Erklärung von Stadtrat Thomas Trüper (DIE LINKE) zum verunglückten Kurdischen Kulturfestival in Mannheim: Frieden in
der Türkei!
Wie konnte es zu der von allen Seiten als „unerwartet“ bezeichneten Auseinandersetzung kommen? Das Festival hatte den Charakter eines Familienfestes mit kulturellem und politischem Begleitprogramm. Was unterscheidet eine kurdische Großveranstaltung in Baden-Württemberg, in Mannheim von 19 vorangegangenen Großveranstaltungen der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM e.V.), die alle friedlich verlaufen konnten? Feindselige Grundstimmung gegen „die Kurden“ Überschriften wie „Kurden außer Kontrolle“ (MM 10.09.12) verraten in ihrem verallgemeinernden Tenor eine bezeichnende Grundstimmung gerade auch in unserer Region: Kurden sind per se bedrohlich, eine Gefahr, ihre politischen Regungen sind sofort auf Verbotsmöglichkeiten hin zu prüfen, sie werden mit „Krawall“ assoziiert. DPA stellt ihren Festivalbericht gleich unter dem Stichwort „Kriminalität“ ins Netz. In Mannheim werden sofort die Erinnerungen an 1994 und die folgenden Jahre reaktiviert, ohne jemals auch nur ansatzweise die politischen Rahmenbedingungen zu beleuchten und einigermaßen objektiv darzustellen, in denen sich der tiefgreifende Konflikt zwischen der kurdischen Minderheit in der Türkischen Republik und der Regierung abspielt, begleitet von erheblichen ethnischen Ressentiments der Mehrheitsbevölkerung – ein Konflikt, der auch intensiv in die Emigration ausstrahlt. Die Bundesrepublik ist keineswegs nur Beobachterin von Vorgängen „fern in der Türkei“ – sie ist schon längst Partei. Sie hat die Konfliktpartei PKK als terroristisch eingestuft, auf deutschem Boden verboten und verfolgt sie seither strikt. Die strategische Lage der Türkei und ihre wirtschaftliche Bedeutung spielen bei dieser deutschen Entscheidung eine wesentliche Rolle. Gesichtspunkte der zivilgesellschaftlichen, menschenrechtlichen und demokratischen Entwicklung, die bei anderen Konfliktherden je nach Interessenlage so gerne bemüht werden, spielen im Falle des türkisch-kurdischen Konfliktes keine Rolle. Außerdem lieferte und liefert die Bundesregierung munter Waffen in diese Krisenregion, die dann auch wirklich zum Einsatz kommen. Die geschilderte Grundstimmung in Verbindung mit der innenpolitischen Umsetzung außenpolitischer Interessen veranlasst die ansonsten eher besonnene Polizeiführung in Mannheim in Abstimmung mit dem Stuttgarter Innenministerium regelmäßig zu gewaltigen Polizeieinsatzplanungen, wann immer „die Kurden“ eine politische Kundgebung planen. Der neue Innenminister scheint diese Tradition fortzsetzen. Was rechtfertigt das riesige Polizeiaufgebot? Wo konnte bei vernünftiger
Betrachtung im Falle des Kurdischen Kulturfestivals aus polizeilicher
Sicht ein Risiko für die Sicherheit der Festivalbesucher oder für die
Bevölkerung der Stadt Mannheim bestanden haben? Das Festivalgelände liegt
in unbewohntem Gebiet. Eine Gefährdung von AnwohnerInnen durch Akteure
vom Festivalgelände aus konnte weder von den lokalen noch den Motivations-Gegebenheiten
her ernsthaft angenommen werden. Das Großaufgebot der Polizei, das die Festivalbesucher „willkommen“ hieß, trug mit Sicherheit nicht zu einer entspannten Situation bei. Die meisten aus dem Ausland angereisten Besucher konnten die Szenerie sicherlich überhaupt nicht verstehen, weil in ihren Herkunftsländern das „Symbole-Verbot“ nicht existiert. Die Polizei muss das PKK-Verbot ausbaden Tatsächlich entzündete sich
der Eklat genau an der Durchsetzung des Fahnenverbotes – wie auch immer
im einzelnen die Abläufe waren. Der Eklat hätte also eindeutig vermieden
werden können. Dazu bedarf es aber einer Strategie, die das Symbole-Verbot
aus Opportunitätsgründen als nachrangig gegenüber dem friedlichen Verlauf
der Großveranstaltung ansetzt – und dies auch hinsichtlich der optischen
Polizeipräsenz. Dann hätte die Polizei auch nicht vorpreschen und danach „kapitulieren“ müssen, wie Einsatzleiter Schäfer das Szenario beschreibt. Wären die Einsatzkräfte weiter vor dem inzwischen geschlossenen Maimarkt-Tor geblieben, wäre ein Blutbad fast unvermeidbar gewesen. Als sich die Polizei aus dem Sichtbereich zurückzog, beruhigten sich die jungen kurdischen Männer. Die Tore konnten geöffnet werden und Tausende kurdischer Familien konnten ab dem späteren Nachmittag friedlich das schattenarme Gelände verlassen, worauf sie wegen der entgleisten Auseinandersetzung lange hatten warten müssen. Es kam zu keinerlei weiteren Zwischenfällen. Der Begriff „Kapitulation“ aus dem Kriegshandwerk ist übrigens ebenso typisch wie der von dem Einsatzleiter lt. MM angebotene „Abzug von Frauen und Kindern“. Sind denn die kurdischen Männer Kombattanten? Hier heißt es abrüsten! Auch mental abrüsten. Eine wichtige Voraussetzung ist die Aufhebung des PKK-Verbotes in der Bundesrepublik. Diese darf sich nicht einfach zur Erfüllungsgehilfin der türkischen Regierung machen. Die Erfahrung lehrt, dass ethnische Konflikte niemals militärisch gelöst werden können, dass beim Versuch, dies zu tun, beide Seiten furchtbar in Mitleidenschaft gezogen werden und die Demokratie ruiniert wird. Frieden können nur die Feinde miteinander schließen. Das gilt auch für den türkisch-kurdischen Konflikt. Frieden kann es in der Türkei nur geben, wenn dort die Tatsache endlich anerkannt wird, dass das Land ein Vielvölker-Staat ist, und wenn die Konfliktparteien endlich eine politische Lösung anstreben. Die PKK hatte bereits 1993 solche Verhandlungen angeboten verbunden mit einem einseitigen Waffenstillstand. Ihre Forderungen reduzierte sie auf die amtliche Anerkennung der kurdischen Sprache, muttersprachlichen Unterreicht und kommunale Selbstverwaltung verbunden mit einem Autonomie-Status für das Kurdengebiet in der Türkei. Nach hoffnungsvollen Ansätzen des Staatspräsidenten Turgut Özal, der die Aufhebung des Ausnahmezustandes in den kurdischen Gebieten in Aussicht stellte, dann jedoch 1993 plötzlich verstarb, kam mit Antritt der Regierung von Tansu Çiller die wechselvolle aber nachhaltige Festlegung auf den militärischen Lösungsversuch. Die türkische Gesellschaft ist militarisiert, die Gerichtsbarkeit durch Sondergerichte gekennzeichnet. 32 kurdische Bürgermeister sind inhaftiert, ebenso mehrere kurdische Parlamentsabgeordnete der BDP. Im Ranking der Pressefreiheit rangiert die Türkische Republik nach Angaben von ZEIT online auf Platz 138 von insgesamt 178 Staaten und Regionen (1). Gerade diese Woche am 10. September begann in Istanbul ein „Großprozess gegen 44 Mitarbeiter überwiegend linker und prokurdischer Medien, denen Propagandatätigkeit für die Union Kurdischer Gemeinschaften (KCK) vorgeworfen wird“ (2). 100 Journalisten sitzen bereits in Haft. Die lang anhaltende Unterdrückung einer kritischen Presse führte im Laufe der Zeit zu einer indoktrinierten öffentlichen Meinungsbildung im Sinne der türkischen Regierung, mit Ausstrahlung auf viele türkische Migrant/innen. Auch die Stadtgesellschaft braucht den friedlichen Dialog Ich erwähne dies auch bewusst
im Hinblick auf die äußerst angespannte Situation zwischen mehrheitstürkischen
und kurdischen Migrant/innen in Mannheim. Ein von gegenseitigem Respekt
getragener Dialog unter diesen Migranten ist gegenwärtig fast nicht möglich.
Von deutscher Seite macht man im Dialog gern einen Bogen um „die Kurden“.
Das gehörige Gewaltpotenzial vieler türkischer Nationalisten jedoch übersieht
man allzu gerne. Die „Grauen Wölfe“ können sich nach wie vor in der Bundesrepublik
frei bewegen. Ich begrüße die Erklärung von OB Dr. Peter Kurz, weiterhin auf Basis der „Mannheimer Erklärung“ gerade auch in kritischen Tagen am friedlichen Dialog festzuhalten. Auch wenn es manchen schwerfällt: Dieser Dialog darf die relevanten Organisationen der kurdischen Migrant/innen nicht übergehen. Wenn der OB ankündigt: „Wir suchen das Gespräch mit unseren lokalen Akteuren in den nächsten Tagen“ ist ein Schritt in die richtige Richtung zu erhoffen. Die „türkische Community“ in Mannheim umfasst 28.000 Menschen. Ein Drittel davon sind kurdischer Abstammung. Dialoge mit der staatlichen DTIB und der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, mit dem Türkischen Unternehmerverband oder dem kemalistischen Spektrum reichen nicht aus. Weitere Verbotsdrohungen von Innenminister Gall sind das falsche Zeichen Dass sich der Innenminister vor seine Polizeikräfte stellt und ihren Einsatz lobt, verwundert nicht. Dass er aber über die Presse das „Verbot von Organisationen und Unternehmen“ fordert, „die der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) nahestehen“, zielt auf die Verschärfung der durch das PKK-Verbot herbeigeführten Situation. Auch seine Ankündigung, das Versammlungsrecht zu verschärfen, ist kein Beitrag zu einer demokratischen Lösung des Konflikts.
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