The
Kurdish Centre of
INTERNATIONAL P E N
A World Association of Writers
NAVENDA PEN A KURD
Kurdisches PEN – Zentrum e.V.
Köln,
den 23. Juni 2008
Karl Mays
terroristische Literatur und die EU-Kandidatin Türkei vor der Frankfurter
Buchmesse
Seit dem die Türkei als EU-Kandidatenland (1999) gekürt wurde sind inzwischen
neun Jahre vergangen. Im Dezember 2004 bescheinigte die Brüsseler EU-Kommission
der Türkei, dass sie die Kopenhagener Kriterien, insbesondere eine intakte
und funktionierende Demokratie, Achtung und Gewährung der Minderheiten-
und Menschenrechte erfüllt habe und führt seit Oktober 2005 offiziell
Verhandlungsgespräche mit der Türkei.
Die Erfüllung dieser
Kopenhagener Kriterien sieht in der Tat bezogen allein auf die kulturellen
Freiheiten aber folgendermaßen aus:
Karl Mays terroristische
Literatur
Karl May, Reiseschriftsteller zählte über Jahrzehnte hin zu den meistgelesenen
Schriftstellern Deutschlands. Seine Bücher wurden in etwa 40 Sprachen
übersetzt und erreichten eine Gesamtauflage von mehr als 200 Millionen.
In der Türkei aber stehen die Bücher von Karl May von sofort an auf dem
Index. Und es wurde eine komplette Lieferung mit Karl-May-Büchern beschlagnahmt.
Der Grund: Karl May
hatte ein Buch „Durchs wilde Kurdistan“ genannt – und das Wort Kurdistan
ist in der Türkei offiziell verboten. Aus türkischer Sichtweise gibt es
Kurdistan gar nicht. Und wer das Wort »Kurdistan« dennoch gebraucht, der
ist ein »Terrorist«. So steht also nun einer der größten deutschen Reiseschriftsteller
in der Türkei auf dem Index. (Freie Presse 9.6.08; mesop, 9.6.08; Freie
Presse Glauchau, 10.6.08)
Haftstrafe für kurdischen
Chefredakteur
Vedat Kursun, Chefredakteur der einzigen kurdischsprachigen Tageszeitung
in der Türkei, ist in Diyarbakir zu einer Haftstrafe von drei Jahren und
drei Monaten verurteilt worden. Kursun wurde zur Last gelegt, in der Tageszeitung
"Azadiya Welat" Werbung für eine terroristische Organisation
betrieben zu haben, weil er u.a. den Begriff "Kurdistan" verwendet
habe. (ANF, 10.6.08, ISKU)
Telefonat auf Kurdisch unter Strafe
Am 23. Mai riefen Mahmut Özkılıç und Ziya Athan in Konya bei ihren Familien
in Diyarbakir an und unterhielten per Handy in kurdischer Sprache. Ein
türkischer Polizist schaltete sich ein und kontrollierte die Personalien.
Daraufhin wurden die beiden kurdischen Männer in das Polizeiauto gezerrt
und beschimpft.
Laut Informationen des Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins in Diyarbakir
(IHD), Muharrem Erbey, wurden die beiden Kurden aufgrund eines Telefongesprächs
in kurdischer Sprache zu einer Geldstrafe von 62 YTL verurteilt. (ANF
und Aktuel Bakis, 6.6.08)
Rückweisung eines
Siebenjährigen aufgrund seines Namens
Ein sieben jähriges Kind namens Walter darf ohne weiteres in die Türkei
einreisen. Ein in Deutschland geborenes gleichaltriges kurdisches Kind
namens Welat (Heimat) darf nicht in die Türkei einreisen und wird aus
dem Istanbuler Flughafen allein nach Düsseldorf zurückgewiesen, weil er
einen kurdischen Namen trägt. (YÖP, 18.6.08)
Zwei Tage später
meldete die Nachrichtenagentur ANF, dass sich in Stuttgart ein ähnlicher
Fall ereignet habe. Die Familie Ay -- deutsche Staatsbürger -- wollte
mit ihren drei Kindern Ciya, Berfin und Beritan in die Türkei fliegen.
Am Flughafen Stuttgart wurden sie bei der Ticketkontrolle von Angestellten
der Turkish Airways zurückgewiesen. Als Begründung wurde ihnen nach Angaben
des Vaters Nurettin Ay genannt, sie seien keine türkischen Staatsbürger.
(ANF, 20.6.08, ISKU)
Mitglieder eines
Kinderchor stehen vor Kadi
amnesty international hat am 18. Juni 2008 eine Presseerklärung zu dem
Verfahren gegen drei Jugendliche herausgegeben, deren Gerichtsverfahren
am 19. Juni vor einem Gericht für Erwachsene beginnt. Sie sind Mitglieder
eines Jugendchores, der im Oktober 2007 an einem Musik-Festival in San
Francisco teilgenommen hat. Der Chor hat Lieder in mehreren Sprachen gesungen,
darunter auch ein altes kurdisches Lied mit dem Titel "Ey Reqib /
Hey Feind" - wegen dem sie nach dem Anti-Terror-Gesetz (Art. 7/2)
wegen "Propaganda für eine illegale Organisation" angeklagt
worden sind. Sechs Chormitglieder, die jünger als 15 Jahre alt sind, stehen
mit der gleichen Anklage vor einem Kindergericht. (ai, Türkei-Koordinationsgruppe,
18.6.08)
Verleger Zarakolu
zu fünf Monaten Haft verurteilt
Der engagierte Menschenrechtler und Verleger Ragip Zarakolu wurde am 17.
Juni 2008 wegen der Veröffentlichung der türkischen Ausgabe des Buches
„The Truth will set us Free“ (2004) des armenisch-britischen Autors George
Jerjian nach § 301 „Herabwürdigung des Türkentums“ zu fünf Monaten Haft
verurteilt. Zwar wurde das Verfahren mit Rücksicht auf die Novellierung
des umstrittenen Strafrechtsartikels 301 ausgesetzt, doch die Entscheidung
belegt die schlimmsten Befürchtungen von Bürger- und Menschenrechtlern
im In- und Ausland, die die Novelle als reine Kosmetik betrachten.
Nach Angaben des türkischen Justizministeriums sind allein im Jahr 2006
über 1.700 Personen nach § 301 gerichtlich verurteilt worden. (http://www.aga-online.org/de/aktionen/detail.php?newsId=272,
20.6.08)
Dies sind einige Beispiele der letzten zwei Wochen und widerspiegeln den
Umgang der Türkei mit anderen Ethnien und Minderheiten.
Der türkische Staat, die türkische Nation, die türkische Sprache, die
türkische Fahne und der türkisierte und somit missbrauchte Islam bilden
seit über 85 Jahren die Stützpfeiler der Türkischen Republik, die heute
als "türkisch-islamische Synthese" bezeichnet wird. Was nicht
diesem Schema passt, ist zum Unglück, Assimilierung und Verfolgung verurteilt.
Während z.B. in Istanbul, Ankara oder Izmir die Kinder der Eliten in die
englischen, deutschen oder französischen Schulen gehen können und in diesen
Sprachen unterrichtet werden, dürfen Kinder der 20 Millionen Kurden ihre
eigene Muttersprache auch im Jahre 2008 nicht lernen.
In einem Land, in dem z.B. ein TV-Sender Namens „Show-TV“ seit über 10
Jahren sendet, in dem an fast jeder Toiletten Tür „WC“-Schild gehängt
ist, an den bunten Vitrinen „Boutique XY“ und an Schaufenstern „Café Broadway“
steht; in dem auf jeder türkischen Schreibmaschine und PC-Tastatur die
Buchstaben „W, Q, X“ vorhanden sind und die Herrschaften mit „www“ ins
Internet gehen und surfen, werden die Anwendung dieser Buchstaben den
Kurden vorenthalten und kurdische Namen mit „W, Q, und X“ verboten und
nicht eingetragen.
Kurdische Bürgermeister werden suspendiert und schikaniert, weil sie z.B.
in den Neujahrskarten Kurdisch anwenden und die Buchstabe „W“ benutzen.
Die Benutzung des Buchstabens „W“ im englischen Text ist erlaubt, aber
im Kurdischen verboten.
Der weltbekannte kurdischstämmige Romancier Yasar Kemal sagte bezüglich
der Kurdenfrage folgendes: „Vor vielen Jahren habe ich gesagt, dass Demokratie
von der kurdischen Frage abhängt. Verbiete die Sprache von Millionen von
Mitbürgern, verbiete Schulen, in denen die eigene Sprache gesprochen und
geschrieben wird, verbiete auch Universitäten, die die eigene Sprache
erforschen… Es ist fast nichts übrig, was den Kurden nicht verboten worden
ist. Entweder eine wahre Demokratie oder nichts…“ (Yasar Kemal, Ankara,
13. Januar 2007)
Es darf nicht sein, dass in dem EU-Kandidatenland Türkei, die Sprache
von 20 Millionen Menschen immer noch verboten ist, dass die Anwendung
der Muttersprache geahndet wird, dass Menschen aufgrund ihrer Sprache
in Gefängnisse gesteckt, Kinder aufgrund eines Liedes angeklagt und Bücher
von einem Weltbekannten Schriftsteller, wie Karl May, beschlagnahmt werden.
Die deutsche und europäische Öffentlichkeit ist eingeladen, gegen die
Machenschaften des türkischen Staates einen kleinen Beitrag zu leisten
und gemeinsam mit Yasar Kemal und uns fordern: „Entweder eine wahre Demokratie
oder nichts!“
Die Freiheit des Wortes muss auch für Kurdisch gelten!
V.i.S.d.P: M. Sahin, Köln
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