ÖCALAN:
Die dritte Phase ist abgeschlossen!
Die vorliegenden
Gesprächsnotizen wurden bei Konsultationen der Anwälte des KCK-Vorsitzenden
Abdullah Öcalan im Monat März 2010 aufgezeichnet. Die Anwälte Öcalans
können in der Regel einmal wöchentlich zur Konsultation auf die Insel
Imrali. Allerdings werden diese von Zeit zu Zeit mit der Begründung „schlechte
Wetterbedingungen“ oder „defektes Küstenschiff“ willkürlich behindert.
Anfangs konnten die Anwälte noch zwei Mal pro Woche zu ihrem Mandanten.
Dies wurde aber nach kurzer Zeit auf einmal pro Woche reduziert.
Öcalan, der weiterhin in Isolationshaft sitzt, wurde im Verlauf seiner
Haftzeit nachgewiesen vergiftet und auch schon physisch angegriffen. Diesbezüglich
erklärt Öcalan:
Meine alten Gesundheitsprobleme,
bedingt durch die Umstände des Gefängnisses, dauern an. Ich kann weiterhin
nachts nicht schlafen und habe Schwierigkeiten beim Atmen. Außerdem habe
ich auch andere Krankheiten, die durch mein Alter bedingt sind. Aber ich
versuche gegenüber diesen Umständen Widerstand zu leisten. Ich glaube
auch nicht, dass sich noch etwas ändern wird. Ich bin seit elf bzw. zwölf
Jahren hier und habe Widerstand geleistet. Ich versuche, das auch in der
Zukunft weiterzuführen. Ich werde diese Umstände schon aushalten, aber
ich weiß nicht, ob die anderen Freunde das auch können. Letzten Endes
ist mein Gesundheitszustand an das System des Gefängnisses gebunden.
Öcalan äußerte
seine Gedanken bezüglich der Rolle der AKP, der CHP und der MHP. Die Regierungspartei
AKP, wird laut Öcalan von den USA und Großbritannien unterstützt. Die
linken Kräfte der Türkei haben sich nach dem Militärputsch des 12. September
1980 nicht mehr regenerieren können. Sie haben sich seither in viele kleine
Parteien gespalten. Öcalan betont stets, dass all diese Kräfte sich vereinigen
müssen, um in der Türkei etwas zu verändern. In seinen Verteidigungsschriften,
die er dem EGMR vorlegte, kritisiert Öcalan den Realsozialismus und erklärte,
dass der Sozialismus durch einen Staat nicht erreichbar sei. In den Erklärungen
äußert er auch seine Gedanken bezüglich des demokratischen Kommunalismus
und erklärte, dass dieser Weg der Beste für den Widerstand der Völker
sei. Öcalan erklärte weiter, dass die Partei für Frieden und Demokratie,
BDP, sich dem Projekt einer Dachpartei, die alle linken und demokratischen
Kräfte vereinigen soll, aktiv widmen müsse:
Der Stimmenprozentanteil der
AKP ist sicherlich auf 30% zurückgegangen. Die CHP und die MHP können
ihren Anteil auch nicht steigern. Es bestehen extrem große Probleme, die
ihre Ursache im kapitalistischen System haben. Eine gibt eine sehr hohe
Arbeitslosigkeit. Es gibt ca. 15 Millionen WählerInnen, die unschlüssig
sind. Diese brauchen eine neue Partei. Daher finde ich das Dachparteimodell
wichtig. Die Türkei braucht solch eine Alternative. Diese Angelegenheit
müsste beschleunigt werden. Die vorhandene Lücke muss schnellstmöglich
geschlossen werden. Man sollte sich nicht in ineffektive Diskussionen
verwickeln lassen. Unsere Probleme sind groß, für die Lösung muss man
Anstrengung aufbringen und die Energie nicht in unnötigen Diskussionen
verschwenden. Ich kann mich noch erinnern, dass früher auch türkische
und andere Jugendliche zu uns gekommen sind, bzw. großes Interesse an
uns hatten. Dies ist bestimmt heute genau so. Solche Jugendliche sollten,
so wie in der Vergangenheit, auch heute organisiert werden. Wenn dies
geschieht, bedeutet es eine enorme Kraft. Eine Partei namens "Eşitlik
ve Demokrasi Partisi" [Partei für Gleichheit und Demokratie] wurde
gegründet. Das müsste das neuste Ereignis der letzten Zeiten bei den linken
Kräften sein. Diese Partei kann im momentanen Zustand um die 1–2% erlangen.
Wenn sie aber gut arbeitet und mit anderen Kräften kooperiert, dann kann
sie diese Anzahl sehr leicht steigern. Die Einheit muss viel breiter werden.
Die linken Kräfte müssen viel weiter denken.
Die alte Linke – der Realsozialismus – wurde besiegt. Das muss überwunden
werden. Die türkische Linke muss sich erneuern. Man muss sich auf einem
gemeinsamen Nenner treffen. Ich bin nicht gegen den Marxismus. Ihre Ideale
sind auch die Unsrigen. Meine Gedanken bezüglich des demokratischen Kommunalismus
sind bekannt. Meine Marxismuskritik sollte gut verstanden werden. Ich
bin nicht gegen den Marxismus, ich kritisiere ihn lediglich auf konstruktive
Weise. Marx wurde in seinen Jugendjahren auch vom Kommunalismus beeinflusst.
Alle linken und demokratischen Kreise müssen wissen, dass wir an diesem
Punkt keine Unterschiede machen. Die Gefahr ist groß, das muss jedem erklärt
werden. Ich bin mir sicher, dass 90% der türkischen Bevölkerung sich diesem
Prozess beteiligen wird, wenn man sich gut erklärt Ich glaube zur Zeit
gibt es sechs oder sieben Parteien, u.a. die EMEP [EMEK PARTISI – Partei
der Arbeit] und die ÖDP [Özgürlük ve Dayanışma Partisi – Partei der Freiheit
und Solidarität]. Diese müssen schnell unter einem Dach vereint werden.
Diesbezüglich könnten alle DemokratInnen angesprochen werden. Wir brauchen
endlich Praxis, Worte reichen nicht mehr aus. Im Namen des Volkes Politik
zu machen ist eine ernste Sache. Diese Aufgabe verlangt Verantwortung.
Die Menschen aus dem Westen [der Türkei] müssen organisiert werden. Die
Situation der [momentanen] Linken ist bekannt, wir haben keine Zeit auf
sie zu warten. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und müssen solch lebenswichtige
Probleme lösen. Die BDP kann in diesem Sinne ihre Organisation im Westen,
angefangen in Afyon, Bursa, Izmir etc. ausbauen. Das Beispiel Bergama
[Bergama, eine Stadt bei Izmir. Sie wurde bekannt wegen der Streitigkeiten
um das Goldvorkommen] ist bekannt. An dem Widerstand von Bergama beteiligten
sich auch Jugendliche. Die BDP muss diese Aufgaben sehr sensibel angehen.
Wenn sie zeigt, dass sie sich für die landesweiten Probleme interessiert,
dann kann sie eine Türkeiweite Partei werden. Dann wird sie auch ihren
Stimmanteil erhöhen können. Wir legen Wert auf die demokratische Einheit
der Völker. Das ist lebenswichtig für die Türkei.
Ich möchte diese Bewertung an diesem Tag [dem 30. März] Mahir
Cayan und seinen Freunden widmen. Wir sind im 40. Jahr der Ermordung
von Mahir Cayan. Insbesondere die revolutionäre Jugend aus der Türkei
sollte folgendes wissen: Mein Aufbruch ist als eine Art Antwort auf die
Ermordung dieser Freunde zu verstehen.
Die AKP erklärte
in den vergangenen Wochen und Monaten, dass sie die Verfassung ändern
will. Laut ihrer Erklärung soll die 10%-Hürde nicht herunter gesetzt werden.
Unter anderem soll die Verfassungsänderung das Verbot politischer Parteien
erschweren, die Anzahl der Mitglieder des Verfassungsgerichts soll von
11 auf 21 erhöht werden und Soldaten sollen vor zivilen Gerichten verurteilt
werden können.
Öcalan erklärte bereits zuvor vier Prinzipien, die von der KCK als „Friedens-
und Demokratiedeklaration“ veröffentlicht wurden.
Die Regelung, die unter dem
Namen „Türkei -Parlamentarier“, von der die AKP in die Verfassung eingebracht
werden soll, ist ein großes Täuschungsmanöver. Das tatsächliche Ziel dieses
Vorstoßes ist, dass die BDP keine Fraktion im Parlament bilden kann.
Die BDP macht ihre Unterstützung von der Abschaffung der 10%-Hürde abhängig.
Das reicht jedoch nicht aus. Die AKP hat tausende von Kindern in Gefängnisse
gesteckt, die Festnahmen dauern weiter an und auch Hunderte von PolitikerInnen
sind in den Gefängnissen. Die Unterstützung des Verfassungspakets muss
die Abschaffung der „Anti-Terror-Gesetzes“ voraussetzen. Wegen dieses
Gesetzes werden viele Menschen inhaftiert. Wenn die AKP aufrichtig ist,
dann muss sie erst die Kinder und PolitikerInnen aus dem Gefängnis entlassen.
All diese Verhaftungen stützen sich auf diese Anti-Terror-Gesetze. Solange
diese Gesetze nicht abgeschafft werden, müssen die KurdInnen in der Opposition
bleiben. Mögliche Änderungen der Gesetze bezüglich der Kinder, die im
Rahmen der Gesetze für den „Kampf gegen den Terror" verhaftet worden
sind, werden zwar diskutiert, die Änderungen sind aber unzureichend und
stellen keinen Schritt in Richtung Frieden dar. Bei diesem Thema müssen
alle im Sinne der Demokratie reagieren und die momentane Verfassungsänderung
ablehnen. Wir sind nicht gegen eine demokratische Verfassung.
Ich spreche von drei grundlegenden Prinzipien. Ich hatte ein Viertes hinzugefügt.
Diese Prinzipien sind ein demokratisches Land, eine demokratische Nation,
eine demokratische Republik und als viertes eine demokratische Verfassung.
Im Rahmen dieses vierten Prinzips sollte die Angelegenheit mit der Verfassungsänderung
angegangen werden. Eine Verfassung, die die folgenden Prinzipien umfasst,
sollte unterstützt werden.
Erstens: Die 10% Hürde muss abgeschafft werden. Die Haltung der BDP in
diesem Punkt ist positiv, aber ungenügend.
Zweitens: Die Abschaffung der Anti-Terror-Gesetze. In diesem Sinne grüße
ich alle Kinder in den Gefängnissen, die sehr viel Sensibilität zeigen,
auch diejenigen, die wegen der Demonstrationen des 15. Februars verhaftet
wurden.
Die AKP hat sich eigentlich schon entschieden. Die Verfassungsänderung
wäre eigentlich für sie nicht notwendig gewesen, zwei Punkte zu ändern
hätte gereicht. Aber wieso ändert sie die Verfassung nicht?
Hat sie etwa nicht genug Stimmen? Doch, die hat sie. 276 Stimmen reichen
aus. Wenn sie wollte, könnte sie die Verfassungsänderung an einem Tag
durchsetzen. Sie macht es nicht, weil sie sei nicht will. Denn wenn sie
beschlossen wurde, wird die Demokratie mehr Einfluss haben. Alle linken
und demokratischen Parteien müssen sich vereinen. Die BDP muss diese Sache
sehr ernst angehen. Wenn solch eine Einheit geschaffen wird, dann kann
die 10%-Hürde ganz leicht überwunden werden. Wenn diese Hürde überwunden
ist, wird eine große Kraft entstehen, die alle anti-demokratischen Gesetze,
Einrichtungen und Praktiken überflüssig macht. Ich glaube daran, dass
diese Klausel überwunden werden kann, wenn man in solch einem Rahmen zusammen
kommt. Die AKP verhält sich sehr listig und hinterhältig. Sie will die
10%-Hürde nicht senken, weil das ihren eigenen Interessen schaden würde.
Diese Hürde zeigt das anti-demokratische Gesicht der AKP und ist der Wunsch
des internationalen Kapitals. Die AKP betreibt Politik nur in ihrem eigenen
Interesse, daher wird sie die 10%-Hürde von sich aus nicht abschaffen.
Wieso wird sie nicht auf 5% herunter gesetzt? Der Grund ist der Versuch
einer politischen Liquidation. Die 10%-Hürde hat ihre Begründung nicht
nur in den Wahlen. Sie soll verhindern, dass eine politische Willensbildung
stattfindet. Natürlich ist nicht alles von dieser Hürde abhängig, aber
das müsste auch besprochen werden. Es werden keine ernsthaften Diskussionen
geführt. Meine Meinung in Bezug auf diese Verfassung ist Folgende: Das
Ziel dieser Verfassungsänderung ist ein rechtliches Komplott. Meine Parole
dagegen lautet „Nein zum Verfassungskomplott, ja für eine demokratische
Verfassung“.
Alle Schritte, die unter dem Namen „Demokratie" gemacht werden, zielen
in Wirklichkeit auf die Vernichtung der kurdisch-demokratischen Politik
bzw. auf den wahren demokratischen Aufbruch ab. Die AKP zeigt sich so,
als würde sie die Lösung wollen. Aber in Wahrheit ist sie ein großes Hindernis
auf dem Weg zur Lösung. Erst werden unzählige Kinder und PolitikerInnen
verhaftet, dann von einer „demokratischen Initiative" gesprochen.
Im Moment sind alle gefangen. Sie bezeichnen dies als „demokratische Kontroverse“.
Kann man unter diesen Umständen eine Kontroverse führen? Kann das demokratische
Kontroverse genannt werden? Der Staat ist im Gegensatz zur AKP viel näher
an einer Lösung. Meiner Meinung nach ist der Staat für einen Dialog bereit,
aber die AKP nicht. Die AKP bildet das Hindernis. Im Moment kann sich
keiner gegen die AKP stellen.
Das allgemeine Schweigen bezüglich der unzähligen Festnahmen stimmt mich
nachdenklich. Was bedeuten diese Festnahmen? Jeder, der ihnen über den
Weg läuft wird festgenommen – Kinder, Funktionäre, BürgermeisterInnen
– alle! Man sperrt uns ein, verlangt aber gleichzeitig, dass wir hierzu
schweigen sollen. Kann so etwas sein? Die AKP-Mentalität ist sehr gefährlich.
Diese Gefahr gilt nicht nur für die KurdInnen. Sie ist auch für die Frauen
gefährlich. Die Frauen können unter diesen Umständen selbst das bisschen
Freiheit, das sie sich erkämpft haben, verlieren.
Der Menzil Orden in Semsûr ist sehr einflussreich in der Gegend. Ein Mädchen
wurde dort lebendig begraben. Das ist gefährlicher als eine Steinigung.
Während man bei einer Steinigung noch atmen kann, verschluckt man in diesem
Fall Erde bis man stirbt. Das ist die Mentalität der AKP. Was in der AKP
vor sich geht weiß keiner, nur Erdoğan und Başbug. Die beiden treffen
sich wöchentlich. Sie besprechen diese Probleme ständig, diskutieren und
treffen Beschlüsse. Die Beschlüsse zu allen Operationen sind Werk dieser
Versammlungen. Die USA sagt zu den KurdInnen: „Werdet Teil der AKP-Koalition“.
Hier ist wieder zu erkennen, dass die AKP nichts lösen will. Sie gibt
vor etwas lösen zu wollen. In Wahrheit vollstreckt sie die Politik der
USA. Sie könnten sogar Schritte zurück machen. Denn die bisher gemachten
haben keine gesetzliche Grundlage. Es kann aber falsch sein über die gesamte
AKP so zu urteilen. Innerhalb der AKP könnte es einige aufrichtige Demokraten
oder Lösungswillige geben. Bezüglich Erdoğan ist das sehr schwer etwas
zu sagen. Kann es sein, dass er wirklich eine Lösung will und seine Kraft
nicht ausreicht?! Das weiß ich nicht, das kann sein. Das ist ein Fragezeichen
für mich. Meine Meinung über den Herrn Premierminister sollte nicht falsch
verstanden werden. Herr Erdoğan ist vielleicht der einzige, der diese
Frage lösen kann. Das können wir aber nicht wissen. Vielleicht will er
das Problem lösen, kann es aber nicht. Vielleicht hat er aber auch so
etwas gar nicht im Sinn und will die Vernichtung. Ich kann das nicht wissen.
Ich weiß nicht was passiert. Daher kann ich nichts Genaues zu diesem Thema
sagen.
Öcalan erklärte
weiter seine Gedanken bezüglich der vergangenen Jahre und wies darauf
hin, dass die letzten Regierungen versucht hatten etwas zu bewegen. Öcalan
sagte, dass Necmettin Erbakan, der zwischen 1996 und 1997 Premierminister
war und Bülent Ecevit, der von 1999–2002 Premierminister war, aufrichtig
waren und die Lösung gesucht hatten.
Die Situation [des Generalstabchefs
Ilker] Başbugs ist bekannt. Die MHP war, als ich vor 11 Jahren hierher
gebracht wurde, das Hindernis [auf dem Weg zur Lösung]. In meinen ersten
Tagen in Imralı kamen Vertreter von vier Einrichtungen des Staates zu
mir. Sie sprachen von der Lösung des Problems. Ich hatte sie damals gefragt,
ob ihre Kraft für eine Lösung ausreiche. Mit der Zeit hat sich gezeigt,
dass das nicht so ist. Damals kamen auch einige in Vertretung [des damaligen
Generalstabchefs] Kivrikoğlu nach Imralı. Mir fiel auf, dass sie ängstlich
waren. Das Team von Kivrikoğlu sagte damals zu mir: „Mit dem Krieg werden
sowohl die TürkInnen als auch die KurdInnen verlieren“. [Der damalige
Generaloberst] Aytac Yalman sagte in einer Rede: „Wir haben die PKK und
Apo falsch eingeschätzt. Wir sind die KurdInnen falsch angegangen“. Das
ist der Ausdruck ihrer Reue. Sie haben eingesehen, dass man damals eine
Chance verpasst hat. Damals gab es eigentlich eine Basis für die Lösung.
Es überraschte mich, dass Menschen, die in Vertretung von einem Generalstabchefs
kamen, so verängstigt waren. Erst viel später habe ich verstanden, dass
Kivrikoğlu etwas ohne das Wissen der NATO verändern wollte. Kivrikoğlu
war sehr schlau. Er erkannte die Gefahr und war für eine gemeinsame Lösung.
Aber das hat man nicht zugelassen. Dieser Kreis um Kivrikoğlu wurde komplett
außer Gefecht gesetzt. Es ist ja auch bekannt, dass er knapp einem Attentat
entkommen ist. Die Kugel schoss an seiner Schulter vorbei und traf den
Oberst Vural Berkay. Damals bekam das Team um Cevik Bir die Unterstützung
von Großbritannien und den USA. Kivrikoğlu und sein Team hatten Angst
vor dem Team Cevik Birs. Erbakan wollte auch etwas verändern, er wurde
dann um seine politische Identität gebracht.
Ecevit war ebenfalls aufrichtig, aber ihm geschah dasselbe. Eigentlich
stellte seine Regierung nur einen Übergang dar. Sein Ende wurde eingeläutet,
als er die Besatzung des Iraks nicht befürwortete. Danach wurde die AKP
zur alleinigen Regierung. Ich möchte Erdoğan zu Folgendem aufrufen: Diejenigen,
die ich aufgezählt habe, übernahmen Verantwortung und wollten etwas verändern.
Er muss dasselbe tun.
Wenn aber, wie erwähnt, eine
Allianz aus allen linken und demokratischen Kreisen geschmiedet wird,
dann wird die jetzige AKP-Politik ausgehöhlt und ins Leere laufen. Ich
möchte wiederholen: Genau so, wie Mustafa Kemal es durch eine Allianz
mit den KurdInnen geschafft hat, müssen wir eine Allianz der kurdisch-türkischen
Bevölkerung schmieden. Die AKP ist eigentlich nur ein Vorhang, dahinter
steckt wie gesagt das globale Kapital bzw. das Finanzkapital. Nur durch
die genannte Allianz kann die Großbritannien-, USA- und NATO-Politik unschädlich
gemacht werden.
Die Angriffe in Europa sind
die Fortsetzung der Vernichtungsangriffe in der Türkei. Erdoğan betreibt
eine Zickzack-Politik. Ich weiß zwar nicht, was er in London besprochen
hat, aber 1993 verlangte [der damalige Generalstabschef Doğan] Güreş in
London eine Genehmigung. Erdoğan tut dasselbe.
Was bedeutet „verbietet ROJ TV", „die 10%-Hürde wird bleiben"
und „Türkei -Parlamentarier"? ROJ TV verbieten bedeutet nicht irgendeinen
herkömmlichen Fernsehsender zu verbieten. Nicht einmal [die damalige Premierministerin
Tansu] Ciller hat ihrer Zeit so viel Druck auf den Fernsehsender
der KurdInnen ausgeübt .
Ich warne, das ist ein NATO Beschluss. ROJ TV kann komplett verboten werden!
ROJ TV muss sich einen anderen Ort suchen, auf den die NATO keinen Einfluss
hat. Die Festnahmen in Europa können andauern, mit Heron-Flugkörpern können
PKK-Funktionäre getroffen werden und auch ich kann ermordet werden.
Öcalan erklärte
seine Gedanken bezüglich der AKP, CHP und MHP ausführlicher:
In der Türkei haben sich bis zum heutigen Tag zwei Hegemonialmächte durchgesetzt.
Die erste Hegemonialmacht ist die der „weißen Türken“, die von der MHP
und der CHP vertreten wird. Die zweite ist die der „grünen Türken“, die
von der AKP vertreten wird. Beide Hegemonialkräfte basieren auf dem Faschismus.
Die Hegemonie der „weißen Türken“ hielt sich bis ins 19. Jahrhundert.
Das ist die Fortsetzung der "Ittihat und Terraki"-[Einheit und
Fortschritt, sogenannte Jungtürken Bewegung] Mentalität. Sie hat ihr Vorbild
im deutschen Nationalismus; hat sich von dem deutschen Faschismus inspirieren
lassen. Die Linie der MHP und CHP ist eine national-faschistische und
basiert auf Verleugnung, Vernichtung und Assimilation. Mit dieser Politik
wurde die Türkei bis zu einem gewissen Punkt gebracht. Schweden hat vor
kurzem das armenische Genozid anerkannt. Deniz Baykal [CHP Vorsitzender]
sagte daraufhin, dies sei ein Angriff auf die Republik. Dies zeigt, dass
der institutionelle Faschismus heute im Namen der CHP weiterlebt. Neben
der AKP sollte die Haltung der CHP und MHP gut beobachtet werden.
Bahceli [der Vorsitzende der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP)]
erklärt „Lasst uns Diyarbakır zurückerobern“. Es ist klar, wie solch eine
Eroberung aussehen soll: Mit Panzern, Kanonen und Gewehren. Er will sagen
„Lasst uns alle KurdInnen vernichten“. Der CHPler, Onur Öymen sagt „Lasst
es uns wie in Dersim machen.“ Diese Aussagen sind von Baykal und Bahceli
höchstpersönlich gemacht worden. Das ist ein sehr grausames Verständnis.
Mit dieser Mentalität und der der AKP, wartet eine große Gefahr auf die
KurdInnen. Baykal und Bahceli sind Faschisten, die der JITEM nahe stehen.
Sie sind heute in Panik, weil die USA sie nicht mehr unterstützt. Heute
wird die AKP mit ihrem Projekt namens „gemäßigter Islam" unterstützt.
Ich hatte schon zuvor das Beispiel einer Schere genannt. Die USA und ‚Großbritannien
sind auf der einen Seite der globalen Politik. Auf der anderen Seite sind
die traditionellen Vernichtungsmächte wie der Iran, Syrien und die Türkei.
Die KurdInnen befinden sich zwischen den Klingen dieser Schere. Es wird
versucht sie einzeln zu vernichten.
Öcalan erklärte
seine Gedanken über Mustafa Kemal Atatürk und zog Vergleiche zwischen
der Zeit Mustafa Kemals und der Gegenwart:
Mustafa Kemal hatte seit der Gründung der Republik versucht unabhängig
zu bleiben. Ich habe oft von dem Erfolg Mustafa Kemals in den 1920ern
gesprochen. Zur Persönlichkeit Mustafa Kemals hat zwar der „Freiheitskampf
von Canakkale" Großes beigetragen, doch das eigentlich Wichtige sind
seine Erfahrungen in Kurdistan in den Jahren 1916 bis 1919. Er war fast
vier Jahre in Kurdistan und mobilisierte die dortigen Kräfte. Die KurdInnen
haben alle Bedürfnisse Mustafa Kemals damals erfüllt. Nach diesen vier
Jahren ging er nach Erzurum in den Erzurumer Kongress. Er wurde von einer
Gruppe namens „Şark Vilayetleri Müdafaa-i Hukuk Cemiyeti“ unterstützt.
Das 7. Generalkommando bestand damals komplett aus Kurden. Durch ihre
Unterstützung konnte Mustafa Kemal seine historische Rolle spielen. Das,
was ihn zu Mustafa Kemal gemacht hat, war die Unterstützung der Kurden.
Ohne die Unterstützung der Kurden hätte der Befreiungskampf nicht gewonnen
werden können. Dieser Kampf ist der der Kurden und der Türken. Das müssen
diese sogenannten Kemalisten auch verstehen. Das Militär sollte die Rolle
der Kurden von damals gut kennen. Mittels des englischen Agenten Lawrence
wurden die Araber unter Kontrolle gebracht. Major Noel sollte dasselbe
mit den Kurden machen. Er wollte die Allianz zwischen Kurden und Türken
brechen, was ihm jedoch nicht gelang. Noel arbeitete zwischen Semsûr und
Sêwas. Als sich Mustafa Kemal in Sêwas aufhielt, sollte er ermordet werden,
aber die Kurden beschützten ihn. Damals wurden sogar 300 französische
Soldaten getötet. Die Franzosen wurden so von dort vertrieben. Das ist
die Allianz Mustafa Kemals mit den Kurden, der Misak-i Milli [Nationalpakt]
bedeutet daher der Vertrag der Einheit der Kurden und Türken. Die Republik
wurde auf Basis dieses Nationalpaktes, also des gemeinsamen Widerstands
der Kurden und Türken, gegründet. Die Kurden haben nicht wie die Araber
auf der Seite Englands gestanden, sondern auf der Seite Mustafa Kemals.
England hat daher und wegen des Öls die Teilung Kurdistans erlaubt. Mit
der von England veranstalteten Kairo-Konferenz wurde in den 1920ern, die
die Basis für die heutige aussichtslose Situation geschaffen. England
akzeptierte zum ersten Mal in Austausch für Mossul und Kirkuk die Assimilation
und die Ermordung der KurdInnen. Mustafa Kemal musste Mossul und Kirkuk,
die Teil des Nationalpaktes waren, 1926 hergeben. Die damaligen Amed-Abgeordneten
waren deswegen sehr empört und fragten Mustafa Kemal, wieso er die Spaltung
Kurdistans zuließ, bzw. die Abspaltung von Mossul und Kirkuk zuließ. Mustafa
Kemal antwortete, dass er keine andere Wahl hätte. Aus diesem Grund wurde
die Republik bei der Geburt verletzt. Später wurden die Ittihat und Terraki-Kader
von England unterstützt. Sie wollten, dass Mustafa Kemal diese Allianz
aufgibt. Mustafa Kemal musste das entweder hinnehmen oder sterben. Nach
der Umzinglung der Ittihat und Terraki Kader von innen musste er die Allianz
aufgeben. Es kann sein, dass so etwas auch in der heutigen AKP der Fall
ist. Als Ergebnis dieser Politik wurde die Allianz zum Nachteil der KurdInnen
gebrochen. So wurde Mustafa Kemal außer Gefecht gesetzt. Meiner Meinung
nach ist sogar der Tod Mustafa Kemals fraglich. Heute hingegen scheint
es so, als würden die USA und Großbritannien die Ittihat und Terraki nicht
mehr unterstützen.
Nach der gescheiterten Allianz begann der Sêx Saîd Aufstand der KurdInnen.
Der wirkliche Führer des Aufstands war Cibranli Halit Bey. Sêx Saîd war
keiner, der eine Führungspersönlichkeit für diesen Aufstand sein konnte.
Bevor dieser Aufstand begann, wurden die Führungskader dieses Aufstands
einzeln ermordet. Die Mächte, die damals die NordkurdInnen als Gegenleistung
für Mossul und Kirkuk an Mustafa Kemal ausgeliefert haben und jene, die
die NordkurdInnen heute als Gegenleistung für die regionale Politik der
AKP ausliefern, sind die gleichen Kräfte. Das was den KurdInnen heute
angetan wird, ist ein politischer und kultureller Genozid. Dies ist noch
schlimmer als ein physischer Genozid.
Das, was heute vorherrscht,
ist die „Grüntürkische Hegemonie" der AKP. Die AKP bekommt ihre Unterstützung
von den USA und Großbritannien. Die AKP ist viel listiger und hinterhältiger,
auch wenn sie sich auf einer liberalen Linie zeigt. Im Moment trägt die
AKP eine Maske, die liberal aussieht. Ihr Gesicht sieht sehr freundlich
aus, aber unter dieser Maske versteckt sich ein sehr hinterhältiges und
hässliches Gesicht. Sie tut so, als ob sie eine Lösung will, aber sie
entwickelt die Vernichtung. Das muss man erkennen. In diesem Sinne muss
auch ihre Politik wahrgenommen werden. Die jetzige Politik der AKP ist
gefährlicher als die [Tansu] Cillers in den 90er Jahren. Ciller praktizierte
eine offene Vernichtungspolitik und jeder konnte das sehen. Die AKP arbeitet
viel versteckter und tiefgründiger. Die jüngsten Ereignisse sind als Auseinandersetzung
zwischen der Hegemonie der „Weißtürken“ und der „Grüntürken“ zu verstehen.
Die Hegemonie der „Weißtürken“ befürwortet den Fortbestand des Status
quo. Die „Grüntürken“ hingegen wollen den Status quo überwinden. Sie stützen
sich auf die USA und England. Diese Mächte nutzen die NATO, um ihr Vorhaben
zu verwirklichen. Die Razzien in Europa beispielsweise werden alle von
dieser Zentrale aus gelenkt. Seit dem 15. August [des ersten bewaffneten
Angriffs der PKK], also seit 25 Jahren, lassen uns diese Mächte nicht
in Ruhe. Die Haltung Deutschlands ist bekannt; die NATO Politik wurde
zum größtenteils über dieses Land verwirklicht. Deutschland ist der Vollstrecker
der Türkei-Politik der NATO. Bis 1999 wurde das türkische NATO-Gladio,
die JITEM, gegen uns eingesetzt. Nach der Dechiffrierung der JITEM wurde
Ergenekon gegründet. 1999 wurde die JITEM aufgelöst und Ergenekon gegründet.
Nach ca. 1999 gab es einige „Morde unbekannter Täter“. Diese waren das
Werk von Ergenekon. Im Gegenzug dafür, dass die NATO die Türkei benutzt,
erhält die Türkei freie Hand in der Kurdenfrage. 20 Millionen KurdInnen
aus dem Norden wurden so geopfert. Wenn aber die Regierung in der Türkei
außerhalb der Interessen der NATO handelt, würde diese nicht einmal eine
Minute zögern und die Regierung sofort auflösen. Erdoğan sieht dies nicht.
Menderes wollte seiner Zeit beispielsweise mit Russland Kontakte aufbauen.
Das wurde ihm zum Verhängnis. Weil die Ecevit-Regierung im Irakkrieg nicht
die nötigen Zugeständnisse machte, wurde mit seiner Gesundheit gespielt
und er wurde so außer Gefecht gesetzt. Später wurde die AKP gegründet.
Zu der Zeit hatten die USA das Projekt „gemäßigter Islam“ schon entworfen.
Nachdem das Gleichgewicht sich durch die Besatzung des Irak und die AKP-Regierung
geändert hatte, wurde das Balyoz Komplott aufgedeckt.
Dieses Komplott ist unabhängig von Ergenekon.
Diese Kräfte sind der Meinung, dass sie das kurdische Volk angreifen und
komplett vernichten müssen. Sie sind sehr zäh. Die USA hingegen sprechen
von der „liberalen Rechten“. Was sind liberale Rechte? Eben das, was mittels
der AKP praktiziert wird. Die AKP war ein Zufall und so wurde sie an die
Regierung gebracht. Zu Anfang ihrer Regierungszeit wurden Anschläge auf
Synagogen, Angriffe auf Konsulate der USA bzw. auf britische Banken durchgeführt.
Diese werden heute Ergenekon zugerechnet, aber in Wirklichkeit ist das
nicht so. Diese Aktionen waren Reaktionen auf die Großbritannien-USA-Politik.
Sie selbst nennen sich „Eurasier“. Sie sind die traditionelle Reaktion
gegen die Politik des „gemäßigten Islam“ der AKP und der USA. Sie haben
diese Aktionen durchgeführt, da sie das Gefühl hatten, sie werden von
den USA nicht mehr unterstützt. Das jetzige Silivri Gefängnis wurde eigentlich
für diese Kräfte errichtet. Ansonsten hat diese Angelegenheit nichts mit
Ergenekon zu tun. Der Ergenekon-Prozess ist nur ein Deckmantel. Wenn das
ernst gemeint wäre, würde man über die 17.000 „Morde unbekannter Täter“
sprechen. Dies muss gut analysiert werden. Ansonsten werden aus 17.000
schnell 170.000 Morde. Man will mit der AKP einiges erreichen. Das Ziel
ist die „Grüntürkengladio“. Die vorherige „Weißtürkengladio“ will in die
„Grüntürkengladio“ einverleibt werden.
Das ist die Politik Großbritanniens. Ihre Wurzeln gehen bis in die 1550er
zurück. Mittels dieser Politik hat in Spanien eingegriffen und Portugal
abgespalten. Die Situation der Basken ist ebenfalls das Ergebnis dieser
Politik. Österreich und Ungarn wurden durch Preußen geschwächt. Das osmanische
Reich wurde so verwüstet. Sie haben ein kleines Zypern, Armenien und ein
kleines Griechenland gegründet und diese Völker so unter ihre Kontrolle
gebracht. Sie leben mit der Hoffnung auf ein größeres Zypern, ein größeres
Armenien und ein größeres Griechenland. Etwas Ähnliches wird jetzt versucht
mit den KurdInnen zu machen. Im Süden wurde ein kleiner kurdischer Nationalstaat
gegründet, um alle KurdInnen daran zu binden und zu kontrollieren. Die
KurdInnen sollen dann der Politik dieser Kreise dienen. Das wollen sie
auch auf Amed ausweiten. Im Rahmen dieses Zieles wollen sie die Freiheitsbewegung,
die einen freien Willen repräsentiert, vernichten. Wenn das geschieht,
dann werden auch die TürkInnen in Anatolien verlieren. Die AKP versucht
dieses Ziel mit den KurdInnen, die sie in ihre Reihen aufgenommen hat,
zu erreichen. Der politische Genozid kann zum physischen Genozid werden.
Das ist das eigentliche Ziel der „kurdischen Initiative". Eine AKP
nahe Klasse will jetzt erschaffen werden. Das nennt sich „grünes Kapital".
In diesem Sinne will eine bürgerlich-kurdische Klasse erschaffen werden.
Im Süden ist das schon fast durchgesetzt.
Die Sache mit [Turgut] Özal
ist bekannt. Özal war wirklich aufrichtig. Er machte damals aus Eigeninitiative
einen Aufruf, auf den wir dann antworteten. Gerade, als etwas in Bewegung
kam, wurde er ermordet. Er wollte aus der USA-England Politik ausbrechen.
[Der damalige Generalstabschef] Doğan Güreş und [die ehemalige Premierministerin]
Tansu Ciller wurden daraufhin von Großbritannien und den USA beauftragt.
Damals ging Güreş nach Großbritannien und bei der Rückreise sagte er:
„Wir haben die Erlaubnis erhalten“.
Auch Ecevit näherte sich einer Lösung, deswegen wurde er gelähmt und außer
Gefecht gesetzt. Ich wurde von der CIA und dem MOSSAD der Türkei übergeben.
Ich kann morgen sterben oder genauer gesagt ermordet werden. Diejenigen,
die mich hierher gebracht haben, haben auch die Kraft dazu mich zu töten.
Man könnte z.B. irgendetwas in mein Essen mischen, vielleicht wird das
sogar schon getan. Das ist nicht schwer, die nötige Kraft dazu ist vorhanden.
Als ich ausgeliefert wurde, wurde abgemacht, dass ich nicht sofort ermordet
werden soll. Das bedeutet, man darf mich umbringen aber nicht sofort.
Tausende von kurdischen PolitikerInnen wurden verhaftet. Die AKP will
die demokratische Politik vernichten und jene Politik etablieren, die
ihren Zielen dient. Daher werden auch so viele Menschen festgenommen.
Die Gefahr ist sehr groß. Eine Feindschaft zwischen KurdInnen und TürkInnen
soll herauf beschworen werden. Keiner durchschaut dieses Spiel. Ich weiß
nicht, wie sehr die BDP sich dessen bewusst ist. Das ist eine Intrige
Großbritanniens, der USA und der NATO. Man will einen Krieg zwischen KurdInnen
und TürkInnen herauf beschwören, damit die Türkei noch enger an sie gebunden
wird. Mit meiner Übergabe an die Türkei sollte dasselbe erreicht werden
wie in Bagdad. Die Türkei hat kurz vor meiner Auslieferung davon erfahren.
Dazu sagte Ortan Sungurlu in einer Zeitung, ich glaube der Yeni Safak,
folgendes: „Die Übergabe Öcalans 1999 war ein großer Fehler. Die Türkei
könnte dadurch untergehen“. Die Türkei war nicht bereit für meine Auslieferung.
Das war Plan der USA und der NATO. Die NATO-Gladio ist in Europa sehr
effektiv und hat auch Einfluss auf die Türkei in Form von JITEM und Ergenekon.
Diese Organisationen bekommen sogar ihr Geld von der Gladio. Diese Intrigen
habe ich durchschaut. Ich habe verhindert, dass ein Krieg zwischen den
Völkern entfacht wurde. Ich weiß nicht, wie weit das bekannt ist. Seit
elf Jahren schreie ich mir die Seele aus dem Leib. Wenn das Problem nicht
gelöst wird, wird das Ergebnis unvorstellbar sein. Unser Volk kann nicht
mehr hintergangen werden. Es wird sich nicht zum Spielball fremder Interessen
machen lassen.
Politische Akademien sind sehr
wichtig. Sie sind für die demokratische Politik vonnöten. Die In Semsûr
hat sich ein Jugendlicher aus Meletî [tr. Malatya] verbrannt. Ich möchte
hier der Familie nochmals mein herzliches Beileid aussprechen. Wenn sein
Glaube auf der Basis der demokratischen Politik verstärkt worden wäre,
würden solche Jugendliche am Leben festhalten und anstelle einer solchen
Aktion mit einem demokratischen Wissen und einem demokratischen Geist
arbeiten. Eigentlich wollte ich schon früher einiges zu Müslüm Doğan sagen.
Ich habe die KurdInnen aus Meletî früher scharf kritisiert. Aber im Bezug
auf Müslüm Doğan und Zeynep Kinaci [Zîlan] will ich das neu bewerten.
Diese beiden sind die Ehre der KurdInnen aus Meletî. Ich fühle große Verantwortung
gegenüber diesen FreundInnen und verbeuge mich vor ihnen. Die FreundInnen
aus Meletî sollten ihr Andenken und ihre Persönlichkeiten weiterleben
lassen. Wenn es diese Akademien gäbe, dann würden diese Jugendlichen die
Gesellschaft zum Leben erwecken.
Vielleicht ist es noch nicht ganz deutlich, aber demokratisches Wissen,
demokratische Kommunen und sich die Demokratie anzueignen gibt dem Menschen
mehr Wert und bindet ihn viel mehr an das Leben. Zwei Freunde aus dem
Gefängnis in Erzurum haben die 1920er Jahre gut analysiert. Ich bin zu
denselben Ergebnissen gekommen. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich
auf politischen Akademien beharre. Wenn die Vergangenheit nicht bekannt
ist, wird die Gegenwart immer lückenhaft bleiben. Dies alles soll in den
Akademien studiert werden.
Cengiz Candar spricht von Fehlern
im Lausanne-Vertrag. Er sagt, dass wenn damals nicht so viele Fehler gemacht
worden wären, heute das Problem nicht so eskaliert wäre. In Lausanne wurde
die Ausschließlichkeit des Türkentums hervorgehoben. Heute dagegen wird
das Kurdentum hervorgehoben. Beides hat mit unserem Verständnis nichts
zu tun. Bei uns gelten ein demokratisches Leben und eine demokratische
Gemeinschaft mit den genannten Prinzipien.
Als ich früher davon sprach, den Lausanner Vertrag zu aktualisieren, habe
ich das nicht nur für die KurdInnen aus dem Norden, sondern auch für die
aus dem Süden gefordert. Jene, die das Land in den 1920ern nicht erobern
konnten, haben es ab 1926 geschafft. Dagegen wirken nur demokratische
Allianzen und eine demokratische Lösung. Die Allianz, die die KurdInnen
und TürkInnen in den 1920ern gebildet haben, muss heute auf demokratischer
Basis erneuert werden. Wir erleben die Gefahr des Sevres Vertrages: Gegen
diese Gefahr müssen wir den Lausanner Vertrag aktualisieren. Wenn das
geschieht, werden KurdInnen und TürkInnen davon profitieren. Die Aktualisierung
bedeutet das oben genannte: die demokratische Nation, die demokratische
Republik und das demokratische Land. Auf dieser Basis habe ich mich sehr
für eine demokratische Lösung und den Frieden bemüht.
Öcalan erklärte
seine Ansichten zu Krieg und Frieden. Er warnte vor einem großen Massaker,
das schlimmer als Halepce sein könne:
Die nächsten Wochen
sind sehr kritisch. Die Haltung der verschiedenen Seiten wird das Ergebnis
beeinflussen. Ich werde von hier aus weiterhin meinen Beitrag für eine
Lösung leisten. Aber unter dem Strich werden die beiden Seiten entscheiden.
Ich habe die Erklärung Cemil Bayiks letztens gelesen. Er sagt, dass ein
großer Krieg auf dem Niveau eines Finales bevorsteht. Wenn beide Seiten
negative Haltungen einnehmen, werden die Gefechte intensiviert. Das ist
eine soziologische Feststellung. Wenn kein Frieden kommt, wird der Krieg
sich vertiefen. Wir sind auf der Seite des Friedens und der demokratischen
Lösung. Ich habe einen Brief an den Staat und an die PKK geschickt, der
meine Ansichten bezüglich der Lösung beinhaltet. Ich warte auf eine Antwort.
Es wird gesagt, dass die Beitritte zur Guerilla zugenommen haben. Sie
haben bestimmt zugenommen. Eine letzte, große Angriffswelle ist zu spüren.
Ich warne davor! Es kann zehnfach schlimmeres als in Halepce passieren.
In Hilvan/Amed haben wir großes
geleistet. Eigentlich nicht nur in Hilvan, in vielen anderen Orten, wie
Siverek z.B. waren wir im Widerstand. In Riha [Urfa] gibt es verschiedene
Gruppen, die auf der JITEM basieren und ihre Wurzeln in der Vergangenheit
haben. Diese speisen sich vielmehr noch aus dem Staat. Bahceli hat in
Riha Propaganda gemacht und Kontakt zu diesen Gruppen. Dort haben einige
Stämme versucht Druck auf das Volk auszuüben. Eine Zeit lang starben viele
Kinder in Riha. Diese genannten geheimen Gruppen können damit zu tun haben.
Der Tode dieser Kinder wird geheim gehalten, Das müsste genauer erforscht
werden. Ich denke an die Jugend aus meinem Dorf. Es ist interessant, dass
Jugendlich [von dort] sehr leicht ausreisen können, obwohl das sonst so
schwer ist. Es ist offensichtlich, dass hier geplant wird, diese Orte
zu räumen. Das wird im Verborgenen umgesetzt. Dort wurden Staudämme und
Kanäle gebaut. Es bestehen dort ökonomische Interessen, während dort Geschäfte
gemacht werden, soll die Bevölkerung durch Armut und Hunger in Schach
gehalten werden. In Riha besteht nationale und kapitalistische Unterdrückung.
Nicht nur in Riha bestehen solche Probleme. In jeder Provinz wird angepasst
an ihre Eigenschaften eine spezielle Politik angewandt. In Orten wie Bedlîs
und Êlîh [Batman] spielt man den Menschen auf andere Weise mit. In Bedlîs
sind es Holdings, es ist ein ökonomisch-kulturelles Genozid; diese Politik
muss sorgfältig bewertet werden.
Die KurdInnen müssen eine Einheit bilden, damit ihnen nicht dasselbe widerfährt,
wie der armenischen und griechischen Bevölkerung.
Ich möchte nochmals betonen: Wenn es zu Lösungsansätzen kommt, möchte
ich meine Rolle spielen. Ich gebe keine Anweisungen an die PKK, das kann
ich nicht und das wäre auch nicht richtig. Bis Mitte des Frühlings wird
sich wahrscheinlich alles klären. Gegen all dies müssen die KurdInnen
ihr Wissen, ihre demokratische Politik und ihre demokratischen Kommunen
weiterentwickeln. Die KurdInnen sollten vom Staat nichts mehr erwarten.
Ohne Hoffnung auf den Staat sollten sie ihre demokratischen Organisation
und ihr demokratisches System aufbauen. Es kann in Europa zu weiteren
Angriffen kommen, ROJ TV kann verboten werden. Das Volk in Europa sollte
größeren Widerstand dagegen leisten.
In Êlih [Batman] fanden früher viele Selbstmorde von Frauen statt. In
der letzten Zeit wurden diese weniger. Der Grund dafür ist die Entwicklung
der demokratischen Politik in Êlih. Durch viele Jahre Erfahrung kann ich
sagen, dass das Ergebnis meiner Bemühungen, meiner philosophischen Politik
die Organisierung in Form von demokratischen Kommunen ist. Diese müssen
auf alle Bereiche des Lebens ausgeweitet werden.
Ich habe in meiner Verteidigungsschrift, die als Buch unter dem Titel
„Özgürlük Sosyolojisi" [Soziologie der Freiheit] erschienen ist,
dieses Lösungsmodell ausführlich beschrieben. Wie wird der Übergang von
der kapitalistischen Moderne zur demokratischen Zivilisation sein, das
habe ich beschrieben. Die Philosophie meiner Politik beschreibt die „demokratischen
Kommunen". Ich vergleiche sie mit Stämmen, Sippen und religiösen
Gemeinschaften. Aber die Logik der demokratischen Kommunen ist anders.
Es gibt Parallelen zu den genannten Gemeinschaften, aber sie sind deren
zeitgemäße, entwickelte Form.
Die Gesellschaft muss sich von dem liberalen, egoistischen Verständnis
des Kapitalismus befreien. Wenn in jedem Bereich der Gesellschaft in Form
von demokratischen Kommunen gearbeitet wird und sich eine demokratische
Haltung entwickelt, dann kann Gefahren der Weg abgeschnitten werden, bzw.
die Angriffe des Systems können wirkungslos gemacht werden. Jeder muss
darin seinen Platz einnehmen.
Ich habe schon zuvor davon
gesprochen: Die DTK, die KCK und die BDP sind nicht dasselbe. Jede hat
ihre Aufgabe, in Funktion und was ihre Stellung betrifft. Die DTK entwickelt
die Demokratie und den Frieden für die KurdInnen, sie ist die zivilgesellschaftliche
Organisation der KurdInnen und legal. Sie sollte ausschließlich auf der
offiziellen Ebene arbeiten. Sie kann FreundInnen und MitarbeiterInnen
im Westen der Türkei haben, aber ihr Schwerpunkt ist in Kurdistan. Das
Zentrum der DTK ist Amed. Die DTK darf auf keinen Fall als Nebenorganisation
gelten oder gesehen werden. Sie organisiert sich von unten nach oben.
Sie sollte alle Bereiche: Kunst, Kultur, Soziales, Ökonomie, Sport etc.
abdecken und alle Lücken füllen. Das geschieht aber nur in Kurdistan.
Die BDP ist eine türkeiweite Partei. Sie muss die politische Lücke in
der Türkei und in Kurdistan füllen. Sie sollte sich nicht nur in Kurdistan
sondern auch in den Metropolen der Türkei organisieren. Die BDP muss politische
Angriffe gut analysieren, ansonsten wird sie keine politische Haltung
einnehmen können. Wenn [z.B.] das genannte ökonomische Genozid nicht erkannt
wird, wird auch ein politisches und/oder kulturelles Genozid nicht erkannt.
Gegen all diese Gefahren muss die BDP eine gemeinsame Plattform des Widerstands
gründen. Die genannten Gefahren gelten für alle in der Türkei. Daher muss
ein gemeinsamer Widerstand sehr schnell mobilisiert werden.
Die KCK sind wiederum ganz anders organisiert. Sie sind nicht offiziell,
haben z.B. bewaffnete Einheiten, sind in allen Teilen Kurdistans organisiert.
Ich habe die DTK und die BDP nur für die Türkei erwähnt. Die KCK haben
ihre Organisationen auch im Iran, Irak und Syrien. Wie sie das machen,
müssen sie aber selbst wissen. Sie kennen ihre Bedingungen besser als
ich. Daher haben sie sich nach ihren Bedingungen zu richten. Es wäre auch
nicht richtig, wenn ich mich in die Organisation in den anderen Teilen
Kurdistans einmische. Ihre Beschlüsse diesbezüglich treffen die KCK selbst.
Was wird passieren wenn kein Frieden kommt? Ich habe meine Rolle gespielt.
Ich bin hier Gefangener, von einem Gefangenen kann nicht viel mehr erwartet
werden. Heute lebe ich noch, aber wie gesagt, ich weiß nicht was morgen
passiert. Ich sage der PKK, BDP und den KurdInnen ganz offen: Trefft eure
Beschlüsse selbst! Ich glaube, dass die PKK in allen vier Teilen stärker
geworden ist. Der BDP wünsche ich, dass sie den Friedensprozess erfolgreich
umsetzen kann. Im Rahmen meiner (Gesundheits)lage werde ich das meinige
dazu beitragen.
Zu Newroz möchte ich der Bevölkerung
in allen Teilen Kurdistans und in Europa folgendes sagen: In meinen Verteidigungsschriften
habe ich eine nationale Konferenz mit fünf Prinzipien und vier praktischen
Vorschlägen eingebracht. Ich wiederhole für alle KurdInnen, die sich zwischen
den Klingen der Schere befinden: Die KurdInnen sollten eine nationale
Konferenz in diesem Rahmen ausrufen und einen nationalen Kongress bilden.
Dieser Kongress soll dann die gemeinsame Politik der KurdInnen bestimmen.
Gemeinsame Verteidigungseinheiten müssten gebildet werden. Die Angriffsgefahr
für das kurdische Volk ist immer vorhanden. Wie die PLO kann man ein Exekutivorgan
bilden. Ich sagte, dass ein neuer Prozess beginnen wird. Das gilt auch
für die PKK. Die Geschichte der PKK kann man in folgende Phasen einteilen:
Die erste Phase war zwischen 1973 und 84. Von 1973 bis 78 haben wir mit
Freunden wie Haki Karer das Problem als „nationale Aufgabe“ betrachtet.
Eine Kerngruppe mit Freunden wie Ali Haydar Kaytan, Cemil Bayik und Duran
Kalkan war dabei. Sie sahen einen Widerstand Kurdistans für notwendig
an. Nach 1976 neigten wir mit unseren Freunden wie Kemal Pir und Haki
Karer – diese Freunde waren türkischstämmig – zu einem sozialistischen
Aufbruch auf kurdischer Achse. Ab 1978 organisierten wir uns unter dem
Namen „PKK“. Ab 1979 zogen wir uns ins Ausland zurück. Ab den 80ern fand
der bekannte Militärputsch statt, im Militärgefängnis von Diyarbakir wurde
unglaubliche Folter praktiziert. Um eine Antwort auf diese Folter und
die Ermordung von Mahir Cayan etc. zu geben, bereiteten wir den bewaffneten
Widerstand vor. Der Beschluss des bewaffneten Widerstands, der mit dem
Militärputsch 1980 kam, kann auch als eine Art Befreiung des Militärgefängnisses
Diyarbakır angesehen werden. Wir wollten eigentlich 1982/83 mit dem bewaffneten
Widerstand beginnen. Die Vorbereitungen dauerten viel zu lange und so
konnte diese Antwort erst 1984 gegeben werden.
Die zweite Phase umfasst die Zeit zwischen 1984 und 93. Über diese Phase
wurde viel gesagt und geschrieben. In dieser Phase entwickelten wir den
bewaffneten Kampf und die militärischen Gefechte waren sehr intensiv.
Aber in dieser Phase wurde auch intensiv nach einer Lösung der kurdischen
Frage gesucht. Bis in die 1990er glaubte ich an einen Nationalstaat. Jedoch
brach um 1990 der Realsozialismus zusammen und China neigte sich dem Kapitalismus
zu. Nach all diesen Umbrüchen suchte ich eine ernste Lösung der kurdischen
Frage und wurde nicht fündig. Deswegen nenne ich die Zeit zwischen 1990
und 1995 eine „Zeit der Krise“. Tatsächlich ist der Gedanke, dass jede
Nation einen Staat braucht, eigentlich Verrat am Sozialismus. Der Zusammenbruch
des Realsozialismus ist ein Beispiel dafür. Was sollte der Staat sein?
Der Staat muss ein Apparat sein, in dem Professionalität und Erfahrung
gesammelt wird. Ich nenne das die Reorganisation des Staates. Als Gegenpol
zum Staat muss die Demokratie vorhanden sein. Ich nehme das Volk wahr.
Das nenne ich „demokratischer Konföderalismus“. Die Probleme des Mittleren
Ostens können nur so gelöst werden. Ich schlage dieses System auch für
die ganze Welt vor. Die politische Krise haben wir so überwunden und entwickelten
uns mit einer Neustrukturierung zu einer Antwort auf die Vernichtung.
Die dritte Phase ist die von 1993 bis heute. Diese Phase nenne ich „Phase
der Vernichtung und der Lösung“. Die dritte Phase beginnt mit Özal. Ein
Prozess, in dem Talabanî den Dialog aufbaute und mit Erbakan bzw. Ecevit
weiterentwickelte. In dieser Phase, in der eine Lösung möglich gewesen
wäre, wurden alle unsere Ansprechpartner einzeln vernichtet. Özal und
seine Partei waren nicht bereit und schließlich wurden sie vernichtet.
Erbakan hatte einen Aufruf, den ich positiv beantwortete. Auch er wollte
eine Lösung und wurde vernichtet. Sie waren nicht bereit. Diese Phase
wurde mit dem 28. Februar [1997] beendet. Danach kam Ecevit, der auch
etwas ändern wollte. Doch wollte er nicht in den Irak eingreifen und so
wurde er auch vernichtet. Alle Ansprechpartner während der dritten Phase
wurden vernichtet. Seit 1993 suchten wir immer nach einer Lösung, Kompromissen
und dem Dialog. Nach Newroz kann eine neue Phase entstehen. Eigentlich
wollte ich das Ende der dritten Phase 2002 erklären. Die Zeit von 2002
bis heute nenne ich „Verlängerung“. Diese dritte Phase ist nun beendet.
Während der kompletten dritten Phase sollten wir vernichtet werden. Wir
haben eine „Neustrukturierung“ gegen diese Vernichtung bewerkstelligt.
Mit der Hoffnung, dass die [AKP] Regierung etwas beweget, gab es Erwartungen.
Aber die AKP vollstreckt, wie erklärt, nur die Politik Großbritanniens
und der USA. Wir sind nun im 40. Jahr des Todes von Mahir Cayan. Ich habe
diese 40 Jahre in drei Phasen aufgeteilt. In der gesamten dritten Phase
war ich sehr offen für den Frieden. Seit 1993 habe ich Waffenstillstände
ausgerufen. Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand. Der Staat
hat uns die Vernichtung aufgezwungen und ich die Lösung. Ein neuer Prozess
ist angebrochen, das stimmt. In den nächsten Wochen wird alles viel klarer.
Die bevorstehende Phase ist die des „Verteidigung der eigenen Existenz“
und der „Erschaffung und Stärkung der Freiheit“. Ab dieser dritten Phase
werde ich mich nicht mehr einmischen. Wenn aber der Staat sagt: „Wir akzeptieren
dein demokratisches Projekt für die Lösung und den Friedens“, dann können
die Diskussionen beginnen.
In der Geschichte der Länder gibt es verschiedene Phasen der Revolution.
Nach der franzosischen Revolution 1789 kam die Phase Napoleons und nach
der Sowjetrevolution 1917 kam der Bürgerkrieg der Jahre 1918 bis 1922.
Das sind wichtige Phasen in den jeweiligen Ländern. Ich weiß nicht, ob
ein Lösungsprozess in der Türkei entstehen kann. Er scheint etwas schwach
zu sein, aber trotzdem habe ich Hoffnung.
Es ist bekannt, dass die USA sich aus dem Irak zurückziehen werden. Die
arabischen Staaten könnten versuchen die föderale Struktur im Süden [Kurdistans]
zu vernichten. In der Türkei herrscht die Gefahr eines Krieges zwischen
KurdInnen und Türken. Diese Gefahr muss abgewehrt werden. Barzanî und
Talabanî müssen sich dessen bewusst sein. Ich möchte zu Barzanî folgende
Bewertung machen, die auch zugleich meine Botschaft an Barzanî und Talabanî
ist: Vertraut nicht so stark auf die USA. Mit den Ergebnissen der Wahlen
kann ein Prozess der Vernichtung beginnen, ich warne! Wenn die nationalistischen
Araber im Irak mehr Macht erhalten, könnte das schrecklichere Auswirkungen
haben, als das Saddam Regime. Es kann zehn Mal so grausam sein wie Halepce.
Man kann euch alles nacheinander aus der Hand nehmen. Die KurdInnen können
Kirkûk verlieren, sogar Hewlêr, Sulemaniya etc. Erst habt ihr das Nötige
nicht rechtzeitig veranlasst, jetzt seid ihr mit den Wahlergebnissen unzufrieden.
Das geht so nicht. Ich wiederhole meinen Aufruf für eine nationale Konferenz
erneut. Wenn sie stattfindet, kann vieles gerettet werden. Das Komplott
ist umfangreich, geschlossen und zielt auf ganz Kurdistan ab.
Hinter dem Komplott stehen die USA und die NATO. Keiner soll auf die USA
vertrauen. Man wird eine kurdische Struktur nicht erlauben. Auch das wahre
Gesicht der AKP müssen sie sehen.
In Raqqa/Syrien fand ein Angriff auf die Newrozfeierlichkeiten am 21.
März statt. Diese Angriffe wurden im Stil der JITEM durchgeführt. Dieser
Vorfall sollte gründlich untersucht werden. Ich bin der Meinung, dass
er eine Provokation darstellt. Es ist denkwürdig, dass dieser Angriff
nicht dort passiert, wo KurdInnen leben, sondern in Raqqa. Es kann sein,
dass JITEM-ähnliche Organisationen in Syrien das Zusammenleben der KurdInnen
mit anderen Bevölkerungsteilen vergiften wollen. Ich übersende den Familien
mein Beileid, die ihre Verwandten bei diesem Vorfall verloren haben.
Erdoğan kritisierte, dass ich bei den Newrozfeierlichkeiten als Ansprechpartner
benannt wurde. Dazu kann ich folgendes sagen: Wenn die BDP oder die PKK
sich in diesem Problem nicht zum Ansprechpartnerin machen können, dann
ist das nicht meine Schuld. An diesem Punkt ist alle Last mir auferlegt
worden. Der Herr Premierminister muss das wissen. Diese Verantwortung
ist für mich schwerer als meine gesundheitlichen Probleme. Ich versuche
alles zu tun, was in meiner Macht steht. Ich weiß aber nicht, wie weit
ich damit komme. Meine Briefe, die ich versandt habe, sind immer noch
nicht angekommen. Ein Brief kann abgefangen werden. Im Staat gibt es Kräfte,
die verhindern, dass ein einfacher Brief ankommt.
Ich will auch noch einige Worte
an die USA richten: Ihr fleht die Taliban an in einen Dialog zu treten,
aber wir werden nicht einmal angesehen, obwohl wir die Waffen freiwillig
niederlegen wollen. Ihr sprecht vom Ende der PKK, von Vernichtung und
wollt uns in die Ecke treiben. Sogar eine Katze würde sich wehren, indem
sie einem das Gesicht zerkratzt, wenn man sie in die Ecke treibt. Wenn
die PKK in die Ecke getrieben wird, dann wird sie sich wehren. Ich kenne
die PKK, sie ähnelt nicht der al-Qaida; ist nicht die al-Qaida; besiegt
die al-Qaida mit links. Die PKK will die Grenzen nicht verändern. Weil
wir nicht auf der Linie der USA sind, behaupten sie so etwas. Die USA
wissen selbst, dass dies nicht so ist. Unser Ziel ist nicht die Änderung
von Grenzen. Die Waffen sind für uns auch nicht unumstritten, sie werden
nur zur Verteidigung genutzt.
Es gibt drei Generationen in der PKK; die alte, mittlere und neue. Diese
haben Erfahrung und ihre Führungspersönlichkeiten. Die PKK hat Guerillaeinheiten
von Sulemaniya bis zum Schwarzen Meer. Dieser Widerstand ist nicht nur
ein Kurden-PKK-Widerstand, er ist ein Widerstand der Völker, der Türkei
und der Völker der Türkei.
Ich wünsche allen Frauen zum
8. März alles Gute. Dazu kann ich folgendes sagen: Bis zu den Sumerern
bestand ein 5000-jähriges Matriarchat. Mit den Sumerern wurde dieses in
ein Patriachat umgewandelt. Die Sumerer haben das also eingeführt. Seit
den Sumerern, also seit 5000 Jahren, herrscht das Patriachat. Bisher wurden
also jeweils 5000 Jahre Matriarchat und Patriachat gelebt. Unser Verständnis
ist weder vollkommenes Matriarchat, noch vollkommenes Patriachat. Unser
Verständnis ist eine Gemeinschaft von beidem, die auf Philosophie basiert.
Ja, die Frau und der Mann können und sollen miteinander leben. Meine Worte
sollen nicht falsch verstanden werden. Ich rede nicht von sexueller Befreiung.
Was ich meine, ist die Einheit der Frau und des Mannes. Eine Einheit,
die auf Philosophie basiert, das kann bedeutsam sein. Etwas anderes würde
uns zu dem groben, sexualisierten Frauenbild des Kapitalismus führen.
Ein grober Kapitalismus ist das Ergebnis dieses Frauenverständnis. Wenn
ich von der Freiheit der Frau spreche, dann meine ich eine wissende und
willensstarke Frau. Meine Gedanken bezüglich der Frau sind anders und
neu. In dem Buch „Özgürlük Sosyolojisi" können sie nachgelesen werden.
Ohne die Freiheit der Frau wird kein Sozialismus, keine Demokratie und
keine Freiheit gewinnen.
Ich möchte noch etwas zum Frauenbild
Berlusconis sagen. In Italien ist Berlusconi wegen seines Frauenbildes
bekannt geworden und wird sehr diskutiert. Berlusconi hat sich auch selbst
dazu geäußert, er sagte, das er so lebe, wie es sich jeder Italiener wünsche
und er deshalb zur Zielscheibe wurde. Berlusconi hat – aus seiner Sichtweise
– eine richtige Feststellung gemacht. Berlusconi ist in der Position des
Vertreters des kapitalistischen Systems. Deswegen möchte ich an die italienischen
Sozialisten appellieren: Ihr müsst eine Einheit der Frau und des Mannes
erschaffen, die wertvoller ist als die Träume eines Berlusconi und die
auf der Basis der Philosophie entsteht. Das ist die Aufgabe der italienischen
Sozialisten. Sie müssen also eine Alternative zu der Lebensweise Berlusconis
erschaffen. Ein alternatives Verständnis der Beziehung von Mann und Frau
muss entstehen. Wenn kein neues Verständnis, also ein richtiges Frau-Mann-Verständnis
erschaffen wird, dann werden Sozialismus, Demokratie oder Freiheitswiderstand
keinen Erfolg haben. In diesem Sinne grüße ich das ganze italienische
Volk und drücke meinen Respekt aus.
Ich wiederhole: In dieser Situation
kann ich keine praktische Führungsrolle übernehmen. Die PKK sagt, dass
ein großer Krieg kommt, wenn keine Lösung gefunden wird. Sie haben das
Recht dazu. Ich würde dann Respekt vor dieser Entscheidung haben. Ab jetzt
bin ich nicht mehr verantwortlich für militärische Gefechte. Es wäre ungerecht
wenn das so wäre.
In Südafrika wurde
mit einer Petition begonnen. Bevor ich an die Türkei ausgeliefert wurde,
wollte ich nach Südafrika. Ich hatte freundschaftliche Gefühle. Ich versuche
diese Gefühle weiterhin aufrecht zu erhalten. Ich grüße das ganze südafrikanische
Volk, allen voran Nelson Mandela und unsere FreundInnen dort.
Öcalan sprach
das Erdbeben in Elezîz [Elaziğ] an. Bei dem Erdbeben, das eine Stärke
von 6.0 erreichte, kamen nach offiziellen Angaben der türkischen Behörden
41 Menschen ums Leben:
Ich habe von dem
Erdbeben in Elezîz [am 08.03.10] erfahren. Ich übersende den Familien,
die ihre Angehörige verloren haben und unserem Volk mein Beileid.
Aus Mexmûr haben 200 Kinder
Briefe in kurdischer Sprache geschickt. Sie sind die Blumen und die Garantie
der Freiheit der KurdInnen und Kurdistans. Diese Gruppen sind ein Modell
unserer Freiheit. Ich danke jedem einzelnem Kind, das mir einen Brief
geschickt hat.
Ich grüße das Volk
aus Dêrsim, Sêrt, Misric, Dihê, Izmir, Elîh, alle Jugendlichen, alle Frauen
und alle Mitarbeiter der Zeitung "Günlük".
Fußnoten:
1 Mahir Çayan schloss sich zunächst der Arbeiterpartei der Türkei (TIP)
und später der Dev-Genç an. Zusammen mit Hüseyin Cevahir und anderen gründete
Mahir Çayan 1971 die türkische Volksbefreiungspartei-Front (THKP-C). Am
30. März 1972, wurden Çayan und seine Freunde von einer Spezialeinheit
aus dem Amt für besondere Kriegsführung im Generalstab im Dorf Kizildere
im Kreis Niksar in der Provinz Tokat gestellt und getötet.
2 In der Regierungszeit Cillers
wurden 17.000 Morde „unbekannter Täter“ begangen. Sie ging sehr hart gegen
die KurdInnen die kurdische Guerilla vor. Ciller sagte damals in einer
Rede „Die Liste jener Personen, die die PKK finanziell unterstützen, ist
in meiner Tasche. Das Nötige wird getan“.
3 Balyoz [dt: Vorschlaghammer]
war der Name eines mutmaßlichen Planes der türkischen Streitkräfte mit
dem Ziel, die vom 18. November 2002 bis 14. März 2003 amtierende 58. Regierung
der Republik Türkei zu stürzen.
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