Generalamnestie
made in USA?
Eine Analyse
von Reimar Heider
Großes
Aufsehen erregte im August der türkische Ministerpräsident
Recep Tayyip Erdogan mit seiner Ankündigung, die „kurdische
Frage“ durch „mehr Demokratie“ lösen zu wollen.
Dazu gehört aus kurdischer Sicht eine Generalamnestie. Dass
er keine zwei Wochen später bei der Sitzung des immer noch
übermächtigen Nationalen Sicherheitsrat von den Generälen
zurückgepfiffen wurde, fand dagegen schon weniger Beachtung.
Das Militär verschärfte seine Militäroperationen
und die Isolation Öcalans, die kurdische Guerilla HPG schlug
zurück, und die türkischen Städte werden durch Demonstrationen
und Anschläge erschüttert. Keinerlei politische Initiative
der Türkei ist erkennbar, es wird ausschließlich die
militärische Karte gespielt. Die Bilanz des Krieges ist dabei
aus türkischer Sicht äußerst negativ, die Operationen
brachten keineswegs die erhoffte Vernichtung der Guerilla. Zuletzt
drohten mit Murat Karayilan und Duran Kalkan zwei Schlüsselfiguren
der kurdischen Bewegung der Türkei, man könne von der
Strategie einer demokratischen Einheit mit der Türkei auch
wieder abgehen und eine Loslösung anstreben.
Nun scheint
eine neue Initiative zur Entschärfung des Konfliktes Gestalt
anzunehmen. Sowohl der irakische Präsident Talabani als auch
der Präsident der Region Kurdistan im Irak, Talabani, forderten
die Türkei auf, eine Generalamnestie für die PKK zu erlassen.
Während Talabani dies bereits mehrmals vorgeschlagen hatte,
hatte Barsanis Äußerung, man müsse die PKK realistischer
betrachten als bisher, bei einer Pressekonferenz in Washington an
der Seite von George Bush eine gewisse Dramatik. Murat Karayilan,
Vorsitzender des Exekutivrats der Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans
(KKK) und Co-Vorsitzender der PKK, begrüßte die USA-Reise
Barsanis ausdrücklich.
Die Tageszeitung
„Zaman“ des amerikafreundlichen türkischen Islamisten
Fetullah Gülen hatte zuvor sogar gemeldet, eine US-Delegation
habe sich in den südkurdischen Kandil-Bergen mit der PKK-Führung
getroffen und die HPG zu einem Waffenstillstand aufgefordert. Cemil
Bayik, der angebliche Militärchef der PKK, habe als Mindestbedingungen
dafür die Freilassung Abdullah Öcalans und anderer politischer
Gefangener sowie die Möglichkeit freier politischer Betätigung
in der Türkei genannt.
Bei näherem
Hinsehen ergeben sich so erstaunliche Konstellationen. Während
die kemalistische Bürokratie und Presse über kurdische
Nationalisten in der engsten Umgebung Erdogans toben, scheint er
unbeirrt die Linie zu verfolgen, die die Geheimdienstfraktion um
Ümit Özdag seit Jahren einfordert: Südkurdistan nicht
zu fürchten, sondern wirtschaftlich und politisch eng an die
Türkei anzubinden. Eine Rolle dürfte dabei Erdogans bekannte
Nähe zur sunnitischen Nakschibendi-Bruderschaft spielen, der
auch die Barsani und Talabani angehören. Beide hatten Erdogan
bei den letzten Wahlen offen unterstützt, indem sie die Kurden
in der Türkei zur seiner Wahl aufriefen und dabei der pro-kurdischen
DEHAP in den Rücken gefallen waren. Erdogan versucht so, eine
kurdische Alternative auch in der Türkei zu schaffen, mit der
er religiöse, ideologische und außenpolitische Gemeinsamkeiten
hat.
Fraglich ist,
ob die Initiativen Talabanis und Barsanis mit Erdogan abgesprochen
sind, um den Einfluss des Militärs zurückzudrängen.
Auf der Hand liegen dagegen die direkten Interessen der beiden:
Talabani und Barsani können keine weitere Front gegen einen
kurdischen Widerstand gebrauchen, und beide sind darauf bedacht,
ihren Einfluss möglichst weit nach Nordkurdistan auszudehnen.
Für beide, insbesondere für Barsani ist ein unabhängiger
kurdischer Staat noch längst nicht vom Tisch.
Pikanterweise
ist es der seit nunmehr 22 Wochen komplett von der Außenwelt
abgeschnittene Öcalan, der die Türkei in seinen Büchern
seit Jahren genau davor warnt: Wenn die Türkei die kurdische
Frage nicht löst, dann werden andere sie an ihrer Stelle lösen.
Die Türkei fördere so das, was sie vorgeblich nicht will,
nämlich einen unabhängigen Kurdenstaat.
Die EU lässt
trotz oder wegen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
keinerlei Initiative in der kurdischen Frage erkennen. Dies sieht
die Türkei wohl richtigerweise als Zustimmung zu ihrer militärischen
Kampagne. Dass die Initiative wieder einmal bei den USA liegt, ist
durchaus peinlich für die EU. Den USA hingegen sind die irakischen
Kurden momentan offenbar wichtiger als die Türkei. Daher steht
diese nun vor der Wahl, entweder ihre hausgemachte kurdische Frage
selbst zu lösen oder sich weiter mit militärischer Gewalt
dagegen zu stemmen.
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