Civaka
Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
11.09.2012
Wie man Legitimation
für weitere Repressalien erschafft …
Zu der Gewalteskalation
beim 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestival in Mannheim
„Die Politik
müsse sich dafür einsetzen, dass künftig solche Veranstaltungen nicht
mehr stattfinden dürfen, heißt es in Erklärung der GdP“ (1)
"Das Bundesinnenministerium
muss intensiv und schnell prüfen, ob Nachfolgeorganisationen der verbotenen
PKK verboten werden können", sagte der baden-württembergische Innenminister
Reinhold Gall (SPD) (2)
Diese Erklärungen
der Gewerkschaft der Polizei und des baden-württembergische Innenministers
bringen offen zum Ausdruck, worum es der Politik und Medienvertretern
in Deutschland einen Tag nach dem 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestival
eigentlich geht. Es sind wieder Begriffe wie „Randale“, „Gewalt“ und „Chaos“,
die in Verbindung mit „Kurden“ in den Schlagzeilen deutscher Medien auftauchen.
Und wieder wird von keinem Reporter, keiner Zeitung und keinem Politiker
eine Stellungnahme der kurdischen Organisatoren oder von irgendeinem anwesenden
Kurden eingeholt. Die Kurdinnen und Kurden sind solche Szenarien nicht
nur aus den Länder, aus denen sie vor der Repression fliehen mussten –
der Türkei, Syrien, dem Irak oder dem Iran –, sondern seit dem PKK-Verbot
Ende 1993 auch in Deutschland gewohnt. Und während in Nordkurdistan und
Türkei tausende Menschen wegen vermeintlicher KCK-Mitgliedschaft vor Gericht
gestellt werden, laufen auch in Deutschland gleich mehrere sogenannte
PKK-Verfahren nach §129b an. Zugleich versucht die AKP-Regierung seit
rund einem Jahr kläglich mit einer rigorosen Verbotspolitik alle kurdischen
öffentlichen Veranstaltungen in Nordkurdistan und der Türkei zu verbieten.
Dass sie mit dieser Politik zum Scheitern verurteilt sind, verdeutlichen
die Bilder des diesjährigen Newrozfestes, bei dem Millionen von Kurdinnen
und Kurden trotz Verbotes auf die Straßen gegangen sind und sich von den
Polizeibarrikaden nicht stoppen ließen. Es ist der falsche Weg, wenn die
deutsche Politik nun, wie von der Gewerkschaft der Polizei oder Herrn
Gall angeregt, es der AKP Regierung gleich tun und auf eine Verbotspolitik
setzen wollen. Anstatt durch das wiederweckte Bild des „gewalttätigen
Chaoskurden“ die Unterstützung der bürgerlichen Öffentlichkeit für solch
einen Kurs sichern zu wollen, sollten die poltischen VertreterInnen den
Weg des Dialog mit den kurdischen VertreterInnen suchen.
Doch vielleicht zunächst einige Worte zu den Geschehnissen auf dem Internationalen
Kurdischen Kulturfestival selbst: Wenn man am Samstag auf das Gelände
des Festivals gelangen wollte, musste man an dutzenden uniformierten Herrschaften
vorbeispazieren. Diese waren demonstrativ in spürbarer Nähe der anreisenden
Gäste des Festivals über einen Großteil des etwa fünfminütigen Fußweges
vom Parkplatz bis zum Festivaleingang in Reih und Glied aufgestellt. „Sicherheitsvorkehrungen“
in dieser Form gab es zumindest bei den letztjährigen Kulturfestivals
nicht. Nach dem Eintritt auf das Festivalgelände kam dann die nächste
Überraschung. Nun wurden der Körper und die Taschen nach verbotenen Gegenständen
abgetastet, was zunächst nicht verwunderlich scheint. Doch zu den verbotenen
Gegenständen gehörten dieses Mal auch „verbotene Fahnen“. Aber auch dies
ließen die Kurdinnen und Kurden über sich ergehen. Als schließlich jedoch
einem zwölfjährigen Kind eine Fahne durch die Polizei weggenommen werden
sollte und die Polizeikräfte ihm auf das Festivalgelände hinterherjagten,
als dieses versuchte seine Fahne zu retten, platzte anscheinend einigen
Jugendlichen der Kragen und sie jagten ihrerseits die Polizei von dem
Gelände. Was dann folgte war eine Gewaltsituation, die wir mit klaren
Worten verurteilen möchten. Dass einige Jugendliche ihre Emotionen nicht
kontrollieren konnten, mit Steinwürfen die Polizeikräfte verletzten und
zugleich auch das Festival in Gefahr brachten, ist selbstverständlich
nicht akzeptabel. Allerdings ist auch das aggressive Verhalten der Polizeikräfte
in keinster Weise zu verantworten. Es waren keine Anzeichen einer Deeskalationsstrategie
seitens der Polizeikräfte zu erkennen. Ganz im Gegenteil, es scheint so,
als wollte die Polizei mit ihrem Verhalten einen Vorfall dieser Art herbeiführen.
Während in den Medien die Rede von etwa 80 verletzten Polizisten ist,
wird in so gut wie keinem Bericht erwähnt, dass auch rund 100 Festivalbesucher
durch den Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas durch die Polizei verletzt
worden sind.
Wir als Civaka Azad verurteilen die Gewalteskalation durch die angewandte
Polizeistrategie auf dem 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestival.
Es ist doch zumindest seit den Ereignissen von Duisburg bei der Loveparade
2010 bekannt, welche unkontrollierten Dynamiken bei Veranstaltungen mit
tausenden Menschen freigesetzt werden können, wenn Paniksituationen entstehen.
Wir verurteilen auch die Gewalt der Jugendlichen, denn diese Form der
Auseinandersetzung ist auf einem Friedensfestival nicht zu vertreten.
Wir bedanken uns bei dem Großteil der BesucherInnen, dass durch ihr Verhalten
das Fest bei guter Stimmung zu Ende geführt werden konnte.
Wir fordern die politischen Verantwortlichen dazu auf, sich objektiv damit
auseinanderzusetzen, warum die Situation am Haupteingang des Festivals
so eskalieren konnte. Sollten sie dies tun, werden sie unausweichlich
auf das PKK-Verbot in Deutschland stoßen. Dieses ist Ursache für eine
systematische Diskriminierung politisch aktiver Kurdinnen und Kurden in
der BRD. Das PKK-Verbot ist vermutlich älter als die meisten kurdischen
Jugendlichen, die an diesem Tag gemeinsam das Motto des Festivals unterstützen
wollten: „Freiheit für Abdullah Öcalan, Status für Kurdistan“. Doch durch
das politische Betätigungsverbot, das für Kurdinnen und Kurden vor fast
20 Jahren verhängt worden ist, werden diese Jugendlichen und ein Großteil
der übrigen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden KurdInnen ausgegrenzt
und kriminalisiert. Auch deshalb fordern wir die Politik eindringlich
dazu auf, nicht mit einer Verbotslogik an die Menschen heranzutreten,
sondern den Dialog mit ihnen und ihren politischen VertreterInnen zu suchen.
In diesem Sinne begrüßen wir es ausdrücklich, dass der Mannheimer Oberbürgermeisters
Dr. Peter Kurz in einer ersten Stellungnahme betont, auf den Dialog mit
den lokalen Akteuren setzen zu wollen.
Es ist erstaunlich, wie viel in den letzten Tagen hierzulande über die
KurdInnen geschrieben wurde, ohne auch nur mit einer Kurdin oder einem
Kurden das Gespräch selbst gesucht zu haben. Am Samstag hatten die MedienverterInnen
in Mannheim anscheinend kein Interesse mit den KurdInnen zu sprechen,
daher bauten sie ihre Berichterstattung ausschließlich auf den Angaben
der Polizeivertreter auf. Eine Berichterstattung dieser Art ist mit keiner
journalistischen Ethik vereinbar. Wir fordern deshalb auch die PressevertreterInnen
dazu auf, dass sie bei ihrer journalistischen Tätigkeit auch mit den KurdInnen
selbst reden, wenn sie über die KurdInnen schreiben wollen. Wir sind bereit
für den Dialog und deshalb fordern wir als Civaka Azad: Dialog statt Verbot!
Civaka Azad - Kurdisches
Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
http://civaka-azad.de
(1)Welt online, 09.09.2012
(2) morgenweb.de, 11.09.2012
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