Die
Revolution in Westkurdistan – Teil 6
Nach der Befreiung der kurdischen Städte vom Baath-Regime lautete
eine der grundlegenden Aufgaben, die kurdische Sprache in das öffentliche
Leben Westkurdistans zurückzuholen. Besondere Schwierigkeiten bereitet
es, die kurdische Sprache als Lehrsprache in den Schulen umzusetzen. Es
mangelt sowohl an Lehrmaterial in Kurdisch als auch an qualifizierten
LehrerInnen. Doch die KurdInnen sind guter Dinge auch diese Schwierigkeiten
zu meistern. „Als der kurdische Lehrer Ferzad Kemanger im Iran durch den
Strick getötet werden sollte, sagte er auf seinen letzten Schritten ‚Ihr
könnt tun, was ihr wollt. Aber am Ende werden wir die kurdischen Kinder
in ihrer Muttersprache unterrichten.‘ Wir setzen in Westkurdistan nun
den letzten Wunsch Kemangers um“, so ein angehender kurdischer Lehrer.
Im Zuge der Revolution
in Westkurdistan musste die Bevölkerung anfangen zu lernen, sich im Sinne
ihrer Bedürfnisse selbst zu organisieren. So wurden verschiedenste zivilgesellschaftliche
Organisationen geschaffen, die allesamt in ihren Bereichen im Dienste
der Bevölkerung arbeiten sollen. Eines der wichtigsten Bedürfnisse der
Bevölkerung ist es, ihre kurdische Muttersprache – diese bisher verbotene
Sprache – wieder zum Erblühen zu bringen, um das öffentliche Leben wieder
auf Kurdisch leben zu können. Hierfür soll zunächst für die Schülerinnen
und Schüler Kurdisch zur Schul- und Lehrsprache werden. Um dies umsetzen
zu können, bedarf es allerdings gut ausgebildete kurdische Lehrkräfte,
die in ihrer Muttersprache die Kinder unterrichten können. Und hier herrscht
ein großer Mangel vor.
Doch auch für dieses Problem soll schnellstmöglich Abhilfe geschaffen
werden. Als die Revolution in Westkurdistan losbrach, sind dutzende kurdische
Studierende aus den syrischen Metropolen in ihre Heimat zurückgekehrt,
um in dieser historischen Phase mit anzupacken. Und viele von ihnen befinden
sich gegenwärtig in der Ausbildung für den Lehrberuf. Ihr Alter ist zwischen
18 und 25 Jahren und viele von ihnen haben vermutlich nie damit gerechnet,
irgendwann einmal als LehrerIn zu arbeiten. Denn unter den Studierenden
befinden sich nicht nur Studierende für das Lehramt, sondern auch Jura-
oder Ingenieurs-StudentInnen. Doch aufgrund des dringenden Bedarfs an
LehrerInnen in Westkurdistan haben sich diese jungen Menschen für diesen
Beruf umentschieden. Doch bevor sie die Kinder in kurdischer Sprache unterrichten
können, müssen die angehenden LehrerInnen erst einmal selbst auf Kurdisch
lesen und schreiben lernen. Denn auch ihre Unterrichtssprache ist bisher
stets Arabisch gewesen. Hazal Peker von der Nachrichtenagentur JINHA hat
mit zwei Verantwortlichen für die Ausbildung der LehrerInnen und mit zwei
Kindern, die zu den ersten SchülerInnen an kurdischsprachigen Schulen
gehören, gesprochen.
Wir erwarten
Unterstützung aus den anderen Teilen Kurdistans
Müslüm Nabo (Verantwortlicher für die Ausbildung der LehrerInnen):
„Mit der kurdischen Revolution haben wir den Bildungsbereich in zwei Schritten
umgewandelt. Mit dem ersten haben wir die Bildungseinrichtungen aus den
Händen des arabischen Regimes entrissen. Wir haben angefangen, selbst
den Unterricht in den Städten und Dörfern zu geben. In einem zweiten Schritt
haben wir alle Fächer aus dem Lehrplan genommen, die zur Assimilation
des kurdischen Volkes beitragen. Es gab am Anfang das Problem, dass es
nicht genügend Lehrmaterial in kurdisches Sprache gab. Dieses Problem
versuchen wir nun anzugehen. Wir haben eine erste Konferenz in Westkurdistan
zur Entwicklung der kurdischen Sprache abgehalten und dort den Beschluss
gefasst, eine Zeitschrift in kurdischer Sprache über die kurdische Sprache
herauszugeben. Man merkt an diesen Schritten, dass wir selbstbewusst agieren,
dass wir keine Angst mehr haben, wenn es um unsere Sprache geht. Ein großes
Problem für uns ist, dass es hier kaum kurdischsprachige Bücher gibt.
Was diesen Punkt angeht, erhoffen wir uns Unterstützung aus den anderen
Teilen Kurdistans.
Kurdisch ist nie in einem Teil Kurdistans Amtssprache gewesen. Aufgrund
dessen hat sich die Sprache natürlich auch von Region zu Region über die
Zeit differenziert. Heute werden manche Worte an dem einen Ort anders
ausgesprochen als an einem anderen Ort. Zudem haben sich in Nordkurdistan
viele türkische Begriffe ins Kurdische eingeschlichen, hier sind es viele
arabische Worte, die sich eingeschlichen haben. Das sind Probleme, die
wir jetzt angehen müssen und für die wir Lösungen finden sollten. Deswegen
an dieser Stelle auch mein Aufruf an alle diejenigen, die sich wissenschaftlich
mit unserer Sprache befassen, dass sie hierauf Acht geben sollen.“
Ruken Nebo (Verantwortliche für die Ausbildung der LehrerInnen):
„Allein in Kobanî gibt es aktuell zehn Schulen, in denen wir die kurdische
Sprache unterrichten. Und diese Zahl wird noch wachsen. Zurzeit bilden
wir die Lehrerinnen und Lehrer aus, die in kurdischer Sprache unterrichten
sollen. Das sind historische Aufgaben in einer historischen Phase. Deswegen
sind wir hier auch alle sehr aufgeregt. Unsere Kinder sollen in Zukunft
in ihrer eigenen Sprache lesen und schreiben können. Uns geht es darum,
dass sie nicht dasselbe durchmachen müssen, was wir durchmachen mussten.
Wir hatten als kurdische Kinder mit großen Schwierigkeiten an den arabischen
Schulen zu kämpfen.“
Sirin Mustafa (7 Jahre alt): Ich bin hier, um meine eigene Sprache
zu lernen. Und ich habe bereits ein erstes Gedicht auf Kurdisch gelernt.
Das möchte ich euch vortragen:
Ich war ein kleines Kind
Habe der Welt meine Augen geöffnet
Überall Trauer und Leid
und ich suche meine Muttersprache
Mama, ich sage es dir
Mein Lehrer, ich sage es dir
Ich möchte meine Muttersprache lernen
Amara Ahmed (8
Jahre alt): Ich möchte nicht Arabisch lernen und auf die Schulen des Staates
gehen. Ich will die Sprache lernen, die Mama und Papa sprechen. Meine
Mama sagt, dass sie ihr Leben lang auf diese Tage gewartet hat. Sie sagt,
dass ihre Träume wahr geworden sind und ich ihren Traum lebe.
Im nächsten Teil unserer Serie berichten wir über die kurdische Jugendkonföderation
und kurdischen Kulturzentren.
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