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30. Oktober 2005

Generalamnestie made in USA?

Eine Analyse von Reimar Heider

Großes Aufsehen erregte im August der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit seiner Ankündigung, die „kurdische Frage“ durch „mehr Demokratie“ lösen zu wollen. Dazu gehört aus kurdischer Sicht eine Generalamnestie. Dass er keine zwei Wochen später bei der Sitzung des immer noch übermächtigen Nationalen Sicherheitsrat von den Generälen zurückgepfiffen wurde, fand dagegen schon weniger Beachtung. Das Militär verschärfte seine Militäroperationen und die Isolation Öcalans, die kurdische Guerilla HPG schlug zurück, und die türkischen Städte werden durch Demonstrationen und Anschläge erschüttert. Keinerlei politische Initiative der Türkei ist erkennbar, es wird ausschließlich die militärische Karte gespielt. Die Bilanz des Krieges ist dabei aus türkischer Sicht äußerst negativ, die Operationen brachten keineswegs die erhoffte Vernichtung der Guerilla. Zuletzt drohten mit Murat Karayilan und Duran Kalkan zwei Schlüsselfiguren der kurdischen Bewegung der Türkei, man könne von der Strategie einer demokratischen Einheit mit der Türkei auch wieder abgehen und eine Loslösung anstreben.

Nun scheint eine neue Initiative zur Entschärfung des Konfliktes Gestalt anzunehmen. Sowohl der irakische Präsident Talabani als auch der Präsident der Region Kurdistan im Irak, Talabani, forderten die Türkei auf, eine Generalamnestie für die PKK zu erlassen. Während Talabani dies bereits mehrmals vorgeschlagen hatte, hatte Barsanis Äußerung, man müsse die PKK realistischer betrachten als bisher, bei einer Pressekonferenz in Washington an der Seite von George Bush eine gewisse Dramatik. Murat Karayilan, Vorsitzender des Exekutivrats der Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans (KKK) und Co-Vorsitzender der PKK, begrüßte die USA-Reise Barsanis ausdrücklich.

Die Tageszeitung „Zaman“ des amerikafreundlichen türkischen Islamisten Fetullah Gülen hatte zuvor sogar gemeldet, eine US-Delegation habe sich in den südkurdischen Kandil-Bergen mit der PKK-Führung getroffen und die HPG zu einem Waffenstillstand aufgefordert. Cemil Bayik, der angebliche Militärchef der PKK, habe als Mindestbedingungen dafür die Freilassung Abdullah Öcalans und anderer politischer Gefangener sowie die Möglichkeit freier politischer Betätigung in der Türkei genannt.

Bei näherem Hinsehen ergeben sich so erstaunliche Konstellationen. Während die kemalistische Bürokratie und Presse über kurdische Nationalisten in der engsten Umgebung Erdogans toben, scheint er unbeirrt die Linie zu verfolgen, die die Geheimdienstfraktion um Ümit Özdag seit Jahren einfordert: Südkurdistan nicht zu fürchten, sondern wirtschaftlich und politisch eng an die Türkei anzubinden. Eine Rolle dürfte dabei Erdogans bekannte Nähe zur sunnitischen Nakschibendi-Bruderschaft spielen, der auch die Barsani und Talabani angehören. Beide hatten Erdogan bei den letzten Wahlen offen unterstützt, indem sie die Kurden in der Türkei zur seiner Wahl aufriefen und dabei der pro-kurdischen DEHAP in den Rücken gefallen waren. Erdogan versucht so, eine kurdische Alternative auch in der Türkei zu schaffen, mit der er religiöse, ideologische und außenpolitische Gemeinsamkeiten hat.

Fraglich ist, ob die Initiativen Talabanis und Barsanis mit Erdogan abgesprochen sind, um den Einfluss des Militärs zurückzudrängen. Auf der Hand liegen dagegen die direkten Interessen der beiden: Talabani und Barsani können keine weitere Front gegen einen kurdischen Widerstand gebrauchen, und beide sind darauf bedacht, ihren Einfluss möglichst weit nach Nordkurdistan auszudehnen. Für beide, insbesondere für Barsani ist ein unabhängiger kurdischer Staat noch längst nicht vom Tisch.

Pikanterweise ist es der seit nunmehr 22 Wochen komplett von der Außenwelt abgeschnittene Öcalan, der die Türkei in seinen Büchern seit Jahren genau davor warnt: Wenn die Türkei die kurdische Frage nicht löst, dann werden andere sie an ihrer Stelle lösen. Die Türkei fördere so das, was sie vorgeblich nicht will, nämlich einen unabhängigen Kurdenstaat.

Die EU lässt trotz oder wegen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei keinerlei Initiative in der kurdischen Frage erkennen. Dies sieht die Türkei wohl richtigerweise als Zustimmung zu ihrer militärischen Kampagne. Dass die Initiative wieder einmal bei den USA liegt, ist durchaus peinlich für die EU. Den USA hingegen sind die irakischen Kurden momentan offenbar wichtiger als die Türkei. Daher steht diese nun vor der Wahl, entweder ihre hausgemachte kurdische Frage selbst zu lösen oder sich weiter mit militärischer Gewalt dagegen zu stemmen.

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