Pressemitteilung Kampagne „Tatort Kurdistan“

6.7.2011

Neuer Verfassungsschutzbericht diffamiert Kampagne „Tatort Kurdistan“

Im aktuell erschienenen bundesweiten Verfassungsschutzbericht 2010 wird im Kapitel zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ die Kampagne „Tatort Kurdistan“ aufgeführt. Als Ziel der Kampagne listet der Verfassungsschutz (VS) korrekt, die Verstrickung deutscher Behörden und Rüstungsunternehmen bei den menschrechtswidrigen Einsätzen von türkischem Militär und türkischer Polizei mit deutscher Ausrüstung in Kurdistan aufzuzeigen. Ebenso findet das Engagement der Kampagne gegen ökologisch zerstörerische Staudammprojekte in der Türkei und Kurdistan Erwähnung, die ebenfalls mit europäischer Beteiligung umgesetzt werden.
Mit keiner Zeile geht der VS-Bericht jedoch darauf ein, was an diesen Aktivitäten extremistisch oder gar verfassungswidrig sein soll. Es ist nun einmal Tatsache, dass Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur der Welt rangiert und Rüstungslieferungen an die Türkei davon einen großen Umfang ausmachen. Der Einsatz deutscher G3-Gewehrer und Panzerr in den kurdischen Gebieten ist von zahlreichen Menschenrechtsdelegationen in Bildern und durch Berichte der betroffenen Bevölkerung hinreichend dokumentiert. Täglich finden in den kurdischen Gebieten Demonstrationen statt, die von Polizei und paramilitärischen Sondereinheiten unter massivem Einsatz von Tränengas und Schusswaffengebrauch angegriffen werden, ohne dass dies, im Gegensatz zu den „arabischen Aufständen“, in den westlichen Medien und von den politisch Verantwortlichen thematisiert wird.

Die seit anderthalb Jahren tätige Kampagne „Tatort Kurdistan“ hat sich zum Ziel gesetzt, Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und ökologische Zerstörung in den kurdischen Gebieten in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen und die Beteiligung deutscher staatlicher Einrichtungen und Unternehmen aufzuzeigen. Die Kampagne arbeitet als Netzwerk lokaler und bundesweiter Gruppen in verschiedenen deutschen Städten.
Wir vermuten hinter den Ausführungen im VS-Bericht den gezielten Versuch, eine politische Intervention gegen die reibungslose deutsch-türkische Zusammenarbeit bei der Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung zu unterbinden. So fanden etwa im Sommer letzten Jahres die im Rahmen der „Tatort-Kurdistan“ Kampagne recherchierten völkerrechtswidrigen Einsätze von chemischen Waffen durch die türkische Armee gegen die kurdische Guerilla großen Eingang in die deutschen Medien, so dass sich das Auswärtige Amt und die türkische Regierung zu Stellungnahmen veranlasst sahen. Solche Meldungen stören die Bemühungen der EU, die immer totalitärer auftretende türkische AKP-Regierung als Musterbeispiel einer „islamisch geprägten Demokratie“ zum Vorbild für den gesamten Mittleren Osten hoch zu loben, um ihren eigenen Einfluss zu wahren, wie jüngst von Bundesaußenminister Westerwelle anlässlich seines aktuellen Türkei-Besuchs propagiert.

Der Kampagne „Tatort-Kurdistan“ ist es im letzten Jahr gelungen, im Bündnis mit antimilitaristischen und antifaschistischen Initiativen sowie Umwelt- und Menschenrechtsgruppen über die Geschehnisse in Kurdistan zu informieren. Höhepunkt war ein dezentraler Aktionstag zum Antikriegstag am 1. September. Mit der Listung in seinem aktuellen Bericht versucht der VS, diese Bündnisse mit anderen emanzipatorischen Initiativen gezielt zu unterbinden, indem er wahrheitswidrig „Tatort Kurdistan“ als „extremistische“ von der PKK gesteuerte Kampagne diffamiert. Wir sehen hier Analogien zu den Vorgaben durch das Bundesfamilienministerium, gesellschaftliche Initiativen gegen Rechts nur noch finanziell zu fördern, wenn sie sich zur „Verfassungstreue“ bekennen. Die Art und Weise, wie sich hier der Staat anmaßt, zivilgesellschaftliches Engagement mit dem VS als von niemand bestelltem obersten Richter zu gängeln, hat selbst schon einen totalitären Einschlag.
Besonders empörend finden wir den VS-Bericht in Hinblick darauf, dass in der Türkei z. Zt. im sogenannten KCK-Verfahren Dreitausend kurdischen AkivistInnen aus Politik, Menschenrechts- und Umweltbewegung ohne erkennbare Straftatbestände angeklagt und Hunderte inhaftiert sind unter dem Vorwurf, generell im Auftrag der PKK zu handeln. Genau dieser Logik folgt auch der aktuelle VS-Bericht in Bezug auf Deutschland. Hier scheint sich das deutsche und türkische Politik- und Rechtsverständnis anzunähern, und zwar in Richtung Türkei.

Wir werden als Kampagne „Tatort Kurdistan“ unbeirrt weiter mit anderen Initiativen zum Thema Kurdistan informieren und intervenieren und auch dieses Jahr wieder zum Antikriegstag am 1. September in vielen Städten Aktivitäten entfalten. Gegen die Völkerverständigung und damit verfassungswidrig ist die Unterstützung des türkischen Staates bei seinem schmutzigen Krieg in Kurdistan durch deutsche Behörden und Rüstungsunternehmen und nicht die Aktivitäten dagegen.

Mail: tatort_kurdistan@aktivix.org
http://tatortkurdistan.blogsport.de/