Erklärung
der YXK zu den Gezi-Protesten um den 1. Juni in Istanbul:
Die AKP-Regierung verhindert eine Demokratisierung der Türkei
Als am 29. Mai eine
Gruppe von Umweltaktivist_innen, darunter auch der Parlamentsabgeordnete
der Partei für Frieden und Demokratie (BDP), Sirri Süreyya Önder, den
Gezi-Park in der Nähe des Taksim-Platzes (Istanbul) besetzten, ahnte niemand,
was für ein Ausmaß diese Besetzung erreichen würde. Anlass war der Umbau
dieses Parks, bei dem Dutzende Bäume gefällt werden sollen, damit Platz
für ein neues Einkaufszentrum geschaffen wird. 2011 hatte der Stadtrat
einstimmig – u.a. mit den Stimmen der CHP – für dieses Projekt gestimmt.
Die genannten Proteste wurden von der Polizei mit massiver Gewalt angegriffen
und die Besetzer_innen aus dem Park vertrieben. Viele wurden zudem verhaftet.
Es besteht kein Zweifel, dass die Polizeigewalt definitiv unverhältnismäßig
war. Es kam zu Dutzenden Verletzten, deren Bilder über die Sozialen Medien
in die ganze Welt gingen. Bilder von Kettenabdrücken eines Panzerfahrzeuges
auf dem Rücken eines Verletzten oder durch Tränengas bewusstlos gewordener
Menschen wurden begleitet von provozierenden Aussagen hochrangiger Regierungspolitiker_innen
wie z.B. des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, wonach die „Störversuche“
der „radikalen Demonstranten“ die Bauarbeiten nicht aufhalten können.
Nach drei Tagen erreichten die Proteste eine noch nie da gewesene Dimension
seit dem Regierungsantritt Erdoğans. Am 1. Juni protestierten mehrere
Hunderttausend Menschen auf dem Taksim-Platz sowie weitere Tausende in
der gesamten Türkei. Gegen die Angriffe der Polizei wehrten sich die Protestierenden
in Istanbul so entschlossen, das die „Sicherheits-“Kräfte gezwungen waren,
sich zurückzuziehen. Die Polizei tötete mindestens zwei Menschen und verletzte
Hunderte, teils schwer.
Ohne Zweifel, die Türkei durchlebt eine sehr sensible Phase. Es laufen
ernsthafte Verhandlungen zwischen dem türkischen Staat und dem Vorsitzenden
der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, zur Beilegung des
seit Jahrzehnten andauernden Krieges. Die Guerilla zieht sich in die südkurdischen
Kandilberge zurück. Immer noch sind Tausende Menschen als politische Gefangene
in türkischen Gefängnissen inhaftiert oder mit drohenden Freiheitsstrafen
konfrontiert. Die faschistische Partei der nationalistischen Bewegung
(MHP) und die Republikanische Volkspartei (CHP) torpedieren ununterbrochen
einen möglichen Frieden. Westliche Staaten wie die USA, Frankreich und
Deutschland sind mit ihrer Politik immer noch ein Hindernis für einen
Frieden. Das Misstrauen gegenüber Erdoğan ist sehr hoch, zumal seine Regierung
bereits in der Vergangenheit einen Dialog mit den Kurd_innen vortäuschte,
um Zeit für die eigene Machtsicherung und die Parlamentswahlen 2011 zu
gewinnen. Eine nicht mal zu Zeiten des Militärputsches da gewesene Welle
von Verhaftungen gegen jegliche Opposition nahm anschließend ihren Lauf.
Militärische Operationen gegen die kurdische Guerilla stiegen auf ein
Höchstmaß an. Ziel war die endgültige Zerschlagung der prokurdischen Opposition,
der Begriff der „tamilischen Lösung“ machte die Runde. Nur eine Massenmobilisierung
der kurdischen Freiheitsbewegung hat den Staat zurück an den Verhandlungstisch
gezwungen.
Die Geschehnisse der letzten Tage rund um den Taksim-Platz, die Rhetorik,
die Erdoğan verwendet, die Rücksichtslosigkeit und die Polizeigewalt haben
uns gezeigt, dass der türkische Staat dieselbe Mentalität hat, die er
auch vor der Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP)
hatte. Immer noch dient der Staat dem Zweck der totalen Machtausübung
über die Gesellschaft. Die gleiche Gewalt, welche die Kemalist_innen und
Faschist_innen gegen Forderungen nach mehr Demokratie anwendeten, übt
heute die AKP aus. Das Problem sind nicht die Machthaber_innen im Staat,
sondern dieser autoritäre Staat selbst. Deshalb müssen unsere Proteste
gegen ihn anhalten und wachsen. Umso ironischer ist es, dass heute Pseudodemonstrant_innen
der CHP und MHP sich als Hüter_innen der Demokratie darstellen.
Als Verband der Studierenden aus Kurdistan – YXK werden wir uns weiterhin
für den Aufbau einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten
Gesellschaft einsetzen. Wir verurteilen die gewalttätige Vorgehensweise
des türkischen Staates und rufen all unsere Mitglieder und solidarischen
Freund_innen auf, dagegen zu protestieren. Wir rufen zudem alle demokratischen
Organisationen und fortschrittlichen Menschen, welche eine echte Demokratisierung
der Türkei wollen, über die Grenzen von Religion, Ethnie, Nation, Geschlecht,
Alter, Kultur oder Klasse hinweg auf, gemeinsam zu agieren, damit Ultranationalist_innen
von der CHP und MHP die Plattform des demokratischen Protestes nicht vereinnahmen
und ihre menschenfeindliche nationalistische Propaganda nicht verbreiten
können.
Hoch die internationale Solidarität!!
Hoch die Geschwisterlichkeit der Völker!!
Mit solidarischen Grüßen
Verband der Studierenden aus Kurdistan – YXK
Verband der Studierenden aus Kurdistan - YXK e.V.
info@yxkonline.de, www.yxkonline.de
|