Pressemitteilung:

Kurdische Frauen beschließen Aktionsplan zur Unterstützung des Friedens- und Demokratisierungsprozess in der Türkei

Die kurdische Frauenbewegung diskutiert intensiv über ihre Rolle und Aufgaben im Rahmen des Dialogs, der zwischen der türkischen AKP-Regierung und dem inhaftierten kurdischen Repräsentanten, Abdullah Öcalan, im November 2012 begonnen hatte. Während die Verhandlungen weiter andauern, wurden bereits einige konkrete Schritte für die Lösung der kurdischen Frage im Rahmen einer grundlegenden Demokratisierung der Türkei gemacht. So verkündete die Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans (KCK) am 21.03.2013 einen Waffenstillstand der kurdischen Guerillakräfte. Anfang April wurden eine Kommission zur „Bewertung des Lösungsprozesses“ im türkischen Parlament sowie ein „Rat von Weisen“ zur Einbeziehung und Anhörung verschiedener Gesellschaftskreise in den Friedens- und Demokratisierungsprozess gegründet. Die Frauenbewegung DÖKH sowie progressive Kräfte in der Türkei kritisierten die Zusammensetzung des „Rates der Weisen“, in dem Frauen sowie AKP-kritische unabhängige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens stark unterrepräsentiert sind. Demgegenüber ist die kurdische Frauenbewegung entschlossen, in dieser Phase eigene Initiativen für die Verwirklichung demokratischer Rechte, für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und allen Bevölkerungsgruppen voranzutreiben.

Auf dem 2. Treffen kurdischer Frauen des „Kongresses für eine demokratische Gesellschaft“ (DTK) am 14. April 2013 wurde beschlossen, einen „Rat weiser Frauen“ für den eingeleiteten „Lösungs- und Verhandlungsprozess“ zu gründen. Außerdem sollen Frauen bei der Erstellung einer neuen Verfassung in der Türkei maßgeblich mitwirken.

In der Abschlusserklärung des Treffens heißt es: „Im Gebiet Kurdistan wird die Geschichte der Befreiung neu geschrieben. Als kurdische Frauen sind wir Zeuginnen eines Neubeginns. Das kurdische Volk kämpft seit 40 Jahren und musste in diesem Kampf einen hohen Preis zahlen. Beim Aufbau einer demokratischen Moderne als Gegenpol zur bestehenden kapitalistischen Moderne nimmt es eine Führungsrolle ein. Gleichzeitig keimt durch die kurdischen Frauen im Mittleren Osten die Aussicht auf ein Jahrhundert der Frauen. Ebenso wie die kurdische Frage eine internationale Angelegenheit ist, kann sie nicht unabhängig von den politischen Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart im Mittleren Osten betrachtet werden. Beginnend mit den Volksaufständen in Tunesien bis zur Revolution in Syrien-Südwestkurdistan, die Ergebnis eines 40-jährigen Kampfes ist, ist in Nordkurdistan zuletzt durch den von 10.000 Gefangenen geleisteten Widerstand im Hungerstreik und vor allem durch das Epos, welches seit 14 Jahren auf Imrali geschrieben wird, eine Phase der demokratischen Befreiung und eines freien Lebens eingeleitet worden. Diese neue Zeit, in der Ideen, Ideologie und demokratische Politik im Vordergrund stehen, bedeutet, wie auch der kurdische Volksvertreter Herr Abdullah Öcalan in seiner Botschaft an die Newrozfeier in Amed erklärt hat, „nicht das Ende, sondern einen Neubeginn“.

Das zweite Treffen kurdischer Frauen des DTK hat auf Aufruf der Demokratischen Freien Frauenbewegung und des Frauenrats des Kongresses für eine demokratische Gesellschaft mit der Zielsetzung stattgefunden, die neuen Entwicklungen aus Frauensicht zu diskutieren und aktiv daran mitzuwirken. Teilgenommen haben 64 Frauen von 34 Einrichtungen, die ihre Meinung und ihre Vorschläge eingebracht haben.

Unsere Versammlung begann mit einer Gedenkminute für die revolutionären Gefallenen. Zugleich wurden ein weiteres Mal die Morde in Paris [am 9. Januar 2013], die am 14. April 2009 begonnenen KCK-Operationen, der Enfal-Genozid [gegen KurdInnen durch das Saddam-Regime] und das Massaker in Roboski [durch die türkische Armee] verurteilt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die Geschichte der Frauen noch nicht geschrieben sei. Nach einer Einleitung unserer Co-Vorsitzenden Aysel Tugluk begann die Diskussion zum Thema „Die Rolle von Frauen in Verhandlungsprozessen und Beteiligung von Frauen bei der Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung“.
Gründung eines „Rates weiser Frauen“ als Alternative

Auf der Versammlung bildete sich zunächst ein Konsens darüber, dass der von Herrn Abdullah Öcalan eingeleitete Prozess, bei dem wir noch ganz am Anfang stehen, nicht unter gleichberechtigten Bedingungen stattfindet. In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass die AKP nach eigenem Gutdünken einen Lösungs- und Verhandlungsprozess vorantreiben will und Frauen aktiv in die Entwicklungen eingreifen sollten. Wie die AKP an diesen Prozess herangeht, wird aus Frauensicht an der mangelnden Vertretung von Frauen in der Kommission weiser Menschen deutlich, [die die Zivilgesellschaft in den Friedensprozess einbeziehen soll]. Desweiteren verdeutlichen die andauernden Militäroperationen, der Bau neuer Gefängnisse und Militärposten, neu eingestellte DorfschützerInnen, die steigende Anzahl von Frauenmorden und die Deckung der Mörder, die Umweltzerstörung, die Vertuschung von Massakern wie in Roboski oder dem Mord an Ceylan Önkol, bei denen die Täter längst bekannt sind, die Haltung der AKP.

Die Teilnehmerinnen des Treffens betonten, dass wir Frauen das größte Leid im Krieg erfahren haben und folglich auch Garantie für einen würdevollen Frieden sind. Deshalb ist es für uns grundlegendes Prinzip, dass Frauen an der Erstellung einer neuen Verfassung beteiligt werden, dass eine gleichberechtigte Vertretung gewährleistet wird und dass eine Frauenpolitik, die gegen eine geschlechterdiskriminierende, militaristische und sexistische Politik kämpft, gesetzlich gesichert wird. Weiterhin ist es angesichts des Entwicklungsstandes, an dem wir uns befinden, zwingend notwendig, dass kulturelle Identitäten anerkannt, das Recht auf Muttersprache gesetzlich festgelegt und die Kommunalverwaltungen gestärkt werden. Auf unserer Versammlung wurde die Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, den gegenwärtigen Entwicklungsprozess als kurdische Frauen parteilich zu lenken, voranzutreiben und zu kontrollieren.

Durch den Krieg und die Vertreibung aus den Dörfern wurden zahllose Menschen in eine Notlage gebracht; Produzierende wurden zu KonsumentInnen gemacht. Auf unserer Versammlung wurde festgehalten, dass die Verantwortung für die Aufhebung dieser Notlage der betroffenen BürgerInnen beim Staat liegt, während die Initiative für die Leitung des Prozesses bei den Frauen sein muss. Weiterhin wurde diskutiert und beschlossen, dass Frauen bei einem möglichen Rückzug der Guerilla für die Sicherheit sorgen, dass zur Bekämpfung von möglicherweise auftretenden Problemen bei der Dorfrückkehr Beobachtungskommissionen gegründet werden und - wenn notwendig - Aktionen geplant werden. Außerdem wurde an das Gewissen aller Dorfschützer und insbesondere an die Dorfschützerinnen in Dersim appelliert, die Waffen niederzulegen und die Regierung dazu aufgerufen, das Dorfschützersystem aufzulösen.“

Auf der Versammlung wurden folgende Beschlüsse gefasst:

1. Die Bildung einer Abordnung weiser Frauen für den Lösungs- und Verhandlungsprozess sowie im Rahmen eines gemeinsamen Programms die Zusammenarbeit von Frauen aus Kurdistan und der Türkei; das Arbeitsprogramm der Abordnung weiser Frauen umfasst die Gründung von

A- Beobachtungskommissionen

B- Parallelkommissionen

C- Zeuginnenkommissionen

D- Beratungskommissionen sowie

E- die parteiliche Beteiligung von Frauen im Erstellungsprozess einer neuen Verfassung.

2. Auf der Versammlung wurde eine Kommission zusammengestellt, die die Dorfrückkehr beobachtet und überwacht sowie die kommunale Wirtschaftspolitik von Frauen umsetzt; diese Kommission beginnt sofort mit ihrer Arbeit.

3. In den zu gründenden Kommissionen sind Angehörige von GuerillakämpferInnen und Soldaten, vertriebene Familien, die Samstagsmütter, die Familien aus Roboski, LGBT-Individuen, Frauen und Frauenbewegungen als aktive Subjekte des Prozesses definiert worden; es wurde die Bildung einer gemeinsamen Kampflinie von Frauen aus Kurdistan und der Türkei sowie deren Organisierung unter einem Dach beschlossen.

4. Die Delegierten für die Frauenkonferenz der „Fraueninitiative für Frieden“ am 4. Mai wurden festgelegt. Die Fraueninitiative wird dazu aufgerufen, Delegierte zum 3. Kurdischen Frauentreffen zu entsenden, zu dem die Demokratische Freie Frauenbewegung DÖKH und der Frauenrat des DTK noch aufrufen werden.

5. Es wurde ein Komitee gebildet, das für die Beteiligung an den aktuell stattfindenden Treffen der verschiedenen ethnischen und Glaubensgruppen in Kurdistan zuständig ist. Mit der Bildung dieses Komitees wurden die Frauenräte von DTK und [des Demokratiekongress der Völker] HDK sowie SKM [Sozialistische Frauenräte] und [das Kulturzentrum] Tango Med beauftragt.

6. Es wurde die Bildung einer Frauendelegation für einen Besuch in Rojava [Südwestkurdistan/Syrien] beschlossen.

7. Es wurde ein eintägiger Solidaritätsbesuch bei den Familien [der Opfer des Massakers] in Roboski beschlossen.

8. Um die Dorfschützerinnen in Dersim davon zu überzeugen, ihre Tätigkeit einzustellen, wird eine Frauenabordnung, in der u. a. die Friedensmütter und [der Angehörigenverein] Meya-Der vertreten sind, nach Dersim fahren.

9. Es wird eine Frauenkommission gegründet, die zu den Erfahrungen von Frauen in Friedensverhandlungen weltweit recherchiert.

10. Die militaristische Denkweise betrachtet Frauen als Kriegsbeute. Die in diesem Rahmen stattgefundenen Übergriffe, Vergewaltigungen und alle Frauenmorde werden als Kriegsverbrechen behandelt.

11. Es wurde beschlossen, sich an der Tagung des BDP-Frauenrats am 28. April 2013 sowie an der Konferenz des HDK-Frauenrats am 11. und 12. April 2013 zu beteiligen.

(Quelle: ANF, AMED 15.04.2013)


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