Ich lege Wert auf politische Handlungen Am 20.01.2010 fand eine Konsultation Abdullah Öcalans mit seinen Anwälten statt. Öcalan sprach unter anderem über die Protestaktion, die er zusammen mit den anderen Insassen des F-Typ-Gefängnisses auf Imralı, Şehmuz Poyraz, Cumali Karasu, Bayram Kaymaz, Hasbi Aydemir und Hakkı Alkan, durchführt. Diese Protestaktion, die am 15.01. bekannt wurde, richtet sich gegen die Haftbedingungen im Gefängnis. Öcalan und die weiteren fünf Insassen hätten das Recht, wöchentlich insgesamt zehn Stunden miteinander zu sprechen, stattdessen wurde diese Dauer nun auf 50 Minuten reduziert. Öcalan erklärte dazu: „Mit den anderen Freunden treffen wir uns immer noch nicht. Obwohl wir eigentlich das Recht auf zehn Stunden hätten, durften wir uns nur eine Stunde sehen. Dass wir uns nicht treffen, ist für mich kein großes Problem. Ich habe mich schon daran gewöhnt. Ich habe elf Jahre ganz allein verbracht. Ich durfte ja auch keinen anderen sehen, dieses Recht wurde mir verweigert. Ich komme allein zurecht, aber die anderen Freunde tun mir leid. Ich weiß nicht, ob sie diese Bedingungen aushalten. Zuletzt wurde die Dauer von einer Stunde auf 50 Minuten reduziert. Unter diesen Umständen ist es sinnlos, zu den Treffen zu gehen. Aus diesem Grunde haben wir vereinbart, dass wir uns nicht treffen werden. Wir wollen keine Privilegien, wir möchten nur, dass sie sich an ihre eigenen Gesetze halten. Sie haben keinen Respekt vor ihren eigenen Gesetzen. Ich kann diese Menschen nicht verstehen, manchmal staune ich, wie niveaulos sie an die Sache herangehen. Aber auf der anderen Seite wollen sie, dass wir uns an die Gesetze halten. Ich bedauere das.“ Vor kurzer Zeit war die Rede davon, dass Öcalan in der Haftanstalt einen Fernseher bekommen sollte. Nach den Protestaktionen wegen Öcalans Haftbedingungen traf sich Öcalan mit der Gefängnisdirektion: „Vor Kurzem habe ich mit dem Gefängnisdirektor gesprochen. Er sagte mir, wenn ich brav bleibe und nicht rede, gibt er mir einen Fernseher. Ich habe mich natürlich wegen dieser Niveaulosigkeit aufgeregt, was ich ihm auch gesagt habe. Ich bin ein ehrenhafter Mensch, der seinen Prinzipien treu bleibt. Ich lasse nichts auf meine Prinzipien, meine Würde und meine Identität kommen. Dies sind für mich wichtige Werte. Sie denken, dass sie mich mit einem Fernseher einwickeln können. Sie haben einen Fernseher, der hier seit zehn Jahren steht, aber er wird mir nicht ausgehändigt. Der wird dann zum Verhandlungsthema. Ihr könnt mich nicht so primitiv behandeln. Nehmen diese Menschen diese Sache nur so wenig ernst? Ich glaube, ich werde mit einigen verwechselt, die von uns abgehauen sind. Die haben sich natürlich dran gewöhnt. Sie wurden mit ein paar Kleinigkeiten rumgekriegt. Jetzt denkt man, das auch mit uns machen zu können. Aber ich lasse das nicht zu. Mit diesen Methoden haben sie viele Menschen besiegt. Mir soll jetzt auch genau so die Niederlage aufgezwungen werden. Solch ein einfaches, primitives Herangehen kann nicht sein. Was denken diese Menschen? Manchmal wundere ich mich und schimpfe. Ich lasse mich nicht auf so einfache Auseinandersetzungen ein, wie kann man von mir so etwas erwarten? Wir möchten nur, dass sie ihre eigenen Gesetze umsetzen, mehr nicht.“ Öcalan sprach auch die AKP-Regierung (Adalet ve Kalkınma Partisi – Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) an: „Die AKP ist verantwortlich für das alles. Sie denken so kleinkariert, dass sie sogar einen Fernseher zum Verhandlungsthema machen können. So etwas kann kein Staatsmann oder Ähnliches sein. Die AKP versucht die Kurden von sich abhängig zu machen, indem sie das Gebiet erst einmal aushungert und später irgendwelche ‚Investitionen’ macht. Während sie diese Spielchen spielt, zeigt sie auf das Duo Bahçeli/Baykal [Vorsitzende der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ MHP und der „Republikanischen Volkspartei“ CHP] bzw. auf deren nationalistisch-aggressive Seite und verlangt, dass man sich mit ihr zufriedengibt. Dieses nationalistische Konzept hat keinen Unterschied zum sunnitisch-politischen Islam. In der Vergangenheit wurde der nationalistische Faschismus angewandt. Jetzt wird mit dem Mittel AKP der sunnitisch-politische Islam praktiziert. Der Großteil der Kurden ist sunnitisch. Die AKP will sie über diese Identität ausbeuten. Besonders in Urfa wird das ständig versucht. Hinter all diesen Sachen stecken natürlich England und die USA. Das Ziel dieser Politik ist dann, dass die Türkei mit den regionalen Staaten Sicherheitsallianzen schließt, damit die PKK mithilfe der Kräfte aus dem Süden [Südkurdistan] in die Enge getrieben und unter regionalen Druck gesetzt wird. Das wird dann dazu führen, dass die Türkei am Ende mit der AKP die Kurden betrügt und so die kurdische Frage ‚löst’. Das einzige Problem der AKP ist hierbei, die genannten Mächte hinter sich zu bringen und zwei, drei Mal die Regierung zu halten. So wie die vergangenen sieben Jahre will die AKP die nächste Zeit auch vorüberbringen. Die AKP ist faschistisch. Das ist das wahre Gesicht der AKP. Diesen Fakt muss jeder wissen. Ihr könnt euch nicht vor der Sache drücken, indem ihr mich einfach ‚Terrorist’ oder so nennt. Sind wir minderwertig und erkennen das an? Das ist eben die AKP-Mentalität. Deswegen habe ich die ‚Vernichtung’ als Definition genommen. Das ist faschistische Mentalität; das ist Faschismus. Diese Mentalität muss richtig verstanden werden. Die Kurden müssen ihre Einheit bilden. Sie dürfen sich nicht auf die Spielchen der AKP einlassen. Wieso werden diese Spielchen nicht bemerkt? Wieso werden solch einer Mentalität immer noch Stimmen gegeben? Einer solchen Mentalität darf nicht einmal eine Stimme gegeben werden. Aus diesen Gründen bin ich zornig auf das Volk und auf jeden. Ich sage das nicht nur den Kurden, auch zum türkischen Volk spreche ich.“ Zwischen dem 11. und dem 13. November 2009 wurde die „demokratische Initiative“ im Parlament besprochen. In diesen Debatten sprach der stellvertretende CHP-Vorsitzende Onur Öymen über das Massaker in Dersim 1938. Öymen sagte zur AKP: „Haben die Mütter beim Aufstand von Şîx Said [1925] oder von Dersim nicht geweint? Ihr habt Angst vor der Terrorbekämpfung!“ Öcalan hatte diese faschistische Mentalität schon in der Vergangenheit angesprochen. Später nannte er Öymen den „aufrichtigsten“ Menschen der CHP, da der seine Gedanken ganz offen darlege. Öcalan erklärte dazu: „Ihr müsst Eure Geschichte gut kennen, um die lauernden Gefahren entdecken zu können. Für Dersim und Amed gilt dasselbe. Die Aleviten und die aus Dersim müssen ihre Vergangenheit gut kennen. Es sollte nicht jedem Dahergelaufenen möglich sein, im Namen Dersims oder der Aleviten zu sprechen. Es gibt viele alevitische Institutionen, aber jede von ihnen sagt etwas anderes. Sie müssten eine richtige Organisation aufbringen, die sie vertreten kann. Ich habe letztens im Radio gehört, dass Kemal Kılıçdaroğlu [Istanbuler CHP-Abgeordneter] gefragt wurde: ‚Sind Ihre Beziehungen zu Onur Öymen wieder normalisiert?’ Kılıçdaroğlu antwortete daraufhin, ihre Beziehungen seien nie unnormal gewesen, so dass sie normalisiert werden könnten. So präsentiert er sich als jemand aus Dersim und nennt sich Alevit. Er behauptet, er sei eine Vertretung [für Dersim], aber er ist nicht einmal dazu fähig, seine eigenen Werte zu schützen. Die Menschen aus Dersim sollten daraus eine Lehre ziehen und von ihm Rechenschaft fordern. Sie müssten klarstellen, dass man mit ihnen nicht spielen kann. Das sollte ganz klar auf den Tisch kommen. All diese Gefahren müssen durchschaut werden. Auch von der BDP [Barış ve Demokrasi Partisi – Partei für Frieden und Demokratie].“ Seit März, April 2009 herrscht Hoffnung auf Frieden, mit Höhen und Tiefen. Nach der Bekanntgabe der „kurdischen Initiative“ hat die kurdische Seite mit der „Roadmap“ Öcalans, den Friedensgruppen aus Qendîl und Mexmûr und verschiedenen Beispielen gezeigt, dass sie bereit ist für einen Frieden. Öcalan dazu: „Ich möchte heute eigentlich zum Thema Frieden einiges sagen. Wir haben versucht, den Frieden zu bringen, wir hätte es gerne geschafft, aber es ging nicht. Eigentlich waren die Schritte für den Frieden klar und einfach. Das Ende der Tränen hängt an einem Wort: Friedensdiskussionen! Die Familien, die ihre Angehörigen verloren haben, können dieses Wort der Regierung aufzwingen. Das Ende der Tränen ist eigentlich so einfach. Ich rufe noch einmal aus Anlass des neuen Jahres den Staatspräsidenten, den Premierminister, den Generalstabschef, die Polizei und den Geheimdienst auf: Jeder muss das Seinige für den Frieden tun! Das ist ein Muss für einen Staat. Die Lösung des Problems ist nicht so schwer. Wir hatten ganz offene und klare Ansichten in Sachen Frieden. Allzu schwer waren diese Schritte nicht, aber unsere Bemühungen wurden, warum auch immer, nicht ernst genommen. Ich habe hier alle Friedensversuche und Wege erforscht und auf dieser Basis meine Ansichten zur Frage ‚Wie kommt der Frieden in unser Land?’ aufgeschrieben, ausgesprochen und mich bemüht. Aber diese Bemühungen wurden nicht ernst genommen. Ich bedauere das sehr. Es heißt, auf beiden Seiten seien 40.000 bis 50.000 Menschen gestorben. Doch welche Lehre hat man daraus gezogen? Das kann man nicht mit ‚Terror’ erklären. Wo 50.000 Menschen gestorben sind, herrscht kein ‚Terror’, sondern Krieg! Wenn in anderen Ländern so viele Menschen gestorben wären, dann würde man sich an den Tisch setzen und Lösungsperspektiven anbieten. Ich habe auch nicht gesagt, dass man unbedingt mit mir sprechen soll. Ich habe verschiedene Adressen genannt, aber diese wurden auch nicht ernst genommen. Ich habe letztens im Radio von dem Vorfall während der Zeremonie, bei der auch Staatspräsident Gül war, gehört. Dort hieß es auch, dass weiter gekämpft werde, bis der ‚Terror’ zu Ende ist. Immer noch wird Politik auf dem Blut der Verstorbenen ausgetragen. Es wird gesagt, sie hätten Märtyrer, aber vor denen haben sie keinen Respekt. Wenn Krieg geherrscht hat, Menschen deswegen gestorben sind, dann muss dafür gesorgt werden, dass das nicht mehr passiert. Ein Staatsmann muss das machen. Wir machen unsere Friedensversuche seit 1993, zuletzt versuchte ich in den letzten elf Jahren alles Mögliche für den Frieden. Wir haben uns in dieser Sache sehr bemüht, aber sie blieb ohne Antwort. Ja, 50.000 Menschen starben, aber mal das Ende beiseite: Die Verstorbenen werden weiterhin ausgenutzt; ‚Terror’ und ‚Separatismus’ werden unterstellt. Wir wollten niemals dieses Land spalten. Man sagt ‚Wir haben Märtyrer’, aber haben wir keine? Trotz allem Schmerz haben wir unsere Freunde und unser Volk zum Frieden überredet, was habt Ihr getan? Ihr habt Salz in die Wunde gestreut. Wir haben früher schon Schritte in Richtung Frieden getan und haben deswegen hunderte Freunde verloren. Zuletzt kamen Freunde aus Qendîl und Mexmûr mit aller Entschlossenheit, obwohl sie wussten, was mit ihnen passieren kann. Sie sind gekommen, um einen Beitrag zum Frieden zu leisten. Es ist auch bekannt, wie die Ankunft dieser Freunde von Staat und Regierung aufgenommen wurde. Das Ziel ihrer Ankunft war zu zeigen, dass die Kurden trotz allem, trotz all dem erlittenen Schmerz zum Frieden bereit sind, und was unser Standpunkt sein wird bei einer Lösung. Aber das wurde übersehen. In diesem Zusammenhang möchte ich den Freunden, die gekommen sind, und dem Volk nochmals danken. Es herrscht Krieg und Menschen sterben. Der Staatsmann muss zum Krieg, aber auch zum Frieden bereit sein. Wer Krieg führt, muss auch Frieden schließen können. Es gibt Beispiele in der Geschichte. Gandhi kämpfte und wusste auch Frieden zu schließen. Des Weiteren gibt es das Beispiel De Gaulles. Bekanntlich beteiligte Churchill sich am Zweiten Weltkrieg, konnte aber schließlich auch Frieden schließen. Es ist bekannt, was er für den Frieden geleistet hat. Zu Stammeszeiten war das ebenso. Zwei Stämme führten Krieg, Menschen, die in der Gesellschaft einen Namen hatten, kamen zusammen und versuchten Frieden zu schließen.“ In den letzten Wochen und Monaten demonstrierte die kurdische Bevölkerung massivst wegen der Haftbedingungen Öcalans in Imralı. Vor seiner Entführung aus Kenia hatte Öcalan nur unter Sinusitis gelitten. Seit seiner Festnahme hat er 14 weitere Krankheiten. Auch wurde die Isolationshaft weiter verschärft und Gesetze wurden wegen ihm geändert. Er wurde vergiftet und körperlich angegriffen, was dann mit einer Todesdrohung endete. Zuletzt wurde er in die von ihm selbst als „Todesloch“ bezeichnete Zelle gesteckt und seine Haftbedingungen wurden nochmals verschärft. Öcalan sprach auch sich selbst und seine Zukunftsperspektiven an: „Ich will auch die Herangehensweise an mich kritisieren. Die Staatsseite will mich als ‚Terrorist’ darstellen und so das Problem umgehen. Die Kurden, also unsere Seite, zeigen meinen Gesundheitszustand und meine Haftbedingungen vor und machen Aktionen in meinem Namen. Ich finde diese Herangehensweise inakzeptabel und primitiv. Ich lege Wert auf politische Handlungen, Herangehensweisen und auf politische Überlegungen. Überall muss ich so erklärt werden. Ihr könnt meine Haftbedingungen, die Härte meiner Haftbedingungen etc. nicht vorschieben und so in Aktion treten. Ja, ich weiß, ich habe vielleicht einen besonderen Wert bei ihnen, aber dieses Problem darf nicht auf eine Person reduziert werden. Dieses Problem ist ein gesellschaftliches, politisches; ein Problem der Freiheit und der Identität. Das muss so betrachtet werden. Meine Umstände werden diskutiert, deswegen werden Protestaktionen veranstaltet. Das ist ein Mittel für die Spielchen, die gespielt werden wollen. Wenn Ihr so weitermacht, dann werdet Ihr zum Mittel für die Spielchen hinter meinem Rücken. Zu Cuma [Cemil Bayık] und den anderen sage ich nichts. Ich habe Respekt vor ihnen. Aber, sie sollen sie selbst sein. Wenn sie können, dann sollen sie die Führungsrolle übernehmen. Sie müssen aber auch wissen, wie sie das machen. Ich habe den Kommentar Cumas über die AKP letzte Woche gehört. Er spricht von der speziellen Mission der AKP, deutet auf die Gefahren des Prozesses und auf die Vernichtung hin; anscheinend haben sie es verstanden. Ich sage nichts, sie sollen ihre eigenen Beschlüsse selbst fassen. Zu [Murat] Karayılan sage ich auch nichts; auch vor ihm habe ich Respekt. Sie sollen selbst Beschlüsse fassen, ich bin ich und sie sind sie. Wenn es sein muss, sollen sie sogar zu mir sagen: ‚Misch dich nicht ein, wir haben unseren Beschluss gefasst.’ Ich hätte Respekt davor. Man soll wissen, dass dieser Kampf nach mir weitergeführt wird. Aber, wenn sie ihre Beschlüsse nicht in die Tat umsetzen, dann werde ich sie scharf kritisieren. Ab diesem Zeitpunkt ist es ihre Sache, ob sie Krieg führen oder Frieden schließen. Ich wiederhole es, wichtig ist nicht mein individueller Zustand. Für mich ist der Zustand der 5.000 Freunde, die in den Gefängnissen sitzen, und der meines Volkes, ihre Freiheit wichtig. Die Verbesserung meiner Bedingungen oder meine Freiheit können erst danach thematisiert werden. Mir geht’s in dem Maße gut, wie es den Freunden gut geht. Ich gehe diese Frage so an. Angenommen, meine Lage wurde verbessert, aber die der Bevölkerung und der Freunde ist noch dieselbe, dann hat mein individueller Zustand keine Bedeutung mehr. Das Volk hat diesen Typ als Führungsperson akzeptiert und ich habe das so angenommen. Das ist mein Verständnis, die demokratische Führungsperson. Jeder hat die Pflicht, mich so zu erklären. Meine Prinzipien haben mit Verständnis zu tun. Ein verständnisvoller Mensch ist ein freier Mensch und ein freier Mensch ist ein schöner Mensch. Ein schöner Mensch wiederum hat Freude am Leben. Ein Mensch, der mit der Freiheit verschönert wird, wird ein wertvolles Leben besitzen. Ich habe schon vorher erwähnt, wenn ich nicht richtig verstanden werde, dann werde ich hart kritisieren. Wenn es sein muss, dann lehne ich auch meine Anwälte ab und komme nicht zu den Gesprächen. Unter diesen Umständen kann man keine praktische Führungsrolle übernehmen. Ich finde das weder moralisch in Ordnung noch legitim. Ich gebe mir dieses Recht nicht. Für eine praktische Führungsrolle habe ich weder die Bedingungen noch die Zeit noch lässt mein Alter das zu. Natürlich habe ich eine 30–40 Jahre lange Erfahrung in der Politik. Des Weiteren habe ich eine soziologische Spezialisierung seit elf Jahren. Man kann mich hier töten, davor habe ich keine Angst. Doch kann man mich nicht stillschweigen lassen. Ich bin hier Gefangener, das ist mir bewusst. Ich werde meinen letzten Weg meiner Freunde und dem Volk würdig gehen. Ich muss mich wegen meiner Verantwortung gegenüber dem Volk am Leben halten und diese Umstände, die schlimmer als der Tod sind, aushalten. Der Widerstand Mazlums, Kemals und Hayris ist bekannt. Mazlum hat sich selbst geopfert, Kemal und Hayri starben im Hungerstreik. Ich muss dieser Freunde mit Respekt gedenken, muss ihr Erbe leben. Diese Menschen waren sehr mutige Menschen. Ich sage ganz offen, ich bin nicht so mutig wie sie. Vielleicht bin ich ein ganz normaler Mensch, also keiner, der übertrieben dargestellt werden muss. Doch gibt es eine Sache, die mir bewusst ist. Ich versuche ehrenhaft, mit meiner Persönlichkeit und dem Volk und den Werten gerecht zu leben. Mein Widerstand hier ist ein offener Überlebenskampf. Das muss genau so bewusst sein. Ich habe hier einen Beschluss gefasst, ich werde weder zu hart noch zu weich sein. Ich werde politisch flexibel sein, aber von meinen Prinzipien nicht abweichen. Ich werde meine Tage sinnvoll gestalten. Ich werde dem Gedenken an Mazlum und Kemal verbunden bleiben. Mein Marsch wird diesen Charakter haben.“ In letzter Zeit ziehen Syrien und der Iran mit ihren Gräueltaten die Aufmerksamkeit auf sich. Zum Iran, der kurdische Jugendliche unter dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in der PJAK“ hängt, und zu Syrien, in dessen Militär kurdische Soldaten „Selbstmord“ begehen, brachte Öcalan einen Vergleich aus der Vergangenheit: „Der Iran vollstreckt die Todesstrafe und Syrien verhaftet. Überall hält der Druck auf unser Volk an. Überall werden die Operationen ausgeführt, die Menschen werden angekettet, ihnen werden Handschellen angelegt und sie werden festgenommen. Anwälte werden auch festgenommen. Die AKP versucht, die Kurden zu vernichten, indem sie mit dem Irak und Syrien Allianzen schließt und so die südkurdischen Kräfte, die EU und die USA auf ihrer Seite hat. Die AKP möchte gemeinsam mit den internationalen Mächten uns vernichten. Wie schon in der Vergangenheit bewiesen, kann dieser Plan auch das genaue Gegenteil bewirken. Ein Beispiel, das ich hier nennen kann, ist die Französische Revolution. 1791 sucht der französische König Unterstützung für den Kampf gegen die Jakobiner. Trotzdem läuft in Frankreich aber die Revolution, die sich kurz darauf in ganz Europa bemerkbar macht. Das zweite Beispiel ist die Oktoberrevolution. Die Russen ziehen sich wegen interner Probleme aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Ganz Europa hilft dem Zaren und stellt sich gegen die Revolution. Trotzdem realisiert sich die Oktoberrevolution, dank der Unterstützung des Volkes. Ganz Europa steht an der Seite des Zaren, das hält aber die Revolution nicht auf, im Gegenteil, es führt zum Sieg der bolschewistischen Revolution zwischen 1918 und 1922. Trotz aller Hindernisse tritt die Oktoberrevolution über die Grenzen und dehnt sich auf Europa bzw. die Welt aus. Diese von mir genannten Punkte können in geeigneter Weise ausgedrückt werden. Im Zusammenhang mit uns kann ich nicht wissen, ob die PKK eine starke Revolution, ähnlich wie die Oktoberrevolution, verwirklichen kann oder nicht. Unser Problem [die kurdische Frage] kann so aufgefasst werden. Starke Kräfte können die AKP unterstützen, was aber nicht bedeutet, dass unsere Bewegung kleiner wird.“ Zuletzt sprach Öcalan die Äußerungen
eines Bürokraten von BOTAŞ [staatliches Unternehmen für Erdöl- und Erdgastransport
und -handel] und die BDP an: „Ein BOTAŞ-Bürokrat sagt, dass das ‚Blue
Stream’-Projekt nach meiner Ausweisung [aus Russland] wieder aufgenommen
wurde. Das ist sehr wichtig. Ich habe vorher schon einiges zu den damaligen
Allianzen gesagt. Heute ist das auch noch gültig. Russland, die Türkei
und eine Reihe internationaler Mächte führen diese Beziehungen gegen uns.
In Sachen BDP kann ich sagen: Sie können in größerem Umfang Menschen,
bis hin zu Umweltaktivisten, mit einbeziehen. Die BDP darf keine Identitätspartei
mehr sein. Sie muss eine sensiblere Partei werden und alle Probleme des
Landes ansprechen können. Deswegen müssen Menschen aus verschiedenen Kreisen
eingeladen werden; das muss ihre Perspektive sein. Türken und Kurden haben
ein gemeinsames Leben bitter nötig. Außerdem müssen sie im Sinne einer
Dachpartei zusammenkommen, um zu expandieren, und in grundlegenden Themen
gleicher Meinung sein. Ich sage das als alter Anhänger von Mahir [Çayan]
und Deniz [Gezmiş]. Ihnen muss genau das gesagt werden. Quelle: ANF, 22.01.2010, ISKU
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