Zusammenfassende
Gesprächsprotokolle
1. AK-Parti
mit Dengir Mir Firat (Stellv. Parteivorsitzender), RAin Nimet Çubukçu
(AKP-Abgeordnete von Istanbul)
Mit einem historischen
Rekurs auf die Anfänge der Türkischen Republik und ihrer
eindrucksvollen Reformleistung wies Herr Firat auf die erheblichen
Reformbemühungen der aktuellen Regierung hin, die zu weitgehenden
Änderungen im Verfassungs-, Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht
geführt hätten. In den letzten 18 Monaten seien mehr Reformen
umgesetzt worden als in den letzten 18 Jahren.
Es sei zudem falsch,
die Fragen zum Prozess gegen Abdullah Öcalan und zu den Haftbedingungen
mit der kurdischen Frage zu vermengen. Bei Öcalan handele es
sich um ein ähnliches Problem wie in Deutschland seinerzeit bei
Baader-Meinhof, also um ein Problem normaler Kriminalität. Öcalan
sei kein Kriegsgefangener (POW), sondern ein gewöhnlicher Krimineller.
Auf den Einwand, bei Imrali handele es sich um eine Form der Isolationshaft
(solitary confinement), entgegnete Herr Firat: Die Haftbedingungen
auf der Insel Imrali hielten sich vollkommen innerhalb des internationalen
Rechts, an welches sich die Türkei bei der Vollstreckung ihrer
Urteile halte. Nach Türkischem Gesetz könne ein Gefangener
für acht Jahre in isolierte Haft genommen werden. Man betrachtete
die Unterbringung von Öcalan auf Imrali nicht als Isolationshaft,
sie sei notwendig zum Schutz des Lebens des Gefangenen selbst und
mit internationalem Recht vereinbar. Ärztliche Versorgung und
alle notwendigen Dienste seien vorhanden. Auch ein internationales
Monitoring der Bedingungen sei gewährleistet und habe bereits
sowohl durch die UNO wie durch Amnesty International (ai) stattgefunden.
Diese Institutionen hätten nichts gegen die Bedingungen einzuwenden
gehabt. Die Türkei sei jedoch nicht verpflichtet, jedem eigenhändige
Überprüfungen zu gestatten. Auf Nachfragen bestand Herr
Firat darauf, dass der Fall Öcalan nicht mit dem Fall Mandela
vergleichbar sei, da es sich bei ihm nicht um den Kampf um das Recht
auf Freiheit der Rede etc. gehandelt habe, sondern um 30000 Tote,
die er zu verantworten habe, also um kriminelles Handeln. Wenn wir
das anders sähen, so sei das unsere Meinung, die er aber nicht
teilen könne.
Die Besuchsregelungen
für Imrali seien die gleichen wie die für alle Verurteilten
in Gefängnissen: einmal die Woche zwei Stunden. Während
des Verfahrens hätten ihn die Anwälte regelmäßig
besuchen können. Sicherlich gäbe es Unterschiede zwischen
deutschen und türkischen Regelungen. In der Türkei könne
sich noch vieles bessern, aber sie stände nicht am schlechtesten
da. Auch in der Türkei änderten sich das soziale Leben und
die sozialen Standards und es sei unklar, welchen Einfluss das auf
die Situation Öcalans haben werde. Solange es aber keine Amnestie
geben werde oder er nicht stürbe, werde er in Haft bleiben.
Die Tatsache,
dass die Angehörigen und Anwälte Öcalan nicht immer
regelmäßig besuchen könnten, läge meistens an
den schlechten Wetterbedingungen, das Transportboot Imrali 9 sei ihnen
oft nicht gewachsen. Die Anwälte hätten jedoch auch ihre
Rechte missbraucht, weil sie als Übermittler politischer Botschaften
und Instruktionen von Öcalan fungiert hätten. Er selber,
Dengir Firat, sei z. B. darin erwähnt und angegriffen worden.
Wenn jetzt zwei der Anwälte verschwunden seien, so sei das ihre
persönliche Entscheidung.
Die Kurdische
Frage sei im Kern eine Frage unzureichender demokratischer Regelungen
über das Recht auf Sprache, die individuellen Rechte und kulturellen
Freiheiten gewesen. Nach 15 Jahren militärischer Zusammenstöße
mit der PKK habe diese jetzt den Kampf verloren. Die meisten der strittigen
Fragen seien jetzt gelöst, allerdings sei dies nicht ein Ergebnis
des Kampfes. Die Kurden hätten jetzt erkannt, dass die friedliche
Auseinandersetzung auf demokratischer Basis viel wirksamer sei. Sie
wollten jetzt nur die kriminellen Aktivitäten überdecken.
Nun aber liege das gerichtliche Verfahren in der Hand der EU, die
Entscheidung werde man respektieren. Als die Verhandlungen über
die Aufnahme der Türkei in die EU begannen, hätte die Regierung
die Kopenhagener Kriterien anerkannt. Diese seien allerdings nur Minimalkriterien
für die Türkei, über die sie hinausgehen wolle. In
zwei Jahren seien bereits Veränderungen durchgeführt worden,
die wie eine Revolution gewirkt hätten.
Gefragt nach
der Strafrechtsnovelle, die am 1. April 2005 in Kraft treten soll,
und die in § 49 den Gebrauch anderer Sprachen außer dem
Türkischen durch Politiker und Politikerinnen nach unserer Information
mit einer Haftstrafe von sechs Monaten bis zu 20 Jahren ahndet, meinte
er, dass es so etwas nicht gäbe, dass es sich um reine Propaganda
handele. In solchen Fällen könne zwar die Partei verboten
werden, aber eine Gefängnisstrafe gäbe es nicht. Die AK-Partei
wolle dieses Verbot jedoch auch ändern.
Das Problem der
Minderheiten sei kompliziert und noch nicht gelöst. Im 19. und
20. Jahrhundert sei der Minderheiten-Begriff auf die verschiedenen
Ethnien unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit
bezogen worden. Im Vertrag von Lausanne von 1923 sei für religiöse
Minderheiten eine juristische Regelung vorgesehen worden. Im 21. Jahrhundert
werde jedoch das Verständnis erweitert: praktisch jeder könne
jetzt zu einer Minderheit gehören wie etwa die Homosexuellen.
Die Deutsche Verfassung gehe offensichtlich noch von einem alten Verständnis
des Minderheitenkonzeptes aus. Die Demokratie im 21. Jahrhundert bedeute
die Bewahrung und Garantie der Rechte der kleineren Gruppen. Auch
in der EU gäbe es keine einheitliche Meinung über Minderheiten.
Die türkische Republik werde sich nach einem der EU-Staaten richten,
dessen Namen Herr Firat allerdings hier nicht nennen wolle.
Abschließend
meinte Herr Firat, dass Desinformation in diesem Bereich das größte
Problem sei. Würde man in der Türkei Menschen kurdischer
Abstammung fragen, so würde sich keiner mit Imrali beschäftigen.
Sie wollten vor allem in ihre leeren Dörfer zurückkehren
und Gleichberechtigung sowie sozialen Fortschritt genießen.
Im übrigen seien die Kurden in den Nachbarländern der Türkei
in den jeweiligen Gesellschaften isoliert. Das sei in der Türkei
ganz anders, z.B. sei die größte kurdische Stadt Istanbul,
und überall in der Türkei würden Kurden wie auch Menschen
anderer Ethnien leben, im Nationalparlament seien über 100 kurdische
Abgeordnete. Das Problem der Kurden sei das gleiche wie das aller
türkischen Menschen: der Ausbau der demokratischen Rechte, die
Überwindung der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten.
Staatliche Rundfunksender würden inzwischen in kurdischer Sprache
senden (zweimal eine halbe Stunde pro Woche).
2. European
Union Commission im Türkischen Parlament, Yasar Yakis (Vorsitzender),
Ali Riza Alaboyun (Stellv. Vorsitzender)
Diese Kommission
des Türkischen Parlaments ist mit Angelegenheiten der EU befasst,
insbesondere mit dem EU-Beitritt. Ihr Vorsitzender ist der frühere
Außenminister und jetzige Parlamentsabgeordnete Yasar Yakis.
Die Kommission prüft vor allem die Türkischen Gesetze auf
ihre Übereinstimmung mit dem acquis communautaire der EU. Sie
steht in Verbindung mit der Menschenrechtskommission, die beim Premierminister
angesiedelt ist, und begleitet deren Arbeit.
Herr Yakis berichtete,
dass seit 2002 acht Gesetzespakete bzw. Artikelgesetze bearbeitet
und beschlossen worden seien, die den Menschenrechtsbereich betreffen,
so u.a. Teile des Strafrechts, das Vereinigungsrecht und das Recht
auf freie Meinungsäußerung. Das Parlament habe sich insoweit
an die sog. Prioritätenliste der EU gehalten. So sei inzwischen
etwa die Todesstrafe auch in Terrorismusfällen abgeschafft worden.
Man habe die Meinungsfreiheit gestärkt und lasse inzwischen auch
Rundfunksendungen in anderen als der türkischen Sprache zu (u.a.
arabisch und kurdisch). Tatsächlich könnten aber nach wie
vor politische Parteien verboten werden, die auf ethnischer Basis
gegründet wurden. Mit dem Hinweis auf 40 Ethnien in der Türkei
rechtfertigte Herr Yakis diese Diskriminierung im Vereinigungsrecht,
und fügte hinzu: Schließlich gebe es in Griechenland –
einem EU-Mitgliedsstaat – und in Bulgarien – einem EU-Kandidaten
– ebenfalls Restriktionen gegen türkische Organisationen
und Parteien. Doch in der Türkei könnten auch ethnische
Parteien, wie die DEHAP, arbeiten - es sei ihnen lediglich verwehrt,
politische Propaganda und Kampagnen in Kurdischer Sprache durchzuführen.
Solche Restriktionen gehörten zum Recht eines jeden Staates.
Auf die Frage,
ob denn immer noch eine Ansprache auf Kurdisch im Parlament ins Gefängnis
führen könne, wie es Leyla Zana erging, meinte er: Leyla
Zana sei in erster Linie nicht wegen ihrer Kurdischen Ansprache im
Parlament, sondern wegen ihrer Kontakte zur terroristischen PKK verurteilt
worden.
Die Parlamentskommission
sehe durchaus die Probleme im Zusammenhang mit der Umsetzung der Reformgesetze;
doch sie gebe zu bedenken, dass Mentalitäten nicht über
Nacht verändert werden könnten. Die Umsetzung der Reformgesetze
brauche deshalb entsprechend Zeit. Noch sei die Demokratie in der
Türkei nicht die beste in der Welt.
Zum Fall Öcalan,
der nicht als Freiheitskämpfer, sondern als Krimineller gelte:
Falls der Europäische Gerichtshof entscheiden sollte, dass das
Strafverfahren gegen Abdullah Öcalan vor dem Türkischen
Staatssicherheitsgericht nicht fair abgelaufen sei, werde das Verfahren
neu aufgerollt. Was seine Haftbedingungen anbelangt, so könne
man das nicht über Nacht ändern, aber man bemühe sich,
sie dem internationalen Standard anzupassen. Im übrigen sei diese
Frage nicht auf der EU-Agenda.
Was die Kurdische
Frage anbelangt, gab Herr Yakis zu bedenken, dass selbst Leyla Zana
der Ansicht sei, dass es sich bei den Kurden in der Türkei nicht
um eine Minderheit handele, sondern um einen tragenden Teil der Gesellschaft
– die Kurdische Frage also auch kein Minderheitenproblem sei.
Auf die Frage,
ob denn Anstrengungen unternommen würden, den gewaltsamen Konflikt
zwischen Türkischem Staat und dem Kurdischen Teil der Bevölkerung
aufzuarbeiten, denn schließlich habe auch das türkische
Militär und die Polizei schwere Verbrechen begangen, war die
Antwort: Ja, die vertriebenen Kurden würden mit Unterstützung
der Türkischen Regierung in die Kurdischen Gebiete zurückgeführt
und laut Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte stünden ihnen auch Schadensersatzansprüche
zu. Das Dorfschützerprogramm solle aufgehoben werden und jene
Dorfschützer, die gegen Gesetze verstoßen haben, sollten
bestraft werden.
3. IHD
- Ankara, Menschenrechtsorganisation, Yusuf Alatas (Präsident)
Der IHD wurde
1986 auf dem Höhepunkt der politischen Repression in der Türkei
gegründet. Die international bekannte Vereinigung ist die größte
Menschenrechtsorganisation der Türkei; sie hat über 30 Zweigstellen
und etwa 80.000 Mitglieder. Etliche IHD-Aktivisten sind von türkischen
Sicherheitskräften getötet worden. 1999 gab es einen polizeilichen
Überfall auf das IHD-Büro in Ankara, bei dem der damalige
Vorsitzende Akin Birdal durch insgesamt neun Schüsse schwer verletzt
wurde. Die Einschusslöcher in der Bürotür, durch die
geschossen worden war, sind noch zu sehen.
Der IHD ist unabhängig
von Staatsgeldern und öffentlicher Förderung. Er ist offen
für alle Gruppen und Personen, die von staatlicher Repression
und Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Der Kurdenkonflikt
bildet aber einen Schwerpunkt der Arbeit. Der IHD gibt regelmäßige
Berichte zur Situation und Entwicklung der Menschenrechte in der Türkei
heraus.
Herr Alatas war
der Ansicht, dass sich trotz unterschiedlicher Reformen im Menschenrechtsbereich
an der beispiellosen Haftsituation Öcalans auf der Gefängnisinsel
Imrali bislang nichts zum Besseren geändert habe – im Gegenteil.
Der IHD mahne eine unverzügliche Beendigung der Isolationshaftbedingungen
an, denn die Lösung dieses Problems sei ein ganz wichtiges Element
der Veränderung in der Türkei. Die Forderung müsse
allerdings noch weiter gehen und eine Amnestie für Politische
Gefangene umfassen.
Die bislang eingeleiteten
Reformen seien im Großen und Ganzen noch kaum umgesetzt worden
– es gebe allenfalls symbolische Verbesserungen. Die Menschenrechtslage
sei nach wie vor prekär. So seien in den letzten zwei Monaten
vier Kurden von unbekannten Tätern getötet worden. Und die
Folterungen seien in letzter Zeit nur unwesentlich zurückgegangen,
sie seien nach wie vor an der Tagesordnung und zwar nicht nur bei
politischen Gefangenen.
4. Türkische
Rechtsanwaltskammer, RA Özdemir Özok (Präsident)
In der Türkei
gibt es etwa 52.000 Rechtsanwälte, die von der nationalen Rechtsanwaltskammer
repräsentiert werden, davon 18.000 allein in Istanbul, 8.500
in Ankara.
Gefragt nach
seiner Einschätzung der Haftbedingungen auf Imrali, räumte
Herr Özok ein, dass es in der Türkei viele politische Gefangenen
gebe, um die sie sich zu kümmern hätten. Herr Öcalan
sei nur einer von ihnen, dessen Situation sie jedoch wie auch die
der anderen beobachten würden. Sie würden sich immer für
faire Verfahren und gegen die Anwendung von Gewalt, sei es von Organisationen
oder des Staates, einsetzen. Deshalb hätten sie auch den Weg
Öcalans mit Mitteln der Gewalt immer kritisiert, würden
jedoch den demokratischen Kampf auf gewaltfreier Basis und mittels
Verhandlungen unterstützen. Was der Türkei fehle, sei die
europäische Aufklärung - den Gesetzen des Staates zu gehorchen,
stecke den Türken aber gleichsam in den Genen. In der Ostregion
der Türkei hätten noch bis heute viele alte feudale Regeln
Gültigkeit. Er sei selbst Mitglied einer prokurdischen Jugendorganisation
gewesen, die sich gegen die feudale Erbschaft aufgelehnt habe. Später
habe sich die Organisation in eine ethnische (Kurdische) Organisation
gewandelt.
Zur Situation
Öcalans auf Imrali meinte Herr Özok, dass sich die Einzelhaft
daraus erkläre, dass der Verurteilte der Führer einer Organisation
gewesen sei, die sich gegen den Staat gestellt und mit Gewalt versucht
habe, Forderungen durchzusetzen. Trotzdem habe die Rechtsanwaltskammer
Zweifel an seinen Haftbedingungen, und sie habe diese auch schon beanstandet.
Die beiden Anwälte Öcalans, die verschwunden seien, hätten
sich an die Kammer gewandt. Das türkische Recht gebe den Rechtsanwälten
nach einer (rechtskräftigen) Verurteilung prinzipiell kein Recht
mehr, ihren verurteilten Mandanten zu besuchen, es sei denn im Fall
einer Berufung, einer Wiederaufnahme des Verfahrens oder einer zivilgerichtlichen
Schadensersatzklage. Öcalans Anwälte hätten jedoch
ihre bisherigen Besuche offensichtlich dazu benutzt, politische Botschaften
Öcalans weiter zu vermitteln. Nur die Angehörigen hätten
nach einer Verurteilung noch das Recht zu Besuchen; die Anwaltskammer
hätte bei der Regierung nach einem neuen Boot nachgefragt, um
diese Besuche zu gewährleisten.
Auf den Einwand,
dass auch Gesetze des Staates unfair und diskriminierend sein können,
und auf die Frage, was die Kammer gegen solche Gesetze unternehme,
meinte Herr Özok: Die Situation in der Türkei sei nicht
vergleichbar mit der Südafrikas zur Zeit der Apartheid. So habe
es dort eine heftige Diskriminierung gegeben, wie sie in der Türkei
nie vorgekommen sei. Auch habe es eine Kluft zwischen der Armut von
90 % der Bevölkerung und dem Reichtum des Rests wie in Südafrika
in der Türkei nie gegeben.
Vor einigen Jahren
habe die Kammer eine Kommission gebildet, die die Gefängnisse
beobachte. Sie teile allerdings nicht die Behauptungen Öcalans
über seine persönliche Situation. Zudem erwähnte Herr
Özok die Einrichtung eines Executional Court in den letzten drei
Jahren, der die Gefängnisse beobachte. Das Gefängnis auf
Imrali sei davon allerdings als „Sonderfall“ ausgenommen.
Sollte die Türkische
Verfassung von 1990 oder nationales Recht nicht in Übereinstimmung
mit internationalem Recht sein, so habe letzteres Vorrang und nationales
Recht werde unwirksam. Die Wirksamkeit internationalen Rechts werde
anerkannt. Man werde alles unternehmen, europäische Standards
zu erreichen. Abschließend betonte Herr Özok, dass sich
die Kammer auf das freie Individuum, sein freies Denken und seine
Erziehung zu einer freien Persönlichkeit konzentrieren würde.
Ihr höchstes Interesse sei es, dass alle nach dem Gesetz gleich
behandelt würden. Im Zusammenhang mit besonderen Delikten gäbe
es allerdings auch eine besondere Behandlung.
5. MAZLUM-Der,
Menschenrechtsorganisation (Ankara), Ayhan Bilgen (Präsident)
Diese zweitgrößte
Menschenrechtsorganisation in der Türkei ist zehn Jahre alt und
religiös (islamisch) orientiert. Sie bemüht sich insbesondere
um Religionsfreiheit. Sie besteht aus insgesamt 18 Gruppen und hat
etwa 5.000 Mitglieder. Sie arbeitet in allen Menschenrechtsbereichen
und entfaltet diverse Aktivitäten, wie etwa Demonstrationen,
öffentliche Kampagnen und Dialoginitiativen - seit 1997 verstärkt
im Zusammenhang mit der kurdischen Frage.
Zur Zeit, berichtete
Herr Bilgen, arbeite Mazlum-Der verstärkt an zwei Projekten:
Das eine beschäftige sich mit den Vertriebenen und Flüchtlingen
aus den östlichen Nachbarstaaten Afghanistan und Iran, das andere
arbeite mit islamischen Religionslehrern an der Menschenrechtsbildung.
Darüber hinaus engagiere sich die Organisation im Demokratisierungsprozess
und bei der Entwicklung der Zivilgesellschaft.
Herr Bilgen beklagte
eine Art Blockade insbesondere in der kurdischen Frage zwischen Parlament,
Regierung und Staat, den er weitgehend mit dem Militär identifizierte.
Das größte Problem sei die Selbstdefinition des durch das
Militär geprägten Staates, der das Kurdenproblem vornehmlich
als Sicherheitsproblem begreife. Dieser Staat würde nie mit Organisationen
oder Parteien sprechen, die nach seiner Vorstellung die Sicherheit
gefährden würden. Die Angst vor der kurdischen Frage werde
als Vorwand gegen weitere Schritte zur Demokratisierung benutzt. Vor
einigen Monaten sei z.B. ein Gesetzentwurf der Regierung, der die
Übertragung einzelner Kompetenzen von der zentralen auf die lokale
Ebene vorsah, durch die Intervention des Militärs gestoppt worden,
welches keine Dezentralisierung wolle. Private TV-Sender würden
nach wie vor bedroht, wenn sie die Kurdische Frage ansprechen wollten.
Im staatlichen TV-Programm würde das Wort Kurdisch nicht verwendet.
Herr Bilgen äußerte
die Vermutung, dass sich die Regierung zwischen zwei Ängsten
bewege: der einen, nicht die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen,
und der anderen, dass sich das Militär mit einem Putsch gegen
weitergehende Reformen wenden könnte. Das Militär sei nach
wie vor das Rückgrat des Staates, insofern spiele es in allen
Überlegungen eine zentrale Rolle. Es sei das größte
Hindernis für den Reform- und Demokratisierungsprozess.
6. DEHAP
(Ankara): Nazmi Gür (zuständig für Internationale Beziehungen),
Naci Kutlay
Die prokurdische
Partei hat ein klares Programm für die Demokratisierung der Türkei
und zur Lösung der kurdischen Frage. Nach Auskunft von Herrn
Gür, sieht die Partei im EU-Beitritt eine wichtige Chance für
die Entwicklung von Menschenrechtsstandards und die Lösung der
Kurdischen Frage in der Türkei.
Die jüngsten
Veränderungen seien zwar nicht zu unterschätzen, aber im
Vergleich mit europäischen Standards doch sehr begrenzt. Zudem
habe die Regierung kein klares Programm – weder für die
Demokratisierung noch für die Lösung der Kurdischen Frage.
Die Kurdische
Sprache sei zwar inzwischen zugelassen, allenfalls aber symbolisch
(30-Minuten-Sendungen auf staatlichen Sendern, keine eigenständigen
kurdischen Programme oder gar Radio- oder TV-Sender). Erst vor kurzem
sei in Diyarbakir ein privater Sender wegen eines Kurdischen Liedes
geschlossen worden. Es gebe inzwischen private Kurdisch-Kurse, aber
z.B. keine Ausbildung von Kurdisch-Lehrern.
Die Regierung
habe zwar ein Programm zur Rückführung von Kurdischen Vertriebenen
in die Kurdischen Dörfer aufgelegt, aber eine wirkliche Lösung
dieses Problems sei nicht in Sicht, auch kein Ausgleich für die
erlittenen Folgen, allenfalls Scheinlösungen. Eine Kooperation
in dieser Angelegenheit mit ausländischen Hilfsorganisationen
sei nicht möglich. Nach wie vor müssten die Betroffenen
unterschreiben, dass sie seinerzeit nicht etwa vor dem Militär,
sondern vor Terroristen hätten fliehen müssen. Nur wenn
sie unterschreiben, dass ihre Häuser und Dörfer von der
PKK zerstört worden seien, dann hätten sie die Möglichkeit,
ein wenig Ausgleich zu bekommen. Außerdem müssten sie die
Dorfschützer bei ihrer Rückkehr akzeptieren.
7. IHD
- Istanbul, RAin Eren Keskin (Vorsitzende), Ibrahim Kaya (stellv.
Vorsitzender)
Frau Keskin (2001
von der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen mit dem
Hans-Litten-Preis ausgezeichnet) schrieb die Schwierigkeiten, an den
Haftbedingungen in Imrali etwas zu ändern, vor allem dem Umstand
zu, dass das Gefängnis nicht durch die Regierung, sondern durch
das Militär geführt und bewacht werde. Insofern seien dem
zuständigen Staatsanwalt die Hände gebunden. Das Militär
sei nach wie vor die bestimmende Kraft in der Türkei. Der Nationale
Sicherheitsrat, in dem neben Generälen auch Politiker sitzen,
bestimme praktisch die Politik. Das Militär als Teil der türkischen
Bourgeoisie sei ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und kontrolliere
ganze Wirtschaftsbereiche, etwa in der Banken- und Versicherungsbranche.
38 % der Wirtschaftsunternehmen gehörten dem Militär, welches
keine Steuern zahle. Es gäbe auch internationale Investoren in
diesen Betrieben (wie z.B. Renault). Der zivile Sektor sei vom militärischen
an sich streng getrennt, Offiziere könnten z.B. erst nach ihrer
Pensionierung Mitglied einer Partei werden. Alle Parteien wollten
dieses militär-industrielle System zwar ändern. Doch einmal
an der Regierung, würden sie ihre Pläne zurückstellen
und Kompromisse machen, um an der Macht zu bleiben.
Die Türkei
müsse fundamental verändert werden. Doch sei die Mentalitätsentwicklung
noch nicht sehr weit gediehen. So habe in Diyarbakir ein Drei-Sterne-General
den IHD als „Menschenrechtsvampir“ verunglimpft. Entsprechend
gebe es bislang nur oberflächliche Veränderungen, noch kaum
substantielle. Keskin sprach insoweit von Demokratiephrasen, entsprechend
müsse man misstrauisch sein.
Im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen
sei die Kurdische Frage bislang kaum berücksichtigt worden. Kurden
und ihre Sprache seien nach wie vor gefährdet. Aber trotzdem
sei der EU-Beitritt die einzige Chance eines Wandels in der Türkei,
auch für die Situation der Menschenrechte und für eine politische
Lösung der Kurdischen Frage - ansonsten drohe ein Rückfall
in finstere Zeiten. Dabei dürfe nicht übersehen werden,
dass die EU selbst nicht gerade ein Hort der Menschenrechte und Demokratie
sei. Im übrigen müsse berücksichtigt werden, dass manche
EU-Länder Waffen an die Türkei verkauften, die schließlich
im sogenannten Antiterrorkampf zum Einsatz kämen.
Zur Entwicklung
der Folter berichtete Frau Keskin, dass sie zwar offiziell nicht geduldet
werde, faktisch aber weiter bestehe. Man müsse zwischen offiziellem
und inoffiziellem Arrest unterscheiden. Im offiziellen Arrest gäbe
es kaum noch offene Folter, anders geartete aber weiterhin , wie z.B.
mittels Hochdruck-Wasserstrahl, Nahrungs- und Schlafentzug etc. Im
inoffiziellen Arrest gäbe es demgegenüber noch alle Formen
von Folter, Tötung eingeschlossen. Man könne nach wie vor
von systematischer Folter sprechen. Jüngst hätten sie eine
Kampagne begonnen: „Nicht zur Folter schweigen“. Es gebe
zwar ein staatliches Monitoring-System, aber keines durch unabhängige
Organisationen.
8. GÖC-Der,
Verein der Vertriebenen, Istanbul
GÖC-Der
ist eine NGO, die jene Kurden unterstützt, die während der
kriegerischen Auseinandersetzungen in den 80er/90er Jahren vom türkischen
Militär zu Tausenden aus ihren Dörfern in den Kurdischen
Gebieten vertrieben worden sind. GÖC-Der kämpft darüber
hinaus gegen staatliche Repression, die sich gegen ethnische Minderheiten
oder religiöse Gruppen (Aleviten, Jesiden etc.) richtet. Niemand
in der Türkei kümmere sich wirklich um die Situation dieser
Minderheiten.
Die staatlich
vertriebenen Kurden seien zum Großteil in den Westen der Türkei
gezogen. Allein in der 12-Millionen-Stadt Istanbul lebten schätzungsweise
etwa drei Millionen Kurden. Der Kurdische Anteil in der gesamten Türkei
liege bei etwa 15 bis 20 Millionen Kurden bei einer Gesamtbevölkerung
in der Türkei von 65 bis 70 Millionen. Eine genaue Statistik
sei allerdings nicht bekannt.
Die vertriebene
Kurdische Bevölkerung lebe zum großen Teil in Ghettos und
Slums (Gecekondus) unterhalb der Armutsgrenze. Die Lebensbedingungen
seien denkbar schlecht, es gebe in diesen slums keine Infrastruktur
und die medizinische Versorgung sei schlecht. Integrationsbemühungen
des Türkischen Staates suche man vergebens, nach wie vor werde
von den Kurden erwartet, dass sie sich weitgehend assimilieren. Die
meisten Kurden hätten Sprachprobleme, zum Teil sprechen sie nur
Kurdisch und könnten sich daher kaum verständigen.
40 Prozent der
Kleinkriminalität in Istanbul gehe nach Polizeiangaben auf das
Konto von Kurden und anderen Slumbewohnern. Die Polizei verdächtige
sie wohl immer als erstes. Im übrigen seien Kurden aus staatlich-polizeilicher
Sicht ohnehin eine potentielle Gefahr (wegen ihres Kampfes um ihre
Rechte, wegen PKK-Nähe...) und würden dadurch rasch zu Objekten
polizeilicher Unterdrückung und Brutalität.
Nach offiziellen Angaben seien seit 1993 etwa 60.000 Menschen in ihre
Dörfer in der Ost-Türkei zurückgekehrt, aus denen sie
vertrieben worden waren. Wie die weitere Rückführung aussehen
soll, sei allerdings vollkommen unklar, schließlich fänden
die Betroffenen in aller Regel völlig zerstörte Dörfer
und verminte Gebiete vor. Außerdem machten ihnen staatliche
Repression und das immer noch intakte Dorfschützersystem das
Leben schwer. Die Angst vor den Dorfschützern, Angst vor Vergewaltigung
und Folter sei immer noch präsent.
Das vom türkischen
Parlament verabschiedete Gesetz zur Wiederansiedlung und Entschädigung
der vertriebenen Kurden sei bisher kaum umgesetzt worden und letztlich
ohne Erfolg. Viele würden auch einen Antrag scheuen, weil sie
dann als Terroristen verdächtigt werden könnten. Es gebe
so gut wie keinen finanziellen Ausgleich für erlittene Verluste.
Lediglich in einigen Dörfern seien Fortschritte sichtbar –
aber wohl nur wegen des EU-Beitritts. Doch insgesamt gebe es große
Zweifel am Willen zur Umsetzung des Gesetzes, das ohnehin nur bis
Sommer 2005 gelte. Damit ein grundsätzlich anderer staatlicher
Umgang mit Kurden und den rückkehrwilligen Vertriebenen möglich
wird, sei insbesondere eine Mentalitätsveränderung in der
türkischen Mehrheitsgesellschaft erforderlich sowie ein Kampf
um demokratische Bedingungen und Entscheidungen. Doch diese Veränderungen
schienen noch in weiter Ferne.
9. YAKAY-Der, Verein der Angehörigen der Verschwundenen,
Istanbul, RAin Nermin Celçuk
Diese Organisation
ist hervorgegangen aus dem Kampf der sog. Samstagsfrauen von Istanbul,
die zwei Jahre lang jeden Samstag auf das Schicksal ihrer verschwundenen
Angehörigen aufmerksam machten und gegen das Schweigen der staatlichen
Sicherheitsbehörden protestierten (1996 sind die Samstagsfrauen
von Istanbul von der Internationalen Liga für Menschenrechte
mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet worden). Ihr Protest
sei wegen der verstärkten staatlichen Repression schließlich
ab 1998 abgebrochen. 2002 sei dann Yakay-Der gegründet worden,
um die Interessen der Angehörigen organisiert vertreten zu können
und gegen staatliche Repression anzukämpfen.
In den 80er und
90er Jahren habe es diverse „dark operations“ der türkischen
Sicherheitskräfte gegeben mit zahlreichen illegalen Tötungen
(unknown killings). Die Betroffenen seien von der Polizei verhaftet
worden und nie wieder aufgetaucht. Andere seien in der Öffentlichkeit
erschossen und ihre Körper von Sicherheitskräften weggeschleppt
worden, ohne dass die Täter erkannt und identifiziert werden
konnten. Immer wieder würden Massengräber entdeckt mit menschlichen
Überresten, deren Identifizierung allerdings erhebliche Probleme
mache.
Zu den Aufgaben
von Yakay-Der gehöre die Ermittlung in solchen Fällen, die
Unterstützung der betroffenen Familien, die oft immer noch große
Angst verspürten, des weiteren die Initiierung von strafrechtlichen
Ermittlungs- und Gerichtsverfahren sowie Öffentlichkeitsarbeit.
Yakai-Der habe eine Kommission von zehn Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälten gebildet, mit denen eng zusammengearbeitet würde.
Darüber hinaus würden Regressansprüche der betroffenen
Familien an den Staat unterstützt. Es gebe seit 2004 ein Gesetz,
nach dem Betroffenen ein Ausgleich zustehe. Dieses Gesetz werde allerdings
im Juli 2005 wieder außer Kraft treten. Allerdings sei die Überprüfung
der Fälle und die Beweisführung äußerst schwierig.
Der Staat trage in diesem Zusammenhang zwar eine ganz besondere Verantwortung,
der er jedoch bislang in der Praxis nicht nachkomme. Dies zu forcieren,
gehöre zu den dringendsten Aufgaben von Yakay-Der. Öcalan
habe z.B. Untersuchungen durch eine offizielle Truth and Justice-Commission
vorgeschlagen.
Immer noch würden
Menschen in der Türkei spurlos verschwinden, wenn auch die Zahl
in den vergangenen Jahren abgenommen habe. 2001 seien zwei verschwunden
und jüngst seien wieder in der Nähe von Merdin zwei Personen
Opfer von Tötungen geworden. Seit den 90er Jahren seien etwa
5.000 Menschen verschwunden oder illegal getötet worden. Yakay-Der
habe für die UNO eine entsprechende Aufstellung gemacht. In den
Räumen von Yakay-Der sind an der Wand die Porträtfotos vieler
Verschwundener zu sehen.
10. TUAD,
Verein der Familien von Gefangenen, Istanbul
TUAD ist ein
Verband von 12 Vereinen, deren Hauptsitz in Diyarbakir ist. Er kümmert
sich um Angehörige von politischen Gefangenen und andere von
staatlicher Gewalt Betroffene. Er kümmert sich auch um die Familie
von Abdullah Öcalan und unterstützt deren Kampf gegen die
Isolationshaftbedingungen (üblicherweise seien sonst drei Gefangene
in einer Zelle).
Zu den Aufgaben
von TUAD gehört die Unterstützung der Gefangenen und ihrer
Angehörigen, rechtliche Betreuung, finanzielle und psychologische
Hilfen. Man gehe ebenso wie TOHAV von etwa 5.000 politischen Gefangenen
in der Türkei aus, von denen in den letzten Monaten etwa 2.500
entlassen worden seien, 2.500 befänden sich noch in Haft. Allein
in Istanbul würden etwa 500 Familien von TUAD betreut. 20.000
seien es bislang landesweit gewesen. Viele der Kurdischen Betroffenen
würden u.a. wegen Aufstands gegen den Staat, Separatismus’
und Meinungsäußerungsdelikten (Beleidigung des Türkischen)
verurteilt und oft viele Jahre im Gefängnis sitzen. Manche der
Betreuten seien zu 15 bis 20 Jahren verurteilt oder bei „Separatismus“
zu lebenslänglich unter erschwerten Bedingungen. Jene zu zeitigen
Strafen Verurteilten müssten regelmäßig dreiviertel
der Strafe absitzen, obwohl zweidrittel normal sei. Diese „Politischen“
gelten als „Überzeugungstäter“, die letztlich
nicht „resozialisierbar“ seien. Neben den Einzelbetreuungen
startet TUAD auch Kampagnen, u.a. zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts,
aber auch zur Schließung von Imrali. Das Justizministerium habe
jedoch abgelehnt, da Imrali zur Sicherung Öcalans notwendig sei.
11. TOHAV-Istanbul, Stiftung für Gesellschafts- und Rechtsstudien,
RAin Sehnaz TURAN (Vorsitzende)
TOHAV ist eine
1994 von 64 Juristinnen und Juristen gegründete Organisation.
Sie betreibt derzeit ein von der UNO unterstütztes Folter-Rehabilitationszentrum,
erteilt Rechtshilfe denen, deren Rechte vom Staat verletzt werden
(z.Zt. 170 Fälle) und widmet sich der Lösung der Kurdischen
Frage sowie anderen Problemen der Minoritäten. Zu letzterem hat
sie ein Buch veröffentlicht, gibt eine Zeitschrift heraus und
veranstaltet Trainingsseminare mit Minderheitsgruppen sowie Diskussionsveranstaltungen,
um die Öffentlichkeit für die Probleme zu sensibilisieren.
Die Kurdische
Frage sei ein selbständiges kategoriales Problem im Rahmen der
Menschenrechte und der Demokratisierung. Denn bei ihr ginge es auch
um die Probleme der Rückführung der vertriebenen und geflüchteten
Bevölkerung in ihre Heimat, die Entschädigung für zerstörtes
Eigentum, eine Amnestie für Guerillas, die im Ausland sind. Leider
sei jedoch die Kurdische Frage nicht wirklich auf der politischen
Agenda der Regierungspartei AK-Parti, die Kurden seien weder in ihrem
Parteiprogramm erwähnt noch fänden sie in der Regierungspolitik
einen Platz. Die AK-Parti gebe sich zwar „modern“, sei
aber keine wirklich progressive Kraft. Doch sei die CHP (kemalistisch-nationalistische
Oppositionspartei, die sich als sozialdemokratisch definiert) noch
konservativer in der Kurdischen Frage, von ihr sei zu ihrer Lösung
überhaupt nichts zu erwarten. Der Staat, sprich der Nationale
Sicherheitsrat, habe zwar ein Interesse an der Lösung, habe aber
ebenfalls kein Programm. TOHAV verkenne nicht, dass die Lage insgesamt
besser geworden sei – vor zwei Jahren sei TOHAV in Diyarbakir
noch verboten worden - , eine grundsätzliche Veränderung
in Richtung einer politisch-demokratischen Lösung der Kurdischen
Frage sei jedoch nicht zu verzeichnen. Notwendig sei dreierlei: die
Aussöhnung über die Kurdische Frage, die Lösung konkreter
Probleme der Kurden und die Reintegration des Kurdischen Lebens in
die Türkische Gesellschaft.
Es sei die Tendenz
zu beobachten, dass im Zuge des Reformprozesses zwar die Individualrechte
ausgebaut und gestärkt würden, nicht jedoch die kollektiven
Grundrechte wie Vereinigungs- , Versammlungs- und Streikrecht oder
Parteien-, Minderheiten- und Gewerkschaftsrechte.
12. Freedom
Group, Istanbul
Dieser Friedens-
und Dialoggruppe gehörten insgesamt acht Leute an, die sich im
Herbst 1999 den Sicherheits- und Ermittlungsbehörden als Zeichen
ihres Friedenswillens freiwillig gestellt und ihre Waffen abgeliefert
hatten. Sie folgten damit dem Friedens-Aufruf Öcalans aus dem
Gefängnis und wollten einen Anfang zur friedlichen politischen
Lösung der kurdischen Frage einleiten. Sie wurden jedoch sofort
inhaftiert und wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation,
der PKK, verurteilt. Drei von ihnen sind nach fünf Jahren Haft
vor zwei Monaten freigelassen worden, vier sind noch inhaftiert und
einer ist im Gefängnis an einem Herzinfarkt gestorben. Sie seien
im Gefängnis von Mus normal behandelt worden.
Die Friedensgruppe,
die unter Kurden sehr populär ist, will künftig verstärkt
die Lösung der kurdischen Frage politisch vorantreiben und mit
NGOs zusammenarbeiten. Neben dieser Gruppe ist auch eine Friedensgruppe
kurz nach ihr aus Europa in die Türkei gekommen. Von ihr sind
fünf Personen vor kurzem entlassen worden.
ANLAGE:
WE CALL
FOR OPEN DISCUSSION OF TABOOS IN 2005
We, as the Istanbul
Branch of Human Rights Organisation, are well aware that human rights
issue is so important and comprehensive that it goes far beyond what
figures can express.
For this reason besides giving statistical data about human right
violations we want to emphasise once more that human right violations
originate from the system in Turkey and without challenging the system
in depth no real achievement can be made in this respect.
Turkey is still being ruled on the basis of a racist, chauvinistic
and anti-pluralistic “national policy document”.
Militarist pressures on judiciary, executive and legislative powers
continue. There are still serious obstacles to civilian policy-making
processes.
A number of amendments in legislation made for the sake of accession
to EU cannot be put into practice as these changes are not internalised
by the system. Turkey is still being governed by a militarist constitution.
Some subjects
are still a taboo in Turkey. We still don’t have an environment
of free, democratic and civil public discussion on the Cyprus issue,
Kurdish issue, Armenian genocide, non-muslim minorities, consciencious
objection or sexual orientation issues.
Torture goes on even though under different forms. Following the reduction
in detention periods and greater public discussion on torture, the
number of “unrecorded” detentions has increased where
most brutal forms of torture are being implemented.
We, the human rights activists, are also alarmed by the extent to
which certain ordinary murder cases and racist-shauvinistic crimes
cannot be put under control.
We believe that in order for democratisation and becoming
a really civil society Turkey must face the truths of its history.
Only after such a confrontation the Turkish society will be able to
discuss honestly such topics as the frequent discoveries of “mass
burials” or killing of a 12 year-old child for being a “terrorist”
or the Genocide.
We want the year 2005 to be a starting point of free public discussion
in Turkey.
We, as the human rights defenders, experienced up till now various
forms of oppression. Our colleagues have been killed, our branch buildings
have been bombed, we have been imprisoned, beaten and tortured for
defending democracy in Turkey. Now Turkey must take action to put
into practice these norms in order to be a democratic and really civil
country. In other words Turkey is undergoing a trial and the trial
will go on.
BECAUSE WE WILL GO ON DISCUSSING CRITICAL QUESTIONS AND URGE
THE PUBLIC TO DISCUSS.
Human
Rights Organisation
Istanbul Branch
2004
/Human Rights Report for Istanbul Istanbul - Breakdown of human rights
violations
Detentions |
|
Female |
1617 |
Male |
3600 |
Children |
295 |
Total
|
5512
|
|
|
Prisons |
|
Deaths due
to hunger strike/other forms of protest |
7 |
Deaths for
other reasons |
18 |
Arrests under
court ruling |
213 |
Applications
to our Association on human right violations |
139
|
|
|
Torture,
ill treatment and violence |
|
Applications
to our Assocation |
299 |
Female torture
victims |
86 |
Male torture
victims |
201 |
Children
|
12 |
Death under
custody |
2 |
Allegations
of torture reported by the media |
11 |
|
|
Disappearances |
|
Applications
to our Association |
25 |
Disappeared
persons found alive |
6 |
|
|
Right
to life |
|
Deaths due
to shooting by the police |
4 |
Injured due
to shooting by the police |
6 |
Injured due
to armed assault |
11 |
Unsolved
murder cases |
40 |
Death due
to work accident |
15 |
Women murdered
in “honour” killings |
3 |
Deaths due
to bombings |
9 |
Injured due
to bombings |
45 |
Deaths due
to negligence |
1 |
Deaths due
to assaults during election campaigns |
1 |
Injured due
to assaults during election campaigns |
9 |
Political
murders |
2 |
Injured in
political assaults |
10 |
Applications
to our Association for violation of the right to life |
12 |
|
|
Violation
of right to information, communication, speech and organisation
|
|
Closed down
radio stations/TV channels by the Broadcasting Regulation Board
(RTÜK) |
29 |
Total number
of days of broadcasting ban imposed by RTÜK |
296 |
Number of
Radio stations/TV channels given “warning” by RTÜK
|
12 |
Number of
books banned |
3 |
Number of
newspapers and magazines banned |
12 |
Number of
newspapers and magazines which were subject to temporary ban of
publication |
24 |
Number of
days the publications were banned from publication |
5 |
Arrested
journalists |
4 |
Scientists
removed from office on grounds of their political views |
2 |
Number of
demonstrations banned |
23 |
Total imprisonment
for expressing thoughts |
54
years,
3 months |
Total amount
of fines imposed for expressing views |
23.801.784.000
TL |
Imprisonment
demanded by public prosecutors for expressing thought |
647
years,
7 months |
Activities
banned or interfered with on grounds of NATO Summit |
19 |
Number of
associations, newspaper offices, cultural centers raided by the
police |
38 |
Journalists
beaten by the police while trying to report on the NATO Summit
meetings |
1 |
Press members
attacked |
13 |
Teachers
taken under custody |
1 |
Students
for which legal proceedings started |
20 |
Closed down
election campaign offices |
1 |
Closed down
associations |
1 |
Postponed
strikes |
1 |
Dismissed
students |
42 |
Cinema films
banned |
1 |
|
|
Expatriations,
Extraditions, Travel Bans |
|
Applications
to our association for this reason |
126 |
Violation
of Economic and Social Rights |
295 |
Applications
on grounds of violation of economic and social rights |
135 |
|
|
Bombings |
|
Incidents
of bombing in Istanbul |
39 |
Deaths in
bombings |
9 |
Injured in
bombing |
45 |
Anlage