Pressemitteilung, 25.03.2013

Türkei/Kurdistan: Reaktionen auf den Aufruf Abdullah Öcalans – KCK verkündet Waffenstillstand – Frieden ist möglich, Schritte aller Beteiligten sind nötig

Dem Aufruf des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) Abdullah Öcalan vom 21. März folgte als Antwort eine Erklärung der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK). In einer Videobotschaft sagte der KCK-Exekutivratsvorsitzende Murat Karayilan: „Hiermit teilen wir mit, dass KCK, PKK und HPG (Volksverteidigungskräfte) ab sofort, ab dem 23.März, einen Waffenstillstand erklären“.

Am 21. März 2013 wurde die Verlesung des Aufrufs des PKK Vorsitzenden Öcalan auf dem Newrozfest in Diyarbakir von dutzenden türkischen und zahlreichen internationalen Fernsehkanälen live übertragen. „Vor Millionen von Zeugen, die diesen Aufruf hören, sage ich: Endlich beginnt eine neue Ära – nicht die Waffen, sondern die demokratische Politik wird nun im Vordergrund stehen. Die Zeit ist gekommen, unsere bewaffneten Kräfte hinter die Grenze zurückzuziehen.“, so Öcalan.

In der Erklärung des KCK-Exekutivrats heißt es u.a.: „Die Kurdische Befreiungsbewegung wird keine militärischen Angriffe mehr durchführen. Alle Aktivitäten auf türkischem Territorium finden nun im Rahmen dieses Waffenstillstandes statt. Sollten unsere Kräfte jedoch angegriffen werden, haben sie das Recht sich zu verteidigen. Wie im Völkerrecht festgelegt, verfügen wir in einem solchen Fall über das legitime Recht in Form der Selbstverteidigung zu reagieren und auf diese Weise Angriffe zu vergelten. Solange kein Angriff auf unsere Kräfte erfolgt, wird von ihnen keine militärische Aktion ausgehen. Dies ist die von uns beschlossene Entscheidung.“

In einem Interview mit dem türkischen Journalisten Hasan Cemal für die Internetseite T24 äußerte Karayilan ebenfalls am 23.03.2013: „Hinsichtlich des Friedensprozesses gibt es vielerseits noch immer Vorbehalte. Diese hatten wir zunächst auch. Wir sind jedoch diesbezüglich nach Diskussionen weiter gekommen. Für eine tiefgreifende Lösung der Frage gilt es sich von Voreingenommenheit zu lösen. Nun ist es wichtig, dass auch die Regierung einen Schritt macht. Für einen Rückzug vom türkischen Staatsterritorium ist für unsere Seite ein gesetzlicher Rahmen zur Absicherung dieses Schrittes notwendig. Das ist der erste Punkt.

Der Architekt dieses Prozesses ist unser Vorsitzender Apo (Abdullah Öcalan). Damit die Phase des Rückzugs positiv verlaufen kann, ist eine direkte Einbindung des Vorsitzenden Apo notwendig. In diesem Sinne hat er eine Erklärung abgegeben, die den weiteren Rahmen skizziert. Sämtliche Akteure dazu zu bewegen einen Rückzug der Guerilla zu ermöglichen, ist dabei eine zentrale Frage. Diesbezüglich ist eine bessere und schnellere Kommunikation zwischen Abdullah Öcalan und Kandil (einem Hauptstandort der Guerilla im irakischen Kurdistan) von großer Bedeutung. Für die Beobachtung der Rückzugphase und der Lösung möglicher Probleme kann ein Gremium von Weisen Personen gegründet werden.“

Auf die Frage wann der Rückzug abgeschlossen sei, antwortete Karayilan: „Egal wie schnell auch vorangegangen wird, der Rückzug wird sich noch über den Herbst hinausziehen. Ein Rückzug bedarf neben Überzeugung auch organisatorischer Vorbereitung.“

Im Verlauf eines Treffens mit mehreren türkischen JournalistInnen erklärte der türkische Ministerpräsident Erdogan am 23. März, dass die türkische Regierung die Einrichtung einer Wahrheitsfindungskommission derzeit nicht in Betracht ziehe, jedoch die Gründung einer Kommission von Weisen Personen beschlossen habe. Berichten der türkischen Tageszeitung Radikal zufolge, hat Erdogan die große Bedeutung einer solchen Kommission für die „gesellschaftliche Psychologie“ betont. „Es wird eine Kommission von etwa 25- 28 Personen gegründet werden. Die Namen wurden festgelegt. In ihr werden AkademikerInnen, JournalistInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und VertreterInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen tätig sein. Die Kommission wird aufgrund der Anzahl der Beteiligten und deren Mobilität in Gruppen von je sieben Personen aufgeteilt, die jeweils in Provinzen bzw. Regionen arbeiten.

Sie wird die Entwicklungen bezüglich des Rückzugs beobachten, Informationen von der jeweiligen Lokalbevölkerung sammeln und sich mit VertreterInnen von NGOs treffen. Sie wird mögliche Verstöße beobachten und wenn nötig als Katalysator fungieren. Je nach Bedarf wird sie in gemeinsamer Koordinierung mit der Regierung Aufgaben übernehmen. Die Hauptfunktion der Kommission liegt darin, für den positiven Verlauf des Rückzugprozesses zu sorgen und mögliche Komplikationen aus dem Weg zu räumen,“ so Erdogan. Zudem erklärte der Ministerpräsident, dass gesetzliche Regelungen für den Rückzug derzeit nicht auf der Tagesordnung der Regierung stünden, jedoch diskutiert werden könnten.

Unterdessen sagte der stellvertretende Vorsitzende der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Demir Celik gegenüber der türkischen Nachrichtenagentur IHA: „Wir können sehen, dass der Beginn einer neuen Epoche von nun an unausweichlich ist. Wir erwarten, dass der Waffenstillstand, der Rückzug und darauf folgend eine gleichberechtigte, demokratische und freiheitliche Verfassung in den nächsten Monaten realisiert werden. Wir erwarten, dass die politischen Gefangenen freigelassen und die Antiterrorismusgesetze sowie die Verfassung des 12. September (die Verfassung des Militärputsches vom 12.09.1980) abgeschafft bzw. verändert werden. Wir erwarten eine gleichberechtigte, freiheitliche, zivile und demokratische Verfassung. Wir erwarten, dass die kurdische Sprache, Identität und Kultur garantiert und gesichert wird.“

Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) seine Unterstützung für den Aufruf Öcalans. Er wertete diesen als großen Schritt, der zu mehr gegenseitigem Vertrauen beitragen werde. „Nun kommt es darauf an, dass den Ankündigungen konkrete Schritte folgen“, so Westerwelle am 21.03.2013 in Berlin.

Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau erklärte die Co-Vorsitzende der Grünen Claudia Roth: „Der Aufruf von Öcalan und der PKK-Führung für eine Waffenruhe und den Abzug kurdischer Kämpfer aus der Türkei gibt Hoffnung, dass die diesjährigen Newrozfeiern nicht nur den Frühlingsbeginn einläuten, sondern auch endlich Frieden bringen können. Nach nun über 30 Jahren Krieg und über 40 000 Toten ist das eine historische Chance, die von der türkischen Regierung wie von der PKK nicht verspielt werden darf.“

In einem Gespräch mit Civaka Azad erklärte Mahmut Sakar, stellvertretender Vorsitzender von MAF-DAD (Verein für Demokratie und Internationales Recht): „Da der begonnene Lösungsprozess auf offizieller Ebene stattfindet, können wir feststellen, dass die türkische Regierung Abdullah Öcalan und die Arbeiterpartei Kurdistans PKK als politische Vertreter des kurdischen Volkes anerkannt hat. In diesem Sinne sind die europäischen Gesetze, die die PKK kriminalisieren, neu zu bewerten. Die EU wird die Einstufung der PKK als Terrororgansiation nicht mehr legitimieren können. Das gilt insbesondere, sollte der Konflikt gelöst werden und die PKK legal in der Türkei agieren können. Hinsichtlich des Rückzuges der kurdischen Guerilla vom türkischen Staatsgebiet, sollte die EU als Beobachter fungieren. Des Weiteren tragen die Staaten Europas gemäß ihrer demokratischen und menschenrechtlichen Werte die Verantwortung, den Druck auf die Türkei hinsichtlich einer demokratischen und verfassungsrechtlichen Lösung der kurdischen Frage zu verstärken. In der neuen Verfassung gilt es die politischen, sozialen und kulturellen Rechte sämtlicher Minderheiten in der Türkei zu sichern.“

Für weitere Informationen und Rückfragen stehen wir gerne unter der Nummer 069-84772084 zur Verfügung.

Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.

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