Delegationsbericht vom Massenprozess aus Amed

Wir sind als Delegationen aus der Bundesrepublik Deutschland nach Amed (Diyarbakır) gereist um die Eröffnung des Prozesses gegen 151 kurdische PolitikerInnen, RechtsanwältInnen, JournalistInnen, GewerkschafterInnen, Frauen- und MenschenrechtsaktivistInnen zu beobachten. Ihnen drohen Haftstrafen nach den Antiterrorgesetzen von mehr als 15 Jahren wegen Unterstützung bzw. Mitgliedschaft in der »Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans« (KCK). Der Auftakt dieses Verfahrens stellt nur einen Beginn der Prozesse, gegen mehr als 1700 in diesem Zusammenhang innerhalb der letzten 1,5 Jahren Inhaftierten dar. Die Anklageschrift umfasst 7400 Seiten und beruht vor Allem auf Telefonüberwachungen. Gespräche in denen es um Begriffe wie „Kommunale Arbeit“ geht, reichen den Behörden als Beweise aus um Menschen viele Menschen nun schon mehr als ein Jahr zu inhaftieren. Begründet wird dies damit, dass dieser Begriff, ebenso wie etwa die Forderung nach Frieden klassische KCK Begriffe seien.

DER HINTERGRUND
Nach den für die DTP erfolgreichen Kommunalwahlen 2009 wurden mehr als 1700 Menschen inhaftiert. Der jetzt stattfindende Prozess ist politisch motiviert. Die Anklage ist ohne juristische und sachliche Grundlage. Das repressive Vorgehen des Staates kann nur als Teil eines größeren Konzeptes gegen die kurdische Bevölkerung und ihre Institutionen gesehen werden.
Ziel der Operationen ist die Zerschlagung der kurdischen Massenbewegung, durch Inhaftierung ihrer AktivistInnen. Viele der 1700 inhaftierten sind Menschen, die auch international die kurdische Frage thematisierten. Engagierte JournalistInnen und MenschenrechtlerInnen wie Hamdiye Ciftci und Muharrem Erbey sind inhaftiert. Durch ein solches systematisches Vorgehen gegen politisch wirksame Menschen soll der internationalen Öffentlichkeit die betriebene Vernichtungspolitik vorenthalten werden. Es soll nicht gesehen werden, welch großes Unrecht die kurdische Bevölkerung zu erleiden hat.

DIE ERSTEN BEIDEN PROZESSTAGE
Das Gericht wurde von einem martialischen Polizeiaufgebot von mehr als 1400 Beamten und zusätzlichen Spezialeinheiten der Armee bewacht. Schweres Gerät, wie Wasserwerfer und Räumpanzer standen ebenso zur Verfügung, wie auch Polizisten, die mit Tränengasgranatwerfern, Plastikpatronen und Maschinengewehren ausgerüstet waren. Um das Gerichtsgebäude zu betreten mussten mehrere Kontrollen passiert werden, bei denen die Polizisten willkürlich beispielsweise kein Kleingeld zuließen, etc. Obwohl für den Mammutprozess extra ein neuer Prozessbunker errichtet worden war, zeigte das Gericht eine recht spezielle Einstellung zum Thema Öffentlichkeit. Wenn wir die Verhandlungsführung des ersten Tages betrachten ist diese ein Willkürakt. Der Gerichtspräsident hat einen weiten Teil der Öffentlichkeit ausgeschlossen, da trotz absehbar großem öffentlichen Interesses kein genügend großer Verhandlungsraum zur Verfügung gestellt wurde. So wählte das Gericht aus, wer den Prozess besuchen konnte und wer nicht und schloss den Einlass schließlich bevor der Saal eigentlich voll war.
Vor dem Gericht hatten sich trotz der massiven Einschüchterungsversuche der Polizei mehrere Tausend Menschen, darunter auch über hundert internationale AktivistInnen versammel. Die Polizei ließ die Menschen jedoch noch direkt vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes zu. Als die menschenunwürdig überfüllten Gefangenentransporter eintrafen, wurden die Inhaftierten von Tausenden mit Jubel begrüßt. Frauen und Jugendliche sangen Guerillalieder. Viele zeigten PKK Fahnen und die Bevölkerung rief häufig Parolen in Solidarität mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK und ihrem Vorsitzenden Abdullah Öcalan, weiterhin drückten die Menschen ihr dringendes Sehnen nach einem gerechten Frieden und Freiheit aus. Die Polizei provozierte mehrfach durch schikanöse Behandlung der KundgebungsteilnehmerInnen. Diese gingen darauf jedoch nicht ein.
Im Gericht wurden die Namen der Angeklagten überprüft, worauf diese auf kurdische Antworteten und den Antrag stellten, auf das Recht sich in der Muttersprache zu äußern. Dieser Antrag wurde vom Gericht abgelehnt, da dies eine Anerkennung der kurdischen Sprache bedeutet hätte. Die Angeklagten verlasen ihre Namen dennoch in kurdischer Sprache, wurden jedoch vom Gericht immer wieder direkt unterbrochen, welches dann die Namen direkt in türkischer Sprache vortrug.

KUNDGEBUNG UND POLIZEIPROVOKATIONEN
Am folgenden Tag versammelten sich erneut vor dem Gerichtsgebäude Tausende. Eine italienische Gruppe entrollte vor dem Eingang, unterstützt von anderen Delegationen ein Transparent mit der Aufschrift „Freiheit für Alle“ auf Kurdisch, Englisch und Türkisch. Dies versuchte die Polizei zu verhindern. Die Polizei kesselte etwa 100 internationale und kurdische AktivistInnen und Abgeordnete ein und drängte sie ab. Die Menschen riefen zusammen Parolen wie „Die Repression wird und nicht schrecken“ oder sangen gemeinsam Bella Ciao in verschiedenen Sprachen. Viele Menschen erklärten gegenüber der Delegation, dass, wenn keine EuropäerInnen anwesend wären die Polizei schon lange das Feuer eröffnet hätte und dies auch passieren wird, sobald diese weg sind.

ERKLÄRUNG DER ANGEKLAGTEN
Im Gerichtssaal erklärte der ehem. Parlamentarier Hatip Dicle in seiner Verteidigungsschrift »Die Angeklagten repräsentieren das Volk« und weiter »Zu einem Zeitpunkt, an dem über eine Niederlegung der Waffen [der PKK] diskutiert und intensiv nach einer demokratischen Lösung dieses Problems gesucht wird, dürfte ein solcher Prozess nie stattfinden.«
Es ist offensichtlich, dass dieser Prozess im Wesentlichen als eine Art Machtdemonstration angelegt ist. Von der Art des Umgangs mit den Beschuldigten, über das martialische Auftreten der Polizei vor dem Justizgebäude, bis hin zur Wahl des Ortes, der Stadt Diyarbakir, die ein Symbol für den Kampf der KurdInnen für Frieden und Freiheit darstellt.

OPERATIONEN UND KRIEGSTREIBEREI DES TÜRKISCHEN STAATES UND DER AKP-ADMINISTRATION DAUERN AN
Neben dem Verfahren, dass für einen Großteil der kurdischen Gesellschaft eine gewaltige Provokation darstellt, gingen auch die Militäroperationen weiter und weiten sich zurzeit sogar noch aus. In der letzten Woche wurden mindestens 6 Guerillas in Verteidigungsposition vom türkischen Militär getötet. So wurde der Bürgermeister von Batman/Kozluk am 21.10. wegen „Propaganda für eine verbotene Organisation zu 7,6 Jahren Haftverurteilt und erneut gab es in vielen kurdischen Städten Festnameoperationen gegen kurdische AktivistInnen.
Dies Alles macht deutlich, dass die türkische Regierung immer noch auf der Vernichtung der kurdischen Freiheitsbewegung setzt. Trotz aller Friedensbemühungen der kurdischen Seite, stehen die Zeichen weiterhin auf Krieg.

 
ISKU | Informationsstelle Kurdistan