Pressemitteilung
der „Kampagne Demokratie hinter Gittern“ zum Internationalen Tag der Menschenrechte,
10. Dezember 2012:
Vor dem 10. Dezember,
dem Internationalen Tag der Menschenrechte, verschärft die türkische AKP-Regierung
ihre Repressionsmaßnahmen gegen die kurdische Opposition erneut:
Aufhebung
der Immunität von kurdischen Abgeordneten angekündigt
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan teilte letzte Woche mit, dass das
Parlament die Aufhebung der Immunität von 10 Abgeordneten der prokurdischen
Partei für Frieden und Demokratie (BDP) beschließen werde. [1]
Im September hatte Erdoğan der zuständigen Staatsanwaltschaft aufgetragen,
diesen Schritt juristisch vorzubereiten:“Wir haben der Justiz bereits
erklärt, was nötig ist, sie wird das Notwendige tun“. Von den 36 Abgeordneten
der BDP befinden sich sechs in Haft, ihnen wurde nach den Wahlen 2011
die gesetzlich garantierte Immunität verweigert. Würden nun 10 weitere
Abgeordete ins Gefängnis geschickt -ihnen drohen hohe Haftstrafen- hätte
sich die Regierung mit einem Schlag eines Drittels der im Parlament vertretenen
kurdischen Opposition entledigt.
Den Abgeordneten wird ein Verstoß gegen die fragwürdigen Antiterror-Gesetze
vorgeworfen. 1994 wurde 7 Abgeordneten, unter ihnen die spätere Sacharow-Preisträgerin
Leyla Zana, die Immunität entzogen, es folgte das Verbot der damaligen
kurdischen Partei DEP. Gleiches steht heute zu befürchten.
Dass sich die AKP-Regierung weder von den parteien-übergreifenden Kritik
noch von Warnungen aus dem Europäischen Parlament von ihrem Vorsatz abbringen
lässt, zeigt, dass sie sich von ihren früheren Versprechungen, die kurdische
Frage politisch lösen zu wollen, endgültig verabschiedet hat.
Willkürliche
Massenverhaftungen und höchste Haftstrafen
Im Rahmen der sogenannten KCK-Verfahren (KCK= Union der Gemeinschaften
Kurdistans) wurden am 8. Dezember in den Städten Batman, Mardin und Siirt
rund 80 kurdische Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen. Darunter
Vertreter des Menschenrechstvereins (IHD), BDP-Politiker und Mitarbeiter
der Kommunalverwaltung sowie der Bürgermeister von Siirt, Selim Sadak.
Mit ihm sitzen mittlerweile 37 BürgermeisterInnen der BDP im Gefängnis.
Seit 2009 wurden 8500 ParlamentarierInnen, BürgermeisterInnen, JournalistInnen,
MenschenrechtlerInnen, AnwältInnen und GewerkschafterInnen wegen des Vorwurf
der KCK-Mitgliedschaft verhaftet, diese Verfahren wurden erst kürzlich
zurecht als „Geiselnahme“ bezeichnet. [2]
Am 6. Dezember verurteilte
ein Gericht in Izmir 20 Studierende zu insgesamt 590 Jahren Haft. Vorgeworfen
wird ihnen die Mitgliedschaft im Demokratisch-patriotischer Jugendrat,
einer Jugendorganisation der BDP. Die Strafen reichen von 5-61 Jahren.
[3]
Menschrechtsverletzer
zum ersten Ombudsman der Türkei gewählt
Das türkische Parlament wählte am 27. November den ehemaligen Berufungsrichter
Mehmet Nihat Ömeroğlu, einem guten Freund der Familie Erdogan, zum ersten
Obudsmann der Türkei. [4] Ein Ombudsmann soll die Aktivitäten staatlicher
Einrichtungen darauf hin untersuchen, ob sie im Einklang mit den Menschenrechten
und dem Gesetz stehen. Ömeroğlu bestätigte 2006 das Urteil gegen den armenischen
Journalisten Hrant Dink wegen „Beleidigung des Türkentums“. Dieses Urteil
beförderte die anti-armenische, nationalistische Hetzjagd, die 2007 in
der Ermordung Hrant Dinks mündete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
verurteilte 2010 die Entscheidung der Berufungsrichter als Verletzung
der Meinungsfreiheit. [5] Die Ernennung Ömeroğlus durch das türkische
Parlament ist ein Schlag ins Gesicht nicht nur der Armenier, sondern aller
Menschenrechtsverteidiger.
Bundesregierung
muss stärker für die Menschenrechte in der Türkei eintreten
Zahlreiche MenschenrechtlerInnen sitzen in der Türkei hinter Gittern,
einem der prominentesten KCK-Gefangenen, dem seit 2009 inhaftierten kurdischen
Rechtsanwalt und stellvertretenden Vorsitzenden des Menschenrechstvereins
(IHD) Muharrem Erbey, wurde letzte Woche von Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, der Internationale-Ludovic-Trarieux-Preis
[6,7] verliehen. Eine solche Geste ist begrüßenswert, doch sie ist nicht
ausreichend. Die Bundesregierung muss sich verstärkt bei der türkischen
Regierung für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen. Einer friedliche
Lösung der kurdischen Frage ist für die Demokratisierung der Türkei von
entscheidender Bedeutung, und ohne Demokratisierung wird es um die Menschenrechte
in der Türkei weiterhin schlecht bestellt sein.
Massaker von
Roboski (Uludere) nach einem Jahr noch nicht aufgeklärt
Am 28.12.2011 flog die türkische Luftwaffe Angriffe in der Nähe von Roboski
(Provinz Sirnak) und ermordete dabei 34 kurdische, zumeist jugendliche
Zivilisten. Die Verantwortlichen für dieses Massaker sind bis heute nicht
gefunden, der Regierung fehlt der Aufklärungswille. Auch hat sie sich
geweigert, sich bei den Familien der Toten zu entschuldigen. [8]
Anlässlich des Internationalen
Tags der Menschenrechte fordern wir die Bundesregierung und Organisationen
der Zivilgesellschaft dazu auf, sich bei der türkischen Regierung für
die Umsetzung folgender Forderungen einzusetzen:
Keine Aufhebung der
Immunität der BDP-Abgeordneten
Kein Verbot der BDP
Freilassung der sechs inhaftierten BDP-Abgeordneten und 37 Bürgermeister
Stopp der KCK-Verfahren gegen die kurdische Opposition
Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei
Für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage
Kampagne Demokratie
hinter Gittern, 10. Dezember 2012
http://demokratiehintergittern.blogsport.de/
[1] http://www.hurriyetdailynews.com/pm-ready-to-lift-bdp-deputies-immunity.aspx?pageID=238&nID=35548&NewsCatID=338
[2] http://civakaazad.com/index.php/startseite/214-pm-erneute-festnahmewelle-gegen-kurdische-oppositionelle-in-der-tuerkei.html
[3] http://www.diclehaber.com/2/1001/viewNews/332436
[4] http://www.hurriyetdailynews.com/ombudsman-under-fire-for-his-verdict-on-dink.aspx?pageID=238&nID=35881&NewsCatID=338
[5] http://www.hurriyetdailynews.com/ombudsman-debate-in-light-of-the-echrs-judgment.aspx?pageID=449&nID=36218&NewsCatID=428
[6] http://www.bmj.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2012/20121203_Engagierter_Anwalt_der_Menschenrechte.html?nn=3433226
[7] http://www.ludovictrarieux.org/ge-page3.callplt2012.htm
[8] http://www.hurriyetdailynews.com/no-fantasies-to-be-made-over-uludere-panel-head.aspx?pageID=238&nID=35964&NewsCatID=341
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