AKP-"Demokratisierungspaket": Kein Durchbruch in der kurdischen Frage

Bewertung von Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 30.09.2013

Seit knapp zwei Wochen wurde in den türkischen Medien über das von der AKP-Regierung angekündigte „Demokratisierungspaket“ spekuliert. Die Inhalte des Reformpakets wurden unter strengem Verschluss gehalten. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan werde der Öffentlichkeit am 30. September höchstpersönlich auf einer Pressekonferenz den Inhalt des Pakets mitteilen, hieß es immer wieder aus Regierungskreisen. Die AKP-Regierung ließ lediglich durchblicken, dass das Paket einen bedeutenden Beitrag für den gegenwärtigen Lösungsprozess in der kurdischen Frage leisten und „viele überraschen“ werde. Bereits vor Bekanntmachung des Reformpakets kritisierte die Partei für Frieden und Demokratie (BDP) die Regierung für ihre Entscheidung, ein vermeintliches Demokratisierungspaket für die kurdische Frage zusammenzuschnüren, ohne die kurdische Seite als Verhandlungspartner in diesem Lösungsprozess mit einzubeziehen.

Die Inhalte des Pakets

Nach Bekanntmachung des Inhalts des Demokratisierungspakets stellt sich die Frage, welchen Beitrag es für den Lösungsprozess in der kurdischen Frage leisten kann. Konkrete Reformen durch das Paket, die direkt die kurdische Frage betreffen, sind die Aufhebung des Verbots für die Nutzung der Buchstaben Q, X und W. Diese Buchstaben gibt es im kurdischen, nicht aber im türkischen Alphabet und waren deshalb bisher verboten. Auch wurde das Recht auf die Nutzung von Sprachen neben dem Türkischen bei Wahlkampfveranstaltungen erlaubt. Beide Reformen stellen allerdings insofern keinen großen Fortschritt dar, als die betreffenden Verbote von den Kurdinnen und Kurden ohnehin ignoriert wurden. Trotz Verbots wurden sowohl die drei verbotenen Buchstaben genutzt als auch Wahlpropaganda in kurdischer Sprache betrieben. Die Reformen stellen insofern eine Korrektur von Gesetzen dar, die ohnehin keine Beachtung fanden.

Eine weitere Reform betrifft das Recht auf Schulunterricht in nicht-türkischen Sprachen an Privatschulen. Diese Reform bleibt weit hinter den Forderungen der KurdInnen zurück, die das Recht auf muttersprachlichen Unterricht für öffentliche Schulen gefordert hatten. Auch wurde im Zuge des Pakets der Zwang für Grundschüler, täglich den Leitsatz von Atatürk „Glücklich ist der, der sich Türke nennen darf“ aufzusagen, aufgehoben.

Was das Wahlgesetz angeht, wurde die Aussicht auf eine Veränderung der 10%igen Wahlhürde von der AKP-Regierung in Aussicht gestellt. Man erwäge drei Optionen, gab der türkische Ministerpräsident an: Die Beibehaltung der 10%-Hürde, die Herabsetzung der Hürde auf 5% im Zuge einer Verkleinerung der Wahlbezirke, aus denen die Abgeordneten gewählt werden sollen oder eine Abschaffung der Wahlhürde, wobei auch hier gleichzeitig die Wahlbezirke verkleinert werden sollen. Wann allerdings eine abschließende Entscheidung zu dieser Frage fallen soll, ließ Erdoğan offen. Sowohl dies als auch die Aussage des Beraters des Ministerpräsidenten, Bekir Bozdag, dass dies nicht das letzte Reformpaket sein werde, bestärken die Vermutung, dass die AKP den gegenwärtigen Lösungsprozess in die Länge ziehen und mit dieser Hinhaltetaktik ihre Chancen für die anstehenden Kommunalwahlen im Frühjahr 2014 verbessern möchte.

Eine Änderung im Wahlgesetz, von dem kleinere Parteien profitieren dürften, betrifft den Anspruch auf staatliche finanzielle Unterstützung. War hierfür bisher ein Wahlergebnis von mindestens sieben Prozent Voraussetzung, wurde diese Hürde nun auf drei Prozent herabgesetzt. Auch wurde die Möglichkeit einer Doppelspitze in politischen Parteien durch das Reformpaket legalisiert. Auch dies wurde in der prokurdischen BDP bereits ohne rechtliche Erlaubnis praktiziert.

„Kein Demokratisierungspaket, sondern ein Wahlpaket“

Die BDP-Kovorsitzende Gültan Kisanak bewertete in einer ersten Stellungnahme ihrer Partei das „Demokratisierungspaket“ der Regierung als ein Wahlpaket. „Die Kurden fordern die Lösung der kurdischen Frage, die Aleviten fordern das Recht auf Glaubensfreiheit, alle negierten Teile der Gesellschaft fordern das Recht auf politische Repräsentanz. All diese Kreise leisten seit Jahren Widerstand für ihre Forderungen. Wir möchten hier zum Ausdruck bringen, dass das heute vorgestellte Paket auf keine dieser Forderungen eine Antwort darstellt. Das ist kein Paket, welches eine Antwort auf das Demokratisierungsbedürfnis der Türkei darstellt. Mit diesem Paket soll nicht den Bedürfnissen des Volkes, sondern den Bedürfnissen der AKP gedient werden. Dies ist kein Demokratisierungspaket, sondern ein Wahlpaket“, so Kisanak.

Kritik am „Demokratisierungspaket“ kam auch vom Menschenrechtsverein IHD. Der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins Öztürk Türkdogan fragte, was denn aus den KCK-Gefangenen werden solle. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Firat (ANF) gab Türkdogan an, dass die Regierung selbst Hoffnungen geschürt habe, das Demokratisierungspaket werde sich auch der Lage der KCK- Gefangenen annehmen und fuhr wie folgt fort: „Doch wir haben heute erfahren, dass sie diesbezüglich keine rechtlichen Korrekturen vorgenommen haben. Es sitzen weiterhin tausende Menschen in den Gefängnissen, darunter Abgeordnete, Rechtsanwälte, Journalisten, Gewerkschaftler, Schüler, Bürgermeister und Politiker.“ Dass das Recht auf muttersprachlichen Unterricht allein für Privatschulen zugelassen worden sei, kritisierte der IHD-Vorsitzende mit folgenden Worten: „Diese Änderung wird in der Realität keinen Widerhall finden. Woher soll die wirtschaftlich schwache kurdische Bevölkerung das Geld nehmen, um auf eigene Kosten Schulen zu errichten und die notwendigen Lehrer zu finanzieren?“

Auch der Vorsitzende des Dachverbands der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (KESK) Lami Özgen kritisierte das Demokratisierungspaket der AKP-Regierung. Er bezeichnete das Paket als inhaltslos und beschuldigte die Regierung, in der Bevölkerung ständig Erwartungen zu wecken, die dann schließlich nicht erfüllt würden. „Das ist sehr gefährlich. Es gibt heute glücklicherweise keine bewaffneten Auseinandersetzungen in der Türkei. Aber die Regierung muss im Gegenzug hierzu auch Schritte in Richtung einer Demokratisierung einleiten. In diesem Paket sind solche Schritte leider nicht zu erkennen“, so Özgen.

Unterdessen kündigten die Mitglieder der Kommission der Weisen an, ihren Abschlussbericht an die Regierung, in dem die Erwartungen und Forderungen bezüglich des Lösungsprozesses formuliert sind, am Dienstag (01.10.) nun auch der Öffentlichkeit mitteilen zu wollen. Dadurch werde nachvollziehbar, inwieweit die Regierung mit ihrem Demokratisierungspaket den Empfehlungen der Kommission gefolgt ist. Die Kommission der Weisen war Anfang April 2013 von der Regierung einberufen worden, um mit der Gesellschaft über den Lösungsprozess in den Dialog zu treten und deren Erwartungen an den Prozess für die Regierung zu dokumentieren. Die Regierung erhielt den Abschlussbericht der Kommission bereits Ende Juni, hält ihn aber bislang strikt unter Verschluss.

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