Internationale Initiative
Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan

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Köln, 9. Juni 2005

INTERNATIONAL INITIATIVE BRIEFINGS:
Der Fall Öcalan als Farce – Kurdenführer fordert Prozess vor internationalem Gericht

Am 12. Mai verkündete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Öcalan sein Urteil. Demnach erfuhr der Kurdenführer keinen fairen Prozess, sein Recht auf Verteidigung war eingeschränkt gewesen und er erlitt inhumane Behandlung durch die Verhängung der Todesstrafe. Damit bestätigten die Straßburger Richter im Wesentlichen ihr Urteil aus vorheriger Instanz. Neu war jedoch die Empfehlung, die Türkei solle das Verfahren gegen Öcalan erneut verhandeln. Über die Umsetzung des Urteils zu wachen, überantwortete der Gerichtshof dem Ministerrat des Europarats.

Zwar bewerteten die Rechtsanwälte Öcalans das Urteil insgesamt als positiv. Dennoch bemängelten sie es teilweise als ungenügend. Denn in einem zentralen Beschwerdepunkt, den rechtswidrigen Umständen der Entführung Abdullah Öcalans, hat der Gerichtshof nicht der Beschwerde entsprochen. Dies war jedoch für die Beschwerdeführung von herausragender Bedeutung. Denn erst die widerrechtliche Verschleppung Öcalans durch den amerikanischen Geheimdienst CIA hatte die Auslieferung des Kurdenführers an die Türkei ermöglicht, was wiederum zu dem Schauprozess auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali führte, über dessen Verlauf die Straßburger Richter zu urteilen hatten. So sind die damit verbundenen Umstände und einhergegangenen Rechtsbrüche immer noch strittig. Nach Meinung der Beschwerdeführung wurde bei der Urteilsfindung der gesamtgesellschaftliche Rahmen nicht genügend berücksichtigt, der dem beanstandeten Verfahren gegen Öcalan zu Grunde lag. Zwar ist eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof nur als Individualbeschwerde zulässig, eine völlige Außerachtlassung des gesellschaftlichen und politischen Kontextes ist aber zu mindest juristisch fraglich. Zweifelsohne ist Abdullah Öcalan ein Individuum, gleichzeitig aber ist er auch das Produkt eines Konfliktes, für den er im Imraliverfahren einseitig persönlich verantwortlich gemacht wurde.

Dieser ist jedoch immer noch nicht gelöst. Eine Lösung scheint auch nicht in Sicht. Vielmehr steuert derzeit der türkisch-kurdische Konflikt auf eine erneute Eskalation zu. Täglich berichten die Medien von Gefechten zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla. Die Zahl der Getöteten und Verletzten erhöht sich beständig. Trotz des erklärten Friedenswillens der kurdischen Seite – sie bot derweil eine erneute Waffenruhe an, vorausgesetzt die türkische Armee ist zu Verhandlungen bereit und erkläre Ihrerseits einen Waffenstillstand – setzen die türkische Regierung und Armee auf die militärische Option. Ein erneuter Krieg scheint greifbar nahe.

Die immer noch tonangebenden Militärs waren über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs weniger erfreut. Führende Generäle schlossen eine Wiederaufnahme des Öcalanverfahrens kategorisch aus. Man könne einen solchen Affront nicht hinnehmen, so der Heeresgeneral Buyükkanit, da man Konfliktpartei sei. Was ist dann aber Abdullah Öcalan? Ist er als herausragender Repräsentant seines Volkes nicht auch Konfliktpartei? Strittig ist, ob man ihn als Kriegsgefangenen bezeichnen kann. Ein politischer Gefangener ist er allemal. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist diesbezüglich in seinem Urteil zu Auffassung gekommen, dass eine Wiederaufnahme des Öcalanverfahrens die beste Lösung sei. Abgesehen davon, dass ein erneutes Verfahren nur eingeschränkt zu einer Lösung des Konfliktes beitragen kann, ist es mehr als fraglich, ob für Öcalan in der Türkei überhaupt ein faires Verfahren möglich ist. Die Türkei selbst ist noch weit von rechtsstaatlichen Verhältnissen entfernt. Noch immer gilt die Auffassung, dass der Staat vor seinen Bürgern beschützt werden müsse, statt der Bürger vor dem Staat. Die Allmacht des türkischen Militärs, die Willkür der türkischen Behörden und die nur begrenzt unabhängigen Gerichte sind ein Ausdruck dieser Situation. Die Äußerungen führender türkischer Politiker, ein erneutes Verfahren werde nichts am Urteil ändern, nähren diese Einschätzung. Das neue türkische Strafgesetzbuch, das ursprünglich als Reform auf dem Weg nach Europa gedacht war, bestärkt die oben genannte Befürchtung. Insbesondere die Rechte von Medienvertretern und Rechtsanwälten werden eingeschränkt. So auch die der Anwälte von Abdullah Öcalan. Schon vorher mussten sie aufgrund kruder Anschuldigungen staatliche Verfolgung fürchten. Nun reicht schon eine unbedachte Äußerung über ihren Mandanten, um von Gerichts wegen von ihrem Mandat entbunden zu werden.

Öcalan selbst konnte sich erst verspätet zu dem Gerichtsurteil des EGMR äußern, da seinen Anwälten über drei Wochen hinweg der Besuch willkürlich verweigert wurde. Das Zusammentreffen vor einer Woche wurde erstmals von einem Vertreter der Staatsanwaltschaft begleitet, der das gesamt Mandantengespräch aufzeichnete, wogegen sowohl Öcalan als auch seine Anwälte protestierten. Indes kündigten die Anwälte des Kurdenführers an, dass man nicht daran denke, sich zum Werkzeug einer Farce zu machen, weshalb man auf Wunsch ihres Mandanten die Besuche bis auf weiteres einstelle. Laut Erklärung seiner Anwälte sehe Öcalan in der Türkei die Vorraussetzungen für ein faires Verfahren nicht gegeben. Er könne nur einem Verfahren zustimmen, das die Vergehen aller am Konflikt beteiligten Seiten mit einbezieht. Das sei jedoch derzeit nicht zu erwarten. Nur ein Prozess vor einem internationalen Gericht könne ein faires Verfahren gewährleisten.

Inwieweit sich dies juristisch verwirklichen lässt, wird sich herausstellen müssen. Das hängt letztendlich auch vom politischen Willen der internationalen Staatengemeinschaft ab, zur Lösung der kurdischen Frage beizutragen. Deutlich geworden jedoch ist, dass Recht nicht die Politik ersetzen kann, wie dies am Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Öcalan zu sehen ist. Die internationale Staatgemeinschaft ist gefragt, die Türkei zu einer konstruktiveren Haltung gegenüber der kurdischen Frage anzuhalten. Die Toten der letzten Tage haben jedenfalls gezeigt, dass sich das Problem nicht von selbst löst. Internationale Anstrengungen und politischer Druck sind von Nöten, um einen noch lösbaren Konflikt nicht ausufern zu lassen. Die Lösung der kurdischen Frage muss zu einem Kriterium für eine eventuelle EU-Mitgliedschaft der Türkei werden. Der Fall Öcalan ist ein Teil davon. Ein Verfahren vor einem internationalen Gericht, das die Hintergründe des Konfliktes mit einbezieht, wäre demnach ein wichtiger Beitrag.