Einseitiger
Waffenstillstand der kurdischen Guerilla beendet
Gestern endete der
von der kurdischen Freiheitsbewegung am 13. August 2010 verkündete einseitige
Waffenstillstand. Die Feuerpause war zuvor, trotz massiver militärischer
und polizeilicher Operationen in der Hoffnung auf ernsthafte Verhandlungen
zweimal verlängert worden. Unter der Erfüllung von 5. Bedingungen hätte
diese Waffenruhe in einen dauerhaften Waffenstillstand umgewandelt werden
können: Stopp aller militärischen und politischen Operationen, Freiheit
für alle inhaftierten Politikerinnen und Politiker, Einbeziehung des inhaftierten
Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans PKK Abdullah Öcalan in Verhandlungen,
Einrichtung einer Verfassungs- und Wahrheitskomission, Absenkung der parlamentarischen
10%-Hürde.
Keine dieser Forderungen wurde erfüllt, im Gegenteil, die politischen
Operationen verschärften sich, mit Frühlingsbeginn beginnen die Bombardierungen,
die Roadmap von Abdullah Öcalan wurde beschlagnahmt und nicht der Öffentlichkeit
zur Verfügung gestellt, trotz der fast täglichen Öffnung neuer Massengräber
wird die Einrichtung einer Wahrheitskomission abgelehnt und Premierminister
Erdoğan lehnte öffentlich die Absenkung der 10%-Hürde ab. Als entscheidend
betrachtete die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan KCK, zu der
auch die kurdische Guerilla HPG gehört, das Vorgehen der türkischen Justiz
im sog. KCK-Verfahren, das im ersten Prozess sich gegen 151 der im Moment
nahezu 2000 inhaftierten kurdischen Politiker_innen richtet. Hier wurde
konsequent ein Verbot der Verteidigung in „einer unbekannten Sprache“,
wie die Richter zur kurdischen Sprache sagten, durchgesetzt und somit
die Angeklagten dem Recht auf eine juristische Verteidigung in Muttersprache
beraubt.
Andererseits entwickelten mit dem Staat verbundene Terrorgruppen in den
letzten Monaten eine Steigerung ihrer Aktivität gegen die kurdische Bevölkerung.
Nach der Ankündigung Erdoğans, die Region Colemêrg (Hakkari) müsste von
der PKK „gesäubert werden“, explodierte eine Bombe am 16. September 2010
unter einem Minibus, der aus dem Dorf Peyanis nahe Colemêrg (Hakkari)
kam, welches zu 98% die kurdische Freiheitsbewegung unterstützt. 9 Menschen
starben. In der Nähe des Tatorts ließen die Täter, da sie gestört wurden
Rucksäcke von Militäreinheiten und Ausrüstung der türkischen Armee zurück.
In Gever (Yüksekova) fanden mehrere Bombenanschläge auf Einrichtungen
der linken Partei für Frieden und Demokratie BDP statt, weiterhin begann
eine Gruppe, die sich „Mezit“ nennt, ihre Aktivitäten in der Region u.a.
mit einem versuchten Bombenanschlag auf Zivilist_innen in Gever (Yüksekova).
Ihr erklärtes Ziel ist ebenfalls Gever (Yüksekova) „von PKK, KCK und ihren
Symphatisanten“ zu säubern.
Unter anderem diese bedrohlichen Entwicklungen machen deutlich, dass die
AKP-Regierung der Türkei nicht an einer friedlichen Lösung der kurdischen
Frage interessiert ist und auf diese Weise eine Fortsetzung des Waffenstillstands
verunmöglicht hat. Diese Einschätzung teilen etliche zivilgesellschaftliche
Organisationen, die BDP, der Demokratische Gesellschaftkongress DTK und
viele Intellektuelle, die den Waffenstillstand unterstützt haben. Der
Covorsitzende der BDP Selahattin Demirtaş warnte mit deutlichen Worten
vor einem bevorstehenden kurdischen Aufstand, da die türkische AKP-Regierung
jeden Waffenstillstand seit ihrem Regierungsantritt 2002 vergeudet habe.
Die AKP habe das Thema friedliche Lösung nicht aufrichtig behandelt und
„Nur um ihre Stimmen zu erhöhen, ihre Hegemonie zu verstärken benutzt.
Die kurdische Bevölkerung wird ihre eigene Lösung nun aus eigener Kraft
schaffen. Trotz 20 Jahren Massakern und jeder Form von Unterdrückung hat
sie nicht von ihrem Kampf abgelassen. Nun wird sie Initiative in die eigenen
Hände nehmen.“ Weiterhin forderte er Premierminister Erdoğan auf, sich
sofort dazu zu Verhalten und zu erklären ob er eine Kampfphase wolle oder
ein konkretes Lösungsprojekt vorschlagen werde.
„Die Region ist wie ein Pulverfass“
Er warnte die Regierung eindringlich: „Die Region ist jetzt wie ein Pulverfass.
Es steht kurz vor der Explosion. Diese Menschen wurden jahrelang vertröstet,
beleidigt, betrogen und auf den Straßen zusammengeknüppelt. Ihnen gegenüber
können Sie nicht behaupten, Sie würden eine demokratische Öffnung machen.
Diese Menschen werden eines Tages mit einemAufstand beginnen, den niemand
mehr stoppen können wird. Wir sehen, dass dieser Punkt der Explosion nahe
ist. Aber was das für eine Auswirkung auf die Gesellschaft haben wird,
sehen wir mit Sorge. Wir suchen eine politische Lösung. Aber die Ohren
der Regierung sind taub und ihre Augen sehen nichts.“
Die kurdische Guerilla kündigte zu ihrem weiteren Vorgehen an: „In dieser
Situation werden unsere Kräfte, sich gegen Angriffe noch wirksamer Verteidigen,
aber dennoch keine Kräfte, die nicht zur Operation aufbrechen und sich
nicht gegen die Bevölkerung richten, angreifen. Wie die Phase, die vor
uns liegt, aussieht, ist abhängig vom Verhalten der AKP-Regierung und
der staatlichen Kräfte.
Insbesondere das Verhalten des Staates im März, am 8. März, dem Frauentag
und dem kurdischen nationalen Feiertag Newroz wird wichtig sein. Bezüglich
dieses Themas weisen wir alle Kreise darauf hin, verantwortungsvoll und
sensibel zu sein.“
In diesem Zusammenhang ist
es sicher für uns als Linke in Deutschland sinnvoll, sich an den hiesigen
Demonstrationen der kurdischen Freiheitsbewegung u.a. zu Newroz zu beteiligen
und die Lage im Land genau zu beobachten.
Hier einige Links
zu Aufrufen der Kampagne Tatort
Kurdistan und des Kurdistan
Solidaritätskomitees Berlin
ISKU | Informationsstelle Kurdistan
e.V., 1.3.2011
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