Türkei
redet mit Öcalan, Deutschland verfolgt seine Anhänger!
Von Memo Sahin, Sprecher
des Europäischen Friedensrat Türkei/Kurdistan
Vor über 17 Jahren
wurde vom damaligen Innenminister Manfred Kanter nach einer Reihe von
Aktionen eine Verbotsverfügung gegen die Arbeiterpartei Kurdistan PKK
erteilt. So wurden am 26. November 1993 insgesamt 35 kurdische Vereine,
Organisationen und Einrichtungen, darunter eine Nachrichtenagentur, eine
Zeitungsredaktion und ein Verlag, verboten.
In der Verbotsverfügung wurden u.a. folgende Gründe genannt: „Die Tätigkeit
der PKK richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährde
die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie andere erhebliche
Belange der Bundesrepublik Deutschland“. (Kurdistan Report Nr. 93/94)
Der Bremer Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner interpretierte die oben genannten
Verbotsgründe folgendermaßen: „Gegen den `Gedanken der Völkerverständigung´
haben sich die politischen Aktivitäten der PKK tatsächlich gerichtet,
wenn man diese Floskel mit den gedeihlichen Beziehungen der Bundesrepublik
zur Türkei übersetzt. Diese sind allein durch die Anwesenheit und Tätigkeit
der PKK auf deutschem Boden gestört worden... Auch die Formel von den
`anderen erheblichen Belangen´ der Bundesrepublik kann deutlicher übersetzt
werden: Es sind die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zum
NATO-Partner Türkei, die nicht weiter durch Duldung von PKK-Aktivitäten
aufs Spiel gesetzt werden sollten.“ (Kurdistan Report Nr. 93/94)
Innenpolitisch hat dieses Verbot zur Ausgrenzung, Diskriminierung und
Kriminalisierung von Dutzenden Vereinen und Organisationen bzw. Tausenden
von KurdInnen geführt. Seit dieser Zeit gehören Demonstrationsverbote,
Razzien, Durchsuchungen, Festnahmen, Einschränkung der Meinungs-, Vereins-,
Versammlungs- und Pressefreiheit zum kurdischen Alltag in der Bundesrepublik
Deutschland.
Mit diesem Verbot konnte und kann der Weg der Aktivitäten der KurdInnen
nicht versperrt werden. Anstelle der verbotenen Vereine traten andere
auf, weit über die Zahl der Verbotenen hinaus und der Aktionsgrad der
KurdInnen nahm mit der Verbotsverfügung auch nicht ab.
Drei Jahre später, am 16. Dezember 1996 berichtete das Wochenmagazin „Der
Spiegel“ mit der Überschrift „PKK - Verzicht auf Gewalt“, daß die Europaführung
der PKK in einem Brief an den Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, „das Ende
der gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik angekündigt“
hat. (Der Spiegel, 16.12.96)
Der Bundesnachrichtendienst (BND) wies darüber hinaus in einem Brief vom
11. Oktober 1996 an das Bayerische Oberste Landesgericht in München darauf
hin, daß Abdullah Öcalan „seit etwa Mitte 1995 bemüht (sei), seine Anhänger
von Gewaltaktionen in Deutschland abzuhalten, daß er bereit sei, (...)
mäßigend im Sinne einer `Bewahrung von Ruhe und Ordnung´ einzuwirken.
(Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von U. Jelpke, Drucksache
13/6879)
Die Anfänge dieser schwierigen Mission gehen auf das Konto von Heinrich
Lummer, der 1995 den Vorsitzenden der PKK, A. Öcalan, besuchte. Danach
wurden diese Kontakte von weiteren Politikern und Beamten fortgeführt.
(taz, 20.11.95 u. Hürriyet, 22.11.95)
Nach diesen Zusammenkünften räumte der Vorsitzende der PKK, Öcalan, im
April 1996 ein, daß sie in der Vergangenheit Fehler gemacht haben. Er
entschuldigte sich ebenfalls beim deutschen Volk und versicherte, daß
sie in Zukunft die „rechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik respektieren“
werden.
Trotzt der Verschleppung und Auslieferung des PKK-Vorsitzenden, Öcalan,
Mitte Februar 1999 in die Türkei blieben Kurden relativ ruhig. Diesbezüglich
erklärte der Generalbundesanwalt Kay Nehm am 24. Februar 1999: „es bestünden
bisher keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß die PKK gegenwärtig
zentral Straftaten (…) steuere. Er verfolge die PKK als kriminelle, nicht
jedoch im strafrechtlichen Sinne als terroristische Vereinigung.“ (Nützliche
Nachrichten (NN) 1/99, FR 25.2.99)
Auch der europäische Gerichtshof mischte sich 2008 in die Geschehnisse
ein und verlangte die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste: „Das
Gericht in Luxemburg erklärte die Einstufung der PKK und ihres politischen
Flügels Kongra-GEL für rechtswidrig, weil die EU-Regierungen ihre Entscheidung
nicht überzeugend begründet hätten.“ (FR, 3.4.2008) Trotz dieses Urteils
beharrt die EU weiterhin die PKK auf der Terrorliste zu benennen und zu
verfolgen.
Nach langjähriger Erfahrung weiß mittlerweile jeder, daß keiner der Parteien,
weder die Kurden noch die Bundesrepublik, sich an den Regeln der Verbotsverfügung
halten.
Nach 17 Jahren muss endlich begonnen werden, mit den Ursachen der ungelösten
Kurdenfrage zu beschäftigen. Ohne die Behebung der Ursachen können die
Folgen und Auswirkungen auch hier nicht beseitigt werden.
Die PKK ist heute einer der größten Widerstandsbewegung der Welt mit Millionen
von Anhängern, mit Tausenden von Kämpfern, mit eigenen Fernseh- und Rundfunksendern,
mit Hunderten von Vereinen und mit zahlreichen Massenblättern.
Kein Staat, auch nicht die Supermächte dieser Welt, konnten eine Guerillabewegung,
die in der Bevölkerung tief verankert ist, gänzlich besiegen. Fast alle
Befreiungs- und Widerstandsbewegungen wurden von der Gegenseite als terroristisch
bezeichnet. In Palästina, in Südafrika, in Ost-Timor und in Irland verhandelte
man mit „Terroristen“, die später mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichnet
wurden.
Wie eine Lösung ohne Mandela in Südafrika, wie einen Durchbruch ohne Arafat
in Palästina, wie eine Lösung ohne Ramos Horta in Osttimor, wie eine Lösung
ohne Gary Adams in Irland nicht vorzustellen wäre, wäre auch ohne die
PKK ein Durchbruch und eine Lösung in der Kurdenfrage schwer vorzustellen
sein.
Die Taliban, die regelmäßig deutsche Soldaten in Afghanistan angreifen,
verletzen, ja sogar töten, werden hier mäßigend als „radikal islamisch“
bezeichnet und hofiert. Die PKK aber wird wegen ihrem Kampf in 4.000 Kilometer
Entfernung in Deutschland verfolgt.
Europäer, die in Konferenzsälen mit der libanesischen Hisbollah verhandeln
und sich mit Taliban treffen, dürfen eine Massenbewegung wegen ihrem Kampf
in ihrer Heimat mit dem Vorwurf des Terrorismus nicht ausgrenzen und verfolgen.
Wie Premier Erdogan im September 2010 mehrfach zugab, redet die Türkei
mit dem Kopf der „Terroristen“ Öcalan. (Der Tagesspiegel, 27.9.2010 und
NN-9-2010) Die Bundesrepublik aber verfolgt hartnäckig die 16-18jährigen
KurdInnen aufgrund des Zeigens der PKK-Symbole. Wie zu sehen, läuft die
Bundesregierung hinter der Zeit.
Es geht um die Lösung eines politischen Konflikts. Bundesrepublik kann
dabei endlich eine positive Rolle übernehmen und die Konfliktparteien
ermutigen, eine friedliche Lösung zu finden. Außerdem hat die Bundesregierung
keine legitimen Gründe, das sinnlose und kontraproduktive, den Frieden
und Dialog schädigende Verbot der PKK aufrechtzuerhalten. Mit der Fortsetzung
des politischen Betätigungsverbotes einer Massenbewegung macht sich die
Bundesregierung lächerlich und agiert päpstlicher als der Papst!
|