Köln,
6. Dezember 2004
INTERNATIONAL INITIATIVE
INFORMATION FILES:
Überfallartige
Durchsuchung des Büros der Öcalananwälte
Am 3. Dezember 2004 wurden in Istanbul die Räumlichkeiten des
Asrin Hukuk Büro, das Abdullah Öcalan rechtlich vertritt,
von Einheiten des Anti-Terror-Kommandos überfallartig durchsucht.
Die Untersuchung dauerte ca. dreizehn Stunden. Zahlreiche Akten, Unterlagen
und Bücher sowie die Computer des Büros wurden beschlagnahmt.
Die Polizeiaktion wurde mit den Haftbefehlen begründet, die erst
kürzlich gegen zwei der Verteidiger Öcalans, Irfan Dündar
und Mahmut Sakar, ergangen waren. Diese Begründung ist mehr als
fragwürdig, da die Privatwohnungen der genannten Anwälte
von der Durchsuchung ausgespart wurden. Vielmehr deutet alles darauf
hin, dass sich die Aktion insgesamt gegen das Büro richtete.
Gleichzeitig ist diese Aktion ein Novum. Selbst in der heißen
Phase nach der völkerrechtswidrigen Verschleppung des Kurdenführers
am 15. Februar 1999, als es zu tätlichen Übergriffen auf
seine Verteidiger kam, gab es kein vergleichbares Beispiel. Bisher
wurden jedoch einige Hundert Ermittlungsverfahren gegen die Verteidiger
Öcalans eingeleitet.
Hintergrund
In den letzten Wochen ist der Druck auf die Rechtsanwälte von
Abdullah Öcalan spürbar verstärkt worden. Dem waren
verschiedene Äußerungen ranghoher türkischer Militärs
vorausgegangen, in denen Öcalans Rechtsvertreter als dessen Handlanger
bezeichnet wurden, mittels derer Öcalan seine Organisation führe.
Abgesehen davon, dass dies aus der Isolationshaft kaum möglich
wäre, stören sich die Militärs an der weiterhin ungebrochenen
Sympathie der Kurden für Abdullah Öcalan und dem positiven
Einfluss, den er nach wie vor auf die Politik des Landes ausübt.
Außerdem bemängelten die Militärvertreter, dass bisher
sämtliche Verfahren, die gegen die Öcalan-Anwälte eingeleitet
wurden, ohne Folgen geblieben seien. Infolgedessen leitete die Staatsanwaltschaft
weitere Verfahren gegen die Rechtsanwälte Dogan Erbas, Aysel
Tugluk, Okan Yildiz, Bekir Kaya, Devrim Baris Baran und Ayse Batumlu
ein. Die “Kampagne” gegen die Rechtsvertreter Öcalans
ging sogar soweit, dass der Militärstaatsanwalt beim türkischen
Justizministerium die Genehmigung beantragte, die Rechtsanwälte
vor einem Militärgericht anklagen zu dürfen.
Was wird mit diesem Vorgehen beabsichtigt?
Im Zusammenhang mit der EU-Beitrittsdebatte in der Türkei erscheint
obiges Vorgehen in einem anderen Licht. Nach wie vor bekleiden reformfeindliche
Kräfte innerhalb des Staates einflussreiche Positionen. Insbesondere
die alte Garde der türkischen Armee kann sich nur schwer mit
einem Demokratisierungsprozess des Landes abfinden, in dessen Verlauf
sie ihren bisherigen Einfluss und ihre bisherige Macht verlieren würde.
Insbesondere die kurdische Frage wird von ihnen als Bedrohung für
die Einheit des Landes aufgefasst. Dem liegt eine lange Tradition
der Verleugnungs- und Vernichtungspolitik gegenüber den Kurden
zugrunde, welche die Militärs als selbsternannte Hüter des
Staates aus der türkischen Verfassung ableiten, die auf dem Territorium
der Türkei keine andere Ethnie als die der Türken anerkennt.
So werden sämtliche Versuche, aus dem maroden Staatsaufbau des
Landes eine moderne Demokratie zu formen, als unmittelbare Gefahr
für den Fortbestand der Türkei gesehen. Dies schlägt
sich auch in einer scharfen EU-kritischen Haltung der Militärs
und einiger kemalistischer Eliten nieder. Hierbei scheint ihnen insbesondere
die konstruktive Rolle Abdullah Öcalans bei der Suche nach einer
politischen Lösung der kurdischen Frage und der demokratischen
Transformation des Landes ein Dorn im Auge zu sein. Die VVerschärfung
seiner Haftbedingungen, die Ausweitung seiner Isolation und die Diskreditierung
seiner Rechtsvertreter so nur die logische Konsequenz.
Erneute Einschüchterungsversuche gegenüber den Kurden
Insbesondere die Kurden der Türkei sehen im Beitrittsprozess
zur EU eine Möglichkeit, ihre politischen und kulturellen Rechte
zu verwirklichen. Aus diesem Grund unterstützen sie mehrheitlich
die Beitrittsambitionen der Türkei. So scheint die kurdische
Frage zu einem Lackmustest für die die Aufnahme der Türkei
in die EU zu werden. Eine erneute Verschärfung des türkisch-kurdischen
Konfliktes, welche die reform- und demokratiefeindlichen Kräfte
innerhalb der Türkei forcieren, würde den Beitrittsprozess
der Türkei gefährden. Mit extralegalen Hinrichtungen, wie
der des zwölfjährigen Ugur Kaymaz und seines Vaters in Mardin/Kiziltepe
vor zwei Wochen, sowie der des 19jährigen Hirten Fevzi Can in
Semdinli, als auch mit der „Kampagne“ gegen die Rechtsanwälte
Öcalans soll die kurdische Öffentlichkeit eingeschüchtert
und zu unüberlegten Handeln provoziert werden. Gleiches gilt
auch für den KONGRA-GEL. So reagieren die Kurden insbesondere
auf Angriffe gegen die Person Abdullah Öcalans sensibel, da dieser
auch nach seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung in weiten
Teilen der kurdischen Gesellschaft ein hohes Ansehen genießt.
Die internationale Öffentlichkeit ist gefordert
Als Internationale Initiative unterstützen wir den EU-Beitritt
der Türkei, wenn damit die Lösung der kurdischen Frage und
eine wirkliche Demokratisierung des Landes verbunden sind. Jedoch
vertreten wir die Auffassung, dass der Beitrittsprozess nicht nur
eine Angelegenheit von Brüssel und Ankara ist. Vielmehr ist es
nötig, mit zivilgesellschaftlichen Initiativen diesen Prozess
zu begleiten. Jeder Protest gegen Menschenrechtsverletzungen und Beschneidung
von demokratischen Freiheiten in der Türkei gewinnt im Zusammenhang
des Beitrittsprozesses an Gewicht. Die internationale Öffentlichkeit
ist gefordert.
Seit Jahren arbeiten wir mit den Verteidigern von Abdullah Öcalan
zusammen. Neben ihrer anwaltlichen Beschäftigung haben sie sich
stets für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen
Konflikts und für die Demokratisierung des Landes eingesetzt.
So begreifen sie sich nicht nur als Anwälte, sondern auch als
Menschenrechtsaktivisten, die sich um die weitere Zukunft ihres Landes
sorgen. Oftmals übermittelten sie der türkischen und kurdischen
Öffentlichkeit die Lösungsvorschläge und Friedensangebote
ihres Mandanten. Das geschah oft unter hohem Risiko. Viele von ihnen
sehen sich massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt. Nach jedem
Mandantenbesuch müssen sie mit staatlicher Verfolgung rechnen.
Unter den jetzigen Bedingungen sind ihnen eine angemessene Ausübung
ihres Berufes und eine adäquate Verteidigung ihres Mandanten
fast unmöglich. Dies zeigt, dass die Türkei noch weit von
Rechtstaatlichkeit entfernt ist. Deshalb bedürfen die Menschenrechtsaktivisten
in der Türkei, und somit auch die Öcalananwälte, dem
Schutz und der Unterstützung der internationalen Öffentlichkeit.
Diese zu gewähren, dazu laden wir Sie ein. Protestieren sie gegen
das illegale Vorgehen der türkischen Behörden!
PROTESTFAX AN:
Mr. Cemil Çiçek, Ministry of Justice, Adalet Bakanligi,
06659 Ankara, TÜRKEI
(Justizminister – korrekte englische Anrede: Dear Minister)
E-Mail: cemilcicek@adalet.gov.tr
Telefax: (00 90) 312 417 7113
KOPIE AN:
Mr Abdullah Gül, Foreign Minister and State Minister for Human
Rights, Office of the Prime Minister, Basbakanlik, 06573 Ankara, TÜRKEI
(Außenminister – korrekte englische Anrede: Dear Minister)
E-Mail: abdullah.gul@basbakanlik.gov.tr
Botschaft der Republik Türkei, Rungestraße 9, 10179 Berlin
(S. E. Herrn Mehmet Ali Irtemcelik)
Telefax: 030-2759 0915
E-Mail: turk.em.berlin@t-online.de