Berichte
der Berlin/Hamburg Newrozdelegation
Wir besuchten das Dorf Kel 130 km nördlich der zweitgrößten kurdischen Metropole Van (700000 EinwohnerInnen) nahe der Stadt Caldiran (15.000 EinwohnerInnen). Dort richteten Sondereinheiten des türkischen Militärs (Özel Teams) am 7. Oktober drei junge Menschen zwischen 17 und 20 Jahren auf brutalste Weise extralegal hin. Einheiten der Jandarma hatten sie während einer Razzia im Dorf, auf der Flucht festgenommen. Zwei der Hingerichteten waren Guerilla, einer ein Dorfbewohner. Die Soldaten der Jandarma übergaben die Gefangenen noch am Ort der Festnahme den Sondereinheiten, die sie dann, nach bestialischer Folter in einer Schlucht (ca. 500m vom Dorf entfernt gelegen) mit Gewehrsalven hinrichteten. Die Jugendlichen waren nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Augenzeugen unbewaffnet. Der Tathergang konnte aufgrund von über 30 Metern verteilten Blutspuren und Körperresten ziemlich detailliert rekonstruiert werden. Bei den Leichen wurden die Finger und Schädel zertrümmert. Dorfbewohner berichteten von mehreren Gewehrsalven, die eine Weile nach der Verschleppung der Opfer, aus Richtung der Schlucht zu hören waren. Dutzende Soldaten beobachteten das gesamte Geschehen. Einer von Ihnen berichtete anonym darüber. Er sagte unter anderem, dass die beiden Guerilla zu den Sondereinheiten sagten, dass sie sie selbst zwar töten könnten, den siebzehnjährigen Ibrahim Atabay aber in Ruhe lassen sollten, ihn nicht foltern oder töten sollten, da er unschuldig sei. Die Familienmitglieder, die ihre Angehörigen nach längerer Ungewissheit über den Aufenthalt der Leichen sehen konnten berichteten, dass deren Körper, über die beschriebenen Folterspuren hinaus von Kugeln durchsiebt waren. Gleichzeitig zur extralegalen Hinrichtung, wurden ein Bruder und ein Onkel von Ibrahim Atabay, in einem Haus der Familie misshandelt und gefoltert. Während der Bruder Ibrahim Atabays, nach 41 Haft vorläufig wieder entlassen worden war, ist der Onkel seitdem ist F-Typ Gefängnis von Van ohne Anklageerhebung inhaftiert. Ein Mahnmal, dass die DorfbewohnerInnen zum Andenken an die Ermordeten in der betreffenden Schlucht errichteten, wurde auf Weisung des türkischen Innenministers, Besir Atalay, von 730 Jandarma mit Hilfe eines Baggers unter „Bewachung“ mit schweren Geschützen und Panzern eingerissen. Die Familie Atabay ist wegen Errichtung des Mahnmals mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert. Die Akte über die Täter wurde unterdessen vom Gericht geschlossen. Auf eine Parlamentsanfrage der Abgeordneten Fatma Kurtulan, antwortete das Innenministerium, den erwiesenen Tatsachen widersprechend, der 17jährige Schüler Ibraham Atabay wäre 34 Jahre alt, PKK Kader und bewaffnet gewesen. Die betroffene Familie lebt seitdem in ständiger Angst vor weiteren Morden. Selbst deren Rechtsanwalt ist ständigen Drohungen ausgesetzt und kann daher keine effektive Wahrnehmung der Interessen der Atabays umsetzen. Die Mitglieder der Familie wurden seit der Tat mehrmals von unterschiedlichen Sicherheitskräften und Militärs bedroht. Zudem werden sämtliche Häuser des Dorfes zwischen einmal in der Woche und einmal im Monat, jeweils von einem großen Aufgebot von „Sicherheitskräften“ durchsucht. Die meist brutale und, neben der angestrebten Abschreckung, auf Zerstörung der Wohnungseinrichtungen abzielende Durchsuchung ganzer Dörfer ist in dieser Region eine übliche Praxis. Auch die gezielte, sich wiederholende Durchsuchung von Häusern politisch Tätiger ist hier ein gängiges Mittel der Repression. Die Durchsuchung ganzer Dörfer ist auch auf die Spaltung der Gemeinschaften ausgelegt, da seitens der Sicherheitskräfte Schuldzuweisungen gegenüber einzelnen EinwohnerInnen gemacht werden. „Die extralegalen Hinrichtungen in Gele sind ein Zeugnis von barbarischem, menschenunwürdigem Verhalten. Eine Verschleierung der Taten, wie sie staatlicherseits vorgenommen wird ist nicht hinnehmbar. Die Morde müssen aufgeklärt werden. Folter und extralegale Hinrichtungen nehmen in der Türkei erneut besorgniserregend zu. Seit Jahren bemüht sich die kurdische Seite um eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts. Die AKP Regierung wäre nun gefragt ernsthafte Schritte für eine wirkliche Demokratisierung und die Einhaltung internationaler menschenrechtlicher Standards zu unternehmen, anstatt die Kriminalisierung der VertreterInnen der kurdischen Bevölkerung fortzusetzen und eine militärische Vernichtung der seit Jahren friedensbereiten Guerilla anzustreben.“ 19.03.2010 (zweiter Teil) Newroz Wir besuchten das kurdische Frühjahrsfest Newrozfest in Caldiran. Die Stimmung auf dem Festivalgelände, nahe dem Stadtzentrum war kraftvoll und kämpferisch. Die ca. 2000 TeilnehmerInnen riefen Parolen für Freiheit, Frieden und das Recht auf Widerstand gegen Repression und Krieg. Immer wieder war auch Kritik an der Verhaftungswelle in Belgien, Frankreich und Italien, sowie den Fernsehsender Roj TV zu hören. Zudem wurde der Respekt gegenüber Abdullah Öcalan zum Ausdruck gebracht und Guerillalieder gespielt. Wir hielten ein (im Folgenden dokumentierten) Grußwort, das seitens der NewrozteilnehmerInnen mit großer Freude und Solidarität begrüßt wurde. Auch in einer AKP regierten Kleinstadt wie Caldiran, lassen sich die Menschen scheinbar nicht von dem ungeheuren Repressionsdruck in der Region abschrecken. Neben dem kraftvollen Newrozfest waren in der ganzen Stadt Parolen gesprühte politische Parolen zu sehen, die u.a. die Solidarität mit der Guerilla ausdrückten. Die Kommunalwahlen 2009, wurden Berichten zufolge von massivem Wahlbetrug überschattet. Ein in Caldiran ansässiger Cousin des ehemaligen Vorsitzenden der neoliberalen Gencpartei, erbte nach dessen Flucht ins Ausland, aufgrund massiver Korruptionsvorwürfe, die Hotelkette Rixon (u.a. mit mehreren Hotelanlagen in Antalya). Mit den daraus abgeschöpften Geldern wurden Versprechungen gemacht und Menschen bestochen. Beim BDP Büro in Caldioran wurde in der Nacht vor dem Newrozfest (am 18.03) eine Scheibe von unbekannten eingeworfen. In dieser Region ist das, Berichten zufolge, eine übliche Praxis, der versuchten Einschüchterung gegenüber der BDP, durch in zivil oder vermummt auftretende „Sicherheitskäfte.“
Liebe FreundInnen und Freunde Wir freuen uns mit Euch heute hier das kurdische Frühjahrsfest Newroz feiern zu können. Wir sind eine Delegation aus Deutschland. Unter uns sind Delegierte der Abgeordneten der Bundestagsfraktion der Partei, Die Linke, Ulla Jelpke, sowie der Abgeordneten der Hamburger Landesparlamentsfraktion, Die Linke, Christiane Schneider. Des weiteren Menschen die in Kurdistan Solidaritätsgruppen arbeiten und WissenschaftlerInnen. Wir hoffen, dass das diesjährige Newrozfest der Auftakt wird, den seit dreißig Jahren anhaltenden Konflikt um den türkisch-kurdischen Konflikt in der Türkei zu lösen. Von kurdischer Seite werden schon seit 1999 Bemühungen für Frieden und Demokratie unternommen. Mit großen Hoffnungen haben wir in Deutschland die Ankündigung der AKP Regierung vor einem Jahr verfolgt, mit einer so genannten kurdischen Initiative, die Probleme nun endlich anzugehen. Doch die Bilanz fällt ernüchternd aus. Als Antwort auf den Sieg der DTP bei den Kommunalwahlen 2009 begann eine Repressionswelle nie gekannten Ausmaßes gegen die kurdische Bevölkerung: Kurdische BürgermeisterInnen, MenschenrechtsaktivistInnen, und Intellektuelle wurden aufgrund ihrer politischen Tätigkeit inhaftiert und mit Prozessen konfrontiert. Als Konsequenz dieses Denkens wurde dann als trauriger Höhepunkt Ende letzten Jahres die gewählte politische Vertretung der KurdInnen, die DTP verboten. Auch die Fälle von Folter, extralegalen Hinrichtungen und weiteren gravierenden Menschenrechtsverletzungen haben in den letzten Jahren besorgniserregend zugenommen. Wir fragen die türkische Regierung, wir fragen Ministerpräsident Erdogan: „Sieht so die kurdische initiative aus? Wie soll der türkisch-kurdische Konflikt gelöst werden, wenn die kurdischen Ansprechpartner verhaftet und verurteilt werden? Mit Wut und Bitterkeit erfüllt uns das die türkische Regierung in dieser Haltung aktiv von den europäischen Regierungen unterstützt wird. In einer beispiellosen Art und Weise wurden in den letzten Wochen, in enger Absprache mit den türkischen Behörden kurdische PolitikerInnen in Frankreich, Italien und Belgien überfallartig festgenommen. Der in Brüssel arbeitende kurdische TV Sender Roj TV wurde von Antiterroreinheiten gestürmt und bewusst verwüstet um die kurdische Stimme für Frieden und Demokratie zum schweigen zu bringen. Wir verurteilen das Vorgehen der Europäischen Staaten aufs schärfste und fordern die umgehende Freilassung der inhaftierten kurdischen PolitikerInnen – allen voran Remzi Kartal und Zubayir Aydar – und vor allem fordern wir: Hände weg von Roj TV. Erschüttert nehmen wir zur Kenntnis, dass entgegen internationalen Konventionen und rechtlichen Regulierungen, welche die Türkei unterzeichnet hat, mehrere hundert kurdische Kinder und Jugendliche, die an Demonstrationen teilgenommen haben inhaftiert werden. In den Gefängnissen werden diese Kinder auch geschlagen und misshandelt und dann von Schwurgerichten für Erwachsene zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Wir fordern die türkische Regierung auf, diese Praxis umgehend einzustellen und sich an die von ihr unterzeichneten Konventionen und rechtlichen Regulierungen zu halten. Auch wenn letztes Jahr viele Hoffnungen enttäuscht wurden, ist es nie zu spät den Weg der Versöhnung zu einer demokratischen und friedlichen Lösung zu gehen. Der Schlüssel dazu liegt bei der türkischen Regierung. Dazu ist es unerlässlich, die militärischen Operationen und Bombardierungen durch die türkischen Streitkräfte sofort einzustellen, die Menschenrechte einzuhalten und mit den AnsprechpartnerInnen der kurdischen Bevölkerung in den Dialog zu treten Wir sehen uns in der Verantwortung unsere Kraft dafür einzusetzen, dass die europäischen Staaten ihre eigenen, in der Kopenhagener Erklärung und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Kriterien als Grundlage für ihr Handeln nehmen. Denn wirtschaftliche und militärische Interessen dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass die Menschenrechte mit den Füßen getreten werden. Außerdem ist es nicht hinnehmbar dass - besonders die Bundesrepublik - die Türkei mit Waffen beliefert und die europäischen Staaten den verlängerten Arm der türkischen Polizei spielen, in dem kurdische Politiker und kurdische Medien in Europa kriminalisiert werden. Wir freuen uns darauf, hier und Heute mit Euch ein kraftvolles Newrozfest zu feiern. Hoch die internationale Solidarität. Newroz Piroz be
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