Vorabdruck aus der Juni-Ausgabe des AZADÎ-infodienstes: Eröffnung des § 129b-Prozesses gegen Abdullah S. vor OLG Düsseldorf Vorwurf: Leitung des PKK-Wirtschafts- und Finanzbüros
Abdullah S. wurde am 27. April 2012 in Köln verhaftet; seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Bedrohungsszenario und Besetzungsrüge Um den Eindruck zu vermitteln,
dass es sich bei dem Angeklagten um einen „Gefährder der inneren Sicherheit“
handelt, saß Abdullah S., umgeben von zwei Justizbeamten, in einem von
hohen Glaswänden umgebenen „Käfig“, abgeschottet von seinen drei Verteidigern
und einer Vertrauensdolmetscherin. Den Sitzungssaal „schmückten“ zudem
mehrere martialisch ausgerüstete Polizeikräfte sowie weitere Polizeibeamte.
Verteidigung lehnt Tonbandaufnahmen ab Die vom Richter angekündigte
Tonbandaufzeichnung der Verhandlungen für den Senat und der Zusicherung,
diese Aufnahmen nach Prozessende zu löschen, stieß auf harsche Ablehnung
der Verteidigung. Rechtsanwalt Fresenius stellte die Rechtmäßigkeit dieser
Maßnahme in Frage, weil es nicht angehen könne, dass Prozessabläufe ohne
Zustimmung der Verteidiger aufgezeichnet werden. Verteidigung beleuchtet Hintergründe des politischen Konflikts Als nächstes trug Rechtsanwalt Fresenius einen 23-seitigen Antrag der Verteidigung vor, in dem alle ausschlaggebenden Aspekte und Hintergründe dieses „Terrorismus“-Verfahrens zur Sprache kamen, insbesondere mit Blick auf die einseitige und stereotype Darstellungsweise der Anklage durch die Bundesanwaltschaft. Fresenius beleuchtete – im Gegensatz zur BAW – die Hintergründe der jahrhundertelangen staatlichen Unterdrückungsgeschichte, die Kurdinnen und Kurden zu erleiden hatten, die vorenthaltene politische Teilhabe durch Parteienverbote, das Verbot der kurdischen Sprache sowie das absichtliche Niedrighalten des sozialen und ökonomischen Niveaus in den kurdischen Gebieten der Türkei. Dass Menschen hiergegen Widerstand leisten und die PKK als Konsequenz aus dieser brutalen Verleugnungspolitik entstehen konnte, stellte Fresenius genauso heraus wie die Entwicklung der kurdischen Bewegung. Vor dem Hintergrund des türkisch-kurdischen
Konflikts sei es unumgänglich, sich mit Fragen des Rechts auf bewaffneten
Widerstand im Sinne des Völkerrechts auseinanderzusetzen sowie damit,
dass die Türkei mittels militärischer Streitkräfte und wiederkehrenden
Verletzungen des Kriegsvölkerrechts durch den Einsatz von chemischen Kampfstoffen
oder massive polizeiliche Repression einen Krieg gegen die Kurden geführt
habe. PKK ist eine Befreiungsbewegung Nach Auffassung der Verteidigung gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der kurdischen Befreiungsbewegung und ihren Organisationen um eine Bewegung handele, die die Grundwerte der Menschenwürde in Frage stelle oder – wie die Anklage behauptet - sich gegen den Grundsatz der Völkerverständigung richte. Dies gelte ebenso für deren Programmatik, die weder gegen die Menschenwürde Dritter gerichtet noch von Vernichtungsfantasien gegenüber anderen Ethnien geprägt sei. Verfolgungsermächtigungen: Politisierung der Justiz Deshalb werde das Bundesverfassungsgericht zu prüfen haben, ob die Verfolgungsermächtigungen nach § 129b StGB des Bundesjustizministeriums verfassungsmäßig sind. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass das Ministerium als Teil der Exekutive einzig auf der Grundlage von Berichten der BAW darüber entscheide, ob es sich bei Angehörigen einer ausländischen Organisation um Freiheitskämpfer oder Terroristen handelt, ohne dass eine rechtliche Prüfung und Kontrolle dieses staatlichen Handelns möglich sei. Im Falle von Abdullah S. habe das Ministerium lediglich einen Bericht der BAW zugrundegelegt. Hier werde gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen, Gerichte zu Erfüllungsgehilfen der Exekutive degradiert und Richter zum Sprachrohr der Politik, was als Politisierung der Justiz bezeichnet werden müsse. Die Verteidigung kritisiert
in ihrem Antrag zudem, dass die für Abdullah S. so folgenschwere Ermächtigung
weder von der Ministerin selbst, noch einem ihrer Staatssekretäre oder
Abteilungsleiter, sondern von einem Unterabteilungsleiter unterzeichnet
worden ist. Keine Textbausteine ! Zum Schluss forderte Rechtsanwalt Fresenius den Senat dazu auf, es angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Verfahrens künftig zu unterlassen, mithilfe von vorgefertigten Textbausteinen die Anträge der Verteidigung abzuweisen (ein Beleg hierfür lag ihm vor). Angeklagter darf Glaskäfig verlassen Ziel des dritten Antrags war,
dass der Angeklagte den Glaskäfig verlassen und künftig zwischen seinen
Verteidigern die weiteren Verhandlungen verfolgen kann; dem Antrag wurde
stattgegeben. Ich bin der Auffassung, dass… Am zweiten Verhandlungstag
erschien der für die PKK zuständige BKA-Beamte Becker, der sich einer
Vielzahl kritischer Nachfragen der Verteidigung zu seinen Ausführungen
konfrontiert sah, insbesondere bezogen auf Ereignisse in den kurdischen
Siedlungsgebieten der Türkei, des Iran und Nordirak sowie in Syrien. Mit
Blick auf die demokratische Autonomie im kurdischen Teil der Türkei sagte
der „Experte“, dass seiner Meinung dieses Projekt keine Chance habe. Erstaunlich,
dass die subjektive Sichtweise eines Kriminalbeamten zu brisanten außenpolitischen
Aspekten in diesem Prozess verwertet wird, wo eigentlich unabhängige und
seriöse wissenschaftliche Gutachten Noch kein Urteil in einem §129b-Verfahren Bisher gibt es noch kein rechtskräftiges Urteil in einem §129b-Verfahren gegen kurdische Aktivisten. Zwar wurde Ali Ihsan Kitay am 13. Februar dieses Jahres vom OLG Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt, sein Haftbefehl aber gegen Kaution aufgehoben und Revision gegen das Urteil eingelegt. Die Prozesse gegen Vezir T. vor dem Kammergericht Berlin und gegen Ridvan Ö. und Mehmet A. vor dem OLG Stuttgart laufen derzeit und das Verfahren gegen Metin A. wird erst eröffnet.
8., 9., 10. Juli und 16. Juli,
10.30 Uhr
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