Aufruf: Das Leben der hungerstreikenden Gefangenen in der Türkei muss gerettet werden

15. November 2012

Am 12. September haben in der Türkei 63 kurdische politische Gefangene mit einem unbefristeten Hungerstreik begonnen, dem sich kurz darauf mehr als 600 weitere Inhaftierte anschlossen. Ab dem 40. Tag eines Hungerstreiks kommt es erfahrungsgemäß zu oft irreversiblen Gesundheitsschäden, ab dem 50. Tag auch zum Tod.

Anfang November haben sich sämtliche kurdische politische Gefangene (ca. 10.000) sowie ein Teil der Parlamentsfraktion der Demokratischen Friedenspartei BDP und mehrere BürgermeisterInnen dieser Aktionsform angeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich sechs inhaftierte gewählte Abgeordnete der BDP bereits im Hungerstreik. Die BDP ist mit 31 Abgeordneten im türkischen Parlament vertreten – u. a. mit der Sacharowpreisträgerin Leyla Zana.

Wir sind in großer Sorge um das Leben der Hungerstreikenden und fordern mit diesem Aufruf die türkische Regierung dazu auf, in einen ernsthaften Dialog mit den Inhaftierten zu treten, um deren Gesundheit und Leben nicht weiter zu gefährden.

Die Hungerstreikenden fordern u. a. die Demokratisierung der Türkei, die Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte zu garantieren, die Aufhebung der seit mehr als 460 Tagen andauernden Isolationshaft von Abdullah Öcalan und dessen Freilassung sowie das Recht auf Unterricht sowie Verteidigung vor Gericht in der Muttersprache. All diese Forderungen sind legitim, da sie im Einklang mit den Menschenrechten und dem Völkerrecht stehen. Eine friedliche Lösung der kurdischen Frage kann ohnehin nur in einem Dialog aller beteiligten Konfliktparteien gefunden werden. Das wissen wir aus mehreren internationalen Konflikten, wie z. B. in Südafrika oder El Salvador.

Insgesamt wurden seit 2009 etwa 9.000 kurdische PolitikerInnen, ParlamentarierInnen, BürgermeisterInnen, AnwältInnen, JournalistenInnen, MenschenrechtlerInnen, Feministinnen und GewerkschafterInnen unter der Regierung Recep Tayyip Erdoğans inhaftiert. Die Repression richtet sich zunehmend auch gegen andere selbstbewusste oppositionelle PolitikerInnen, die sich mit der kurdischen Bewegung solidarisieren oder anderweitig regierungskritisch äußern.

Eine Regierung ist immer mitverantwortlich für die Gesundheit der Bevölkerung und das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft. Die Forderungen der Hungerstreikenden werden bisher leider vollkommen ignoriert. Genauso wie schon türkische Intellektuelle, die sich mit einem offenen Brief an die Verantwortlichen gewendet haben, sind wir der Meinung, dass alle Schritte unternommen werden müssen, um die Gesundheit und das Leben der Hungerstreikenden zu schützen.

Ein Hungerstreik in dieser Form kann nur als Protest gegen empfundenes gravierendes Unrecht gesehen werden und darf daher nicht unbeantwortet bleiben. Deshalb sollten sich die verantwortlichen Politiker in der Bundesrepublik und der EU für Verhandlungen der Regierung mit den Hungerstreikenden einsetzen und die türkische Regierung mit ihnen in einen Dialog treten. Dazu ist es jetzt höchste Zeit. Wir rufen dazu auf, weil wir nicht möchten, dass die beteiligten Menschen sterben oder ernsthafte gesundheitliche Schäden davontragen.

UnterzeichnerInnen:

Doris Gercke, Autorin; Peter Sodann, Schauspieler; Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, ehem. Bundestagsabgeordneter (MdB); Rolf Becker, Schauspieler, verdi Fachbereich Medien OVV Hamburg; Sahra Wagenknecht, MdB, Die Linke; Dr. Heinz-Jürgen Schneider, Rechtsanwalt/Hamburg; Britta Eder, Rechtsanwältin; Martin Lemke, Rechtsanwalt; Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist; Dr. Werner Ruf, Friedensforscher; Dr. Peter Strutynski, Friedensforscher; Dr. med Gisela Penteker, IPPNW; Dr. med Gerhard Garweg; Maria Garweg, Menschenrechtlerin; Anita Friedetzky, Lehrerin GEW; Martin Dolzer, Soziologe und Autor; Michael Knapp, Historiker; Harald Weinberg, MdB Die Linke; Ingrid Remmers, MdB Die Linke; Ulla Jelpke, MdB Die Linke; Andrej Hunko, MdB Die Linke, Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarats; Heidrun Dittrich, MdB Die Linke; Jürgen Klute, Mitglied des Europaparlaments Die Linke; Diether Dehm, MdB Die Linke; Wolfgang Gehrcke, MdB Die Linke; Sabine Leidig, MdB Die Linke; Johanna Voß, MdB Die Linke; Annette Groth, MdB Die Linke; Christine Buchholz, MdB Die Linke; Sabine Stüber, MdB Die Linke; Alexander Ulrich, MdB Die Linke; Nicole Gohlke, MdB Die Linke; Niema Movassat, MdB Die Linke; Richard Pitterle, MdB Die Linke; Matthias Birkwald, MdB Die Linke; Heike Hänsel, MdB Die Linke; Inge Höger, MdB Die Linke; Sevim Dagdelen, MdB Die Linke; Marion Padua, Stadträtin, Linke Liste Nürnberg; Cansu Özdemir, Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, Die Linke