Bericht aus Istanbul von So 04.11.12

Gegen 10.30 machten wir uns von Kadiköy auf den Weg zum Taksim Platz, um an der PK um 13:00 teilzunehmen.
Unterwegs kam die Nachricht, dass wir auf keinen Fall zum Taksim Platz kommen sollten, da es dort ein hohes Polizeiaufgebot gibt und die PK mit Sicherheit verhindert werden soll.
Wir fuhren zum Büro der Freunde in Fatih ilce. Auf dem Weg dorthin hohe Polizeipräsenz (Polis), Kleinpanzerwagen, Wasserwerfer und zT unverkennbar, Zivilpolizei.Auffällig hoch ist die Anzahl der Männer gewesen, die Funkgeräte hatten, bzw Kopfhöhrer.
Angekommen wurden wir von Freunden an der Straßenbahnhaltestelle informiert, dass das Viertel um das Büro weitläufig komplett abgesperrt sei.
Neben hohen Absperrgittern (mehr als 2m hoch) um die freien, möglichenVersammlungs-plätze an der 4 spurigen Strasse zu sperren, waren die Straßenzufahrten durch Strassensper-ren abgeriegelt. Hinter diesen Strassensperren standen in voller Kampfmontur, mit Gewehren, auf denen zum Teil Aufsätze für Gaspatronen montiert gewesen sind, Schutzschildern, Gasmasken, Patronengurten um die Hüfte und Westen, in denen auch Patronen untergebracht werden können, Helmen und Schlagstöcken ausgestattete Polizisten. Hinter jeder Absperrung ( an dieser Stelle waren es 4 Strassen) ca 20-30 Poilzisten. Zudem sind an jeder Absperrung Männer mehrere Männer in Zivil gewesen, die ebenfalls Gasmasken hatten und Funkkontakt mit irgendjemand hielten.
Ebenso stand in diesem abgesperrtem Teil ein Panzerfahrzeug.
Unbehelligt konnten wir die Strassensperre passieren, als ein Freund sich als Anwohner ausweisen konnte,
Im Büro erhielten wir dann die Nachricht, dass es zu Übergriffen auf Aysel und Sebahatt gekommen war, Wir hörten Sirenen, Befehele und das `´Ploppen und Zischen`´ der Gasgewehre, sowie Schreien.
Anmerkung: Ich habe Hamide angerufen und ihr berichtet, sie hat dann noch mit einem Freund gesprochen,
Gegen 12:45 wollten wir uns auf den Weg machen, um Aysel und Sebahat zu treffen, die sich auf dem Weg zur BDP Hauptzentrale befanden , nachdem sie massiven Gas-und Wasserwerfern Übergriffen ausgesetzt gewesen sind.
Wir verliessen das Büro und konnten an der Sperre vorbei in den Teil der Strasse, der abgeriegelt gewesen ist.
Anmerkung: von diesem Teil der Strasse gingen 4 andere Strassen ab, so dass dieses Areal in dem wir uns befanden, eingekesselt gewesen ist. Wir sind ca, 50 Personen gewesen. Wir standen völlig ruhig da und versuchten die Situation einzuschätzen.
Auf der Hauptstrasse entstand Tumult (Schreie, rennende Polizisten, weglaufende Passanten, Polizeifahrzeuge mit Sirenen und Blaulicht); alle Polizisten und Zivilkräfte hatten inzw Gasmasken aufgesetzt,
Die Polizisten an der der Hauptstrasse zugewandten Strassensperre lösten ihre Kette, so dass wir versuchten, aus dem Kessel zu kommen. Einigen gelang dies, Jedoch wurde sofort Gas eingesetzt; Sprühgas, dass für kurze Entfernungen eingesetzt wird; dieses wurde auch direkt in die Gesichter gesprüht.
Ca. 10 Freunde und ich wurden zurück in den Kessel getrieben, Während wir zurückgingen, hörte ich in meinem Rücken ein ´`Plopp`` Ein Freund schrie mich an und wollte mich zur Seite ziehen es war jedoch zu spät; die Gaspatrone explodierte zwischen meinen Füßen.
Anmerkung: Nach meiner Erfahrung haben Sprühgas und Gas in den Gaspatronen unterschiedliche Wirkungen;
Sprühgas ätzt in den Augen, reizt zwar auch die Atemwege, aber nicht so stark wie das Gas aus den Patronen. Gegen das Ätzen in den Augen hilft das Einreiben um die Augen herum mit Zitrone.
Das Gas aus den Patronen ätzt die Atemwege, führt zum Übergeben. Ich musste so stark bei dem 2, Übergriff husten und würden, dass ich das Gefühl gehabt habe, dass Zwerchfell verkrampft sich und ich kann nicht mehr atmen.

Da die Tumulte auf der Hauptstrasse zunahmen, unterstützten die Polizisten dort, so dass wir die Strasse überqueren konnten und weiter zur BDP Zentrale wollten.
In einer engen Strasse kam uns ein Polizeitrupp entgegen. Ein junger Polizist schrie, fuchtelte mit dem Gewehr- und es wurde sofort mit Gasgewehren (Patronen) geschossen. Es wurde keine Rücksicht auf Passanten genommen, Mit Mühe konntenb wir uns in eine Hotelhalle flüchten, bevor das Personal die Tür verschloss. Auch die Halle ist mit Gas voll gewesen, so dass wir kaum atmen konnten. Draussen gingen der Gaseinsatz und die Prügeleien der Polizei auf Menschen weiter.
Nach einer Weile zogen die Polizisten ab. Wir haben mehr oder weniger wieder ohne Husten, Würgen und Augen tränen atmen können.
Auf Umwegen und in Kleingruppen machten wir uns auf den Weg zur BDP Zentrale.
Auch dort ist die Strasse abgesperrt gewesen; hohes `´aufgerüstetes`´ Polizeiaufgebot, Wasserwerfer, Panzerwagen.
In der Zentrale trafen nach und nach Freunde und Freundinnen ein, die an den verschiedenen Stellen in der Stadt Bekanntschaft mit der Polizei, Gas und Wasserwerfer gemacht hatten.
Aysel Tuluk uns Sebahat überlegten, im Konferenzraum der Partei die PK abzuhalten.
Zwischenzeitlich sammelten sich vor dem Haus ( Anmerkung: sehr enge Strasse mit kaum Ausweichmöglichkeiten zur Seite) immer mehr Menschen, die Aysel und Sebahat , sowie Apo skandierten.
Es wurde beschlossen, um die Menschen zu beruhigen, dass wir mit Aysel und Sebahat nach draussen gehen. Vor dem Haus hatte sich zwischenzeitlich ca 200 Menschen eingefunden.
Als Aysel und Sebaht nach draussen kamen und zu den Menschen sprechen wollten, setzte sich der Wasserwerfer in Bewegung und rollte ohne anzuhalten, Wasser spritzend, auf uns zu.
Einhergehend mit dem sehr starkem Wasserstrahl wurden Gasgranaten in die Menschen-menge geschossen.
Polizisten kamen direkt hinter dem Wasserwerfer und schossen weiter in die Menge, so dass die enge Strasse schnell in einen dichten Gasnebel gehüllt war. Es gab kaum Ausweichmöglichkeiten für die Menschen in diesem engen Strassenschlauch; sie waren sowohl dem Wasser als auch dem Gas ausgeliefert. Mit Mühe konnten einige zur Seite in Hauseingänge gezogen werden, da sie sonst vom Wasserwerfer überrollt worden wären.
Es gelang einem Freund, mich von der Strasse und in den Eingang der BDP Zentrale zu schubsen- von dort ein einen Büroraum und die Tür zu schliessen.
Bedingt durch die Menschen, die sich in die BDP Zentrale flüchten wollten, war es nicht möglich, die Eingangstür zu schließen, so dass das Haus schnell mit Gas gefüllt war.
Vom Fenster aus konnte ich beobachten, wie Polizisten gezielt weiter Gaspatronen auf die Menschen und in die Hausflure, besonders in den des BDP Hauses, abschossen.
Beim Versuch, vom Fenster aus weitere Fotos zu machen, wurde ich entdeckt und es wurde auf das Fenster geschossen.
Nachdem die Verletzten versorgt worden waren, haben Aysel und Sebahat im Konferenzraum
Die PK abgehalten.
Die Grussbotschaft und die Solidarität aus Deutschland wurde erwähnt; ich bin eindringlich gebeten worden, in Deutschland aufzuzeigen, wie der türkische Staat mit Kurdinnen und Kurden umgeht.
Während der PK wurde draußen weiter mit Gasgranaten geschossen; Polizisten, Wasserwerfer und gepanzerte Wagen waren weiter in der Strasse präsent.
Am Abend brachten Freunde mich auf Umwegen und unter Vorsichtsmaßnahmen zum Hotel zurück.
Während ich dies schreibe, bin ich auf dem Weg zum Flughafen nach Ankara. Ich bin gespannt, ob ich irgendwelche Sanktionen erfahren werde.
Denn es gilt ja immer noch die Aussage: ich soll aufpassen, was ich mache und sage, der Arm des türkischen Staates reicht weit.


Für die Richtigkeit
Bärbel Beuermann
Istanbul, 05.11.2012

Die ehem. Landtagsabgeordnete hielt sich vom 3.11.-6.11. in Istanbul und Ankara auf.