Andritz bestätigt Ausrüstungslieferungen für türkisches Wasserkraftwerk Ilisu

NGOs: Rechtfertigung ist zynisch und realitätsfern

Der österreichische Konzern Andritz wird für 340 Mio EUR elektromechanische Ausrüstung für das Ilisu-Wasserkraftwerk liefern. Dies bestätigt er in einer Pressemitteilung vom 15.6.. Der Konzern betont, die türkische Regierung habe "über die Einhaltung der umfassenden gesetzlichen Bestimmungen hinaus [...] verbindlich zugesagt, dass sie an den geplanten Begleitmaßnahmen hinsichtlich Umweltschutz und sozialer bzw. kultureller Aspekte unverändert festhalten wird". (http://www.andritz.com/de/ANONID7A677E15664C1018/news.htm?id=60007&count=1)

Nichtregierungsorganisationen haben jedoch in den letzten Wochen wiederholt aufgezeigt, dass die türkischen Behörden ihre zuvor gemachten Versprechen immer wieder brechen. So sollen Monumente aus der antiken Stadt Hasankeyf nur noch nachgebildet werden, während die Originale mit dem seit 1978 unter Denkmalschutz stehenden Ort überflutet werden. Die umzusiedelnde Bevölkerung erhält neue Häuser nur gegen hohe Kredite und hat weder Ersatzland noch andere Einkommensquellen angeboten bekommen, so dass sie von extremer Verarmung bedroht ist. "Andritz unterstützt die türkische Regierung bei der Verletzung von Menschenrechten und verbrämt das noch mit beschönigenden Sprüchen", kommentiert Heike Drillisch vom deutschen Netzwerk GegenStrömung, das das Ilisu-Projekt seit Jahren verfolgt. Österreichische Organisationen bezeichnen Andritz als "Schande Europas" und werfen dem Konzern Zynismus und Realitätsverweigerung vor. (s.u. bzw. http://m-h-s.org/ilisu/front_content.php?idcat=143&idart=643)

Gegenüber der österreichischen Nachrichtenagentur APA betonte Andritz-Chef Leitner, es seien nun „nach der zwischenzeitlichen Suspendierung der Lieferverträge sämtliche Voraussetzungen für die Wiederaufnahme geschaffen“. Im Laufe von sieben Jahren würden sechs Francis-Turbinen mit je 200 MW Leistung, sechs Generatoren, Zusatzausrüstungen sowie Engineering-Leistungen geliefert. Zum Lieferkonsortium gehörten „weitere europäische und türkische Firmen“. Der Staudamm am Tigris im südosttürkischen Ilisu sei nun „nach allen Regeln der Kunst“ in der Türkei genehmigt - und das Land habe als EU-Beitrittskandidat ein von allen Seiten anerkanntes Rechtssystem. Leitner erwartet, dass in Ilisu ein besonders modernes Kraftwerk mit hoher sozialer und umweltmäßiger Absicherung entstehen wird. Nicht zuletzt aufgrund der Proteste der Umweltschützer schütze das türkische Recht nun die Bürger bei Grundstücksablösen besser als früher. Es wäre „nicht verständlich, wenn wir uns nicht beteiligen würden“, glaubt Leitner laut APA. (http://www.tt.com/csp/cms/sites/tt/%C3%9Cberblick/851112-6/andritz-liefert-ausr%C3%BCstung-f%C3%BCr-t%C3%BCrkisches-wasserkraftwerk-ilisu.csp)

ECA Watch Österreich und der WWF Österreich kommentieren dies mit der folgenden Pressemitteilung:

Andritz - Europas Schande

Konzern unterschreibt Verträge und stellt Profite über Menschenrechte, Kulturgüter und Natur

Wien, 15. Juni 2010 - ECA Watch Österreich und der WWF Österrreich kritisieren die Entscheidung von Andritz, sich auch weiterhin am Ilisu-Projekt zu beteiligen, scharf und kündigten Konsequenzen an. Die Argumente von Andritz-Chef Leitner für den Verbleib im Projekt widersprechen der Realität und sind eine Aneinanderreihung verdrehter Tatsachen. Zudem ist diese Entscheidung ein Schlag ins Gesicht der drei europäischen Regierungen, die vor einem Jahr wegen der verheerenden Folgen und der Verfehlung internationaler Standards den Ausstieg aus dem Projekt beschlossen hatten.

„Das Projekt ist noch lange nicht gebaut. Der Widerstand geht weiter. Wer am Untergang Hasankeyfs verdient, wird diesen Makel nicht mehr los. Derartige Profitgier darf sich nicht lohnen“, kündigt Ulrich Eichelmann von der Stop Ilisu - Kampagne weitere Schritte gegen die beteiligten Firmen an.

Ähnlich auch der WWF Österreich: "Es ist eine Schande, dass ein österreichisches Unternehmen auf Biegen und Brechen Profit aus diesem natur- und menschenverachtenden Projekt schlagen will. Andritz macht sich durch seine Beteiligung mitschuldig am Untergang eines globalen Natur- und Kulturerbes. Das ist völlig unakzeptabel", so Andreas Wurzer vom WWF Österreich.

Die Aussage Leitners, dass in „Ilisu ein besonders modernes Kraftwerk mit hoher sozialer und umweltmäßiger Absicherung“ entstehen wird, ist nicht nur eine Verdrehung der Tatsachen und eine gefährliche Verharmlosung der Realität, sondern auch ein verbaler Schlag ins Gesicht der drei europäischen Regierungen. Diese hatten nach jahrelanger Prüfung im Juli 2009 die Verträge gekündigt. Ausschlaggebend dafür waren die verheerenden Folgen des Projekts und die Verfehlung internationaler Standards. Gleiches gilt für die Aussage Leitners, es wäre "nicht verständlich, wenn wir uns nicht beteiligen würden." Das Gegenteil ist der Fall. Finanzminister Josef Pröll hatte vor einem Jahr zusammen mit Rudolf Scholten den Ausstieg für Österreich politisch beschlossen. Wie reagieren sie auf die Entscheidung von Andritz?

Auch der Hinweis Leitners auf das „funktionierende Rechtsystem der Türkei“ ist ein Beweis dafür, dass der Andritz-Chef offensichtlich die Realität verkennt oder diese absichtlich falsch darstellt. Denn nach wie vor wird in der Türkei vertrieben statt nach international gültigen Standards umgesiedelt. Nach wie vor wissen die Menschen vor Ort nichts von ihrer Zukunft, nichts von Umsiedlungsplänen oder davon, wie sie in Zukunft ihr Auslangen finden sollen.

Erst vor wenigen Tagen berichtete der Bürgermeister von Ilisu, dass die Menschen für ihre alten Häuser maximal 20.000 Türkische Lire bekommen (umgerechnet etwa 10.000 Euro), während ein neues Haus 70.000 Türkische Lire kostet. „Diese Ungerechtigkeit widerspricht allen internationalen Umsiedlungsstandards. Wer angesichts dieser Fakten von einem funktionierenden Rechtssystem spricht, muss sich den Vorwurf des Zynismus und der Realitätsverweigerung gefallen lassen“, so Ulrich Eichelmann.

Nach dieser Entscheidung stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Andritz ein Projekt nicht machen würde. Wer sich an Ilisu beteiligt, macht alles für Geld, so Eichelmann abschließend.

Weitere Informationen:

Ulrich Eichelmann ECA Watch 0676 6621512

www.stopilisu.com