Besuch der Frauendelegation in Roboski Am 6. Juli 2012 reist eine Frauendelegation, die durch das Kurdische Frauenbüro für Frieden - Cenî e.V. initiiert und durch die Kampagne Frieden in Kurdistan in London unterstützt wurde nach Nordkurdistan, um den Austausch zwischen Frauenprojekten, Frauen- und Menschenrechtsinitiativen in Kurdistan und Europa zu stärken und voneinander zu lernen; sowie angesichts der steigenden Repressionen des türkischen Staates gegen die Frauen- und Gewerkschaftsbewegung praktische internationale Solidarität zu zeigen. Zuletzt besuchte eine Gruppe von Delegationsteilnehmerinnen am 17. Juli 2012 das Dorf Roboski, das am 29.12.2011 von Kampfjets der türkischen Luftwaffe bombardiert worden war. 34 Dorfbewohner starben bei dem gezielten Bombenangriff. Ihre Eindrücke schildern die Delegationsteilnehmerinnen folgendermaßen: „Auf kleinen kurvigen Straßen fahren wir mit einem PKW von Sirnak nach Roboski. Die Landschaft ist unbeschreiblich schön. Leider sind überall Militärposten auf den Bergen zu sehen. Wir fahren an zahllosen Militärfahrzeugen vorbei und müssen zwei Straßensperren passieren. Eng an den Kasernen sind kleine und bunte Dörfer. Überall an den Straßen spielen Kinder. Immer wieder sehen wir Schafherden an einem kleinen Fluss rasten. Wir sehen Brände an den Berghängen. Uns wird erzählt, dass das Militär absichtlich Feuer legt, um die Natur dort zu zerstören. Trotzdem würden aber immer wieder neue Bäume wachsen. Es kommen uns viele Lastwagen entgegen. Auf der Strecke werden zwei Staudämme gebaut. Zudem wird sehr viel Kohle in der Region abgebaut. Davon profitiere nur der Staat. Die Menschen vor Ort bekommen noch nicht einmal Arbeit. Nach ca. zwei Stunden kommen wir in Roboski an. Es ist ein kleines Dorf, das wunderschön an die Landschaft angepasst, gebaut wurde. Als wir aus dem Auto aussteigen, sehen wir eine Gruppe Frauen an einem Lehmofen Brot backen. Die Luft ist erfüllt mit dem köstlichen Duft nach frischem Brot. Seitlich der Häuser schlängeln sich kleine Pfade die Berge hoch. Dazwischen Hunde, Kühe und Esel, die frei ihrer Wege ziehen. Wir kehren bei einer Familie ein, die uns freundlich in ihr Haus einlädt. Im Hintergrund hört man das Rauschen des Flusses. Die gemütliche Atmosphäre wird jedoch sogleich unterbrochen. Eine der älteren Frauen kommt mit einem gerahmten Bild zu uns. Sie berichtet mit Tränen in den Augen, dass sie bei dem Massaker von Roboski zwei ihrer Söhne und zwei Enkelkinder verloren habe. Auf dem Bild erblicken wir vier sehr junge Männer und Jugendliche. Eine der Frauen, deren Sohn getötet wurde erzählt, dass seit 100 Jahren im Dorf Schmuggel betrieben wird. Die Grenze zum Irak ist sehr nah, und da es in der Region um Roboski keine Arbeit gebe, sei dies der einzige Lebensunterhalt, den die Familien im Dorf haben. Weiter erzählt sie, dass ihr Vater vor 30 Jahren, als sie ein kleines Kind war, durch Soldaten getötet wurde. Ihr Sohn war in der 7. Klasse. Nachdem er gestorben war, habe sie sein Zeugnis von der Schule abgeholt. Auf diesem war geschrieben: "Viel Erfolg in deinem weiteren Leben". Obwohl alle bereits wussten, dass ihr Kind tot war. Eine weitere Frau kommt zu uns. Sie ist hochschwanger. Sie erzählt uns von ihrem Mann, mit dem sie sechs Jahre verheiratet war. Erst im letzten Jahr wurde sie schwanger. Als sie im zweiten Monat schwanger war, wurde ihr Mann umgebracht. Nun wird er sein Kind nie sehen. Die Frauen sagen, dass es bisher noch keinen Prozess gegeben habe. Sie seien sehr enttäuscht, denn auch aus Europa käme keine Hilfe, um ihnen zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Es kommen zwei Männer der Familie hinzu. Der ältere Mann ist blind. Sein Sohn ist bei dem Massaker gestorben. Er habe die Familie durch das Schmuggeln finanziell unterstützt, da der blinde Vater nicht mehr arbeiten kann. Nun wisse die Familie nicht mehr, wie sie überleben soll. Der andere Mann ist auf einem Auge blind. Er hat um das Auge blaue Flecken. Er berichtet auf Nachfrage, dass dies von einer Mine sei. Viele im Dorf sind auf Minen getreten. Es gibt viele, denen Beine oder Arme fehlen. Die türkische Regierung habe sich immer noch nicht dazu bereit erklärt, die Minen zu räumen. Deshalb können viele Familien ihr Weideland nicht mehr betreten, weil sie Angst um ihr Leben und um das ihrer Tiere haben. Er erzählt uns, dass bei dem Massaker zwei seiner Brüder, ein Sohn und ein Neffen gestorben seien. Ein weiterer Bruder ist zur Guerilla gegangen und einer ist nun beim Militärdienst. Die Familie habe große Angst um die beiden, es könne sogar sein, dass beide bei Gefechten gegeneinander kämpfen müssen. Er erzählt, dass ihr Dorf in der Umgebung, das einzige war, das mehrheitlich die BDP gewählt habe. Sie haben mitbekommen, dass das Militär sagte, es sei ein terroristisches Dorf, sie würden den Terroristen helfen. Deshalb wurden die 34 jungen Männer getötet. Es sei kein Unfall, sondern eine geplante Aktion gewesen, um sie einzuschüchtern. Die Männer im Dorf müssen als Dorfschützer arbeiten. Aus Angst nach dem Massaker haben sich hundert weitere Männer als Dorfschützer bewaffnen lassen oder haben das Dorf verlassen. Alle sagen, dass sie endlich Frieden haben wollen, sie möchten ohne Angst leben können. Eine Frau erzählt, dass die Kinder nachts kaum schlafen können, da um sie herum die Gefechte stattfinden. Auf Nachfrage erzählen sie, dass ihre Kinder weiter als Schmuggler arbeiten müssen, da es sonst keine Arbeit gäbe. Sie haben jede Minute um ihre Kinder Angst. Es werden zumeist Tabak, Tee oder Kaffee geschmuggelt. Für ihre Ware bekommen die Schmuggler umgerechnet 25 Euro. Als wir uns verabschieden, kommt gerade ein junger Mann auf einem Maultier den Berg herunter geritten. Sie sagen, dies sei auch ein Junge, der gerade vom Schmuggeln zurück komme. Als wir ins Auto steigen, kommen uns Pferde entgegen, die zurück ins Dorf getrieben werden. Der Ort könnte wie ein Paradies sein.
Wir fahren zu einem weiteren Ort. Dort werden wir von weiteren Frauen und ihren Männern erwartet. Alle haben sie die Bilder von ihren Söhnen, Ehemännern, Vätern oder Brüdern mit sich. Eine Frau berichtet, dass ihr Sohn gerade das Studium als Architekt abgeschlossen habe. Eine weitere berichtet, dass ihr Sohn gerade vom Militärdienst zurück gekommen sei. Viele Frauen zeigen uns die Schulhefte ihrer Kinder. Einige der Ermordeten waren erst 13-14 Jahre alt. Die Frauen erzählen, dass die Frau von Erdogan sie besucht habe und ihnen versprochen habe, dass sie den Schuldigen finde. Jedoch sei dies eine Lüge, da Frau Erdogan schließlich wisse, dass ihr Mann für das Massaker verantwortlich sei. Den Familien wurde dann Geld als Entschädigung angeboten, jedoch wollten sie es nicht haben. Sie wollen nicht die Leichen ihrer Kinder abgekauft bekommen, sondern dass die Mörder ihrer Kinder benannt und einer angemessenen Strafe zugeführt werden. Sie erhoffen sich Hilfe beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Sie bitten uns, sie mit nach Europa zu nehmen, damit sie dort um Hilfe bitten können. Am Ende der Woche beginnt Ramadan. In dieser Zeit ist es üblich, dass Armen geholfen wird. Die Bewohner des Dorfes haben nun Angst, dass ihnen Almosen angeboten werden. Sie wollen jedoch nicht mit Almosen abgefertigt werden, sondern Frieden und Gerechtigkeit.“
____________________________________________
|