Fast
wie in der Türkei – Polizeifestspiele in Heilbronn
Großaufgebot von Robocops,
Reiterstaffel und sogar Hundestaffel sowie die Heilbronner Versammlungsbehörde
verhindern überregionale Kurdistan-Solidaritätsdemonstration von ca. 500
Menschen in Heilbronn am 20.11.2010 zum Thema - Frieden und Freiheit für
Kurdistan - Keine Waffenlieferungen an das türkische Militär
Nachdem 2007 eine
Demonstration von KurdInnen in Heilbronn von rechten nationalistischen
Türken und faschistischen Grauen Wölfen angegriffen worden war versucht
die Heilbronner Versammlungsbehörde und die Polizeibehörde in Heilbronn
alles, um weitere Demonstrationen von KurdInnen gegen den Terror der türkischen
Militärs und der türkischen Regierung gegen KurdInnen zu verhindern –
ganz im Interesse der türkischen Militärs und Regierung.
Daher wurde am 20.11.2010 eine Kurdistan-Solidaritätsdemonstration in
Heilbronn von deutschen linken Gruppen angemeldet im Rahmen der bundesweiten
Kampagne „Tatort Kurdistan“. Der Aufruf wurde u.a. unterstützt von Revolutionärer
Aktion Stuttgart, Marxistische Aktion Tübingen, Antifaschistische Linke
Freiburg, Interventionistische Linke Karlsruhe, Revolutionäre Linke Heilbronn,
Antifaschistische Jugend Ludwigshafen/Mannheim.
Ziel der Demo war vor allem auch der Protest gegen die „andauernde Unterstützung
des Terrorstaats Türke durch die BRD und die dahinter stehenden ökonomischen
und strategischen Interessen. Die Türkei ist nicht nur für die Rüstungsindustrie
bedeutsam sondern auch für die gesamte deutsche Exportwirtschaft. Die
BRD ist der größte ausländische Investor in der Türkei, Firmen wie Siemens,
Daimler und Bosch produzieren hier.“ „Es gilt Widerstand gegen die menschenverachtende
Kriegspolitik des türkischen Staates und die Beteiligung der BRD als Waffenlieferant
und Repressionsorgan gegen die hier lebenden „KurdInnen aufzubauen.“ „Gemeinsam
müssen wir als kurdische, türkische und deutsche Linke die sozialen und
antimilitaristischen Kämpfe führen. Denn nur zusammen werden wir eine
Perspektive auf ein Ende von Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung haben.
Gegen Krieg und Repression – Internationale Klassensolidarität aufbauen“
– heißt es u.a. im Demonstrationsaufruf.
Konkreter Anlass für die Demonstration
ist die neue Repressionswelle in Kurdistan und die neue Offensive der
türkischen Militärs in Kurdistan gegen die Bevölkerung.
Seit Oktober 2010 findet der große "Schauprozess" gegen 151
kurdische PolitikerInnen in Diyarbakir statt. Die meisten davon sind gewählte
BürgermeisterInnen und Abgeordnete der kurdischen Parteien DTP (die bald
nach den erfolgreichen Kommunalwahlen verboten wurde) und BDP, darunter
u.a. der Bürgermeister der Millionenstadt Diyarbakir, die bei den letzten
Kommunalwahlen trotz massivem Wahlbetrug der türkischen Behörden weit
mehr als die Hälfte der Stimmen in ihrer Region bekommen haben und auch
20 Sitze im türkischen Parlament. Ein Großteil davon und auch Hunderte
Jugendliche und aktive Frauen sitzen im Gefängnis. Ihr einziges „Verbrechen“:
sie sind KurdInnen und beteiligen sich an den kurdischen kommunalen Selbstverwaltungsstrukturen
KCK. ProzessbeobachterInnen berichteten, dass die Anklageschrift allein
7500 Seiten beträgt und noch nicht einmal allen Angeklagten und allen
AnwältInnen zugestellt wurde. Die Angeklagten durften sich noch nicht
einmal in ihrer eigenen Sprache verteidigen. Vielen von Ihnen drohen weit
über 10 Jahren Gefängnis.
Mit den Prozessen soll auch der Kampf der kurdischen Bevölkerung gegen
die großen Staudammprojekte, wie zum Beispiel den Ilisu-Staudamm in Hasankeyf
oder den geplanten Staudamm bei Dersim geschwächt werden.
Ein weiterer Anlass ist der
Prozess und die Repressionswelle gegen kurdische Jugendliche nach einer
Auseinandersetzung in einem vorwiegend von türkischen Faschisten in Nürtingen
Raum besuchten Lokals, von denen 18 der Prozess gemacht werden soll, etliche
sitzen in Untersuchungshaft.
Bereits die Versammlungsauflagen
wurden von der Heilbronner Versammlungsbehörde so gestaltet, dass die
Polizei in jedem Falle ein Vorwand zum Eingreifen aus nichtigem Grund
hat. So wurde in der Auflagenverfügung bereits jegliche Äußerung, die
in Zusammenhang mit der kurdischen Bewegung PKK steht, die Verwendung
des Namens oder ein Bild von Abdullah Öcalan verboten. Damit war aber
ein Protest gegen das PKK-Verbot in der BRD oder die Forderung nach Freilassung
von Öcalan ebenfalls völlig rechtswidrigerweise untersagt, wobei man wohl
davon ausging, dass diese Auflagen auf einer Kurdistan-Solidaritätsdemo
mit Sicherheit nicht von allen befolgt werden würden. Auch die Bezeichnung
des türkischen Staates als terrorististisch würde angeblich die Deutschen
türkischer Herkunft beleidigen.
Bereits bei der Ankunft am
Heilbronner HBF wurden ca 50 völlig friedliche Demo-TeilnehmerInnen aus
dem Stuttgarter Raum in einen ersten Polizeikessel genommen. Auf Nachfrage
nach dem Grund der Maßnahme wurde uns von den Polizeikräften gesagt, dies
sei wegen der „erhöhten Terrorgefahr“ - will heißen wegen der Kofferattrappe
in Namibia. Nach eine halben Stunde konnten die Eingekesselten dann endlich
zur Auftaktkundgebung gegenüber dem Bahnhof kommen. Vorbei an jede Menge
Robocops, einer Reiterstaffel und einer Hundestaffel mit scharfen Hunden...
Die Demonstration wurde von Anfang an im Verhältnis von ca. 1:1 von Robocops
und vermummten Greiftrupps begleitet. Der begriff des Mobilen Polizeikessel
würde die Demonstration treffend beschreiben. Die „Polizeibegleitung“
erfolgte darüber hinaus auf Tuchfühlung. Außerdem wurde die gesamte Demo
zielgerichtet von einer Vielzahl von Polizeifotografen abgefilmt – beides
zwar rechtswidrig aber offensichtlich gilt in Heilbronn noch mehr als
woanders ein eigens Polizeirecht.
Nach einem knappen Drittel der Demostrecke wurde die Demo dann von der
Polizei abseits von den großen Straßen gestoppt und mit der Reiterstaffel
und den Robocops ein Teil der Demo mit ca 150 Menschen eingekesselt. Es
war ein Polizeikessel mit „Ansage“, offensichtlich sowie bereits beabsichtigt,
irgendeinen „Anlass“ würde es schon geben, einen Jugendlichen der Biji
APO ruft, ein Bild von Öcalan auf einem T-Shirt oder einem Transparent
– dies ist zwar nicht verboten stand aber in der Auflagenverfügung der
Versammlungsbehörde, usw.
Konkreter Anlass für das Einschreiten der Polizei waren dann 3 Böller
die in der Demo gezündet wurden – wohlgemerkt zumindest die ersten 2 in
der Demo und nicht auf die Polizei geworfen – von wem auch immer.... fast
wie bestellt.
Unabhängig davon ob dies ein gute Idee war, war dies jedoch auf keinen
Fall eine Rechtfertigung 150 Leute einzukesseln und ihre Personalien und
Bilder aufzunehmen. Dies war das eigentliche von Anfang an beabsichtigte
Ziel: Die Personalien und dazu gehörigen Bilder von möglichst vielen kurdischen
Jugendlichen zu bekommen, um hinterher besser gegen sie vorgehen zu können.
Außerdem war es den deutschen Erfüllungsgehilfen der türkischen Militärs
und Regierung offensichtlich ein Dorn im Auge, dass es endlich mal eine
gemeinsame Kurdistan-Solidemo von deutschen und kurdischen Linken gab.
Die nicht eingekesselten Teile
der Demo wurden von der Polizei massiv unter Druck gesetzt, weiter zugehen
und die Eingekesselten somit im Stich zu lassen und ansonsten ebenfalls
mit Kesselung bedroht. Trotzdem blieben der größte Teil der Demo da, um
die Festgenommenen nicht allein zu lassen.
Angeblich sollten alle in „Identifizierungsgewahrsam“
genommenen eingekesselten DemonstrantInnen nach Personen und Bildfeststellung
an Ort und Stelle, bzw. bei der Polizei nicht ausreichenden Papieren nach
Mitnahme in Polizeipräsidium, zur Überprüfung freigelassen werden. Ob
und wie viele hinterher noch inhaftiert oder im Gewahrsam gehalten wurden
ist uns heute Abend noch nicht bekannt.
Kennzeichnender Weise fand
die Polizeirepression parallel zu der großen Demo gegen Polizeiübergriffe
gegen Stuttgart 21 – GegnerInnen in Stuttgart statt. Es drängte sich der
Eindruck förmlich auf, dass das Ziel der Heilbronner Versammlungsbehörde
und der Polizeieinsatzkräfte von vorne herein war, die friedlich Kurdistan-Demonstration
zu behindern bzw. aufzulösen, als deutliche Warnung für alle, dass in
Heilbronn das Recht auf Versammlungs- und Informationsfreiheit weitgehend
„außer Kraft gesetzt“ ist....
Die Kampagne Tatort
Kurdistan wird sich überlegen müssen, wie wir es anstellen, dass Heilbronn
nicht zur Kurdistan-Solidaritäts-Versammlungsfreien Zone wird.
Wichtig ist vor allem auch, dass die Zusammenarbeit zwischen linken und
sozialen Bewegungen und der kurdIschen Bewegung endlich verstärkt wird
und die Rolle der BRD in Komplizenschaft mit den türkischen Militärs und
der türkischen Regierung thematisiert wird.
Unabhängig wie man
zur Kurdischen Arbeiterpartei PKK steht: eine friedliche Lösung in Kurdistan
wird es aber nur im Dialog mit der PKK geben. Daher muss die Aufhebung
des PKK-Verbots in der BRD – Dialog statt Verbot gefordert werden.
Worum geht es im Konflikt in Türkei-Kurdistan?
30 Jahre nach dem NATO-Militärputsch in der Türkei am 12.9.1980 werden
der kurdischen Bevölkerung weiterhin elementare Rechte vorenthalten.
Im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses der Türkei wurde von der Europäischen
Union immer wieder auf positive Signale der Regierung Erdogan im Hinblick
auf die Kurdenfrage verwiesen. In der Realität ist davon jedoch kaum etwas
zu spüren. Es wurde weder die Existenz der Kurden verfassungsrechtlich
aner¬kannt noch de¬ren kulturellen, politischen und sozialen Rechte garantiert.
Nach wie vor ist die kurdische Sprache aus staatlichen Schulen verbannt
und werden z.B. PolitikerInnen, die bei öffentlichen politischen Veranstaltungen
in kurdischer Sprache reden, mit Strafverfahren überzogen.
Nach offiziellen Angaben der türkischen Regierung sind während des Krieges
in den Kurdengebieten in der Südosttürkei zwischen 1984 und 1999 etwa
350000 Menschen aus 3428 Dörfern „evakuiert“ worden. Nach den Erhebungen
von Nicht-Regierungsorganisationen wurden mehr als 3700 Dörfer und Weiler
zerstört, 30000 Menschen wurden getötet, ca 3 Millionen Menschen vertrieben.
Die Zivilbevölkerung in den umkämpften Regionen selbst wurde von den Militärs
zum Feind erklärt und unmittelbares Objekt der Aufstandsbekämpfung. Während
der Vertreibungsaktionen kamen Tausende ums Leben, Hunderte zählen zu
den so genannten „Verschwundenen“. Die Menschen mussten unter Zwang von
einem Tag auf den anderen ihre Dörfer verlassen. Mitnehmen konnten sie
nur was sie tragen konnten. Das Vieh wurde von den Militärs getötet, viele
Dörfer vollkommen zerstört. Viele leiden noch heute an den traumatischen
Erlebnissen. Viele versuchten vor der staatlichen Repression und Perspektivlosigkeit
in ihrem Heimatland nach West-Europa zu fliehen.
Mit dem Terrorismus-Totschlagargument wird in Absprache mit der Türkei
und den USA die Kriminalisie¬rung der in Europa lebenden Kurden fortgeführt
und ihnen verweigert sich politisch zu artikulieren. Nur wenn die PKK
von der Terrorliste gestrichen und das PKK-Verbot aufgehoben wird, kann
sich ein Ansatz für eine Verhandlungslösung ergeben. Mit der Beibehaltung
des PKK-Verbotes macht sich auch die Bundesregie¬rung zum Komplizen der
türkischen Regie¬rung bei der Kriminalisierung kurdischer Oppositioneller
hier wie in der Türkei.
Aktionskreis Internationalismus
(AKI Karlsruhe)
http://de.indymedia.org/2010/11/294914.shtml?print=on
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