurdischen Frage in der Türkei eng
mit dem weiteren Schicksal des Kurdenführers verbunden. Seine
Freilassung ist nicht nur eine Forderung, die deshalb weiter aufrechterhalten
muss; sie ist auch ein Akt der Vernunft.