Köln,
08. Februar 2005
INTERNATIONAL INITIATIVE BRIEFINGS:
Wir wollten
eine Tür für einen politischen Weg öffnen...
Interview mit Mahmut Sakar, Rechtsanwalt von Abdullah Öcalan
von Patrick Lipke
/ Übersetzung aus dem Türkischen: Hatun Citken
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Mahmut
Sakar kommt regelmäßig nach Deutschland, um in kurdischen
Gemeinden Vorträge zu halten. Seit letztem Oktober ist der
38-Jährige wieder hier. Jedoch diesmal ist sein Aufenthalt
unbestimmt. Denn kurz nach seiner Abreise aus der Türkei
wurden Haftbefehle gegen den Öcalan-Anwalt erlassen. Wir
haben den Rechtsanwalt in Bochum getroffen. |
Wie
sind sie dazu gekommen Abdullah Öcalan zu vertreten?
Als Herr Öcalan 1999 zurück in die Türkei gebracht
worden war, machte die Regierung eine psychische Propaganda, kein
Rechtsanwalt würde ihn vertreten wollen. Dies hat mich letztlich
dazu bewogen. Aber natürlich hatte es auch mit meinem kurdischen
Hintergrund und meinem Beruf als Anwalt zu tun.
Haben Sie je daran geglaubt, die Verurteilung zur Todesstrafe
abwenden zu können?
Es war eigentlich von vorneherein klar, dass die Todesstrafe gegen
Herrn Öcalan verhängt werden würde. Ob wir uns als
Anwälte da einsetzen oder nicht. Es war für den türkischen
Staat ganz wichtig, hinterher seinen Leuten zu sagen, wir haben ihn
zum Tode verurteilt. Es war auf der juristischen Ebene gar nicht ein
so wichtiger Prozess, sondern mehr auf der politischen Ebene. Wir
wollten eine Tür für einen politischen Weg öffnen (…)
Wie lief der Prozess aus Ihrer Sicht ab?
Zu Beginn haben wir auf die Freilassung von Herrn Öcalan plädiert.
Jedoch im Verlauf der Verhandlung wollten wir den Kurs ändern.
Unserer Meinung nach musste auch der türkische Staat vor Gericht.
Denn es ging bei dem Prozess nicht allein um Herrn Öcalan, sondern
auch um die kurdische Auseinandersetzung. Dies ist eine zweiseitige
Sache. In der Zeit, als Herr Öcalan aktiv war, gab es von türkischer
Seite legale Hinrichtungen, wurden kurdische Dörfer entvölkert
und verbrannt. Für genau diese Geschehnisse haben wir viele Zeugen
benannt. Aber diese wurden nicht anerkannt. Das ganze Verfahren lief
nicht gegen den Staat sondern allein gegen Herrn Öcalan.
Wann haben Sie das letzte Mal mit Öcalan gesprochen?
Letzten Oktober, eine Woche bevor ich hier nach Deutschland kam.
In welcher Verfassung war er?
Sein Zustand hatte sich seit dem letzten Treffen verschlechtert. Er
litt an Atemwegsbeschwerden und Schlafstörungen. Das liegt wahrscheinlich
an der hohen Luftfeuchtigkeit und der schlechten Belüftung in
seiner Zelle.
Worüber haben Sie mit ihm gesprochen?
Allgemein über die Neuigkeiten auf der Welt, speziell über
den Irak-Krieg und den Friedensprozess in der Türkei. Natürlich
auch über die angestrebte EU-Mitgliedschaft der Türkei.
Was denkt Öcalan über den EU-Beitritt?
Herr Öcalan sagt, er habe diesen Weg aufgemacht. Denn durch ihn
sei der Krieg zwischen der PKK und der Türkei beendet worden.
Jedoch habe sich die Situation nun wieder verschlechtert. Herr Öcalan
kritisiert die europäischen Politiker, sie würden sich nicht
mit den Problemen der Kurden auseinandersetzen. Wenn die EU-Länder
wirklich wollen, dass dieses Problem gelöst wird, müssen
sie bei dem Konflikt eine Vermittlerrolle zwischen den Kurden und
Türken übernehmen.
Inwiefern hat sich die Situation verschlechtert?
In den sechs Jahren hat Öcalan versucht, auf eine Friedensphase
zu gehen und strategischen Änderung im türkischen Staat
hin zu Frieden und Demokratie gefordert. Es hat einzelne Schritte
in diese Richtung gegeben und man hatte große Hoffnungen, dass
sich im Zuge der Vorverhandlungen zum EU-Beitritt noch mehr ändern
würde. Aber leider gab es keine wirklich ernsthaften Schritte
in diese Richtung. Durch Attentate auf kurdische Zivilisten wie kürzlich
in Sirnak ist das Kriegspotential in der Region wieder gestiegen und
so langsam gibt es immer mehr bewaffnete Auseinadersetzungen in der
Region.
Wie will sich Öcalan nun verhalten?
Herr Öcalan ist der Meinung, er habe während der sechs Jahre
Haft alles ihm Mögliche versucht. Jedoch hat sich die Situation
trotzdem verschlechtert. Nun will er keinen Einfluss mehr nehmen und
nicht mehr zwischen Staat und Kongra Gel vermitteln.
Waren Sie sich der Gefahr bewusst, als sie Öcalans
Mandat übernahmen?
Ich habe damals nicht lange überlegt und das Mandat spontan übernommen.
Für mich war das selbstverständlich. Mir war die Gefährlichkeit
der Situation bewusst. In meiner Heimatstadt Diyarbakir hatte ich
Mitglieder kurdischer Parteien vertreten. Dies war mit einem ähnlichen
Risiko verbunden.
Mussten Sie deswegen Angriffe auf Ihre Person erdulden?
Es hatte zwei Seiten. Von den Kurden wurde ich natürlich respektiert,
aber von den türkischen Nationalisten angegriffen, beleidigt
oder auf offener Straße beschimpft.
Seit wann liegen in der Türkei gegen Sie Haftbefehle
vor?
Zwei Wochen nachdem ich hier in Deutschland war, gingen gegen mich
und auch andere Rechtsanwälte Haftbefehle raus. Leute, die in
der Türkei im Gefängnis sitzen, haben gegen mich ausgesagt,
ich sei Mitglied von Kongra Gel. Ich will erst mal abwarten, wie es
weitergeht. Ich bleibe jetzt erst mal hier, ich habe ein dreimonatiges
Visum.
Werden Sie jetzt nicht mehr in die Türkei zurückkehren?
Ich will schon wieder gerne zurück. In Istanbul läuft das
Hauptverfahren gegen mich. Ein weiteres Verfahren läuft in Diyarbakir.
Dort wird mir PKK-Mitgliedschaft vorgeworfen. Sie fordern zwölfeinhalb
Jahre Gefängnis. Und wenn in Istanbul 15 bis 20 Jahre Freiheitsstrafe
gefordert werden, ist das natürlich ein schwerer Schritt zurückzugehen.
Ich muss jetzt erst einmal abwarten.
Quelle: http://www.donews.de/Der_Anwalt_OEcalans.688.0.html