Wie Journalisten zu Terroristen werden Ein Überblick zur Situation der Presse in der Türkei Devris Çimen, Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 12.07.2013 Die AKP-Regierung verstärkt in der Türkei und international ihre Strategie der Einschüchterung und Disziplinierung und zwingt die Medien zu Selbstzensur. Der Druck auf die Medien ist nicht erst seit dem Gezi-Aufstand gestiegen, sondern bereits nach dem Machtantritt der AKP. Die Proteste in Istanbul und zahlreichen anderen Städten zeigen, wie umfassend der Einfluss der AKP-Regierung besonders auf die Fernsehsender ist. Die Mainstream-Sender wie z.B. NTV, CNN-Türk und HABERTÜRK blieben stumm und zeigten alles andere als die aktuellen Ereignisse. Als aber Erdogans Verbündeter, der Muslimbruder Mursi, entmachtet wurde, berichteten diese Sender ausführlich über die Demonstrationen gegen das Militär in Ägypten. Seit ihrem Machteintritt hat die AKP-Regierung zahlreiche Instrumente zur systematischen Kontrolle der Medien eingeführt. Vor allem mit der Novellierung des Strafgesetzbuches im Jahr 2005 und den Änderungen im „Gesetz zur Terrorismusbekämpfung“ wurde die Arbeit der kritischen JournalistInnen erheblich erschwert. Hexenjagd
auf JournalistInnen JournalistInnen
sollen „TerroristInnen“ bekämpfen Wie diese „besondere Verantwortung“ aussieht, konnten wir nach dem Massaker von Roboski (türkisch: Uludere) verfolgen. Ende Dezember 2011 wurden in der Nähe des Dorfes Roboski in der Provinz Sirnex (türkisch: Sirnak) 34 kurdische Zivilisten, zum größten Teil Angehörige einer Familie, bei einem Bombenangriff der türkischen Armee getötet. Während kurdische Medien wie Roj TV oder die Nachrichtenagentur Firat ANF binnen kurzer Zeit darüber berichteten, brauchten die türkischen Medien für erste zaghafte Berichte mehr als 12 Stunden – in unserem Informationszeitalter eine Ewigkeit. Doch danach begann die perfide Manipulation der Öffentlichkeit. Mit rassistischen Kommentaren wurden die Opfer zu Tätern gemacht und die Armee reingewaschen. Obwohl einige kritische Stimmen in den gängigen Medien zu hören waren, verfolgen die meisten türkischen Zeitungen heute eine Strategie des Vergessens. Durch Entlassung
der JournalistInnen gewinnt die AKP Macht über die Medien In den letzten drei Jahren wurden Hunderte JournalistInnen von ihren regierungstreuen ArbeitgeberInnen entlassen, nachdem sie durch VertreterInnen der AKP-Regierung zur Zielscheibe von Repression und Sanktionen gemacht worden waren. Ihr „Vergehen“ bestand zumeist darin, in Artikeln und Beiträgen regierungskritisch berichtet – oft im Hinblick auf die kurdische Frage – und somit gegen eine informelle staatliche Zensur verstoßen zu haben. Betroffen hiervon waren unter anderem: Nedim Sener, Nuray Mert, Metin Münir und Hasan Cemal von der Tageszeitung Milliyet; Banu Güven, Can Dündar, Rusen Çakir, Mirgün Cabas, Nilgün Balkaç und Çigdem Anad vom TV-Sender NTV; Ahmet Tasgetiren, Fehmi Koru, Ali Akel, Kursat Bumin und weitere sechs JournalistInnen von der Tageszeitung Yeni Safak; Serdar Akinan, Hüsnü Mahalli und Tugçe Tatari von der Tageszeitung Aksam; Ece Temelkuran und Amberin Zaman von der Tageszeitung und dem TV-Sender Habertürk; Oguz Karamuk von der Tageszeitung Sabah; Yildirim Türker von der Tageszeitung Radikal; Mehmet Altan von der Tageszeitung Star; Aysenur Arslan und weitere JournalistInnen vom TV-Sender CNN Türk. Es handelt es sich hierbei nicht nur um Entlassungen der JournalistInnen, sondern faktisch um ein Berufsverbot für kritische JournalistInnen, denn wer einmal wegen regierungskritischen Verhaltens entlassen wurde, findet kaum woanders eine Arbeitsstelle. Zensur: Damit
Erdogans Regierung Freude hat Dem Regierungskritiker Mehmet Altan, der früher Chefredakteur der Tagezeitung Star war, wurde Januar 2012 zunächst seine Kolumnenanzahl auf fünf pro Woche reduziert. Altan erklärte im Interview mit der kurdische Nachrichtenagentur Firat (ANF), dass die Kürzung nicht einvernehmlich vereinbart worden war. Im Anschluss an das Interview mit ANF forderte ihn die Zeitung dazu auf, sich für seine Worte zu entschuldigen. Altan lehnte das ab und musste seine Koffer packen. Altan bezeichnet in einer Reportage mit dem unabhängigen Internetportal T24 die Interventionen des Staates in die Pressearbeit mit den folgenden Worten: „Wenn die Regierung sich über die Berichterstattung zu einem Thema aufregt, findet daraufhin eine Selbstzensur der Medien statt. Statt nach journalistischen Prinzipien zu arbeiten, fangen die Kolleginnen und Kollegen an abzuwägen, über was die Regierung sich aufregen könnte und über was nicht.“ Es ist also nicht nur die staatliche Verfolgung, die die journalistische Arbeit erschwert, sondern auch die Selbstzensur der Redaktionen, welche von den Zeitungsverlegern unter Druck gesetzt werden, und letztlich auch die Selbstzensur eines jeden Einzelnen. Früher intervenierte das türkische Militär gegen die Presse- und Medienarbeit. Heute ist es die Regierung, die bestimmt, was berichtenswert ist und was nicht. Es herrscht also weiterhin dieselbe Mentalität, allein die Protagonisten haben sich geändert. Die Zensur
internationalisieren Allein Erdogans Aufforderung an die Nachrichtenagentur Reuters „bezeichnet die PKKler als Terroristen und nicht als Rebellen“ zeigt, wie weit er seine Rhetorik internationalisieren möchte. Auch die kurdischen Presseorgane sind im Visier des türkischen Staates und somit der AKP- Regierung. Weil die kurdischen Sender Roj TV und Nuçe TV das berichteten, was sie nach Erdogans Ansicht besser nicht hätten berichten sollen, wurden nun in Dänemark die Lizenzen dieser Sender aberkannt. Das Oberlandesgericht Kopenhagen hat am letzten Verhandlungstag, dem 3. Juli, der Mezopotamya Broadcasting die Sendelizenz für die Sender MMC, Nuçe TV und ROJ TV entzogen. Es wirft Roj TV in seinem mehr als 100-seitigen Urteil vor, mit seiner Berichterstattung die Ziele der PKK fördern zu wollen. Die PKK wird aber gleichzeitig von der türkischen Regierung als Verhandlungspartner für den Friedensprozess in der Türkei wahrgenommen. So sehr die dänische Regierung auf der Unabhängigkeit ihrer Justiz beharren mag, es sieht nach einem politischem Kuhhandel aus, dem die kurdischen Medien zum Opfer gefallen sind. „Juristischer Zufall“ oder Teil der Strategie der türkischen AKP-Regierung? Wir leben in einer Zeit, in der JournalistInnen schnell zu TerroristInnen werden. Quelle: http://civaka-azad.org/index.php/443-wie-journalisten-zu-terroristen-werden.html
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