Die geplante Zerstörung des Mahnmals von Andicen (Kelahere) in der kurdischen Region Van muss verhindert werden Kurz vor dem 15. Jahrestag des Massakers vom 23. Oktober 1998* haben mutige Menschen in den kurdischen Bergen in der Nähe des Dorfes Andicen (Kelahere) ein Mahnmal in Erinnerung an die 41 damals getöteten PKK-Militanten errichtet. Dieses Mahnmal, das den Namen der deutschen Internationalistin Andrea Wolf trägt, die bei diesem Massaker als unbewaffnete Gefangene gefoltert und anschließend extralegal hingerichtet wurde, haben am 14. September 2013 hunderte MenschenrechtsaktivistIn-nen, Angehörige der Getöteten, VertreterInnen von NGOs, BDP-PolitikerIn-nen und viele Menschen aus der Region Catak und Van (Wan) offiziell eingeweiht. Wenige Tage danach hat der türkische Gouverneur von Catak die Zerstörung des Mahnmals gefordert und anschließend eine nicht-öffentliche, geheime Sitzung des „Councils“ (Versammlung) der Provinz Catak einberufen – allerdings nur mit den ihm untergebenen fünf Beamten, die fünf demokratisch gewählten ParteienvertreterInnen wurden nicht über das Treffen informiert. In ihrer Abwesenheit haben die Beamten des Councils dann die Zerstörung des Mahnmals beschlossen und verfügt. Die VertreterInnen der BDP (Partei für Frieden und Demokratie) des Provinz-Councils von Catak haben umgehend angekündigt, gegen diese „illegale“ Entscheidung mit allen juristischen Mitteln vorzugehen. Wir sind über die Ankündigung dieses unmenschlichen Aktes empört und fordern die türkischen Behörden auf, diesen Beschluss zurück zu nehmen. Die geplante Zerstörung eines Mahnmals sowie von Grabstätten im Andenken an getötete Menschen verweigert den in allen Kulturen tief verankerten Respekt gegenüber Toten – auch denen des politischen Gegners. Zugleich verstößt der Zerstörungs-Beschluss gegen internationales Recht. Am heutigen Montag, 23. September 2014, haben VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen wie von IHD, BDP, NGOs, Angehörigen sowie der Bevölkerung von Catak trotz Kälte ein Zelt neben dem Mahnmal aufgebaut und eine unbefristete Mahnwache begonnen. Ein Hubschrauber des türkischen Militärs überflog mehrmals die bei der Mahnwache versammelten Menschen und das Mahnmal – dabei wurde aus dem Hubschrauber in die Luft geschossen. Darauf erklärten VertreterInnen der Mahnwache: „Wir werden auf unbestimmte Zeit hier bleiben und halten Wache. Wir warnen die Behörden davor, das Mahnmal oder die Gräber zu zerstören.“ Ein anderer Sprecher betonte: „Eine Zerstörung oder ein Angriff auf die Mahnwache würde einen Bruch des Waffenstillstands bedeuten.“ Das Recht auf ein würdiges Gedenken und Erinnern der Angehörigen, Freundinnen und der betroffenen Bevölkerung an die Getöteten und Ermordeten ist in jeder Gesellschaft ein wichtiges Element und eine notwendige Voraussetzung für einen gerechten Frieden. Der Beschluss zur geplanten Zerstörung des Mahnmals in den Bergen von Catak ist somit keine lokale Angelegenheit, sondern ein höchst politischer Vorgang, der Fragen des internationalen Rechts und der interkulturellen politischen Verhaltensregeln genauso betrifft wie den demokratischen Friedensprozess in der Türkei. Wir fordern deshalb nicht nur die türkischen Behörden in Van und Catak, sondern auch die Verantwortlichen der AKP-Regierung in Ankara, aber ebenso die verantwortlichen Stellen der deutschen Regierung in Berlin dazu auf, die geplante Zerstörung des Mahnmals zu stoppen bzw. zu verhindern. Das Mahnmal erinnert an getötete und ermordete Menschen kurdischer und deutscher Herkunft, die (teils) Opfer eines Kriegsverbrechens geworden sind – darunter auch der Musiker Hozan Hogir. Anstatt Gedenkstätten und Gräber zu zerstören, sollten die Behörden in der Türkei und in Deutschland endlich damit beginnen, die Kriegsverbrechen in der gesamten Region aufzuklären und die verantwortlichen Täter zu bestrafen sowie die Mordanklage gegen die Mörder von Andrea Wolf, die am 16. September 2011 beim Staatsanwalt in Catak erneut von VertreterInnen einer internationalen Menschenrechtsdelegation eingereicht wurde, endlich mit Nachdruck zu bearbeiten. Zumal die Türkei bereits wegen eines Verstoßes gegen die Menschenrechtskonvention der EU beim ersten Ermittlungsverfahren wegen Mordes an Andrea Wolf im Jahr 2010 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt worden ist.*² Das Mahnmal ist auch eine Mahnung und Erinnerung daran, dass bis heute, fast 15 Jahre nach dem Kriegsverbrechen der türkischen Armee in den Bergen bei Andicen (Kelahere) die türkischen und deutschen Behörden noch immer nicht die Hintergründe des Massakers juristisch aufgeklärt und die Täter zur Verantwortung gezogen haben.
Der Ort des Massakers in den Bergen von Catak nahe des Mahnmals und das provisorische Sammelgrab, in dem die Ermordeten 1998 begraben worden sind, wurde zuletzt im Sommer 2013 von einer Gruppe internationaler MenschenrechtsaktivistInnen besucht und dabei ausführlich dokumentiert. Wir warnen daher die türkischen Behörden vor jedem Versuch, das Mahnmal zu zerstören. Aber wir warnen auch vor jedem Versuch, die Grabstätten zu zerstören bzw. Spuren am Ort des Massakers beseitigen zu wollen. Die Schändung von Gräbern, die Vernichtung von Beweismitteln in einem Verfahren wegen Mord, Folter und Kriegsverbrechen sowie die Störung der Totenruhe sind international geächtet. Es mag wie in Argentinien, Guatemala oder Chile Jahrzehnte dauern, aber eines Tages werden auch die Mörder und Folterer, die für das Kriegsverbrechen vom 23. Oktober 1998 verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden – ebenso ihre Helfer und Unterstützer. Denn ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben. Wir fordern die sofortige Rücknahme des Beschlusses zur Zerstörung des Mahnmals in Andicen (Kelahere) Wir fordern vom Provinz-Council von Catak eine Entschuldigung für diesen unmenschlichen Beschluss Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Kriegsverbrechen am 23. Oktober 1998 bei Andicen Wir fordern die Bestrafung der Mörder und Folterer FreundInnenkreis Andrea Wolf München, den 23. September 2013 * 1998 waren nach den bisherigen Erkenntnissen in diesem Gebiet nach einem Gefecht die deutsche Internationalistin in der kurdischen Frauenarmee Yajk, Andrea Wolf, zusammen mit kurdischen Genossinnen durch das türkische Militär gefangen genommen worden. Laut Zeugenaussagen wurde sie als unbewaffnete Gefangene so wie mindestens zwei weitere Kämpfer gefoltert und extralegal hingerichtet – anschließend wurden die Leichen weiter misshandelt und verstümmelt. Insgesamt wurden vermutlich 41 KämpferInnen beim Gefecht und dem anschließenden Massaker ermordet.
*² Aus der Pressemitteilung des FreundInnenkreises vom 8. September 2010: In seiner Entscheidung vom 8.6.2010, verurteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei wegen eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), weil „die nationalen Behörden entgegen den Forderungen von Artikel 2 der Konvention keine adäquate und effektive Untersuchung in Bezug auf das Schicksal der Tochter der Klägerin (Anmerkung: die Mutter von Andrea Wolf) geführt haben“. |