Pressemitteilung

Bündnis Freiheit für Ali Ihsan


Im § 129 b Prozess gegen den Kurden Ali Ihsan Kitay fordert die Verteidigung Freispruch

  • Im § 129 b Prozess gegen den Kurden Ali Ihsan Kitay fordert die Verteidigung
    Freispruch
  • Plädoyer: Der Widerstand der PKK gegen Staatsterrorismus sowie
    systematische Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen ist
    völkerrechtlich legitim
  • Kombatantenstatus gemäß Art. 1 Abs. 4 des 1. Zusatzprotokolls der Genfer
    Konventionen gilt für PKK
  • BAW hat assymetrisch ermittelt
  • EU Terrorsliste war zwischen 2002 und 2008 rechtswidrig
  • TAK gehört organisatorisch nicht zur PKK

Plädoyer: Der Widerstand der PKK gegen Staatsterrorismus sowie systematische Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen ist völkerrechtlich legitim

In dem Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay wegen des Vorwurfs "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland" gemäß §129b hielt die Verteidigung am 7. und 8. Februar, den 29. und 30. Prozesstagen, das Plädoyer. Kitay soll 2007 - 2008 in der nördlichen Region "verantwortlicher Kader der Arbeiterpartei Kurdistans PKK" gewesen sein. Ali Ihsan Kitay saß bereits 20 Jahre in der Türkei im Gefängnis und wurde dort mehrfach gefoltert. Dieser Prozess kann als Pilotverfahren gesehen werden. Das heißt, dass hier Grundlagen für weitere § 129 b-Verfahren gegen kurdische Aktivist_innen gelegt werden.
Konkrete Straftaten oder Anschläge in der BRD werden Ali Ihsan Kitay wie weiteren 5 Kurden, die derzeit ebenfalls mit Verfahren gemäß § 129b konfrontiert sind, nicht vorgeworfen. Bei den Prozessen gemäß den §§ 129 und 129 a StGB war es für die Gerichte stets erforderlich, zu beweisen, dass die Ziele der PKK auch in Deutschland entweder auf die Begehung von Straftaten oder aber sogar „terroristische“ Taten (§ 129a) gerichtet waren. Das ist bei Prozessen gemäß § 129 b belanglos. Deshalb hat das Gericht nicht mehr die Frage zu beantworten, ob die PKK in Deutschland Straftaten begeht. Die entscheidende Voraussetzung für eine etwaige Strafbarkeit ist die Frage, ob die PKK in der Türkei bzw. überall dort, wo sie bewaffnet kämpft, eine terroristische Vereinigung ist oder legitimen Widerstand leistet.
In einem Konflikt wie dem zwischen dem türkischen Staat und der PKK – also in einem Krieg – sind Tötungen (Mord und Totschlag) erlaubt, wenn sie sich im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrechts bewegen – also keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden. Auch Widerstand, wenn nötig auch bewaffnet, gegen anhaltendes Unrecht und Tyrannei wird u.a. in der UN-Charta der Menschenrechte, als legitim betrachtet.
Die Verteidiger_innen Kitays, Cornelia Ganten Lange und Carsten Gericke forderten im Plädoyer einen Freispruch für den kurdischen Exilpolitiker.
Durch von der Verteidigung eingebrachte Dokumente sei belegt worden, dass der türkische Staat seit weit mehr als 30 Jahren, im Grunde genommen seit der Staatsgründung, eine systematische rassistische Unterdrückungs- und Kolonialpolitik gegenüber der kurdischen Bevölkerung umsetzt. Die kurdischen Provinzen seien faktisch besetzt. Den Kurd_innen werde in diesem Rahmen das Selbstbestimmungsrecht, das in völkerrechtlichen Verträgen wie z.B. der Charta der UN verankert ist, vorenthalten. Sicherheitskräfte und Militär begehen ständig Menschenrechtsverletzungen, extralegale Hinrichtungen, systematische Folter sowie Kriegsverbrechen, wie z.B. einen Giftgaseinsatz unter der Leitung des jetzigen Generalstabschefs Necdet Özel im Jahr 1999 – das haben auch die Richter_innen des OLG Hamburg in einer rechtlichen Stellungnahme als erwiesen betrachtet - erklärte Ganten Lange im Plädoyer.
Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sind in der Türkei Alltag. Das belegten die Anwält_innen anhand einer Vielzahl von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Berichten von Amnesty International sowie der türkischen Menschenrechts-organisation IHD und weiteren Dokumenten. Über Ausnahmezustandsregelungen und die Macht der Gouverneure werde den kommunalen Verwaltungen faktisch die Macht entzogen.
Man könne in diesem Zusammenhang von Staatsterrorismus sprechen. Um Widerstand gegen dieses gravierende Unrecht zu leisten, sind die PKK und KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans – die von der BAW mit der PKK gleichgesetzt wird) nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten auch zu Gewalt legitimiert, so Cornelia Ganten Lange. Gemäß Artikel 1. Absatz 4 Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen sei geregelt, dass die HPG (die Guerilla der PKK) in einem solchen Fall das Kombatantenprivileg genießt – also legitimiert ist, sich auch bewaffnet zu wehren. U.a. aufgrund des beschriebenen Unrechts sowie der kolonialen Praxis des Staates, in deren Rahmen durch eine systematische alltägliche Unterdrückung der Bevölkerung versucht werde, den Kurd_innen die Identität zu nehmen, treffe diese Regulierung zu. Die staatliche Praxis und Assimilationspolitik basiere auf einer Ideologie der Überlegenheit des türkischen Volkes und sei auch in der türkischen Verfassung und Gesetzen festgelegt. In der Türkei werden nur nichtmuslimische Gruppen als Minderheiten anerkannt. Die staatliche Negation der Kurd_innen ziele auf Verleugnung sowie eine Türkisierung.
In diesem Rahmen würden die kurdische Sprache und Kultur kontinuierlich unterdrückt und teils verboten, kurdische Parteien seien seit den 1990er Jahren immer wieder verboten, mehr als 8000 Kurd_innen seit 2009, zumeist wegen freien Meinungsäußerungen, im Rahmen der „KCK Verfahren“ verhaftet worden. Darunter befinden sich 237 Funktionsträger_innen, wie Bürgermeister_innen, Stadträt_innen und Abgeordnete des Nationalparlaments. Am Fall der Politikerin Leyla Zana, die bereits in den 1990er Jahren zehn Jahre wegen Kurdischsprechens im Parlament inhaftiert war – und erst kürzlich erneut zu 10 Jahren Haft - aufgrund einer Rede vor dem Europäischen Parlament - verurteilt wurde, zeigte Rechtsanwältin Ganten Lange, dass unter der AKP.Regierung erneut zunehmende Ausmaß der Repression.
Mehr als 3000 Dörfer wurden vom Militär entvölkert. Der staatliche Terror habe sich nicht auf die 1990er Jahre beschränkt, als von Armee und Geheimdienst Massengräber angelegt und tausende Politiker_innen, Menschenrechtler_innen und Journalist_innen extralegal hingerichtet wurden. Bis heute finden massive Repression, Folter und extralegale Hinrichtungen statt. Als Beispiel benannte die Verteidigung den Bombenanschlag auf den Buchladen von Seferi Yilmaz in Semdinli im Jahr 2005, bei dem zwei Buchhändler starben. Drei Täter aus den Reihen des Geheimdienstes JITEM waren von der Bevölkerung gestellt und den Behörden übergeben, eine Todesliste mit 100 Namen von kurdischen Aktivist_innen in ihrem Auto gefunden worden. Die Täter sind jedoch bis heute auf freiem Fuß. Die Straflosigkeit der Täter aus den Reihen der „Sicherheitskräfte“ bei Tötungen, Kriegsverbrechen und Folter ist laut Amnesty International und Human Rights Watch in der Türkei ein großes Problem.
Auch das Massaker von Roboski, bei dem die türkische Armee Ende 2011, in vollem Bewusstsein dass es sich um Zivilist_innen handelte, 34 Menschen zu Tode bombte sowie einen Chemiewaffeneinsatz in der Region Cukurca, aus dem Jahr 2009, bei dem 8 Guerillas starben, nannten die Anwält_innen, neben vielen weiteren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen als Beispiel.
BAW ermittelte einseitig und unvollständig – assymetrische Strafverfolgung
Ausführlich beschrieb Ganten Lange, wie die Zeugen des Bundeskriminalamtes (BKA), wie auch die Vertreter_innen der Bundesanwaltschaft (BAW) im Plädoyer ihre Vorwürfe auf einseitige Ermittlungen, Vorurteile und laienhaftes und zumeist veraltetes Halbwissen gründeten. Die BAW betreibt mit diesem Prozess eine assymetrische Verfolgung und Außenpolitik mit den Mitteln des Strafrechts, kritisierte Verteidiger Carsten Gericke. Der Vorwurf der BAW, dass die HPG Anschläge, die auf Mord und Totschlag orientiert sind, durchgeführt habe, entbehre jeglicher nachvollziehbarer Grundlage, so Ganten Lange. Diesbezüglich wurden seitens der Anklagebehörde lediglich nicht verifizierbare Artikel in den Prozess eingeführt. Die Verteidigung wies auch nach, dass die türkische Armee eine eigene Einheit für psychologische Kriegsführung hat, die einen großen Einfluss auf Veröffentlichungen in der Presse habe. U.a. aus diesem Grund sei ein alleiniger Artikel kein Beweis für Angriffe der HPG oder Berichte über das Kriegsgeschehen. Ein ehemaliger General habe zudem kürzlich kritisiert, dass unzählige Soldaten durch „friendly fire“ aufgrund schlechter Ausbildung sowie durch Minen sterben, von denen seitens der Armee eine hohe Anzahl gelegt wurde, ohne diese zu kartographieren.
Das Anklagekonstrukt, dass eine „europäische Organisation der Kurd_innen“, die CDK in die Strukturen der PKK und KCK eingebunden und an deren Weisungen gebunden sei, konnte die BAW durch nichts belegen, erklärte die Verteidigung. Auch die Behauptung der BAW, dass die Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken (TAK) eine Unterorganisation der PKK sei, ist schlicht falsch. Der Zeuge Schmitz vom BKA habe diesbezüglich eingestanden, dass es dafür keinen Beweis gibt - und seine vagen Vermutungen lediglich auf ungenaue und nicht hinterfragbare Internet-recherche begründet. Die Anwält_innen Kitays verdeutlichten anhand von Dokumenten, dass die PKK sich seit Jahren von der Politik und den Anschlägen der TAK, bei denen immer wieder Zivilist_innen zu Schaden kommen, entschieden distanziert, und die TAK die PKK als zu friedlich und eine Organisation mit falscher Perspektive bezeichnet.
Anhand von Stellungnahmen zeigten die Anwält_innen Kitays, dass die HPG Selbstmordattentate, wie sie von der TAK begangen werden, grundsätzlich ablehnt. Vorliegenden Dokumenten zufolge sei nachvollziehbar, dass spätere Mitglieder der TAK sich in einer Phase interner Auseinander-setzungen im Jahr 2003 oder 2004 von der PKK trennten und gemeinsam mit weiteren unbekannten Mitgliedern eine völlig unabhängige Organisation gründeten.
Das OLG Hamburg hätte Sachverständige laden müssen, um sich bei so gravierenden Anschuldigungen ein Bild von der Situation in der Türkei machen zu können, forderte Anwalt Carsten Gericke. BAW und BKA waren bei den Ermittlungen und in Bezug auf die Anklage nicht auf dem rechten Auge - aber auf dem Türkei -Auge blind, so der Strafverteidiger. Die zahlreichen Straftaten und Kriegsverbrechen (Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht) von Polizisten und Armee wurden in den Ermittlungen nicht berücksichtigt. Aufgrund einer fundierten Anzeige nach dem bundesdeutschen Völkerstrafgesetzbuch, die Menschenrechtler_innen und der Bundestagsabgeordnete Harald Weinberg (Die Linke) 2011 bei der BAW eingereicht hatten, sei bis heute nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden, kritisierte der Verteidiger.
§ 129 b werde entgegen seiner Bestimmung gegen Befreiungsbewegungen eingesetzt. Dies sollte nach Willen des Gesetzgebers jedoch gerade ausgeschlossen sein. Eine solch asymmetrische Strafverfolgung sei nicht hinnehmbar. Weder durch die Telefonüberwachungen, die im Prozess gehört wurden, noch durch andere Eingaben konnte bewiesen werden, dass Ali Ihsan Kitay eine leitende Funktion einnahm, erklärte Gericke und zitierte Beispiele von im Prozess gehörten Telefongesprächen, in denen, dem Angeklagten laut BAW untergeordnete, ihm Anweisungen gaben. Menschen anzurufen und zu fragen, ob sie zu einer Demonstration kommen, bewege sich im besonders geschützten Rahmen des Versammlungsrechts; Streit zu schlichten, wie Kitay es immer wider tat, sei für das soziale Wohl gewollt – beides werde Kitay aber nun von der BAW vorgeworfen. Das sei schlicht absurd.
Weitere Personen, die wegen gleicher Vorwürfe im gleichen „Tatzeitraum“ (2007-2008) angeklagt waren, wurden lediglich nach dem Vereinsgesetz § 20 verfolgt, das einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr vorsieht, § 129 b dagegen 1- 10 Jahre. Sie wurden sämtlich freigesprochen bzw. die Verfahren eingestellt. „Ali Ihsan Kitay ist zum Objekt politisch motivierter Interessen der BAW geworden, da gerade jetzt eine derartige Kriminalisierung der Kurd_innen mit höherem Strafmaß gewünscht ist,“ so Gericke. Kitay müsse frei gesprochen werden, da seine Motivation, sich politisch zu organisieren, ausschließlich der legitime Widerstand gegen die vom türkischen Staat ausgehende, seit 100 Jahren anhaltende Unterdrückung und Gewalt sei.
Die BAW hatte sich bei ihrer Einschätzung, ob die PKK terroristisch handele, hauptsächlich auf die in einem geheim tagenden Gremium des Europarats beschlossene EU-Terrorliste berufen. Der Europäische Gerichtshof (EUGH) habe aber in einem Urteil 2008 die Rechtswidrigkeit der Listung der PKK auf der EU- Terrorliste in den Jahren 2002 - 2008 entschieden. Da gerade ein erfolgversprechender Friedensdialog in der Türkei zwischen Regierungsvertreter_innen und Abdullah Öcalan stattfinde - es werde derzeit eine konkrete Roadmap diskutiert, Gespräche mit der PKK im Kandilgebirge seien anberaumt - sei das Vorgehen der BAW völlig unangemessen und unproduktiv. Ali Ihsan Kitay sei freizusprechen, schloss Gericke das Plädoyer.
Das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan fordert einen Freispruch und die sofortige Freilassung von Ali Ihsan Kitay und sämtlichen politischen Gefangenen. Der Widerstand der PKK ist, wie von der Verteidigung aufgezeigt, völkerrechtlich legitim. Die Kriminalisierung der kurdischen ExilpolitikerInnen und die unverantwortliche Herangehensweise der Bundesanwaltschaft in diesem Prozess tragen dazu bei, dass politische Hinrichtungen wie die Morde an Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez am 9. Januar in Paris durchgeführt werden können. Wir trauern mit den Familien und der kurdischen Bevölkerung um die in Paris ermordeten revolutionären Frauen. Diese standen für ein respektvolles bewusstes Zusammenleben, Bildung, die Befreiung der Frau und einen Friedensdialog. Sie wurden im Rahmen der Verteilungskriege im Mittleren Osten und einer Vernichtungsstrategie der AKP gegenüber den KurdInnen gezielt hingerichtet.
Folgte man der Logik des § 129 b und des Völkerrechts, müssten eigentlich die für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlichen Politiker_innen, der Generalstabschef und diejenigen, die mit systematischer Folter und Kriegsverbrechen wie Chemiewaffeneinsätzen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, in Deutschland vor Gericht stehen. In diesem Prozess wird deutlich, dass es sich bei den § 129 b Verfahren nicht um Recht oder die Verfolgung von etwaigen Straftaten, sondern um politische motivierte Verfolgung handelt.
Wir fordern: Freiheit für alle Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen !

Dialog statt Repression und Krieg!

Demonstration „Freiheit für Ali Ihsan Kitay – Kein Krieg in Syrien“ am Sonnabend, den 9. Februar, 15.00 Bahnhof SternschanzeFür Rückfragen stehen wir Ihnen nach Absprache per E-mail gerne auch telefonisch zur Verfügung.