Pressemitteilung
Ressort Außenpolitik/Türkei

Türkische Regierung versucht friedliches Newroz zu sabotieren - Ein Toter, mehrere Schwerverletzte - Menge mit deutscher Menschenrechtsdelegation von Polizei mit Maschinengewehrfeuer angegriffen

Gestern verkündete US-Präsident Obama in seiner Newroz-Botschaft: "Seit 3.000 Jahren ist Newroz für Millionen Menschen auf der ganzen Welt eine Zeit der Hoffnung." Zu dieser Hoffnung gehörte auch der Wunsch, dass dieses hohe kurdische Fest von "Mitgefühl, Familiensinn und Aufbruchsstimmung" geprägt sei und dem "Frieden und Fortschritt dienen" solle.

Einen Tag später, am heutigen Dienstag, griffen türkische Sicherheitskräfte in mehreren Städten die Newroz-feiernden Menschen mit Gasgranaten, Wasserwerfern und scharfen Schüssen an. Die TeilnehmerInnen einer von der Bundestagsabgeordneten Heidrun Dittrich, Die Linke, entsandten Menschenrechtsdelegation berichten aus Yüksekova (Provinz Hakkari) nahe der iranischen Grenze, dass die feiernde Menge, in der sich die Delegation befand, von Scharfschützen auf Dächern und von Polizisten mit Maschinenpistolen angegriffen wurde. Dabei hat es neben zwei Schwerverletzten viele weitere Verwundete gegeben. "Ein Angriff der Polizei auf eine feiernde Menge mit scharfer Munition ist nicht tolerierbar. Immer wieder verletzen und töten die türkischen Sicherheitskräfte protestierende KurdInnen."

Der türkischen Polizei war bekannt, dass die Menschenrechtsdelegation vor Ort befand, als sie scharfe Munition einsetzte. Wenige Meter von den MenschenrechtsaktivistInnen entfernt schlugen die Kugeln ein. Bereits im Juni 2011 war nach den Parlamentswahlen in der kurdischen Stadt Sirnak, in der feiernden Menge, in der sich die Delegation des Bundestagsabgeordneten Harald Weinberg, Die Linke befand, eine Granate gezündet worden. "Auf diese Weise soll die kurdische Bevölkerung nahe der türkisch/irakischen Grenze sanktioniert werden, wenn internationale Menschenrechtsbeobachter anwesend sind. Und MenschenrechtsaktivistInnen aus dem Ausland sollen eingeschüchtert werden."

Ebenfalls heute schlugen Polizisten den kurdischen Politiker Ahmet Turk in Batman brutal zusammen. Turk, der an einem Herzfehler leidet, liegt mit einem Schock und Verletzungen im Krankenhaus. Der Grandseigneur der kurdischen Friedens und Demokratiepartei (BDP) hatte sich bereits in den 1990er Jahren gemeinsam mit Leyla Zana für die Rechte der KurdInnen im Parlament eingesetzt. "Die türkische Regierung scheint mit allen Mitteln zu versuchen, Gewalt bei den Newrozfeierlichkeiten zu provozieren." An vielen Orten kommt es mittlerweile zu Ausschreitungen. In Viranshehir (Provinz Urfa) hindert die Polizei mit scharfen Schüssen die Menschen am Betreten des Festplatzes.

Tausende Menschen trugen heute in Istanbul den Vorsitzenden eines Stadtverbandes der Demokratischen Friedenspartei BDP, Hacı Zengin, zu Grabe, der am Wochenende von der Polizei bei Angriffen auf ein Newrozfest getötet wurde.

Wir verurteilen den Einsatz von Waffen gegen Menschen, durch den bewusst schwere Verletzungen oder der Tod in Kauf genommen werden, aufs Schärfste. Von der EU und der Bundesregierung erwarten wir dass sie politische Maßnahmen zur Verhinderung weiteren unnötigen Blutvergießens unternimmt.

Heidrun Dittrich, MdB, Die Linke
Andrej Hunko, MdB, Die Linke, Mitglied in der parlam. Versammlung des Europarats
Harald Weinberg, MdB, Die Linke
Ulla Jelpke, MdB, Die Linke
Martin Dolzer, Soziologe


Hintergrund - Die Situation in den letzten Tagen

Durch ein kurzfristiges Verbot der Newrozfeiern in Istanbul, Diyarbakir und weiteren Städten sowie die "Anordnung" das Fest lediglich am 21.03 feiern zu dürfen, streben die türkischen Behörden eine Eskalation der Situation an. In den letzten Jahren waren die kurdischen Neujahrsfeste in der Woche um den Newroztag, den 21.03. genehmigt worden, um der Bevölkerung das Feiern auch am Wochenende zu ermöglichen. Aufgrund dessen verliefen sie friedlich.

Filmisch wurde dokumentiert wie Polizei und Militär in der kurdischen Metropole Diyarbakir eine Menge von mehreren 100000 friedlich feiernden Menschen mit Wasserwerfern, Gasgranaten und aus Hubschraubern mit Tränengas angriffen. Mehrere Polizisten schossen mit scharfer Munition. Mindestens zwei Kinder erlitten schwere Verletzungen. Eines der Kinder schwebt noch in Lebensgefahr. Es kam an all den Orten zu Auseinandersetzungen, wo die Sicherheitskräfte mit Gewalt versuchten das Demonstrationsrecht der Menschen zu verhindern. "Wir haben mit eigenen Augen gesehen wie Polizei und Militär bereits am frühen Morgen sich friedlich vor dem Büro der BDP versammelnde Menschen mit Schlagstöcken und Tränengas angriff. Ungefähr eine Million Menschen ließen sich trotz der unnötigen Gewalt nicht davon abbringen, für ihre Rechte und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage zu demonstrieren," berichtet die Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, Die Linke, aus Diyarbakir.

Zusätzlich führten Sondereinheiten der Polizei Anfang der Woche in Batman, Hakkari, Van, Yüksekova, Çukurca Razzien durch. Mindestens 43 Menschen wurden festgenommen. Zeitgleich legte die Staatsanwaltschaft in Istanbul die Anklage gegen den Publizisten Ragıp Zarakolu und 192 weitere Personen im Rahmen des "KCK Verfahrens" vor. Für den mittlerweile für den Friedensnobelpreis nominierten Publizisten werden zehn Jahre Haft gefordert. Für Prof. Dr. Büşra Ersanlı, die die BDP vor ihrer Festnahme als Mitglied für den "Parlamentarischen Ausschuss für eine Diskussion über die Verfassungsreform" benannt hatte, forderten die Staatsanwälte 15 Jahre Haft.

Die AKP Regierung versucht offensichtlich mit allen Mitteln die politische Partizipation der kurdischen Bevölkerung zu verhindern und Gewalt bei den Newrozfesten und darüber hinaus zu provozieren. Insgesamt starben seit 2009 mehr als 10 Menschen bei Polizeiübergriffen mit Tränengas, 6500 Menschen, darunter u.a. 6 ParlamentarierInnen, 31 BürgermeisterInnen und mehr als 100 JournalistInnen und mehr als 1000 Frauenaktivistinnen wurden inhaftiert.

Wir unterstützen die kurdische Bevölkerung, die sich trotz anhaltendem Unrecht auch zu Newroz für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzt. Internationaler Protest und entschiedene Maßnahmen gegen die Politik der Regierung Erdogan die auf Gewalt, Krieg, Beschränkung der Meinungsfreiheit und Eskalation basiert sind nötig.