24. November 2005
Das PKK-Verbot ist überholt, ungerecht und gefährlich
Am
26. November 1993 erließ Bundesinnenminister Kanther
ein Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans
(PKK) unter anderem mit der Begründung, die PKK gefährde
die bilateralen Beziehungen Deutschlands und der Türkei.
In der Folge wurden kurdische Einrichtungen, Vereine und Privatpersonen
flächendeckend mit Repressionen überzogen und politisch
aktive Kurdinnen und Kurden systematisch kriminalisiert. Bis
heute verharrt die deutsche Politik – assistiert von
den Strafverfolgungsbehörden - in einer Haltung der Ignoranz
und Respektlosigkeit gegenüber dem kurdischen Bevölkerungsteil
in diesem Land.
Zunehmend dient das PKK-Verbot, dessen Wirksamkeit mittlerweile
durchaus auch von deutschen Mehrheitsparlamentariern, Richtern
und Verfassungsschützern in Frage gestellt wird, als
innen- und außenpolitisches Spielgeld.
So diente die Verhaftung von Remzi Kartal, dem stellvertretenden
Vorsitzenden des KONGRA-GEL und ehemaligem DEP-Abgeordneten,
am 24. Januar dieses Jahres aufgrund eines türkischen
Auslieferungsersuchens, deutlich sichtbar dem Zweck, die negative
Haltung der türkischen Regierung in der Zypernfrage im
Vorfeld der EU-Beitrittsverhandlungen günstig zu beeinflussen.
2004 wurde der KONGRA GEL in die “EU-Terrorliste”
aufgenommen und damit das repressive Vorgehen der Türkei
gegen die kurdische Minderheit gerechtfertigt. Wurde in der
Vergangenheit das PKK-Verbot als Vorwand benutzt, um in asyl-
und ausländerpolitischen Fragen gravierende Einschränkungen
zu legitimieren, wird es heute instrumentalisiert für
Eingriffe in die Presse- und Meinungsfreiheit.
Die vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily am 5. September
veranlassten Verbote gegen kurdische Presseorgane sind ein
beredtes Beispiel dafür, dass das staatliche Vorgehen
von innenpolitischen Interessen wie dem Wahlkampf einerseits
und den deutsch-türkischen Beziehungen andererseits geschuldet
waren.
Das Zeitungsverbot musste nach einer richterlichen Entscheidung
zwar zurückgenommen werden, seinen Zweck, die etwa 600.000
türkischstämmigen Wahlberechtigten für eine
Stimmabgabe zugunsten der SPD zu mobilisieren, hat es jedoch
offenbar erreicht. “Hürriyet” zufolge hatten
eine Woche nach dem Zeitungsverbot 77 Prozent von ihnen die
Absicht, die SPD zu wählen.
Kurdische Politiker, von denen viele in der Türkei Folter
und Erniedrigung erleiden und viele Jahre ihres Lebens in
Gefängnissen verbringen mussten, werden immer noch –
im 12. Jahr des Betätigungsverbots der PKK - in Deutschland
zu mehrjährigen Haft- oder hohen Geldstrafen verurteilt.
Überzeugungen werden bestraft, Familien zerrissen und
in die Armut getrieben, Lebensplanungen zerstört. Ein
fortdauerndes Bekenntnis zur organisierten Bewegung begründet
zwingend eine negative Haftprognose und verhindert damit jegliche
zukunftsbezogenen Perspektiven in diesem Land.
Wegen ihrer politischen oder kulturellen Betätigung im
Rahmen der kurdischen Demokratiebewegung in Vergangenheit
und Gegenwart sehen sich Kurdinnen und Kurden zunehmend mit
der Tatsache konfrontiert, dass ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft
oder der Asylstatus aberkannt wird oder sie trotz immer noch
drohender Gefahren für Leib und Leben in die Türkei
abgeschoben werden – zur generellen Abschreckung des
kurdischen Bevölkerungsteils in Deutschland vor einer
unabhängigen politischen Betätigung im eigenen Interesse.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge begründet
seine Widerrufe damit, in der Türkei habe sich die Situation
aufgrund durchgeführter Reformen geändert und eine
politische Verfolgung finde nicht mehr statt. Doch ist das
Gegenteil der Fall: Seit Wochen eskalierenden militär-
und geheimdienstlichen Operationen der türkischen Armee-
und Polizeikräfte vor allem in den kurdischen Gebieten.
Sie lassen böse Erinnerungen wach werden an die Schreckenszeit
der 1990er-Jahre. Diese auf Vernichtung und Krieg ausgerichtete
Strategie des türkischen Staates wird letztlich durch
das fortbestehende PKK-Verbot in Deutschland gestützt.
Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung führen
ausufernde und hochtechnisierte Apparate im Bundeskriminalamt
(BKA) und der Bundesanwaltschaft (BAW) inzwischen ein Eigenleben
und produzieren permanent neue Gründe für ihre Fortexistenz
und ihren weiteren Ausbau - und damit für ein Fortdauern
des PKK-Verbots und der zwingenden Strafverfolgung. Weil es
trotz der Aufnahme von PKK und KONGRA-GEL in die EU-Terrorliste
seit Jahren nicht die geringsten Anhaltspunkte für terroristische
Aktivitäten der verbotenen kurdischen Organisationen
in Deutschland gibt, wurde von der BAW und dem BKA ersatzweise
ein Katalog von Straftaten zum Beweis einer kriminellen Vereinigung
geschaffen. Doch auch damit ist man mittlerweile in Beweisnot
geraten. Immer häufiger wird eine mögliche zukünftige
Gefährdung anstelle von realen Straftaten postuliert.
Der aus seinen Erschaffungsmotiven in der Wilhelminischen
Zeit überkommene undemokratische Charakter des §129
(“Mitgliedschaft” bzw. “Rodelsführerschaft
in einer kriminellen Vereinigung”), mit dem kurdische
Politiker/innen konfrontiert sind, wiegt schwer: Ist die Existenz
dieser Vereinigung erst einmal höchstrichterlich festgeschrieben,
so genügt der Nachweis der Mitglied- oder Rodelsführerschaft;
die Begehung konkreter Straftaten ist für eine Verurteilung
nicht mehr erforderlich. Dabei werden Umfang und Ranghöhe
dieser postulierten Vereinigung von BKA und BAW immer wieder
geändert, um sie an das gewünschte Ausmaß
der Strafverfolgung anzupassen. Die bei den Kurdenprozessen
praktisch fehlende deutsche Gerichts- und Medienöffentlichkeit
erleichtert ein solches Verfahren.
Mit der fortdauernden Repression gegen die kurdische Bevölkerung
in Deutschland wird offensichtlich das Ziel verfolgt, eine
unabhängige emanzipative Bewegung zu zerschlagen. Die
Öffentlichkeit ist aufgerufen, dieses undemokratische
Vorgehen zu missbilligen und die politisch Verantwortlichen
aufzufordern, sich einem Dialog nicht weiter zu verweigern
und die veränderten Realitäten anzuerkennen. Denn:
• Das PKK-Verbot ist überholt, weil es weder die
Demokratiebewegung noch die Integrationsbemühungen der
Kurden zur Kenntnis nimmt.
• Das PKK-Verbot ist ungerecht, weil mit ihm und den
aus seiner Logik geschaffenen Straftatbeständen die Kurden
als Menschengruppe zweiter Klasse behandelt.
• Das PKK-Verbot ist gefährlich, weil es die demokratischen
Menschenrechte allgemein relativiert und in Frage stellt und
weil es dem staatlichen Terror der Türkei Vorschub leistet.
Die
kurdische Bewegung hat durch ihre jahrelangen Bemühungen
um eine friedlich-politische Lösung der Konflikte erhebliche
Vorleistungen erbracht. Deshalb ist es dringend an der Zeit,
das PKK-Verbot aufzuheben und die politische Betätigung
von Kurdinnen und Kurden in Deutschland zu legitimieren. Zu
fordern ist ebenso die Entfernung von PKK und KONGRA-GEL von
der EU-Terrorliste.
Düsseldorf,
24.11.05
Unterstützer/innen:
AKTION 3. WELT SAAR, Losheim - Autonome Antifa Lüdenscheid
(AAL)- Klaus Blödow, Redaktion „Kurdistan aktuell/Bürgerfunk“,
(Münster)-Dr. Nikolaus Brauns, Historiker und Journalist,
(München)- Tim Engels, Rechtsreferendar, (Neuss), - Dr.
Heinz-Jürgen Schneider, Rechtsanwalt, (Hamburg) - ISKU,
Informationsstelle Kurdistans (Hamburg) - KNK, Kurdistan National
Kongress (Belgien)-KON-KURD, Konföderation der Kurdischen
Vereine in Europa, (Belgien) - FED-BIR, Verband von Kurdischen
Vereinen, (England)-FEY-KOM ,Verband von Kurdischen Vereinen,
(Österreich) -FEK-BEL, Verband von Kurdischen Vereinen,
(Belgien)-FEY-KURD, Verband von Kurdischen Vereinen, (Dänemark)-FEKAR-KURDISTAN,
Kurdistan Kultur Und Arbeiter Verband, -(Schweiz)-FED-KOM,
Verband von Kurdischen Vereinen (Niederlande)-FEYKA-KURDISTAN,
Kurdistan Vereinen Verband (Frankreich)-FED-KA, Verband von
Kurdischen Vereinen (Australien)-Verband von Kurdischen Vereinen,
(Kanada)-Verband Von Kurdischen Vereinen, (Norwegen)-CIK,
Islamische Gesellschaft Kurdistans, (Köln)-FEDA, Föderation
Demokratischer Alevitischer Vereine, (Köln)-Kurdisches
Institut, (Berlin)-YXK, Verband der StudentInnen aus Kurdistan
, (Frankfurt) - Kurdisches Institut für Wissenschaft
und Forschung (Berlin) - CENI, Kurdisches Frauenbüro
für Frieden e.V. (Düsseldorf) - Peace in Kurdistan
Campaign (England) - Kurdistan Solidarity Committee(England)
- CAMPACC, Campaign Against Criminalising Communities (England)
- YEKMAL - Verein der Eltern aus Kurdistan in Berlin e.V.
(Berlin) – Centre d’Informatio du Kurdistan (
Frankreich) - Ufficio d'informazione del Kurdistan (Italien)
- Centre Kurde des Droits de l'Homme (Schweiz) - Kurdistan
Nationalkongress – Deutschlandvertretung (Berlin) -
Internationale Initiative Freiheit für Öcalan –
Frieden in Kurdistan (Köln) - Baran Kulturhaus e.V. (Köln)