Köln,
15. Februar 2005
INTERNATIONAL INITIATIVE BRIEFINGS:
6 Jahre Isolation, 6 Jahre Folter:
Der
Fall Öcalan als Lackmustest für die türkisch-europäische
Menschenrechtspolitik
Am 15. Februar 1999 wurde der Kurdenführer Abdullah Öcalan
von Kenia in die Türkei verschleppt. Vorausgegangen war eine
wochenlange Odyssee zwischen Damaskus, Moskau, Athen, Rom und Amsterdam
– krimineller Schlusspunkt unter einem völkerrechtswidrigen
Piratenakt, unter maßgeblicher Beteiligung des CIA, MIT und
Mossad – klägliches Scheitern einer ominösen europäischen
Rechtskultur.
Seitdem wird Abdullah Öcalan unter menschenunwürdigen Isolationshaftbedingungen
auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali gefangen gehalten.
Sein Gesundheitszustand ist stark angegriffen. Besuche seiner Rechtsanwälte
und Angehörigen werden häufig willkürlich verweigert.
Seine Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten sind äußerst
beschränkt. Die Rechtsanwälte, die den Kurdenführer
rechtlich betreuen, werden kriminalisiert. Viele von ihnen müssen
mit hohen Haftstrafen rechnen.
Einerseits fordert das Antifolterkomitee des Europarates (CPT) die
Aufhebung der Isolationshaft von Abdullah Öcalan, andererseits
unternimmt der Europarat keine Schritte, um die Forderung einer seiner
Institutionen Nachdruck zu verleihen. Der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte beschäftigt sich schon seit Jahren mit
dem Fall Öcalan. Immer noch ist kein Urteil gefasst, nach wie
vor wird das Beschwerdeverfahren verzögert.
Der 15. Februar 1999 war jedoch auch ein Wendepunkt im türkisch-kurdischen
Konflikt. Die Hoffnungen auf einen Niedergang des kurdischen Aufstands
stellten sich schnell als nichtig heraus. Trotz drohender Hinrichtung
bot Öcalan seine Hand zum Frieden und rief die kurdischen Rebellen
zur einseitigen Beendigung des blutigen Krieges auf. Gleichzeitig
verband er dies mit der Forderung nach Anerkennung kultureller und
sprachlicher Rechte für die Kurden und einer tief greifenden
Demokratisierung der Türkei. Erst dieses Friedensangebot eröffnete
der Türkei die europäische Perspektive, die mit der Zuerkennung
des Beitrittskandidatenstatus verbunden ist.
Mit dem Beschluss der Europäischen Union vom 17. Dezember 2004,
im Oktober 2005 Beitrittsgespräche mit der Türkei aufzunehmen,
ist eine neue politische Situation eingetreten. Ohne große Zugeständnisse,
außer in der Zypernfrage, hat die Türkei ihr Ziel, einen
Termin für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen zu erhalten,
erreicht. Wider besseres Wissen um die katastrophale Menschenrechtslage
in der Türkei hat die EU eine weitgehende Erfüllung der
Kopenhagener Kriterien festgestellt. Und dies trotzt der alarmierenden
Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch,
Amnesty International und des türkischen Menschenrechtsvereins
(IHD) über fortgesetzte Folter auf in türkischen Polizeiwachen
und Gefängnissen. Die kurdische Frage blieb auch auf dem EU-Gipfel
vom 17. Dezember 2004 ausgespart. Immer noch harrt sie ihrer Lösung.
Europa hingegen begnügt sich nicht nur damit, sich aus seiner
Verantwortung zu stehlen, indem es das Problem ignoriert. Einzelne
Mitgliedstaaten wie Deutschland beziehen so gar einseitig Position,
indem sie kurdische Politiker kriminalisieren und somit die Türkei
in ihrer kurdenfeindlichen Politik ermutigen.
Zwar hat die Türkei im Rahmen des Annäherungsprozesses an
die Europäische Union vielerlei Anstrengungen für einen
demokratischen Umbau unternommen. Dies ist durchaus als positiv zu
werten. Die auf den Weg gebrachten Reformen gestehen indirekt auch
den Kurden begrenzte sprachliche und kulturelle Rechte zu. In der
Praxis hat sich dies leider vorwiegend als Makulatur erwiesen. Immer
noch halten die systematischen Menschenrechtsverletzungen an der kurdischen
Zivilbevölkerung an. Weiterhin werden Oppositionelle repressiv
verfolgt. Extralegale Hinrichtungen, wie kürzlich in Kiziltepe,
wo ein zwölfjähriger Junge und sein Vater buchstäblich
von Kugeln durchsiebt wurden, nehmen wieder zu. Friedlichen Protesten
der Zivilbevölkerung wird nach Jahren relativer Ruhe wieder mit
Waffengewalt begegnet. Eine politische Lösung der kurdischen
Frage scheint wieder in weite Ferne gerückt.
So spiegeln die Haftbedingungen auf Imrali, aber auch in anderen türkischen
Gefängnissen, exemplarisch die Gesamtsituation des Landes wieder.
Sie zeigen, wie weit die Türkei noch von wirklicher Demokratie
und Rechtstaatlichkeit in Europa entfernt ist. Imrali ist gleichsam
ein Symbol für den zwiespältigen Umgang Europas mit den
Menschenrechten. Das europäische Schweigen im Fall Öcalan
trägt zu dem unhaltbaren Zustand bei. Die Grundwerte europäischer
Demokratie haben, so scheint es, für die Kurden keine Gültigkeit.
Indes hat die kurdische Seite im türkisch-kurdischen Konflikt
ihren einseitigen Waffenstillstand mit dem 1. Juli des vergangenen
Jahres aufgekündigt. In mehreren Verlautbahrungen machte die
kurdische Guerilla deutlich, dass die ignorante Haltung der AKP-Regierung
gegenüber der kurdischen Frage, die zunehmenden militärischen
Operationen der türkischen Armee gegen die eigenen bewaffneten
Kräfte und das repressive Vorgehen gegenüber der kurdischen
Zivilbevölkerung nicht mehr hingenommen werden könne. Man
werde bis auf weiteres vom legitimen Recht auf Selbstverteidigung
Gebrauch machen. Derweil nehmen die bewaffneten Auseinandersetzunge
zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla an
Intensität zu. Es scheint gar so, dass zum Frühjahr 2005
mit einem weiteren Waffengang der Kontrahenten zu rechnen ist, sollte
die türkische Regierung keine ernsthaften Schritte für eine
Lösung der kurdischen Frage unternehmen. Erst kürzlich erklärte
Öcalan, dass er für eine friedliche Lösung alles ihm
Mögliche getan habe. Er ziehe sich aus seiner Vermittlerposition
zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Guerilla zurück.
Eine erneute Eskalation des Konfliktes muss unbedingt verhindert werden.
Eine internationale Initiative zur Lösung des Konfliktes ist
mehr als überfällig. So ist deutlich geworden, dass für
eine Lösung die „integrative Dynamik der Kopenhagener Kriterien“
bei weitem nicht ausreicht. Um eine dauerhafte Lösung zu erreichen,
muss das Problem beim Namen genannt werden! Das Augenmerk der internationalen
Gemeinschaft muss sich endlich, ähnlich wie beim Israel-Palästinakonflikt,
auf die kurdische Frage richten. Die Kontrahenten des Konfliktes sind
dazu anzuhalten, das Problem auf dem Weg des Dialoges zu lösen.
Die kurdische Seite hat mehrfach eindrucksvoll deutlich gemacht, dass
sie für solch einen Prozess bereit ist. Es ist nun an der Türkei,
konstruktive Schritte zur Aussöhnung mit der eigenen kurdischen
Bevölkerung zu unternehmen. Die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen
von Öcalan, wie dies auch das Antifolterkomitee des Europarates
(CPT) fordert, wäre ein erster Schritt zur Entspannung.
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Erstunterzeichnende
der Internationalen Initiative:
Mairead Maguire
(Nobelpreisträger, Nordirland), Dario Fo (Regisseur Autor, Schauspieler,
Literaturnobelpreisträger, Italien), Adolfo Perez Esquivel (Literaturnobelpreisträger,
Argentinien), José Ramos-Horta (Friedensnobelpreisträger,
Ost-Timor), José Saramago (Literaturnobelpreisträger,
Portugal), Danielle Mitterrand (Stiftung France Liberté, Frankreich),
Ramsey Clark (Rechtsanwalt, ehem. Justizminister, USA), Uri Avnery
(ehemaliger Knessetabgeordneter, Gush Shalom -Friedensblock- Israel),
Prof. Dr. Noam Chomsky (Linguist, Publizist, Massachusetts Institute
of Technology, USA), Alain Lipietz (Mitglied des Europaparlaments,
Frankreich), Pedro Marset Carpos (Mitglied des Europaparlaments, Spanien),
Mrs. Jean Lambert ( Mitglied des Europaparlaments, Großbritanien),
Lord Eric Avebury (Vorsitzender der parlamentarischen Menschenrechtsgruppe,
House of Lords, Großbritannien), Harry Cohen (Parlamentsabgeordneter,
Labour-Partei, Großbritannien), Cynog Dafis (Parlamentsabgeordneter,
Plaid Cymru -Wallisische Partei- , Großbritannien), Lord Raymond
Hylton (House of Lords, Großbritannien), Lord John Nicholas
Rea (House of Lords, Großbritannien), Walid Jumblat (Vorsitzender
der Sozialistischen Fortschrittspartei, Libanon), Rudi Vis ( Parlamentsabgeordneter,
Labour-Partei, Großbritannien), Paul Flynn (Parlamentsabgeordneter,
Labour-Partei, Großbritannien), Máiréad Keane
(Vorsitzender der Abteilung für Internationale Beziehungen, Sinn
Fein, Nordirland), Domenico Gallo (Jurist, ehem. Senator -CI-, Mitglied
der Magistratura Democratica, Italien), Livio Pepino (Jurist, Vorsitzender
der Magistratura Democratica, Italien), Xabier Arzalluz (Präsident
der PNV / Nationalistische Baskische Partei), Tony Benn (Parlamentsmitglied,
Labour-Partei, Großbritannien), Giovanni Palombarini (Jurist,
ehem. Vorsitzender der Magistratura Democratica, Italien), Heidi Ambrosch
(Stellv. Vorsitzende und Frauensprecherin der Kommunistischen Partei
Österreichs), Alain Calles (Präsident des MRAP, Frankreich),
Renée le Migmot (stellv. Generalsekretärin des MRAP, Frankreich),
Mag. Walter Baier (Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs),
Gianna Nannini (Künstlerin, Italien), Geraldine Chaplin (Schauspielerin,
Madrid, Spanien), Dietrich Kittner ( Satiriker, Schriftsteller, Kabarettist,
Deutschland), Jean-Jacques Kirkyacharian (Repräsentant des MRAP
bei der UNO, Frankreich), David MacDowall (Schriftsteller, Großbritannien),
Alice Walker (Schriftstellerin, USA), Franca Rame (Autorin, Regisseurin,
Schauspielerin, Italien), Chris Kutschera (Schriftsteller, Frankreich),
Prof. Dr. Jean Ziegler (Nationalrat und Publizist, Schweiz), Dr. Diether
Dehm (ehm. Stellvertretender Vorsitzender der PDS, Deutschland), Prof.
Dr. Angela Davis (University of California, Santa Cruz, USA), Prof.
Dr. Luigi Ferraioli (Professor für Rechtsphilosophie, Italien),
Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Professor für Rechtswissenschaften,
Berlin, Deutschland), Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr (Komitee für
Grundrechte und Demokratie, Deutschland), Prof. Dr. Werner Ruf (Völkerrechtler,
Universität Kassel, Deutschland), Prof. Dr. Norman Paech (Völkerrechtler,
Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg, Deutschland),
Prof. Dr. Gerhard Stuby (Völkerrechtler, Universität Bremen,
Deutschland), Prof. Dr. h.c. Ronald Mönch (Rektor der Hochschule
Bremen, Deutschland), Prof. Dr. Elmar Altvater (Int. Lelio-Basso-Stiftung
für die Rechte der Völker Deutschland), Prof. Dr. Helmut
Dahmer (Professor für Soziologie, TU Darmstadt, Deutschland),
Prof. Jürgen Waller (Rektor der Hochschule für Künste
Bremen, Deutschland), Hilarion Carpucci (Erzbischof -syrisch-orthodox-
von Jerusalem), Christine Blower (ehem. Präsidentin der Britischen
Lehrergewerkschaft (NUT), Großbritannien), Ken Cameron (Generalsekretär
der Gewerkschaft der Feuerwehr - FBU-, Großbritannien), Josep
Lluis Carod Rouira (Vorsitzender der Republikanischen Linkspartei
von Katalonien, Spanien), † Michael Feeney (Flüchtlingsberater
von Kardinal Hume, Großbritannien), Gareth Peirce (Rechtsanwältin,
Großbritannien), Frances Webber (Rechtsanwalt, Großbritannien),
Norbert Mattes (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.,
Deutschland), Yayla Mönch-Buçak (Universität Oldenburg),
Mamoud Osman (Kurdischer Politiker, Großbritannien), Dr. Jutta
Bauer (Buchillustratorin, Deutschland), Rolf Becker ( Schauspieler,
IG Medien, Deutschland), Hans Branscheidt (Journalist, Deutschland),
Dr. Rolf Gössner (Rechtsanwalt, Publizist), Günther Schwarberg
(Journalist, Deutschland), Roland Ofteringer (Informationsprojekt
Naher und Mittlerer Osten e.V., Deutschland)