Pressemitteilung
der „Kampagne Demokratie hinter Gittern“ zum Internationalen Tag der politischen
Gefangenen am 18. März 2013
Freilassung der haftunfähigen
Gefangenen in der Türkei!
Trotz des begonnenen
Dialogs zwischen der kurdischen Freiheitsbewegung und türkischem Staat
halten die Verhaftungen im Rahmen der sogenannten KCK-Verfahren (KCK=
Union der Gemeinschaften Kurdistans) an. Wegen Terrorvorwürfen wurden
seit 2009 über 9000 kurdische Journalistinnen, Rechtsanwälte, Menschenrechtsaktivisten,
Gewerkschafterinnen, Frauenaktivistinnen, Bürgermeister oder Studierende
hinter Gitter gebracht. Die AKP-Regierung ist deswegen auch international
unter Druck geraten, hat aber bislang nicht mit der Freilassung dieser
Gefangenen reagiert. Einige wenige Freilassungen meist prominenter Gefangener
wie die des Verlegers Ragip Zarakoglu reichen jedoch nicht aus, um bei
der kurdischen Bevölkerung das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit der Regierung
zu stärken. Die Freilassung schwerstkranker kurdischer Gefangener könnte
hierfür ein erster Schritt sein.
309 schwerstkranke Gefangene in türkischen Gefängnissen
Nach einer Untersuchung des Menschenrechtsvereins IHD sind in türkischen
Gefängnissen derzeit 309 schwerstkranke Gefangene inhaftiert. Obwohl eine
Haftentlassung dieser Gefangenen gesetzlich vorgeschrieben ist, werde
sie von den Justizbehörden in den meisten Fällen verweigert. [1]
Über 900
Gefangene starben in den letzten 10 Jahren
In den letzten 10 Jahren sind über 900 Gefangene in der Haft gestorben.
Der IHD-Vorsitzende von Adana forderte im April 2012 die sofortige Freilassung
der haftunfähigen Gefangenen und erklärte hierzu: „Wir fordern keine Amnesty.
Wir fordern die Anwendung des Gesetzes. Lebensbedrohlich erkrankte Gefangene
sollten ihre letzten Lebenstage mit ihren Familien verbringen können.“
[2]
Neufassung
des Strafvollzugsgesetzes
Kürzlich wurde ein neues Strafvollzugsgesetzes vorgelegt, in dem es heißt:
„Wenn aufgrund einer schweren Behinderung oder Krankheit das Leben des
Gefangenen durch die Inhaftierung bedroht ist, kann die Haftstrafe ausgesetzt
werden, soweit festgestellt wird, dass der Gefangene keine Gefahr für
die öffentliche Sicherheit darstellt.“ [1] Angesichts der Tatsache, dass
in der Türkei selbst steinewerfende Kinder als Terroristen inhaftiert
werden, verschlechtern sich mit dem neuen Gesetz die Chancen schwerkranker
politischer Gefangener auf Haftverschonung.
Das neue Gesetz schreibt auch vor, dass eine abschließende Beurteilung
der Haftfähigkeit eines Gefangenen durch Gerichtsärzte vorgenommen wird.
Zweifelhafte
Rolle der Gerichtsmediziner wird gestärkt
Nicht nur wegen der Beteiligung türkischer Gefängnisärzte an der Folterung
von Gefangenen (besonders in den 1980- und 1990iger Jahren) bestehen große
Zweifel an deren Unparteilichkeit. Erkrankte Gefangene können in der Haft
oft nicht adäquat behandelt werden. Trotzdem verweigern die Justizbehörden
oft die notwendige stationäre Behandlung. Gerichtsmediziner schicken Todkranke
zurück ins Gefängnis und behaupten auch, dass Gefangene eine Behandlung
verweigern würden. So auch im Falle des 75-jährigen Mahmut Karataş, der
im April 2012 - bereits vollständig erblindet - im Gefängnis von Bingöl
in ein diabetisches Koma fiel und verstarb. [3]
Politische
Willkür auch in der Frage der Haftverschonung
Die türkische Justiz hält sich auch in der Frage der Haftverschonung kranker
Gefangener nicht an bestehende Gesetze, sondern wendet sie willkürlich
an. Weil es politisch opportun erschien, die durch die AKP-Politik vergrätzen
Militärs wieder freundlich zu stimmen, verfügte ein Istanbuler Gericht
im Februar die Haftverschonung des schwer herzkranken Ex-Generals Ergin
Saygun, der letztes Jahr im sogenannten "Sledgehammer"-Verfahren
wegen angeblicher Putschvorbereitung zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde.[4]
Der Fall des
BDP-Politikers Recep Karagül
Ganz anders behandelt die türkische Justiz Gefangene aus den Reihen der
linken, kurdischen Opposition . Als Beispiel sei der Fall des schwerstkranken
Recep Karagül genannt: Der im Oktober 2011 verhaftete BDP-Vorsitzende
von Ümraniye ist schwer herzkrank. Der 51-Jährige Politiker wurde nach
seiner Verhaftung vier Mal ins Krankenhaus eingeliefert und musste sich
im April 2012 erneut einer Bypass-Operation unterziehen. Obwohl sich der
Gesundheitszustand von Recep Karagül stetig verschlechtert, haben die
Gerichstmediziner ihn für haftfähig erklärt.
Am 5. Februar 2013 erlitt Recep Karagül im Gefängnis einen schweren Herzinfarkt.
Sein Zustand wird als äußerst kritisch bezeichnet. Alle Anträge auf Haftentlassung
wurden von den türkischen Behörden mit Hinweis auf die "Schwere der
Schuld" abgelehnt. [5]
Freilassung
kranker Gefangener kann ein erster Schritt des Staates sein
Wir schließen uns der Einschätzung des IHD-Vorsitzenden Öztürk Türkdoğan
an, der durch die anhaltenden Festnahmen kurdischer AktivistInnen und
militärischer Angriffe den Dialog-Prozess in Gefahr sieht und als ersten
konstruktiven Schritt des Staates die Freilassung der haftunfähigen Gefangenen
vorschlägt. [6]
18.03.2013, Kampagne
Demokratie hinter Gittern
demokratiehintergittern.blogsport.de
[1] http://demokratiehintergittern.blogsport.de/2013/03/17/309-kranke-gefangene-in-haft-2/
[2] DIHA,14.04.2012
[3] http://bianet.org/english/human-rights/137653-meticulous-attention-of-mr-minister
[4] http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2013/02/ergin-saygun-turkish-general-prison-conditions.html
[5] DIHA, 05.02.2013, 18.04.2012
[6] http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/pressekurdturk/2013/11/03.htm
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