„Die
kurdische Freiheitsbewegung zeigt sich trotz derzeitiger Stagnation sehr
kämpferisch und lässt an ihren friedenspolitischen Zielen und Forderungen
keinen Zweifel. Es wird kein Zurück geben.“
Interview
mit der Kampange TATORT Kurdistan zur Demo „Friedensprozess unterstützen
– PKK-Verbot aufheben“ am 16. November in Berlin
Anlässlich des 20. Jahrestages des PKK-Verbots ruft die Kampagne TATORT
Kurdistan gemeinsam mit einem breiten Bündnis zahlreicher gesellschaftlicher
und politischer Gruppen zu einer Großdemonstration am 16. November in
Berlin auf. Über die Demonstration und deren Vorbereitung führte die Ronahî-Redaktion
ein Interview mit AktivistInnen der Kampagne TATORT Kurdistan.
Frage:
Anlass der Demonstration am 16. November 2013 sind die letzten 20 Jahre
PKK-Verbot. Könnt ihr kurz erläutern, wie es zu dem Verbot gekommen ist
und was für Interessen hinter diesem Verbot stehen.
Antwort:
„Kurz erläutern“ ist bei der politischen Dimension dieses Themas nicht
ganz einfach, aber ich will's versuchen. Die eigentliche politische und
strafrechtliche Verfolgung politisch aktiver Kurdinnen und Kurden insbesondere
in Deutschland begann schon Mitte der 1980er Jahre, als die kurdische
Bewegung nach ihrer Gründung 1978 zunehmend erfolgreicher wurde und auch
in Europa große Unterstützung erfuhr. Diese Entwicklung mobilisierte das
türkische Regime und europäische Geheimdienste zu verstärkten Operationen
gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ihre Guerilla und gegen die
in Europa lebenden Aktivistinnen und Aktivisten. Diese erste Verfolgungswelle
führte zu zahlreichen Verhaftungen und dem sog. „Düsseldorfer Prozess“,
wo 20 Kurdinnen und Kurden nach § 129a StGB angeklagt wurden. Das Großverfahren
endete 1994 mit nur einigen Verurteilungen zu Haftstrafen. Die Kurdinnen
und Kurden in Deutschland wollten es sich dennoch nicht nehmen lassen,
weiterhin für ihre legitimen politischen Anliegen offensiv einzutreten
und die zweifelhafte deutsche Politik gegenüber der Türkei öffentlich
anzuprangern.
Dies, sowie ökonomisch-geostrategische Interessen der Bundesrepublik im
Nahen Osten als auch innenpolitische Aufrüstungserwägungen führten schließlich
zu dem von der türkischen Regierung inbrünstig begrüßten Verbot der PKK-Betätigung
in Deutschland. In der Verbotsverfügung vom November 1993 heißt es schnörkellos:
„(…) Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisationen
hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß
erreicht. (…) Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland
würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen (…).“
Frage:
Schon vor dem Verbot war abzusehen, dass dies die Betätigung für oder
im Sinne der PKK in der BRD nicht unterbinden werden wird. Stattdessen
wird ein Diskurs über die PKK und ihre Ziele unmöglich gemacht, vor allem
mit der PKK selbst. Wie bewertet ihr dieses Problem, auch für die Politik
und Gesellschaft der BRD?
Antwort:
Das ist exakt das Grundproblem dieser Verbotspolitik. Hier wird seit nunmehr
20 Jahren versucht, statt durch Dialog und politische Auseinandersetzung
mit den Mitteln des Polizei-, Verwaltungs- und Strafrechts einen Konflikt
beherrschbar zu machen, dessen politischer Hintergrund seit Jahrzehnten
bis heute ungelöst ist. Da bislang keine Bundesregierung ernst zu nehmende
Initiativen zu einem entspannteren Verhältnis zur kurdischen Bewegung
ergreifen wollte, ziehen es die politisch Verantwortlichen weiterhin vor,
die Probleme an die Strafverfolgungsbehörden zu delegieren. Diese Haltung
bedeutet für einen Großteil der hier lebenden kurdischen Bevölkerung,
von elementaren Grundrechten wie der Presse- und Meinungsfreiheit oder
von dem Recht auf Versammlung und Vereinigung ausgeschlossen zu werden.
Solch tiefgreifende Restriktionen, die massive Auswirkungen auf hiervon
direkt betroffene Menschen haben, hinterlassen ihre Spuren letztlich in
der gesamten Gesellschaft und offenbaren den Zustand einer sich demokratisch
definierenden Politik. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 erleben
wir alle gemeinsam die fortschreitende dramatische Demontage von BürgerInnen-
und Grundrechten.
Richtig ist, dass sich Kurdinnen
und Kurden trotz aller Zumutungen in den vergangenen 20 Jahren nicht haben
davon abhalten lassen, weiterhin den Finger in die Wunde der ungelösten
kurdischen Frage zu legen und für ihre Interessen zu kämpfen. Ein Blick
in die jährlichen Berichte des Verfassungsschutzes zeigen beispielsweise,
dass die von ihm (wie auch immer) gezählten Mitglieder der PKK in Deutschland
kontinuierlich gestiegen sind.
Frage:
Was hat das Verbot für eine Auswirkung auf die kurdische Community als
solche? Welchen Repressionen sind politisch und sozial engagierte Kurdinnen
und Kurden in der BRD aufgrund des Verbotes ausgesetzt?
Antwort:
Die Auswirkungen der Repression sind immens, vielschichtig und vollziehen
sich weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ich versuche, sie
so kurz wie möglich darzustellen.
Erstens:
Die zahlenmäßig meisten Verfahren betreffen Verstöße gegen § 20 Vereinsgesetz.
Hier geht es u.a. um das Rufen verbotener Parolen („Bijî Serok Apo“),
das Zeigen verbotener Symbole (z.B. PKK- oder KCK-Fahnen), das Verbreiten
verbotener Publikationen (z.B. „Serxwebûn“), das Sammeln von Spenden oder
das Spenden selbst. Seit Jahren gibt es unfassbare rechtliche Auseinandersetzungen
um das Zeigen von Transparenten/Fahnen mit dem Bild von Abdullah Öcalan.
Heerscharen von PolizeibeamtInnen, hochbezahlte StaatsanwältInnen und
RichterInnen beschäftigen sich mit der Frage, welches Hemd Herr Öcalan
tragen darf, wie viele Plakate von wie vielen Personen auf Demos gezeigt
werden dürfen zu welchem Anlass, welcher Plakataufdruck zulässig ist und
welcher nicht.
Zweitens:
Aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 28. Oktober
2010 werden nach LTTE und DHKP-C auch AktivistInnen der PKK nach § 129b
StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland)
strafverfolgt. Bislang hiervon betroffen sind von den Behörden als „Führungskader“
eingestufte KurdInnen. Seit 2011 wurden bereits Urteile verhängt bzw.
sind Verfahren anhängig.
So sind in diesem Jahr bereits fünf Aktivisten nach § 129b zu jeweils
mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden, wobei in vier Fällen
Revision eingelegt wurde. Ein weiteres Verfahren ist im Juni dieses Jahres
eröffnet worden.
Drittens:
Aufgrund politischer Betätigung – und sei es nur die Teilnahme an legalen
Demonstrationen oder Veranstaltungen in kurdischen Vereinen – wurde in
den letzten Jahren einer Vielzahl von Kurdinnen und Kurden unabhängig
von der Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland eine Einbürgerung verweigert.
Mit der gleichen Begründung sehen sich unzählige Kurdinnen und Kurden
damit konfrontiert, dass ihnen die Behörden den einst sicheren Asylstatus
aberkennen, das heißt, sie werden auf eine „Duldung“ zurückgestuft mit
der jederzeitigen Drohung, ausgewiesen zu werden.
In allen diesen Fällen lässt sich den Bescheiden entnehmen, dass die Landesämter
für Verfassungsschutz den Einbürgerungs- und Ausländerbehörden umfassendes
Material liefern. Diese Berichte zeigen, mit welch unglaublicher Akribie
und teils diffamierenden Zuschreibungen das Leben von Kurdinnen und Kurden
durchleuchtet und dokumentiert wird.
Damit leite ich über zum vierten
Punkt, nämlich zu den Versuchen des Inlandsgeheimdienstes, Kurdinnen und
Kurden für schmutzige Spitzeldienste anzuwerben, insbesondere kurdische
Heranwachsende und Jugendliche. Das geschieht auf dem Weg zur Schule,
Universität, zum Ausbildungsplatz oder zur Arbeitsstelle. Hierbei wird
nicht davor zurückgeschreckt, diejenigen, die sich diesen Annäherungen
verweigern, zu bedrohen und einzuschüchtern. Besonders betroffen sind
Kurdinnen und Kurden, die keinen festen Asylstatus haben. Erwartet werden
hauptsächlich Auskünfte über Strukturen und Personen in kurdischen Organisationen
und Einrichtungen. Also die Frage, wer ist zuständig für was, wer organisiert
Veranstaltungen, verkauft Zeitschriften oder Bustickets zu Festivals u.ä.
Als Gegenleistung werden Geldbeträge, Unterstützung bei ausländerrechtlichen
Angelegenheiten, der Suche nach einem Arbeitsplatz oder einer Wohnung
angeboten bzw. zugesichert.
Frage:
Mit dem Titel der Demo „Friedensprozess unterstützen – PKK-Verbot aufheben“
nehmt ihr direkten Bezug auf eine friedliche Lösung der kurdischen Frage
in Kurdistan selbst. Inwieweit stellt das PKK-Verbot in der BRD ein Hindernis
für eine friedliche Lösung dar und warum sollte dessen Aufhebung ein Beitrag
zu einem Friedensprozess sein?
Antwort:
Die politischen Entwicklungen in der Türkei hinsichtlich der kurdischen
Frage haben stets auch Rückwirkungen auf die im Exil lebenden Kurdinnen
und Kurden. Ausgerechnet in der Zeit der schlimmsten Vernichtungsoperationen
der türkischen Armee Anfang der 1990er Jahre, in denen unzählige in der
BRD lebende Familien ansehen mussten, wie ihre Heimatdörfer zerstört,
Verwandte und Freunde vertrieben, verhaftet, gefoltert oder getötet wurden,
erließ die deutsche Regierung das PKK-Verbot. Und lieferte Unmengen an
Waffen und Kriegsgerät, die auch gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt
wurden. Wie anders sollte das gewertet werden als Komplizenschaft mit
dem türkischen Regime? Deutschland hatte sich mit seiner Haltung zur Kriegspartei
gemacht und trägt eine Mitverantwortung für diesen schmutzigen Krieg.
Solange deutsche Regierungen das PKK-Betätigungsverbot aufrechterhalten,
stellen sie sich an die Seite des NATO-Partners, was letztlich bedeutet,
sich zu willfährigen Handlangern der türkischen Politik in Deutschland
und zu machen. Das ist weder diplomatisch noch vernünftig, geschweige
denn lösungsorientiert.
Deshalb war und ist seit 20
Jahren die zentrale Forderung, die einer friedlichen politischen Lösung
der kurdischen Frage immens behindernde Verbotspraxis zu beenden. Die
Aufhebung des Verbots wäre ein extrem wichtiges Signal sowohl in Richtung
türkischer Regierung als auch für die Kurdinnen und Kurden in der Türkei
und im Exil.
Seit 20 Jahren versicherten
alle Regierungen gebetsmühlenartig, dass sie jede Gelegenheit wahrnehmen
würden, die Türkei auf eine Lösung des Konfliktes zu drängen. Doch tatsächliche
Ergebnisse angeblicher Bemühungen sind nie vorgelegt worden.
Nach den Ende Dezember 2012
begonnenen Gesprächen zwischen dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah
Öcalan und Vertretern der türkischen Regierung sowie seinem zum diesjährigen
kurdischen Newrozfest nochmals bestärkten Vorschlag für einen Friedensprozess,
war die Resonanz weltweit durchweg positiv. Während auch der deutsche
Außenminister lobende Worte fand, blieb der Innenminister stumm.
Mit der Demonstration will
sich das Bündnis TATORT KURDISTAN für eine politische, gerechte und dauerhafte
Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts stark machen, zur Intensivierung
von Verhandlungen mit Herrn Öcalan und VertreterInnen der BDP auffordern
und zu einem Ende der Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden aufrufen.
Frage:
Der Lösungsprozess, welcher dieses Jahr in Nordkurdistan und der Türkei
große Fortschritte machen sollte, ist ins Stocken geraten. Spätestens
nach dem als „Demokratie-Paket“ angekündigten Wahlkampfgeschenk Erdoğans
an die eigene Klientel ist klar geworden, dass die AKP-Regierung wenig
Willen zu einer Lösung der kurdischen Frage zeigt. Könnt ihr einschätzen,
wie der Prozess auch ohne die Regierung fortgesetzt werden kann?
Antwort:
Erst einmal: Es gab im Vorfeld schon zahlreiche skeptische Stimmen, die
an ernsthafte Vorschläge vonseiten der AKP-Regierung nicht geglaubt haben.
Zumindest im Augenblick scheinen sie Recht zu haben. Auf der anderen Seite:
Friedensverhandlungen können nur die gegnerischen Parteien führen.
Die kurdische Freiheitsbewegung zeigt sich trotz derzeitiger Stagnation
sehr kämpferisch und lässt an ihren friedenspolitischen Zielen und Forderungen
keinen Zweifel. Es wird kein Zurück geben.
Sehr wichtig sind auch die bemerkenswerten Aktivitäten der kurdischen
Bevölkerung, die unbeirrt am weiteren Auf- und Ausbau zivilgesellschaftlicher
Strukturen und eines demokratischen Autonomie-Modells festhalten. Auch
der Gezi/Taksim-Aufstand vom Sommer hat nicht zu unterschätzende gesamtgesellschaftliche
Veränderungen hervorgebracht.
Wie sich aber letztlich die Situation entwickelt, hängt maßgeblich von
den weiteren Entwicklungen in Rojava ab, wo die Türkei ja massiv versucht,
die Bildung eines autonomen kurdischen Gebietes mit Hilfe islamistischer
Terrortruppen zu verhindern.
Frage:
Kommen wir noch kurz auf die Vorbereitungen der Demo zu sprechen. Ihr
habt ein beeindruckendes Bündnis an UnterstützerInnen gewinnen können.
Was sind das für Gruppen und wie kommt es, dass sie sich wieder oder nun
zu Kurdistan positionieren?
Antwort:
Ja, wir freuen uns über das breite Spektrum, das zu gewinnen unser Ziel
war. Wir sind der Auffassung, dass wir alle über unseren Tellerrand schauen
müssen, um gemeinsam andere/neue politische Perspektiven entwickeln zu
können. Unseren Aufruf haben wir im Mai verfasst, als der Beginn des Friedensprozesses
noch ganz frisch war und die ersten kurdischen Guerillaeinheiten vereinbarungsgemäß
das türkische Territorium verlassen hatten. Diese Entwicklungen wollten
die unterschiedlichsten Personen und Gruppen tatkräftig unterstützen.
Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Frage:
Wie kann die Demo unterstützt werden?
Antwort:
Erstens: Zur Demo kommen – trotz November-Blues.
Zweitens: Die Kurdinnen und Kurden in ihrem Kampf für Gerechtigkeit, Freiheit
und Frieden unterstützen.
26. Oktober 2013
Weiterführende Links zur Kampagne und der Demo:
Kampagne TATORT Kurdistan
http://tatortkurdistan.blogsport.de/
Demo „Friedensprozess unterstützen
– PKK-Verbot aufheben“
http://friedenstattverbot.blogsport.de/
Antifaschistischen Linken Berlin
(ALB) zur Demo
http://www.antifa.de/cms/content/view/2180/1/
Aufruf des Revolutionären 3a-Bündnisses
http://3a.blogsport.de/2013/10/12/stoppt-den-staatsterror-pkk-verbot-aufheben/
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